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Neues Polizei­recht in Schles­wig-Hol­stein auf dem Weg

28. März 2006

Warnungen von Datenschützern und Bürgerrechtlern bleiben ungehört

Mitteilungen Nr. 192, S. 5-6

Auf den ersten Blick stellt der im November vergangenen Jahres von der Landesregierung vorgelegte Entwurf eines neuen Polizeigesetzes für Schleswig-Holstein eine ungewöhnliche Häufung von schwersten Eingriffen in die Bürgerrechte dar. Bei genauerem Hinsehen entpuppt er sich als ein handwerklich schlechter und inhaltlich schaler Aufguss von Grundrechtsbeschränkungen, die in anderen Bundesländern längst verwirklicht wurden. Als Anlass dienen neue Formen schwerer Kriminalität, vor allem der sogenannte internationale Terrorismus. Seriöse Nachweise für die pauschal unterstellte veränderte Sicherheitslage werden – wie im Polizeirecht bereits seit Jahren üblich – nicht einmal ansatzweise vorgetragen.

Mit dem neuen Gesetz erhält auch Schleswig-Holstein, was dort über Jahrzehnte von Politik und Polizei für nicht erforderlich gehalten worden war:

– Die Aufhebung der Befristung für die unstreitig als völlig nutzlos bekannte Rasterfahndung war bereits vor Veröffentlichung des Polizeigesetzentwurfs verkündet worden. Auf die ursprünglich vorgesehene Evaluation der Maßnahme verzichtet man nun ganz.

– Schleierfahndung: Allen sich in Schleswig-Holstein aufhaltenden Bürgerinnen und Bürgern kann es zukünftig passieren, an bestimmten, von der Polizei festzulegenden Orten festgehalten und durchsucht zu werden.

– Videoüberwachung in und an allgemein zugänglichen Flächen und Räumen: Wenn sich an bestimmten Orten aus Polizeisicht „Gefahren für Rechtsgüter verfestigen“, soll die Polizei zukünftig dort per Kamera überwachen dürfen.

– Kfz-Kennzeichenüberwachung: Jede und jeder soll zukünftig an bestimmten Orten damit rechnen müssen, dass sein Kfz-Kennzeichen vollautomatisch erfasst, eingelesen und zu Fahndungszwecken mit Datenbanken abgeglichen wird.

– Telekommunikationsüberwachung: Wenn Tatsachen dafür sprechen, dass eine Gefahr für Leben oder Gesundheit zu erwarten ist, soll die Polizei zukünftig präventiv Gespräche von Bürgern abhören können. Auch der von der Humanistischen Union vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffene Einsatz des sogenannten IMSI-Catchers (zu strafprozessualen Zwecken) soll zukünftig zu präventiven Zwecken zum Einsatz kommen.- Heimliche Wohnraumüberwachung: Im Innenministerium hielt man es offenbar nicht für erforderlich, sich bei der aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff erforderlich gewordenen Neuformulierung der Lauschvorschriften Mühe hinsichtlich der rechtsstaatlichen Vorgaben zu machen: Die neue Fassung würde wohl ohne weiteres verfassungsgerichtlich kassiert werden.

Der Entwurf enthält noch zahlreiche weitere „Grausamkeiten“, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann.

Strukturell erkennbar wird das Bemühen der Landesregierung, das Polizeirecht als ein Instrumentarium zur Jedermann-Kontrolle auszubauen. Grundsätzlich an jedem Ort und in jeder Kommunikationsbeziehung sollen die Bürgerinnen und Bürger damit rechnen müssen, einer staatlichen Überwachung ausgesetzt zu sein.

Nahezu alle Bestimmungen des Entwurfs erscheinen inhaltlich viel zu unbestimmt und unverhältnismäßig, als dass sie den Bürgern hinreichende Rechtssicherheit hinsichtlich der sie bedrohenden Grundrechtseingriffe geben könnten. Bei einer Vielzahl der geänderten oder neuen Befugnisse definiert die Polizei letztlich die Voraussetzungen des Eingriffs selbst und nicht der dafür zuständige Gesetzgeber.

Bemerkenswert ist, mit welcher Nonchalance dieser Anschlag auf die Grundrechte ausgearbeitet und der Öffentlichkeit vorgestellt wurde – der Gesetzentwurf selbst blieb bislang übrigens nichtöffentlich. Inhaltlich wurde in einer ganzen Reihe von Punkten die deutsche Verfassungsgerichtsrechtsprechung ganz offen ignoriert. Die von Seiten der politischen Opposition sowie des Datenschutzbeauftragten vorgetragenen rechtsstaatlichen Bedenken gegen den Entwurf wurden durch teilweise völlig überzogene Unterstellungen und den Versuch, die Kritik ins Lächerliche zu ziehen, vom Tisch gewischt.

Der Gesetzentwurf, der Ende März in den schleswig-holsteinischen Landtag zur ersten Lesung eingebracht werden wird, ist das Ergebnis einer großen Koalition. Man darf getrost unterstellen, dass der für die SPD ins Rennen geschickte und aufgrund des Erfolges des Ministerpräsidenten unter hohem Erfolgsdruck stehende Innenminister alles versucht, um sein Amt zur politischen Profilierung zu nutzen. Die Erfahrung der Bürgerrechtsbewegung in den vergangenen Jahren zeigt, dass zumindest Teile der politischen Elite bei der Verfolgung ihrer Ziele keinerlei Skrupel zeigen, tragende Pfeiler des demokratischen Gemeinwesens wie eben rechtsstaatliche Errungenschaften anzugreifen. Den im Ergebnis erfolgenden Grundrechteabbau redet man sich anschließend schön (man habe die Sicherheit der Bürger geschützt) oder verbucht es einfach als Kollateralschaden im sogenannten „Krieg gegen den Terrorismus“. Die Töne in der Auseinandersetzung mit den Kritikern des Gesetzentwurfes werden immer schriller. Die SPD-Fraktion ließ in einer Pressemitteilung verkünden: „Über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes entscheiden nicht Datenschutzbeauftragte, sondern Verfassungsgerichte.“ Das ist zutreffend, allerdings kann der Gesetzgeber hinterher nicht sagen, es hätte ihn niemand gewarnt.

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