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Warnungen für die Gegenwart

Mitteilungen20312/2008Seite 22-23

Max Kruses Gedanken über die Gefahren der Religion,

Aus: Mitteilungen Nr. 203, S. 22-23

Warnungen für die Gegenwart

Bereits im März 2007 veröffentlichte Max Kruse, Mitglied des Beirates der Giordano Bruno Stiftung, das religionskritische Buch En(t)dzauberung – Herbst des Religionszeitalters. Damals erschien es noch unter Pseudonym. Die nun veröffentlichte Ausgabe trägt nicht nur den tatsächlichen Autorennamen, sondern wurde zudem in zwei Bände aufgeteilt: den Briefroman Antworten aus der Zukunft sowie eine Gedankensammlung mit dem Titel GOTT oder NICHTGOTT – das ist hier die Frage.

Im Jahr 2251 bittet die Studentin Yü-Ling einen auf der Insel Madeira lebenden Professor um Hilfe bei ihrer Seminararbeit. Das brisante Thema der Arbeit: Die Rolle von Religionen in unserer Gegenwart und ihr Zusammenhang mit Glaubenskriegen im 22. Jahrhundert, welche zwei Drittel der Erdbevölkerung das Leben kosten. Viele Jahre später schickt die mittlerweile alte Dame die gesammelten Antworten des Professors an ihre Nichte. Mit diesem Einstieg in seinen Roman verdeutlicht Kruse, der mit den Urmel-Kinderbüchern Berühmtheit erlangte, dass er mit Antworten aus der Zukunft seine gesammelten Gedanken über Religionen an die nachfolgenden Generationen weitergeben will. Die Briefe des Professors sind seine Warnungen vor einem Schreckensszenario, das im Roman bereits Geschichte ist. Zwar klingt der Name des Professors, Nepomuk Kasimir, verspielt; doch Antworten aus der Zukunft ist alles andere als ein Kinderbuch. Der Roman ist eine scharfzüngige und manchmal aggressive Kritik an Gottesglauben, dem Christentum und der Institution der Kirche. Er ist eine Forderung nach einer Gesellschaft, die ohne Religion ein modernes humanistisches Menschenbild durchsetzen kann. Dass er sich damit auf vielbeackerten Boden begibt, weiß Kruse. „Es wurde schon fast alles bereits gesagt“, räumt er ein. Und dennoch hält er seinen Beitrag für wichtig, denn „lange hörte niemand mehr hin“.
Argumentativ wird dem Briefroman durch die Einteilung der Kapitel in größere Themenkomplexe ein roter Faden verliehen. Den Einstieg bildet ein Abschnitt mit dem Titel „Das Phänomen des Glaubens“, in dem Gottesglauben als gefährliche (Selbst-)Täuschung dargestellt wird. Aber ausgerechnet in diesem ersten Kapitel sieht sich der Leser mit radikal religionsfeindlichen Behauptungen konfrontiert, die nicht immer befriedigend begründet werden. Manchmal sind es unglückliche Formulierungen, die den Autor angreifbar machen. Beispielsweise spricht er vom „Tempel des pulsierenden Weltalls“, der nach der Trennung von der Kirche den Verlust von „Gemeinschaftserlebnisse[n]“ wieder wett machen soll. Solche Andeutungen wecken den Verdacht, dass christlicher Gottglauben lediglich durch eine quasireligiöse Wissenschaftsideologie ersetzt werden soll.

Häufig können aber auch die Argumente nicht überzeugen. Etwa moniert der fiktive Professor aus seiner Zukunftsperspektive, dass auch noch im 21. Jahrhundert die Existenz eines Gottes gepredigt wurde. Darum fordert er einen Paragraphen, der es verbietet, „etwas zu behaupten, was nicht bewiesen werden kann.“ Aber was lässt sich im strengen Sinn beweisen? Die Unsinnigkeit eines solchen Paragraphen beweist Kruse ungewollt selbst, indem er zu seiner Unterstützung Descartes mit der gleichen Forderung zitiert. Dass für den französischen Philosophen der Gottesbeweis einer der sichersten Beweise überhaupt war, verschweigt er allerdings. Sind solche Manipulationen wirklich nötig, um für eine Trennung von Kirche und Staat zu argumentieren?

