Beitragsbild Mit der Reichsbahn in den Tod. Zwei Ausstellungen erinnern an das dunkle Erbe der Deutschen Bahn
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Mit der Reichsbahn in den Tod. Zwei Ausstel­lungen erinnern an das dunkle Erbe der Deutschen Bahn

Mitteilungen Nr. 200, Seite 18/19

Mit der Reichsbahn in den Tod. Zwei Ausstellungen erinnern an das dunkle Erbe der Deutschen Bahn

Ohne die Deutsche Reichsbahn hätte die NS-Vernichtungsmaschinerie nicht funktionieren können. Sie schaffte die logistischen Voraussetzungen für die Massentransporte aus allen Teilen des von den Deutschen besetzten Europas nach Sobibor, Auschwitz, Treblinka, Majdanek und die anderen Vernichtungslager. Allein in Auschwitz kamen 1942 in 166 Transporten der Reichsbahn ca. 180.000 deportierte Juden an, 1943 waren es 174 Todeszüge mit ca. 220.000 Juden, im Jahr 1944 beförderten rund 300 Züge ca. 650.000 Opfer der „Endlösung“ in das Vernichtungslager. Dies sind nur die Zahlen für das Vernichtungslager Auschwitz. Pro Person und Kilometer erhielt die Reichsbahn vier Pfennig für diese Menschentransporte. Die Gesamtzahl allein der jüdischen Opfer wird auf 6 Millionen geschätzt.

Seit Ende Januar 2008 widmet sich die Deutsche Bahn AG in der Ausstellung „Sonderzüge in den Tod“ dem Anteil der Reichsbahn an den Deportationen. Nach anfänglicher Weigerung durch den Bahn-Vorstand soll sie in zahlreichen deutschen Bahnhöfen gezeigt werden. Leider geschieht dies erst nach einer langwierigen und zum Teil unwürdig geführten Auseinandersetzung um die Ausstellung „Zug der Erinnerung“. Diese war als private Initiative ins Leben gerufen worden, nachdem sich die Deutsche Bahn AG kategorisch geweigert hatte, eine französische Ausstellung über deportierte Kinder zu übernehmen und in deutschen Bahnhöfen zu zeigen. Serge und Beate Klarsfeld hatten die Wanderausstellung in Frankreich in Zusammenarbeit mit den französischen Staatsbahnen organisiert. Sie stellt den Anteil der Eisenbahn an der Deportation und Ermordung von 11.000 Kindern aus Frankreich in exemplarischen Lebensläufen dar. In ihnen werden Kinder und deren Familien vorgestellt, deren Schicksale beschrieben und den Ermordeten durch Fotos ein Gesicht gegeben. Die Zahl der von den Nationalsozialisten deportierten und zum überwiegenden Teil ermordeten Kinder wird auf über eine Million geschätzt.

Der Forderung nach einer Präsentation der französischen Ausstellung auf deutschen Bahnhöfen hatte die Deutsche Bahn AG finanzielle Gründe und Sicherheitsbedenken entgegen gehalten. Zudem sei ein Bahnhof kein angemessener Ort des Gedenkens. Obwohl die Ausstellung in Frankreich sehr erfolgreich unter breiter Anteilnahme der Öffentlichkeit gezeigt worden war, behauptete Bahnchef Mehdorn, in Deutschland müsse ein derartiges „Shock and go“-Konzept auf Bahnsteigen oder in Bahnhofshallen scheitern. Stattdessen verwies er auf die Ausstellung zur Geschichte der deutschen Eisenbahn im Bahnmuseum Nürnberg.

Mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der Humanistischen Union (HU) und verschiedener Bürgerrechtsorganisationen und Friedensforen fanden daraufhin an den früheren Transportstrecken zahlreiche Protestaktionen statt, in denen die Öffentlichkeit über die Weigerung der Deutsche Bahn AG informiert wurde, eine Ausstellung über das Schicksal der Deportierten auf den deutschen Publikumsbahnhöfen zuzulassen. Noch im Januar 2007 riefen zahlreiche Bürgerinitiativen in mehr als zehn deutschen Städten zu Protest- und Gedenkveranstaltungen in den Bahnhöfen und Zügen des Unternehmens auf und warben darum, auch in deutschen Bahnhöfen an die Deportierten zu erinnern. Um den Konflikt zu entschärfen, bot der Konzern schließlich an, die Ausstellung im Bahnmuseum in Nürnberg zu präsentieren. Die Initiatoren lehnten dies jedoch ab. Sie halten es für wichtig, gerade an den Orten des Geschehens, an den Durchgangsbahnhöfen für die Massentransporte an die Vernichtung der Opfer der nationalsozialistische „Endlösung“ zu gedenken.

Seit dem 8. November 2007 fährt nun der „Zug der Erinnerung“ durch Deutschland, gezogen von einer historischen Dampflok, organisiert von dem privaten Verein gleichen Namens und finanziert durch Spenden. In über 30 Städten macht er Station, in jeder dieser Städte recherchieren lokale Initiativen, darunter viele Schulen und Privatpersonen, die Schicksale deportierter Jugendlicher aus der Region. Die Ausstellung wächst dadurch mit jedem Haltepunkt. Gerade junge Menschen sollen auf diese Weise zu einer aktiven Aufarbeitung der Geschichte ihrer Altersgenossen und deren Leidensweg vor über 60 Jahren angeregt werden. Mit der rund 6.000 Schienenkilometer langen Ausstellungsfahrt, die am 8. Mai 2008 im Bahnhof Auschwitz enden soll, werden die Deportationsrouten in die nationalsozialistischen Vernichtungslager nachgezeichnet. In fünf Waggons wird der Weg der Opfer mit Fotos, Dokumenten, Film- und Videosequenzen beschrieben, berichten Überlebende von den Transporten. Im hinteren Zugteil ermöglichen ein Computer und eine Handbibliothek die Spurensuche nach deportierten Kindern und Jugendlichen aus den jeweiligen Städten der Stationen der Wanderausstellung.

