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Themen / Innere Sicherheit

Karlsruhe versagt Grund­rechts­-­Schutz beim IMSI-­Cat­cher

14. Dezember 2006

Verfassungsbeschwerde der Humanistischen Union gescheitert

Mitteilungen Nr. 195, S. 12-14

Karlsruhe versagt Grundrechts-Schutz beim IMSI-Catcher

Am Freitag, den 13. Oktober 2006, hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde der Humanistischen Union gegen den Einsatz des IMSI-Catchers durch die Polizei bekannt gegeben. Drei Jahre brauchte das Gericht, um die Beschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Welche Folgen hat die nicht getroffene Entscheidung für die BenutzerInnen von Mobiltelefonen, welche Auswirkungen ergeben sich für den Schutz der Daten, die jede Handy-Nutzerin beim Gebrauch ihres Mobiltelefons erzeugt? Was ist passiert? Wir als Bürgerrechtsorganisation, zwei Rechtsanwälte, ein Pfarrer, ein Steuerberater sowie eine (zwischenzeitlich verstorbene) Journalistin waren der Auffassung, dass der Einsatz eines „IMSI-Catchers“ ein nicht gerechtfertigter Eingriff in unser Grundrecht aus Artikel 10 Grundgesetz, in das Fernmeldegeheimnis ist. Um dies zu verstehen, muss man zunächst erklären, wie der IMSI-Catcher funktioniert: Das gesamte Mobilfunknetz ist rasterförmig in einzelne Zellen aufgeteilt. Mobiltelefone, die in empfangsbereitem Zustand mitgeführt werden, melden sich in kurzen Abständen bei der Basisstation der für sie „zuständigen“ Zelle des Mobilfunknetzes an. Zum Empfang eingehender Anrufe oder Kurzmitteilungen ist die genaue Lokalisierung des Standortes des Mobiltelefons durch den Mobilfunknetzbetreiber nötig. Im Rahmen dieser ständigen Positionsangabe werden unter anderem die Kartennummer (IMSI) und die Gerätenummer (IMEI) des Mobiltelefons an die Basisstation gesendet. Dieses Prinzip nutzt der „IMSI-Catcher“, indem er eine Basisstation einer Funkzelle des Mobilfunknetzes simuliert. Sämtliche eingeschalteten Mobiltelefone, die sich im Einzugsbereich des „IMSI-Catchers“ befinden, senden nunmehr ihre Daten an dieses Gerät. Ein „IMSI- Catcher“ fängt also die Karten- und Gerätenummern ein. Darüber hinaus kann mit dem IMSI-Catcher der Standort des Mobiltelefons ermittelt werden. Bei dem Gerät handelt es sich um ein weiteres Überwachungsinstrument für Handybesitzer, mit ihm werden Handynummern sowie die Standorte der Handys und ihrer BenutzerInnen ermittelt, ohne das die Betroffenen etwas davon merken. Dazu muss das Handy nur eingeschaltet sein. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich einerseits gegen das intransparente Gesetzgebungsverfahren, mit dem der IMSI-Catcher in die Strafprozessordnung eingeführt wurde. In seiner Sitzung am 15. Mai 2002 behandelte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages einen Entwurf für ein „Gesetz zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer DNA-Untersuchung“ (BT-Drs. 14/5264). In diesen Entwurf wurde während der Ausschussberatung eine völlig andere Materie, die Einführung eines § 100i der Strafprozessordnung, integriert. Nach Absatz 1 Nr. 1 dieser Neuregelung dürfen Polizeibehörden zur Vorbereitung einer Telekommunikationsüberwachung die Geräte- und Kartennummer eines aktiv geschalteten Mobiltelefons mit Hilfe eines IMSI-Catchers ermitteln. In Absatz 1 Nr. 2 wurde der Einsatz des IMSI-Catchers für die genaue Standortbestimmung eines Mobiltelefons gestattet, um einen Beschuldigten zu ergreifen. Bereits zwei Tage später, am 17. Mai 2002, stand dieser Gesetzentwurf – nun unter einem neuen Titel („Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung“ / BT-Drs. 14/9088) – zur zweiten und dritten Lesung im Plenum des Bundestages an, wo er ohne mündliche Diskussion verabschiedet wurde. Weder externe Beobachter noch Journalisten nahmen damals von dem verabschiedeten Gesetz Kenntnis. Erst unser Mitglied Gerhard Saborowsi machte uns auf das neue Gesetz aufmerksam, im Juni 2002 berichtete der Spiegel als erste überregionale Zeitung darüber.

