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Nach den III. Berliner Gesprächen - wie geht es weiter?

12. Juli 2007

Mitteilungen Nr. 197, S. 17

Nach den III. Berliner Gesprächen - wie geht es weiter?

I.
Das Staatskirchenrecht – besser: Religionsrecht oder Religionsverfassungsrecht – wird im Wesentlichen von einer kleinen Zahl von Professoren und Kirchenbeamten bestimmt, die  vor allem eines eint: ihre kirchenfreundliche Grundhaltung. Sicher gibt es auch hier gelegentlich wissenschaftlichen Streit, aber dabei geht es in der Regel um Nuancen, Feinheiten und – wie auch in anderen Bereichen – um Eitelkeiten. Insgesamt halten – konfessionsübergreifend – die Meinungsführer (Axel von Campenhausen, Hermann Heckel, Alexander Hollerbach, Josef Isensee, Wolfgang Rüfner, um nur einige zu nennen) ihre Herde beisammen und sorgen dafür, dass in ihrem Kreise grundsätzliche Fragen verfassungsrechtlicher wie verfassungspolitischer Art jedenfalls in kritischer Absicht nicht erörtert werden. Und erst recht nicht wird dort die doch zweifellos nahe liegende Frage gestellt: Hat die eigene Religionszugehörigkeit, hat die persönliche Nähe oder Distanz zum Gegenstand etwas mit der (wissenschaftlichen?) Auffassung zum Thema zu tun?
Podium der sich immer wieder selbst erzeugenden und bestätigenden „herrschenden Meinung“ sind die alljährlichen „Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche“, die von der Diözese Essen veranstaltet werden und deren Ergebnisse in einer vom Verlag Aschendorff (Münster) herausgegebenen Schriftenreihe publiziert werden, die mittlerweile (im Jahre 2007) 41 Bände umfasst.
Natürlich gibt es abweichende Auffassungen, Außenseiter, die sich nicht einfügen wollen. Ein großer Name aus den Reihen der Humanistischen Union war Erwin Fischer, weitere Namen – auch aus dem Umkreis der Humanistischen Union – sind z.B. Ludwig Renck, Gerhard Czermak, Johannes und Ursula Neumann. Aber die werden im Zirkel derer, die das Sagen haben, nicht oder nur abfällig rezipiert. Eine Einladung zu den Essener Gesprächen haben sie vermutlich nicht erhalten und würden sie auch nicht erhalten.
 II.
Diese schwer erträgliche Einseitigkeit im rechtswissenschaftlichen Raum etwas aufzulockern, das war für die Humanistische Union einer der Beweggründe, die Berliner Gespräche zum Verhältnis von Staat, Religion und Weltanschauung zu initiieren, die bisher dreimal stattgefunden haben:
1.  im November 2002 im Wissenschaftszentrum Berlin mit den Themen „Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und seine Schranken“ sowie „Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte der Arbeitnehmer“
2.  im Januar 2005 bei und in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin zum Thema „Religionsgemeinschaften in Deutschland – ihre politische Ethik im Kontext der Verfassung“
3.  im April 2007 in Kooperation mit der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung in der Staatskanzlei in Potsdam zum Thema „Das Verhältnis der Religionen und Weltanschauungen zu den Grundrechten in der pluralistischen Gesellschaft“.
Die Zahl der Teilnehmenden schwankte um 50. Dazu gehörten sowohl „einfache“ sachkundige und interessierte HU-Mitglieder als auch namhafte Vertreter aus dem Kreise der Rechtswissenschaft sowie ehemalige und amtierende Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Der Ertrag dieser Veranstaltungen muss als unterschiedlich eingeschätzt werden. Die erste erfuhr allgemeine Anerkennung. Unter dem Titel „Selbstbestimmung der Kirchen und Bürgerrechte“ wurden die Referate und die kontroversen Diskussionen in einem 2004 im Nomos-Verlag erschienenen Band dokumentiert. Die beiden anderen Veranstaltungen, deren Beiträge bisher nicht dokumentiert sind, boten ebenfalls bemerkenswerte Einsichten: Vertreter christlicher, muslimischer, jüdischer Religionsgemeinschaften kamen ebenso zu Wort wie Anhänger humanistischer Weltanschauungen und Atheisten. Allerdings herrschte insgesamt bei diesen Veranstaltungen der Eindruck vor, dass die Akteure sich bemühten, ihre jeweils eigene Position darzustellen und zu rechtfertigen. Das mag darauf zurückzuführen sein, dass angesichts allgemein formulierter Themen die Konzentration auf eine zentrale Fragestellung fehlte.
