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Video­über­wa­chung in den U-Bahnen bringt keinen Sicher­heits­ge­winn

08. Oktober 2007

Evaluationsstudie über Pilotprojekt zur 24-Stunden-Videoaufzeichnung bei den Berliner Verkehrsbetrieben zeigt weder sinkende Kriminalitätsrate noch deutliche Verbesserung bei der Strafverfolgung

Im April 2006 startete bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) ein Pilotprojekt zur Videoaufzeichnung auf drei U-Bahn-Linien. Mit dem Versuch sollte eruiert werden, ob die Aufzeichnung und Auswertung von Videodaten dazu beitragen kann, die im Bereich des Nahverkehrs stattfindenden Straftaten zu vermindern bzw. besser aufklären zu können. Insbesondere Befürworter des Projektes, wie die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, versprachen sich von der Videoaufzeichnung eine generalpräventive Wirkung. Der Unterausschuss für Datenschutz des Berliner Abgeordnetenhauses hatte dem Versuch unter der Maßgabe zugestimmt, dass die Ergebnisse wissenschaftlich ausgewertet und die Verhältnismäßigkeit des Kameraeinsatzes geprüft werden. Die BVG beauftragte deshalb Wissenschaftler aus dem Büro für angewandte Statistik in Berlin mit der Evaluierung des Pilotprojektes.

Nachdem die Forscher Ende 2006 einen Zwischenbericht vorgelegt hatten, kündigte die BVG den Evaluationsauftrag auf. Der BVG-Vorstandsvorsitzende Thomas Necker begründete diesen Schritt in einem internen Schreiben damit, „dass eine Verbesserung der objektiven Sicherheit für unsere Fahrgäste bei derzeit festzustellenden steigenden Kriminalitätszahlen im Bereich des ÖPNV in Berlin mit dieser Art der Evaluation nicht nachgewiesen werden kann.“ Gleichwohl entschied sich die BVG nach Ablauf des Piloprojektes 2007, die Aufzeichnung der Videodaten bis zum Ende des Jahres auf alle 170 U-Bahnhöfe auszuweiten. Angeblich habe sich die Videoaufzeichnung im Pilotprojekt bewährt, um tätliche Übergriffe, aber auch Sachbeschädigungen innerhalb der U-Bahnhöfe besser aufzuklären.

Angesichts dieses offenen Widerspruchs – Kündigung des Evaluationsauftragen wg. Unwirksamkeit und dennoch voller Erfolg des Pilotprojektes – beantragte die Humanistische Union Berlin Akteneinsicht in den Bericht. Nachdem sich die BVG zunächst strikt weigerte, die Studie auch nur auszugsweise zu veröffentlichen, sah sich das Unternehmen schließlich doch gezwungen, die Ergebnisse des Pilotprojektes zu veröffentlichen. Der von Dr. Leon Hempel und Christian Alisch angefertigte Bericht stellt den Versuch, mit Hilfe der Kameras auf Bahnhöfen und in Zügen mehr Sicherheit zu erreichen, faktisch als gescheitert dar. „Eine Veränderung der Kriminalitätsrate zeichnet sich aufgrund der Einführung der Videoaufzeichnung bisher nicht ab.“ Mit dem Einsatz der Kameras sei „keine erhebliche Veränderung der Sicherheitslage in der Berliner U-Bahn zu erwarten„. (S. 6)

Die wichtigsten Ergebnisse im Einzelnen:

  • Die Videoüberwachung und -aufzeichnung führte nicht zu einer sinkenden Kriminalitätsrate im Bereich der drei untersuchten U-Bahn-Linien (U2, U6, U8). Die Anzahl der registrierten Straftaten stieg im Untersuchungszeitraum (3.3.-16.10.2006) auf diesen drei Linien sogar leicht an.
  • Obwohl während des Pilotprojektes die Anfragen der Ermittlungsbehörden nach Videomaterial um 240% zunahmen, ist die Bedeutung der Videodaten für die Aufklärung von Straftaten vergleichsweise gering – im Untersuchungszeitraum wurden ganze 261 Vorfälle ausgewertet, während die Polizeiliche Kriminalstatistik für den Vergleichszeitraum des Vorjahes 8729 Delikte ausweist.
  • Nur bei 32% der 78 Fälle, in denen Bildmaterial vorhanden war, reichte dessen Qualität auch aus, um Verdächtige identifizieren zu können. (s.S. 32)
  • Eine umfassendere Auswertung von Videodaten zur Aufklärung von Straftaten wäre angesichts des enormen Personalaufwands kaum effektiv: Für die Bearbeitung der 261 Anfragen wurden 330 Arbeitsstunden benötigt, um das Videomaterial auszuwerten. Wenn ab 1.1. 2008 auf allen U-Bahnhöfen Videodaten aufgezeichnet und zugleich die Aufklärungsquote erhöht werden sollte, stiege der Technik- und Personalbedarf enorm an.
  • Für die Aufklärung von Sachbeschädigungen wie Graffiti oder Vandalismus spielen die Videoaufzeichnungen praktisch keine Rolle – weil Graffiti-Sprayer geplant vorgehen und die vorhandenen Kameras einplanen, weshalb kaum verwertbares Bildmaterial vorliegt, aber auch weil die Schäden oft erst nach dem Löschen der Aufnahmen festgestellt werden. (s.S. 19f.)

Die vollständige Evaluationsstudie finden Sie hier:

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