Die Verfas­sungs­be­schwerde

Auf Anregung von Herrn Saborowski prüften wir dann auch die Möglichkeit, gegen diese neue Überwachungsbefugnis verfassungsrechtlich vorzugehen. Unter dem Vorsitz von Till Müller-Heidelberg habe ich namens der Humanistischen Union als Prozessvertreterin in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde erhoben. Der Verfassungsbeschwerde lagen – neben dem intransparenten Verfahren – folgende Argumente zugrunde:

1. In der Regelung fehlt ein Verweis auf den Grundrechtseingriff (Verstoß gegen das Zitiergebot nach Artikel 19, Absatz 1 Grundgesetz)

Mit dem Einsatz des IMSI-Catchers werden eindeutig die Grundrechte der betroffenen Zielpersonen, aber auch all derjenigen, die sich in seinem Einzugsbereich befinden, beeinträchtigt. Dieser Eingriff ist durch einen entsprechenden Verweis kenntlich zu machen. Das sogenannte Zitiergebot für Grundrechtseingriffe erfüllt eine Warn- und Besinnungsfunktion für Gesetzgeber und Bürger gleichermaßen. Darüber hinaus erfüllt es demokratische Anforderungen an eine transparente Gesetzgebung: „Wenn das Grundgesetz die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten und den Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten dem Parlament vorbehält, so will es damit sichern, dass Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, dass der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären. Diese Funktion kann der Gesetzesvorbehalt aber nur erfüllen, wenn die Ermächtigung zum Freiheitseingriff im Gesetz nicht bloß unausgesprochen vorausgesetzt, sondern ausdrücklich offengelegt wird.“ (BVerfG, E 85, 386, 403 f.)

2. Der IMSI-Catcher stellt eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 Grundgesetz dar

Das Fernmeldegeheimnis erfasst nicht nur die Inhalte, sondern auch die äußeren Umstände einer fernmündlichen Kommunikation. Dazu gehören etwa: Wer, wann, wo und auf welchen Wegen mit jemandem in Kontakt tritt. Beim Einsatz des IMSI-Catchers werden die Identität der Zielperson, ihr Ort und die Art ihrer Kommunikation erfasst. Nach Auffassung der Humanistischen Union unterliegen diese Daten dem Fernmeldegeheimnis. „Wenn bereits das Einschalten eines Mobilfunkgerätes zu einer Ortung seines Benutzers führen kann, so schränkt diese Tatsache die freie Kommunikation ein. Die Kenntniserlangung über den Standort des Mobilfunktelefons führt dazu, dass der Informationsaustausch unterbleibt oder verändert wird…“ (Beschwerdeschrift, S. 14) Der Einsatz des IMSI-Catchers ist nach Auffassung der Humanistischen Union weder geeignet, erforderlich noch angemessen. Durch die Verwendung von im Ausland erworbenen Handys bzw. Telefonkarten oder den anonymen Erwerb von Mobiltelefonen auf dem Gebrauchtmarkt lässt sich die Identifikation durch einen IMSI-Catcher relativ leicht umgehen. Zudem existieren auf dem Markt bereits Geräte, die gegenüber dem IMSI-Catcher abhörsicher sind. Insofern scheint die Ermittlungsmethode als ungeeignet. Bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis sind die Betroffenen – zumindest im Nachhinein – über die erfolgte Überwachung zu informieren. Eine adäquate Regelung zur Information der betroffenen Zielpersonen eines IMSI-Catcher- Einsatzes fehlt in dem 2002 verabschiedeten Gesetz. Damit entfällt auch jeder nachträgliche Rechtsschutz gegen diesen Eingriff, da die Betreffenden in der Regel nichts über den Einsatz des IMSI-Catchers erfahren.