III. Soll es weitergehen – wie soll es weitergehen?
Zu den Hauptanlässen für die Gründung der Humanistischen Union zählten in den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts „die kirchlichen Anmaßungen auf kulturellem und politischem Gebiet“, so Johannes und Ursula Neumann in ihrem historischen Rückblick im Sonderheft „40 Jahre Bürgerrechtsbewegung“ der vorgänge (Heft 155, Sept. 2001). Daher halte ich es für nahe liegend, dass für die HU das Thema auf der Tagesordnung bleibt.
Die „kirchlichen Anmaßungen“ nehmen trotz schwindender Mitgliederzahlen und dürftiger werdender Verankerung in der Gesellschaft nicht ab. Man könnte meinen, sie nehmen noch zu: Verankerung des konfessionellen Unterrichts in den ostdeutschen Ländern, Ausweitung konfessioneller Kindertagesstätten und  Privatschulen, Beharren auf christlicher Dominanz in Europa.
Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die bewusst keiner Glaubensgemeinschaft angehören, wächst zwar, sie finden aber für ihre Interessen kein öffentlich beachtetes Podium. Ein Podium für sie, aber auch für alle anderen an dem Thema „Staat, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften“ Interessierten und mit diesem Thema Befassten bilden derzeit nur die „Berliner Gespräche“. Was Not tut, ist, ihnen Kontinuität und Profil zu verleihen.
Kontinuität bedeutet nicht, dass alljährlich ein Routinetermin stattfindet, sondern dass in gewissen Abständen (alle zwei bis drei Jahre) in einer bedeutsamen Veranstaltung die Kräfte gebündelt werden. Profil heißt: kontroverse Positionen zur Darstellung zu bringen, und zwar unter Einschluss von Vertreterinnen und Vertretern des anfangs erwähnten staats-kirchlichen Kartells, aber eben nicht unter Beschränkung auf diese. Es sollten Fachleute des kritischen Spektrums innerhalb wie außerhalb der Humanistischen Union gewonnen werden.
Dabei bietet es sich an, bis auf weiteres die Themen aufzugreifen, die mit dem Privilegiencharakter der christlichen Religionsgemeinschaften in zahlreichen Lebensbereichen zu tun haben, der mit den Gleichheitsgrundsätzen der Verfassung unvereinbar ist und auch internationalen Standards nicht entspricht. Dazu gehören z.B.
· die Stellung der Kirchen als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“,
· der staatliche Kirchensteuereinzug,
· die Staatsleistungen,
· der staatliche Religionsunterricht,
· die theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen,
· die Militärseelsorge.
Jeder solchen Veranstaltung sollte die Konzentration auf eine zentrale Fragestellung eigen sein.
IV.
Über den so beschriebenen Numerus Clausus des staatskirchenrechtlichen Fragenkreises hinaus sollten (daneben oder zu einem späteren Zweitpunkt?) die Berliner Gespräche Fragen von globaler Bedeutung thematisch machen:
Die zunehmende quantitative Ausbreitung des Islam und anderer nichtchristlicher Religionen, aber auch evangelikaler Bewegungen in Deutschland und in aller Welt dürfte zur Folge haben, dass der „Kampf der Religionen“ überall an Bedeutung gewinnt. In den Konflikten allerorten rund um den Globus, in Kriegen, Fluchtbewegungen und Hungersnöten, zeigt sich täglich, dass Religionen deren Ursache oder Mitursache sind und nicht etwa geeignete Mittel zu ihrer Abhilfe.  Trotzdem wird in der Regel die Frage „Warum überhaupt Religion(sgemeinschaften)?“ nicht gestellt oder verdrängt.
Die gesellschaftlich desintegrierende, polarisierende, Konflikte verursachende  Wirkung der Religionen zeigt sich nicht nur in den islamischen Ländern mit ihren verschiedenen „Fraktionen“ des moslemischen Glaubens, sondern nach dem Zerfall des Ostblocks auch in Russland und anderen osteuropäischen Staaten.
An Stoff wird es den Berliner Gesprächen nicht mangeln. Und an Mut, die Themen aufzugreifen, sollte es unserer Bürger- und Menschenrechtsbewegung auch nicht mangeln.
Johann-Albrecht Haupt

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