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Bürger- und Menschen­rechte haben Konjunktur

Mitteilungen19707/2007Seite 12

Vorstellung des neuen Grundrechte-Reports 2007 erfährt großes Interesse

Mitteilungen Nr. 197, S. 12

Bürger- und Menschenrechte haben Konjunktur

Bürger- und Menschenrechte haben Konjunktur

Am 21. Mai präsentierten die HerausgeberInnen die neue Ausgabe des Grundrechte-Reports in Karlsruhe. Im Vorfeld des G8-Gipfels, nach zahlreichen Wohnungsdurchsuchungen, staatlich erhobenen Geruchsproben und wöchentlich neuen Vorschlägen des Bundesinnenministers zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze, wurde dem alternativen Verfassungsschutzbericht in diesem Jahr ein breites öffentliches Interesse entgegen gebracht. Erstmals schaffte es der Grundrechte-Report in die Tagesschau, zahlreiche Radiosender und fast alle überregionalen Zeitungen berichteten über die  Neuerscheinung. Ende Mai konnte der Verlag melden, dass die Erstauflage verkauft und ein Nachdruck von 5.000 Exemplaren gestartet wurde.

Doch wie ist das positive Echo auf den diesjährigen Grundrechte-Report zu verstehen? Jürgen Kühling, der in diesem Jahr die Präsentation leitete, nannte den vorliegenden Befund „insgesamt beunruhigend“: Der Report zeige einmal mehr, wie der Gesetzgeber, die Sicherheitsbehörden aber auch die Gerichte unterer Instanzen regelmäßig die Freiheits- und Grundrechte aushöhlen und dabei selbst verfassungsgerichtliche Vorgaben ignorieren.
In besonderer Weise trifft dies Migrantinnen und Migranten, aber auch jahrelang in Deutschland lebende ausländische Menschen, deren Freiheitsrechte besonders leichtfertig eingeschränkt werden. Ob durch Kettenduldungen, mit denen die Betroffenen oft jahrelang im Ungewissen gelassen und zugleich unter „enger Kontrolle“ der Behörden geführt werden, ob durch einen Generalverdacht gegen unverheiratete binationale Paare, deren Vaterschaft staatliche Behörden anfechten wollen, oder durch forcierte Abschiebungen in Staaten, denen es erkennbar an rechtsstaatlichen Grundsätzen mangelt und in denen Betroffene teilweise mit Folter und der Verhängung der Todesstrafe rechnen müssen – der grundrechtliche Schutz von Menschen in solch prekären Lebensumständen lässt in Deutschland zu wünschen übrig.

Neben zahlreichen neuen Verfassungsverstößen finden sich im mittlerweile elften Grundrechte-Report auch altbekannte Themen: Helmut Pollähne berichtete allein für den Zeitraum März bis September 2006 von sieben Fällen, in denen lax genehmigte Hausdurchsuchungen erst vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt wurden. Nachdem bereits 1998, 2002 und 2006 über zahlreiche rechtswidrige Wohnungsdurchsuchungen berichtet worden war, verdeutlichen die im aktuellen Grundrechte-Report genannten Beispiele einmal mehr, dass der bestehende Richtervorbehalt für die Anordnung von Wohnungsdurchsuchungen keinen ausreichenden Schutz bietet. Für Helmut Pollähne stellt sich deshalb die Frage, ob der Schutz des privaten Wohnraums nicht durch ein umfassendes Verwertungsverbot für jene Erkenntnisse gestärkt werden könne, die aus rechtswidrigen Durchsuchungen stammen.

Andere Wege zur Anerkennung grundrechtlicher Standards zeigt Till Müller-Heidelberg in seinem Beitrag über einen weiteren bürgerrechtlichen „Dauerbrenner“: den Schutz vor willkürlichen Polizeiübergriffen, wie sie regelmäßig im Umfeld von Demonstrationen stattfinden. Immer wieder werden Demonstrierende (und Passanten) von der Polizei eingekesselt, um vermeintlich drohenden gewalttätigen Ausschreitungen vorzubeugen. Die nachträglich festgestellte Rechtswidrigkeit solcher Einkesselungen bleibt für die betreffenden Polizisten praktisch folgenlos. Diesmal kam es jedoch anders: Eine Hamburger Anwältin geriet auf ihrem Weg nach Hause in einen Polizeikessel, wurde durchsucht, gefesselt und stundenlang festgehalten. Gegen diese Freiheitsberaubung erstritt sie sich vor dem Oberlandesgericht der Hansestadt einen Anspruch auf Schadensersatz. Auch wenn es nur 500 Euro Schmerzensgeld waren – „Geld regiert die Welt“. Und wenn beim nächsten Polizeikessel mehr Betroffene klagen, „da schaut der Rechnungshof hin, da muss die Polizei sich rechtfertigen, da wird vielleicht sogar der verantwortliche Polizeibeamte in Regress genommen.“

Nicht zuletzt ist auch die für den Schutz der Verfassung zuständige Behörde im Grundrechte-Report wieder vertreten: Der Berliner Politologe Prof. Dr. Peter Grottian berichtete auf der Präsentation über seine Beobachtung durch die Verfassungsschutzämter des Landes Berlin und des Bundes. Die Bespitzelung flog im vergangenen Jahr nach einem Bericht des Spiegels auf. Über Grottian, der sich zwischenzeitlich Einsicht in der Akten der Verfassungsschutzbehörden erstreiten konnte, kamen dabei 80 Seiten an Berichten von V-Leuten zutage. Nach dem Bekanntwerden der Überwachung hatte das Landesamt für Verfassungsschutz wohl eingeräumt, dass Peter Grottian selbst keinen Anlass für seine Überwachung geliefert habe. Durch seine Mitarbeit in einer Initiative zur Aufklärung des Berliner Bankenskandals und im Sozialforum sei er aber mit Personen aus dem autonomen Spektrum in Kontakt gekommen, und die würden nun mal seit Jahren überwacht. Eine Antwort auf die Frage, was die V-Leute des Verfassungsschutzes überhaupt in einer Initiative zu suchen haben, deren Aktivitäten auf eine offene Diskussion sozialpolitischer Alternativen gerichtet und deren Sitzungsprotokolle im Internet veröffentlicht werden, ist die Behörde bis heute schuldig geblieben. Den Nachweis, dass von dieser Gruppe verfassungsfeindliche Betätigungen, und nicht bloß kapitalismuskritische Meinungen ausgingen, konnten die Verfassungsschützer trotz jahrelanger Bespitzelung nicht erbringen. Dagegen benennt Elke Steven in ihrem Beitrag für den Grundrechte-Report die grundsätzliche Gefahr, die von einer derartigen Überwachung politischer (Diskussions-)Gruppen ausgeht: „Die Angst vor der Teilnahme der ‚Falschen‘ muss zu Lähmung und Rückzug führen.“ Dass diese Lähmung und der Rückzug aus dem öffentlichen politischen Leben nicht stattfindet, dafür steht der Grundrechte-Report und die neun ihn herausgebenden Bürger- und Menschenrechtsorganisationen.

Grundrechte-Report 2007.
Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.
Hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Elke Steven, Moritz Assall, Jürgen Micksch, Wolfgang Kaleck, Martin Kutscha, Rolf Gössner und Ulrich Engelfried
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, Juni 2007
ISBN 978-3-596-17504-8, 248 Seiten, Preis: 9.95 €

Weitere Informationen über das Buch finden Sie hier. Der Band kann über den Buchhandel oder die Webseite der Humanistischen Union bestellt werden.

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