Themen / Innere Sicherheit

Die Ausweitung der Kampfzone

14. Dezember 2006

Zur Verabschiedung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes

Mitteilungen Nr. 195, S. 6-7

Am 1. Dezember 2006 verabschiedete der Bundestag auch das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG). Damit sollten die 2001 im Rahmen der Terrorbekämpfung eingeführten Sonderbefugnisse der Geheimdienste erneut um fünf Jahre verlängert werden. Das TBEG beinhaltet jedoch mehr als eine Fristverlängerung der bisherigen Sonderrechte im Kampf gegen terroristische Gefahren. Es verschafft den Geheimdiensten neue Befugnisse in Bereichen, die mit Terrorismus wenig zu tun haben. Dabei hätte es gute Gründe gegeben, die bisherigen Regelungen einer genaueren Prüfung zu unterziehen.

Evaluation ist sicher­heits­po­li­tisch geboten

Unter dem Eindruck der Anschläge des 11. September 2001 hatte der Bundestag noch im Dezember des gleichen Jahres das Terrorismusbekämpfungsgesetz (TBG) verabschiedet. Dieses Gesetzespaket räumte den Geheimdiensten u.a. Zugriffsrechte auf die Daten von Postdienstleistern, TK-Anbietern, Fluggesellschaften ein, um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erleichtern. Bereits damals bestanden erhebliche Zweifel, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen überhaupt geeignet seien, terroristische Bedrohungen abzuwehren, oder ob nicht die herkömmlichen polizeilichen und strafprozessualen Mittel ausreichen würden (siehe: „Schilys Terrorismusbekämpfungsgesetz: Der falsche Weg.“ Stellungnahme vom 30.11.2001) Die Frage nach der präventiven Wirksamkeit der neuen Geheimdienstbefugnisse des TBG stellt sich heute immer noch. Die im TBG vorgesehene Evaluierung der neuen Befugnisse wäre auch eine gute Gelegenheit gewesen, die neuen Regelungen einer Prüfung auf ihren tatsächlichen Sicherheitsgewinn zu unterziehen. Die Antwort darauf blieben aber sowohl die Vertreter der Sicherheitsbehörden, als auch die Bundesregierung schuldig. Auch bei der Vorbereitung des TBEG wurde keine Analyse der Gefährdungslage vorgelegt. Und so bleibt der Eindruck zurück, dass es einerseits um die Sicherheit Deutschlands nicht so schlecht bestellt sein kann (zumindest, wenn man sich an den „Sicherheitsbericht“ der Bundesregierung hält), dass aber konkrete Sicherheit – etwa im Flugverkehr – mit viel profaneren Mitteln erreicht wird (Beispiel: Plastiktaschen). Nach Ansicht der Bundesregierung erfüllt der „Bericht zu den Auswirkungen der nach Artikel 22 Abs. 2 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes befristeten Änderungen…“ vom xxx. die gesetzlich vorgeschriebene Evaluationspflicht. Dies wurde jedoch nicht nur von den Oppositionsfraktionen im Bundestag, sondern von fast allen geladenen Sachverständigen der Anhörung verneint. Tatsächlich leistet dieser Anwendungsbericht des Bundesinnenministeriums in mehrfacher Hinsicht keine Evaluation:

• Der Bericht legt seine verwendete Datenbasis nicht offen, etwa die Kosten und die Anzahl der betroffenen Personen der beim BfV durchgeführten Sicherheitsüberprüfungen (Stellungnahme des DAV, Seite 6)

• Der Bericht bleibt den Nachweis einer Erforderlichkeit der zu evaluierenden Maßnahmen schuldig, denn er erlaubt keine nachhaltige Bewertung der Wirksamkeit der Eingriffsbefugnisse. Das beispielsweise die neuen Auskunftsbefugnisse „relevante Informationen“ erbrachten oder bei 3 von 19 IMSI-Catcher-Einsätzen neue Mobilfunkanschlüsse ermittelt werden konnten, sagt nichts über den tatsächlichen „Sicherheitsgewinn“ dieser Maßnahmen aus, „[d]enn weder Art und Umfang der Information noch Ergebnis der Telefonüberwachung stehen fest.“ (Stellungnahme des DAV, Seite 7)

