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„Alles ist im Fluss, und Politik bleibt spannend“

Mitteilungen12/2008Seite 17

Laudatio anlässlich der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises an Dr. Klaus Waterstradt am 15. November 2008 in Lübeck. Aus: Mitteilungen Nr. 203 S. 17

Liebe Familie Waterstradt, liebe Freundinnen und Freunde aus der Humanistischen Union, meine Damen und Herren – lieber Klaus!

… Wann in Dir die starke, uneingeschränkte Entscheidung, die da lautet: „Nie wieder Krieg!“ gereift ist, lässt sich nicht mit einem Schlüsselerlebnis erklären. Gewiss, Du wurdest eingezogen, hast Kämpfe überlebt, bei denen andere qualvoll starben, ohne dass du mit Deinen wenigen Mitteln als Sanitäter helfen konntest, du warst mehrfach selbst in höchster Gefahr und schließlich endete deine Odyssee durch die Kriegsgebiete Osteuropas in russischer Gefangenschaft, wo Du der harten Arbeit im Straßenbau nicht gewachsen warst. Dieses oder ein ähnliches Schicksal teiltest Du aber mit den jungen Männern einer ganzen Generation, und bei weitem nicht alle haben daraus die gleiche Lehre gezogen wie Du.

Aber in der Gefangenschaft zeichnete sich etwas für Dich ganz Typisches ab. Du hast unverzüglich Russisch, die Sprache des „Feindes“, gelernt und somit die Kommunikation aufgenommen. Du hast Dich nützlich gemacht und hast Deine ärztliche Hilfe auch der russischen Zivilbevölkerung zur Verfügung gestellt und ihr Vertrauen gewonnen. Den Nationalsozialisten und ihrer Propaganda war es also gründlich misslungen, Dir ihr Feindbild vom sowjetischen Untermenschen zu implantieren und Dir den gnadenlosen Hass auf den Feind zu oktroyieren. Zu groß waren Empathie und Neugier, mit denen Du anderen Menschen zu begegnen pflegst.

Gewiss, ich habe Dich in den acht gemeinsamen Jahren im Vorstand der Humanistischen Union auch kämpferisch erlebt, das allerdings immer nur in der Sache, und die jeweilige Sache stand im Dienste der Menschen. Mir fiel angenehm auf, wie uneitel und ohne jedes Dominanzstreben Du bei alledem warst.  Als Lehrerin hätte ich Dir ins Zeugnis geschrieben: „Er fügt sich hervorragend in die Gemeinschaft ein.“ Du bist ein zoon politikon, ein animal soziale im besten Sinne des Wortes. Als Humanist bist Du der Aufklärung verpflichtet und einem Menschenbild, das von größtmöglicher Selbstbestimmung ausgeht, begrenzt nur durch die berechtigten Ansprüche des anderen. Deine Zuwendung und Hilfsbereitschaft hat keine herablassend karitativen Züge. Du siehst den Menschen mit Rechten ausgestattet, nicht als Objekt staatlicher, ideologischer oder religiöser Bevormundung, sondern als Subjekt seines Handelns. Insbesondere die Einblicke, die Du als Arbeitsmediziner gewannst und die soziale Schieflage zum Beispiel in der aktuellen Gesundheitsreform haben in Dir immer wieder den Traum von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ aufleben lassen, wohl wissend, dass die Welt nicht so ist, wie man sie sich erträumt.

Es gibt kein treffendes deutsches Wort für Jemanden, der die Menschen liebt, so nenne ich Dich einen Philanthropen und verhehle dabei nicht, dass Du der einen Hälfte der Menschheit, nämlich der weiblichen, stets ein wenig mehr zugetan warst als der anderen.
Lieber Klaus, was hast Du, was haben wir erreicht mit unserem politischen Engagement? Wenn überhaupt, so sind es Teilerfolge, die manchmal auch wieder gefährdet zu sein scheinen:

  • Die Ächtung des Krieges als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Staaten und innerhalb von Volksgruppen und Religionsgemeinschaften hinterlassen wir unseren Nachkommen als eine der größten Menschheitsaufgaben.
  • Die Verteidigung von Menschenrechten und der Schutz von Minderheiten sind zwar Verfassungsgebot, müssen aber im Alltag immer wieder erneut angemahnt und durchgesetzt werden.
  • Die Gefährdung des Klimas auf der Erde ruft inzwischen allgemeine Besorgnis hervor; hoffen wir, dass endlich Taten daraus erwachsen.
  • Der entfesselte Kapitalismus droht zurzeit zu einem weltweiten ökonomischen Zusammenbruch zu führen; hoffen wir, dass das Gleichgewicht zwischen Freiheit des Marktes und notwendiger Kontrolle nun tatsächlich hergestellt wird.
  • In unserem Lande hat sich die Stellung der Frauen in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert, auch wenn wir noch nicht am Ende des Weges angelangt sind. So ist § 218 Strafgesetzbuch zwar gelockert, aber nicht aufgehoben worden.
  • Homosexuelle werden, wenn überhaupt, nur noch auf sehr subtile Weise diskriminiert.
  • Die Unterbringung psychisch kranker Menschen erfolgt heute überwiegend nach rechtstaatlichen und unter humanitären Gesichtspunkten.
  • Patientenverfügungen gewinnen an Akzeptanz; aber schon wird von Teilen der Politik versucht, gesetzliche Einschränkungen durchzusetzen.
  • In Punkto „Innerer Sicherheit“ macht sich Hysterie breit, Bedrohung durch Terrorismus scheint (fast) alles zu rechtfertigen.
  • In Sachen Bildung und Erziehung ist ein zäher Umdenkungsprozess in Gang gekommen, nachdem uns mehrere internationale Vergleichstests vom hohen Sockel der Selbstgewissheit geholt haben.

Alles ist im Fluss, und Politik bleibt spannend…

Elisabeth Kilali
ist Mitglied des Beirats der Humanistischen Union und war ab 1979 für acht Jahre gemeinsam mit Klaus Waterstradt im HU-Bundevorstand

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