Die Entschei­dung des Verfas­sungs­ge­richtes

Nach zwei Jahren veranlasste das Gericht eine Zustellung der Beschwerde an die Beschwerdegegner. Damit war klar, dass es sich zumindest um eine zulässige Verfassungsbeschwerde handelt, die nicht offensichtlich unbegründet sein kann. Nach diesem Schritt rechneten wir mit einer Entscheidung über die Beschwerde, ob nun positiv oder ablehnend. Nach dreijähriger Laufzeit entschied jedoch die erste Kammer des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, besetzt mit den Richtern Hassemer, Di Fabio und Landau, die Verfassungsbeschwerde einfach nicht zur Entscheidung anzunehmen. Diese Nichtannahme-Entscheidung ist für uns nicht nachvollziehbar, schon gar nicht angesichts der 28- seitigen Begründung vom 22. August 2006 (2 BvR 1345/03) und der zum Beschluss am 13. Oktober 2006 vorgelegten vierseitigen Presseerklärung. Allein schon der Umfang der Begründung, aber auch der Gang der Argumentation des Gerichts weisen darauf hin, dass die in § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelten Voraussetzungen für eine so genannte Nichtannahmeentscheidung einer Kammer nicht vorlagen. Die Entscheidung hätte mindestens einer Einbeziehung des gesamten Senats bedurft. Die Entscheidung beruht auf der Ansicht, dass der Einsatz des IMSI-Catchers die erfassten Handybesitzer in ihrem Grundrecht aus Artikel 10 Absatz 1 Grundgesetz nicht berühre und daher auch nicht verletzen könne. Die Datenerhebung greife nicht in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses ein, das Aussenden der Daten erfolge unabhängig von einem konkreten Kommunikationsvorgang oder dem Aufbau einer Kommunikationsverbindung und habe daher keinen unmittelbar personalen Bezug. Es handle sich bei dem vom IMSI-Catcher angestoßenen Datenaustausch um eine technische Kommunikation zwischen Geräten, die nicht das spezifische Gefahrenpotential aufweise. Damit hat sich das Gericht einer Mindermeinung angeschlossen und auch Teile der bisherigen, höchstrichterlichen Rechtsprechung verworfen, mit denen Bestands- und Verbindungsdaten von HandynutzerInnen dem Fernmeldegeheimnis unterlagen. Der erste Senat des Bundesverfassungsgericht rechnet in seinen Entscheidungen die Funkzellensignale von Mobiltelefonen zu den Verbindungsdaten der Telekommunikation, die damit dem Fernmeldegeheimnis unterliegen. Eine solche grundsätzliche Änderung der Rechtssprechung hätte deshalb mindestens einer Entscheidung des gesamten zweiten Senats, wenn nicht gar einer Plenarentscheidung des gesamten Gerichts bedurft. Wie die drei beteiligten Richter dazu kamen, diese Frage durch einen Nichtannahmebeschluss einer Kammer zu entscheiden, bleibt ihr Geheimnis. Dabei waren sich auch die entscheidenden Richter darüber bewusst, dass die technischen Kommunikationsdaten einen schutzwürdigen Aussagegehalt haben, weil die IMSIund IMEI-Nummern darauf schließen lassen, welche Personen sich mit betriebsbereiten Mobiltelefonen im Bereich einer virtuellen Funkzelle aufhalten. Nur aufgrund dieses personalen Bezuges – und nicht wegen der technischen Daten – werden Maßnahmen nach § 100 i StPO von den Ermittlungsbehörden durchgeführt. Das dabei in Grundrechtspositionen eingegriffen wird, liegt auf der Hand. Die Kammer nahm deshalb einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung an, den sie aber für gerechtfertigt hielt. Bei ihren Wertungen und Schlussfolgerungen hat sich die Kammer stark von den Auskünften des Bundeskriminalamtes (BKA) leiten lassen. Demnach sollen die anfallenden Daten aller vom IMSI-Catcher ermittelten Handys, die nicht der Zielperson zuzuordnen sind, automatisch und anonym abgeglichen und unverzüglich gelöscht werden. Nach den Ausführungen des BKA würden unbeteiligte Dritte nicht identifiziert, die Speicherung ihrer Daten soll maximal für die Dauer des Messeinsatzes folgen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies ohne Wenn und Aber geglaubt. Damit ist unsere Beschwerde gegen den IMSI-Catcher zunächst gescheitert. Die Bundesregierung hat sich das zunutze gemacht und im Rahmen ihrer neuen Anti-Terror-Gesetzgebung gleich die Voraussetzungen für den Einsatz des IMSI-Catchers abgesenkt. Während die Nachrichtendienste den IMSI-Catcher nach noch geltendem Recht nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten (Friedens- und Hochverrat, Bedrohung der Sicherheit, des Rechtsstaates… – Voraussetzungen des § 3 Absatz 1 Artikel G-10 Gesetz) einsetzen dürfen, soll dies nun erheblich vereinfacht werden. (siehe den Bericht auf S. 6f) In der Gesetzesbegründung wurde bereits darauf verwiesen, dass mit dem Einsatz des IMSI – Catchers keine Überwachung von Kommunikationsinhalten erfolge und die nötigen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis daher entfallen könnten. An dieser Begründung aus dem TBEG-Gesetzentwurf ist interessant, dass sie bereits im August 2006 dem Bundesrat zugeleitet wurde – lange vor der Bekanntgabe der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde.

Rosemarie Will

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