• Der Bericht bewertet die mit dem TBG eingeführten Befugnisse aus der Sicht der anwendenden Sicherheitsbehörden. Dies ist insofern nicht überraschend, als er vom BMI und damit der Dienstaufsichtsbehörde jener Stellen verfasst wurde, welche die mit dem TBG neu eingeführten Befugnisse anwenden. Eine Evaluation, die auch wissenschaftlichen Kriterien der Unabhängigkeit entsprechen würde, müsste dagegen durch eine unabhängige Stelle vorgenommen werden. Von einer solchen unabhängigen Untersuchung wären auch Hinweise darauf zu erwarten, welche Auswirkungen die erfolgten Eingriffe für die Betroffenen hatten (etwa Schwierigkeiten bei der Kreditvergabe, Einschränkung der Arbeit von NGOs…). Im nun verabschiedeten TBEG findet sich mit dem Hinweis, dass innerhalb von fünf Jahren die Befugnisse „unter Einbeziehung eines wissenschaftlichen Sachverständigen“ erneut evaluiert werden sollen, wiederum nur ein halbes Zugeständnis, aber keine wirkliche Lösung des Evaluationsproblems. Weder personell noch organisatorisch ist eine Untersuchung der Auswirkungen dieses Gesetzes durch einen Sachverständigen ausreichend, noch finden sich Hinweise darauf, nach welchen Verfahren, auf welcher Datenbasis, unter Berücksichtigung welcher Folgen und „Nebenwirkungen“ dies geschehen soll.

Was ist neu?

Mit dem TBEG werden die 2001 eingeführten Auskunftsrechte der Geheimdienste um weitere fünf Jahre verlängert. Zudem werden zahlreiche Befugnisse durch vereinfachte Verfahren „anwenderfreundlicher“ gestaltet, obwohl sich die Maßnahmen selbst nach dem sogenannten Evaluationsbericht nicht bewährt haben. Zu den Vereinfachungen gehört etwa, dass alle Auskünfte über Bestandsdaten bei Postdienstleistern und Teledienstanbietern (Kundenanschriften, Vertragsverhältnisse) jetzt nicht mehr der Kontrolle durch die G10-Kommission unterliegen. Die Auskünfte über Flugdaten (Kundenanschrift, Buchungs- und Flugdaten) werden durch eine einfache Dienstvorschrift der jeweiligen Behörden geregelt und sind zulässig, „soweit dies zur Erfüllung [ihrer] Aufgaben erforderlich ist“ – also ohne qualifizierte Einschränkungen. Die weitergehenden Auskunftsersuchen überBank-, Post-, Telekommunikations- und Teledienst-Verkehrsdaten(etwa Kontenbewegungen, „Umstände des Postverkehrs“,TK-Verbindungsdaten) werden künftig vom Behördenleiter oder seinem Vertreter beantragt und sind durch das Bundesinnenministerium (BND, BfV) bzw. das Verteidigungsministerium (MAD) zu genehmigen. Der entscheidende Wendepunkt dürfte jedoch sein, dass die besonderen Auskunftsrechte der Geheimdienste jetzt nicht mehr nur auf die Verfolgung terroristischer Aktivitäten begrenzt sind. Künftig darf der Verfassungsschutz diese Auskünfte nach § 8a Absatz 2 BVerfSchG auch über Personen einholen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen und darüber hinaus mit ihren Handlungen andere „zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung“ aufstacheln oder „deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden“ angreifen bzw. solche „Verfassungsstörer“, die Gewalt anwenden, unterstützen, vorbereiten, hervorrufen oder befürworten. Damit richtet sich das TBEG, dessen Ziel die Bekämpfung internationaler terroristischer Bedrohungen sein sollte, nun auch gegen inländische, friedliche Verfassungsfeinde. „Wird die Weite des in der Rechtssprechung vertretenen Gewaltbegriffs hinzugenommen, wonach bereits bestimmte Formen der Sitzblockade Gewalt beinhalten, können nach der Begriffsbestimmung des [Gesetzes] bloße Befürworter von Sitzblockaden zum Gegenstand jener geheimdienstlichen Instrumente gemacht werden, die im ersten Antiterrorgesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Abwehr von Anschlägen … eingeführt worden sind.“ (Stellungnahme Poscher, Seite 10) Darüber hinaus ist diese Beschreibung von „Verfassungsstörern“ äußerst nebulös: Sie setzt einen Rechtsverstoß voraus, der nicht in einem strafbaren Handeln, etwa einer Verleumdung, einer Beleidigung oder einer Gefährdung, sondern an einer Wirkung gemessen wird, die dieses Handeln bei anderen Menschen hinterlässt. Das TBEG lässt hier – genauso wie die Anti-Terror-Datei – eine klare Unterscheidung zwischen dem Innehaben einer Meinung (über die andere sich aufregen mögen) und gefährlichen Handlungen vermissen. Wie jemand durch das Hervorrufen einer hasserfüllten Reaktion Anderer (die sich möglicherweise gegen die eigene Meinung richtet) selbst zu einer schwerwiegenden Gefahr für die geschützten Verfassungsgüter werden kann, bleibt genauso geheimnisvoll wie die Frage, worin die Menschenwürde von „Teilen der Bevölkerung“ bestehe. Doch nicht nur der Verfassungsschutz bekommt mit dem TBEG neue Einsatzfelder zugesprochen. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) dürfen – natürlich „nur“ zur Verfolgung ihrer Aufgaben – die erweiterten Auskunftsbefugnisse des § 8a BVerfSchG einsetzen. Darüber hinaus wird ihnen gestattet, für ihre Arbeit auch im Inland Daten zu erheben. In der Sprache der Bundesregierung nennt sich das „Informationsgewinnung über das Ausland“ durch „Datenerhebung im Inland“. Damit werden in Deutschland künftig alle deutschen Geheimdienste operieren dürfen. Sie dürfen dabei auch noch von polizeilichen Befugnissen profitieren: mit dem TBEG wird es ihnen gestattet, verdächtige Personen im Schengener Informationssystem (SIS) zur verdeckten Fahndung ausschreiben zu lassen ( § 17 Absatz 3 BVerfSchG), also auf polizeilich erhobene Daten zuzugreifen. Inwiefern diese Form der Kooperation mit dem Trennungsgebot vereinbar ist, sei dahingestellt.