Nachdem sich der Leser an den angriffslustigen und stilistisch holprigen Ton im ersten Kapitel gewöhnt hat, fallen die meisten der folgenden Abschnitte deutlich stärker aus. Mit einem beeindruckenden Wissensstand prangert Kruse sowohl die Ungereimtheiten und Grausamkeiten des Alten, als auch des Neuen Testaments an, wendet sich dann Jesus, dem Christentum und den Kirchen zu. Danach entfernt er sich etwas von bloßer Religionskritik, indem er versucht, säkulare Antworten auf Fragen zu geben, mit denen sich viele Menschen vor allem an die Kirche wenden. In einem Kapitel über Sexualität und Sünde beweist der 86-Jährige, wie geistig jung er noch immer ist. Das Gesamtbild bleibt allerdings durchwachsen. Immer wieder lässt der Autor seinen Professor Aussagen machen, die nicht mit genügend Sorgfalt behandelt werden. Ein Beispiel ist die Forderung, Ethik auf „humane[r] Vernunft pur“ aufzubauen. Dabei ist keineswegs selbstverständlich, dass Vernunft und Güte Hand in Hand gehen oder dass so etwas wie reine Vernunft überhaupt erreichbar ist.

Der zu grobe logische Aufbau des Werkes führt zu vielen störenden Wiederholungen; all zu oft verfällt Kruse in einen Ton, der ihn wie den wütenden Alten wirken lässt, der er nicht sein will und der er sicher nicht ist. Zudem bleibt die fiktionale Ebene des Romans weitgehend auf der Strecke. Nur spärlich sät der Professor Informationen über jenen furchtbaren Krieg, den die Religionen vermeintlich heraufbeschworen haben. Auch sonst erfährt der Leser wenig über die fiktive Zukunft, in welcher die Handlung angesiedelt ist. Fast genauso blass wie die Welt des 23. Jahrhunderts bleiben ihre Bewohner. Die Chance, durch den einseitig dargestellten Briefwechsel beim Leser eine Identifikation mit der Studentin Yü-Ling zu erwirken, oder ihr durch den Spiegel der Antworten des Professors Leben einzuhauchen, bleibt ungenutzt. Beinahe jeder Brief beginnt mit unmotivierten Sätzen über die Schönheit der Natur auf der Heimatinsel des Professors, dann folgt eine gestelzte Überleitung zum Thema Religion. Der Schleier, mit dem Kruse den Professor als sein Sprachrohr verdeckt, ist so dünn, als wäre er gar nicht da. Kruses Roman erschafft kein lebendes Universum, sondern nur den Aufhänger für ein Sachbuch aus der Zukunft. Es ist ein mutiger Roman, bei dem man spürt, dass es der Autor ehrlich und ernst meint. Überzeugen kann er leider nicht.

In ganz anderer Form präsentiert sich der kurze Band Gott oder Nichtgott. „Gedankenschritte“, die optisch wie Prosaverse wirken, reihen hier lose miteinander verknüpfte Gedanken zu Gott aneinander. Unglücklicherweise ist das Buch von Kleinlichkeiten durchsetzt. Kruse zählt Ungereimtheiten der Bibel auf, die sich bei fundamentalistischster Lesart des „Heiligen Buches“ ergeben. Wenn es sein muss, unterstellt er Christen das kindlich vereinfachte Gottesbild vom alten Mann mit Bart oder mischt wissenschaftliche Weltbilder frei mit denen von Gläubigen, um sie dadurch vermeintlich ad absurdum zu führen. Wenn er ernsthaft fragt, wo denn der Himmel sei, in dem sich die verstorbenen Seelen aufhalten und wie lange sie dorthin vom Körper unterwegs seien, grenzt das ans Lächerliche. Natürlich gibt es christliche Fundamentalisten, die „das Buch der Bücher“ wörtlich auslegen. Aber ist es wirklich notwendig, seitenweise deren offensichtliche Denkfehler aufzuzeigen? Sollte das Anliegen säkularer Humanisten nicht viel grundsätzlicher sein? Wäre es nicht wichtiger, zu zeigen, warum auch moderne Formen des Glaubens nichts in der Politik zu suchen haben? Vielleicht sind das die Fragen, die uns die Zukunft zuerst beantworten muss.

Max Kruse: Antworten aus der Zukunft.
Angelika Lenz Verlag 2008, Neustadt am Rübenberge, 243 S., 19,90 €. ISBN 978-3-933037-70-1

Max Kruse: GOTT oder NICHTGOTT – das ist hier die Frage. Reflexionen.Angelika Lenz Verlag 2008, Neustadt am Rübenberge, 143 S., 9,90 €.ISBN 978-3-933037-71-8

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