Erst durch den öffentlichen Druck in der Auseinandersetzung um die französische Ausstellung über deportierte Kinder sah sich das Unternehmen schließlich gezwungen, die Ausstellung „Sonderzüge in den Tod“ zu erarbeiten, die Anfang Februar – wenn auch zunächst nur für einige Tage – in Berlin zu besichtigen war. Erst durch den Druck der Öffentlichkeit und die öffentlich geäußerten Zweifel an der Bereitschaft des Unternehmens, sich seiner Vorgeschichte und seiner aus der Nachfolgerschaft der Reichsbahn erwachsenden Verantwortung zu stellen, sah sich das Unternehmen veranlasst, die eigene Ausstellung ebenfalls auf Bahnhöfen zu präsentieren. Es darf nicht zuletzt auch der positiven Wirkung der Ausstellung „Zug der Erinnerung“ in der Öffentlichkeit und den Interventionen zahlreicher Bürgerrechtsvereine, Gewerkschaften, des Zentralrats der Juden, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, dem sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt, zahlreichen Bundestagsabgeordneten und Gewerkschaften zu danken sein, dass nun auch zumindest Teile der Ausstellung von Serge und Beate Klarsfeld mit aufgenommen wurden. Dass die Ausstellung im Bahnhof am Potsdamer Platz ohne Beteiligung von Hartmut Mehdorn eröffnet wurde, lässt jedoch immer noch Zweifel daran, wie bereitwillig sich das Unternehmen seiner historischen Verantwortung stellt. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Bahn AG den „Zug der Erinnerung“ wie jedes andere Schienenfahrzeug behandelt und ihm die üblichen Gebühren für Trassen- und Bahnhofsnutzung in Rechnung stellt. Für die Beleuchtung der Fotos und der letzten, auf Papier geschriebenen und aus den Waggons geworfenen Hilferufe der in den Tod geschickten Kinder erhebt der Konzern Strom- und Anschlussgebühren.

Gegen dieses Verhalten der Bahn haben bereits die Ministerpräsidenten des Saarlandes, Sachsens und Thüringen Stellung bezogen. Auch Landes- und Kommunalpolitiker unterstützten die Forderung, auf die Erhebung der Gebühren zu verzichten. Der verkehrspolitische Sprecher des Bundestages schlug Bahn-Chef Mehdorn in einem Brief vor, dem Verein die Gebühren rückwirkend als Spende zur Verfügung zu stellen. Entsprechende Bitten werden vom Vorstandsbüro Mehdorns immer wieder schriftlich zurückgewiesen. Die Ostthüringische Zeitung (OTZ) kommentiert: „Will die Deutsche Bahn AG ein zweites Mal an den Toten verdienen?“ Allein der historische Hintergrund der maßgeblichen Beteiligung des DB-Vorgängers Deutsche Reichsbahn „verbietet es eigentlich, den Organisatoren Geld für Schienenkilometer, Zwischenstopps oder Strom abzuverlangen.

Ganz anders als ihre Dienstherren agieren dagegen die Mitarbeiter der Bahn, wie Hans-Rüdiger Minow, der Sprecher des Trägervereins, betont. Von diesen würde dem „Zug der Erinnerung“ tagtäglich eine überaus große Unterstützung zuteil. Trotz einiger technischer Probleme sei die Zugfahrt nicht zuletzt wegen der praktischen Hilfe vieler Bahnmitarbeiter erfolgreich verlaufen. In einem Dankesschreiben an die verantwortlichen Bahn-Logistiker in Thüringen heißt es: „Mit Ihnen wünschen wir uns, dass der Vorstand der Bahn AG die schädliche Kontroverse endlich beendet und Ihrem Beispiel folgt.“ Der Vorstand des privatisierten, aber immer noch im Staatsbesitz befindlichen Unternehmens, wird dagegen nicht müde darauf zu verweisen, dass die Deutsche Bahn AG nicht der Rechtsnachfolger der Reichsbahn sei. Sie ist jedoch Nachfolgerin der beiden Staatsbetriebe Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn. Beide übernahmen nach dem Krieg das Schienennetz der Reichsbahn, deren Fuhrpark und Personal, darunter auch die Lokomotivführer, die u.a. auch die Deportationszüge gefahren haben und die Verwaltungsfachleute, die die Deportationstransporte logistisch organisiert und die Fahrpläne erstellt haben.

Stephan A. Glienke
arbeitet am Centre for the Study of War, State and Society der Universität Exeter und ist Mitglied des Landesvorstandes der HU Niedersachsen

Hintergrund:

Der aktuelle Fahrplan mit den Ausstellungsterminen des „Zuges der Erinnerung“ findet sich auf der Webseite des Projektes:
http://www.zug-der-erinnerung.eu/

Ein Bericht über die Anfänge der Diskussion um den „Zug der Erinnerung“ fand sich in den Mitteilungen Nr. 189 (Seite 6): Udo Kauß, Mit der Reichsbahn in den Tod. Ein zu realisierendes Erinnerungsprojekt.

Der niedersächsische Landesverband der Humanistischen Union hat sich mit einem offenen Brief an den Bundesverkehrsminister und einer Petition an den Bundestag in die Diskussion um die Ausstellung „Zug der Erinnerung“ eingeschalten – siehe dazu S. 28 dieser Ausgabe.

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