5 Euro Rabatt für 2 Finger­ab­drücke

Buchstäblich in der letzten Minute fügte die Regierungskoalition noch ein vorgezogenes „Weihnachtsgeschenk“ in den Gesetzentwurf ein: Mit der abschließenden Beratung des Innenausschusses am 29. November wurde eine Novellierung des Passgesetzes in das TBEG eingearbeitet, mit der ein Feldversuch zur Einführung von elektronisch auslesbaren Fingerabdrücken in Reisepässe gestartet wird. Die Methode, in der abschließenden Beratung eines Gesetzentwurfs gänzlich neue Gegenstände einzuführen, erinnert stark an das Zustandekommen der Regelung zum IMSI-Catcher. Die Beschlussempfehlung des Innenausschusses mit den Fingerabdruck- Pässen wurde erst am Mittag des 1. Dezember veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt, als das Plenum des Bundestages den gesamten Gesetzentwurf bereits in zweiter und dritter Lesung verabschiedet hatte. So war auch nicht verwunderlich, dass diese Neuregelung weder in der abschließenden parlamentarischen Debatte, noch in der Berichterstattung darüber genannt wurde. Es wußte schlicht niemand davon. Was wurde nun beschlossen? Bei 50 ausgesuchten Passbehörden in verschiedenen Bundesländern müssen AntragstellerInnen, die zwischen dem 1. März und dem 30. Juni 2007 einen neuen Pass beantragen, zugleich Abdrücke ihrer linken und rechten Zeigefinger abliefern. Die Abgabe der Fingerabdrücke ist für Passantragssteller in den teilnehmenden Behörden obligatorisch. („Der Passbewerber hat bei der Abnahme der Fingerabdrücke mitzuwirken.“) Ihre Fingerabdrücke werden digitalisiert, in einer gesonderten Datei in der Passbehörde gespeichert und an die passproduzierende Bundesdruckerei übermittelt. Jene kann dann neben den üblichen Pässen, welche die AntragstellerInnen ausgestellt bekommen, noch zusätzliche Testpässe mit den gespeicherten Daten der Fingerabdrücke produzieren. Die bei der Passbehörde gespeicherten Fingerabdruck-Daten sind bei der Aushändigung des (fingabdruckfreien) Passes an die AntragstellerInnen zu löschen, alle bei der Bundesdruckerei gespeicherten Fingerabdruck-Daten sowie die Testpässe sollen bis zum 31. Juli gelöscht bzw. vernichtet werden. Für alle teilnehmenden Personen werden die Passgebühren um 5 Euro gemindert.

Sven Lüders

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