Themen / Rechtspolitik

Erstes teilpri­va­ti­siertes Gefängnis in Deutschland

28. März 2006

Mitteilungen Nr. 192, S.18

Mit Eröffnung der Justizvollzugsanstalt (JVA) im hessischen Hünfeld im Dezember 2005 gibt es in Deutschland das erste teilprivatisierte Gefängnis. Neben den 116 staatlich Bediensteten werden fortan auch 95 MitarbeiterInnen des privaten, englischen Betreiberkonzerns „Serco“ am Strafvollzug mitwirken. Die Mitarbeiter des Generalunternehmens sind dabei für alles zuständig, was über die Bewachung der Häftlinge hinausgeht: Die Instandhaltung des Gefängnisses, den medizinischen Dienst oder die Videoüberwachung der JVA. Zudem gehören der Betrieb von Küchen und Werkstätten, die Reinigung des Gefängnisses, Teile der Verwaltung sowie die psychologische und pädagogische Betreuung der Häftlinge zum Aufgabenbereich des privaten Betreibers. Ausgenommen bleibt der Kern der hoheitlichen Aufgaben, die Bewachung und Beaufsichtigung der etwa 500 Häftlinge, d.h. die Durchführung des unmittelbaren Zwangs. Bei laufenden Kosten will das Land auf diesem Weg 660.000 Euro sparen, das entspricht einer Kostensenkung von 15 Prozent.

Dies alles spielt sich in einem hochsensiblen Bereich der Eingriffsverwaltung durch den Staat ab, sodass sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Praxis – die bereits als „innovatives“ Vorbild für weitere Projekte dient – geradezu aufdrängt. Die Privatisierung des Strafvollzugs ist am Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 1 und 3 Grundgesetz) sowie an den engen Grenzen der Grundrechte zu messen. Wie jedoch im konkreten Alltag die Grenze zwischen grundrechtsrelevanter Eingriffsverwaltung und der restlichen Verwaltungstätigkeit gezogen werden kann, scheint zweifelhaft. Ein sich verringernder Umfang gerichtlicher Kontrolle und eine rechtsstaatlich bedenkliche Ausweitung von Ermessensspielräumen stehen zu befürchten.

Unabhängig von diesen abstrakten Fragwürdigkeiten ist ein noch bedeutenderes Faktum zu konstatieren: Die Teilprivatisierung schießt letztlich an den wahren Problemen des Strafvollzugs vorbei. Hierunter fallen insbesondere die Überbelegung, die Übernahme sachfremder Aufgaben (Abschiebevollzug), die Unterbezahlung und Überlastung des Personals sowie die fehlende Entwicklung und Umsetzung problemadäquater und zielgruppenorientierter Vollzugskonzepte. Sinnvolle Lösungsansätze für diese Situation bestünden demnach beispielsweise in umfassenden Haftvermeidungsstrategien, gepaart mit einer Optimierung sowohl der Personalstruktur als auch der Kooperation der beteiligten Justizbehörden. Ironischerweise führt die Privatisierung jedoch zu gegenteiligen Ergebnissen: Rationalisierung und Kostenersparnis an Personal und dessen Aus- und Fortbildung kombiniert mit einem mangelnden Interesse an langfristigen, haftvermeidenden Konzepten. Denn wer mit Strafvollzug verdienen will, kann eben dafür nichts übrig haben.

Auch sind vorliegende Studien über Erfolge entsprechender Praxis im angloamerikanischen Raum kritischer zu bewerten. Hierin werden die Leistungen der Anstalten nach ihrer vollzugsinternen Ordnungskompetenz (Sicherheit im engeren Sinne) beurteilt. Auf ihre Leistung im Hinblick auf die Reintegration der Gefangenen kommt es kaum an. Wenn Strafvollzug aber überhaupt Legitimität beanspruchen will, so müssen sein am Sozialstaatsprinzip orientierter Inhalt und sein Ziel der Reintegration oberste Prämisse bleiben.

nach oben