Beitragsbild Reclaim Your Data – Nimm Dir Dein Recht im Europa der Polizeien, hol Dir Deine Daten zurück!
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Reclaim Your Data – Nimm Dir Dein Recht im Europa der Polizeien, hol Dir Deine Daten zurück!

17. Dezember 2009

Gemeinsame Kampagne zu Auskunftsersuchen in europäischen Datenbanken gestartet. Aus: Mitteilungen Nr. 207 (Heft 4 /2009), S.12-13

Reclaim Your Data – Nimm Dir Dein Recht im Europa der Polizeien, hol Dir Deine Daten zurück!

[Red.] Das Gipfelsoli-Bündnis, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und die Humanistische Union haben im Herbst eine Kampagne zur Transparenz europäischer Sicherheitsdaten gestartet: Mit der Initiative „Reclaim Your Data“ rufen sie Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich für den Schutz ihrer persönlichen Daten in europäischen Datennetzen zu engagieren. Mit der Kampagne soll auf die Diskrepanz zwischen der zunehmenden Vernetzung europäischer Sicherheitsbehörden einerseits und fehlender Transparenz und Kontrolle dieser Datenströme andererseits hingewiesen werden. Während der Datenaustausch immer einfacher wird, werden die Kontrollmöglichkeiten immer geringer.
Als ersten Schritt stellt die Kampagne einen Onlinegenerator bereit, mit dem sich die eigenen Daten schnell und unkompliziert abfragen lassen. Dazu gehören Auskunftsersuchen an nationale polizeiliche Datenbanken, aber auch das Schengener Informationssystem (SIS), die Datenbanken des europäischen Polizeiamtes EUROPOL oder Daten, die nach dem sogenannten „Vertrag von Prüm“ getauscht werden. Mit den Auskunftsersuchen will die Kampagne das Bewusstsein für die europäischen Datennetzte stärken, europäische Datenströme transparenter machen und in geeigneten Fällen den Rechtsschutz gegen illegale Datentransfers prüfen.
„Reclaim Your Data“ ist noch keine Antwort auf die europäische Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre, aber ein erster Ansatz, sich gegen die zunehmende Verdatung zu wehren – für Anregungen zum weiteren Ausbau durchaus offen. Wir empfehlen daher all unseren Mitgliedern wie Freunden: Ausprobieren! Und bitte nicht vergessen, die eigenen Erfahrungen mitzuteilen.

Europaweit sind personenbezogene Daten von Millionen von Menschen in Informationssystemen gespeichert, die von Polizei oder Geheimdiensten betrieben oder selbstverständlich abgefragt werden. Ergänzt und vernetzt werden die diversen nationalen Informationssysteme durch zentralisierte Datenbanken, wie das Schengen-Informationssystem (SIS) oder Europols Computersysteme, und die wachsende Automatisierung und Beschleunigung des grenzüberschreitenden Datenaustausches im Gefolge des Vertrages von Prüm und der „Schwedischen Initiative“.
Betroffen sind längst nicht nur Personen, die wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt sind. Regelmäßig erfasst werden MigrantInnen – sei es, weil sie das „Verbrechen“ begangen haben, sich ohne vorherige Bewilligung im europäischen Wohlstandsraum aufzuhalten, weil sie vom Asylrecht Gebrauch machen wollen oder auch nur, weil sie länger in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zu Gast sind. Aber auch EU-BürgerInnen werden immer häufiger ohne strafrechtlichen Anlass, z.B. allein wegen einer Kontrolle bei politischen Protesten oder aufgrund eines polizeilichen Platzverweises, auf Vorrat gespeichert und somit zum Sicherheitsrisiko erklärt.
Europäische InnenministerInnen fordern angesichts einer „immensen Datenflut“ mehr Kompetenzen und die technischen Voraussetzungen zur Nutzbarmachung dieses „Daten-Tsunami“ für die Polizeibehörden. Datamining-Software soll die Auswertung der Datenbestände vereinfachen und „Entscheidungshilfen“ geben. Personen-, Sach- und Beziehungsdaten werden von Computern prozessiert, die „Risiken“ frühzeitig erkennen und etwaige Straftaten „vorhersehen“ sollen. Die Software hierzu wird von der Sicherheitsindustrie entwickelt, ihr Quellcode – und damit ihre Funktionsweise – bleibt geheim.
Die Schaffung eines grenzenlosen Informationsverbundes – der bis in die USA reichen soll – sowie die Entwicklung von technischen Plattformen für die Zusammenarbeit der Polizeibehörden in Echtzeit gehört zu den obersten Prioritäten der europäischen InnenministerInnen. Mit dem „Stockholm Programm“, das der Europäische Rat im Dezember verabschieden will, sollen die Pläne offiziell zur Richtschnur für die EU-Innenpolitik der kommenden fünf Jahre werden. Kritiker- Innen warnen vor einer „Datenbank-Gesellschaft“.
Während der Binnenmarkt für den polizeilichen Datenaustausch immer stärker Kontur gewinnt, entziehen sich die Erfassung, Verarbeitung und Weitergabe der Daten in der Regel der Kenntnis und dem Einfluss der Betroffenen. Datenschutz wird in der europäischen Polizeizusammenarbeit klein geschrieben: Gemeinsame Standards bewegen sich auf minimalem Niveau. Fragen der Verhältnismäßigkeit von Datenerfassung oder Speicherfristen werden meistens ausklammert. Erlaubt ist im Prinzip, was das jeweilige nationale Recht hergibt. Selbst dort, wo es europäische Kontrollinstanzen gibt, haben Innenministerien und Polizeibehörden das letzte Wort. Internationaler Rechtsschutz muss von Betroffenen im Ernstfall weit jenseits des Wohnortes erstritten werden.
Damit droht die Normalisierung der unkontrollierten Speicherung und Anreicherung von Daten, die in einem Land erhoben wurden, durch die Sicherheitsbehörden eines anderen Landes. Höhere Datenschutzstandards bestimmter Länder können durch findige BeamtInnen über Länder mit niedrigeren Anforderungen umgangen werden. Und es drohen die Anhäufung einer größtmöglichen Menge von Daten in zentralen „Data Warehouses“, deren Zweck einzig und allein ihre Durchforstung nach der Methode der Rasterfahndung ist, sowie die Veralltäglichung standardisierter Abgleiche großer Datenbestände.
Gesteigert wird dadurch nicht nur das Potenzial für den Missbrauch der Daten. Vielmehr werden die Herkunft und Glaubwürdigkeit der Daten im Alltag grenzüberschreitender Polizeikooperation auch für wohlmeinende BeamtInnen noch weniger transparent sein, als sie es im nationalen Kontext bereits heute sind. Die Konsequenzen falscher „Treffer“ polizeilicher Recherchen im europäischen Informationsverbund können allerdings gravierend sein: verdeckte Überwachung zur Erstellung von Bewegungsprofilen, vorläufige Festnahmen, Aus- und Einreiseverbote, Abschiebung oder auch „nur“ lästige Hausbesuche und Vernehmungen durch ErmittlerInnen – die Last, die eigene Unschuld zu beweisen, obliegt den Betroffenen. Der Freispruch vom nagenden Verdacht, der persönliche Freiheit und zwischenmenschliches Vertrauen unterminieren kann, muss notfalls mühselig auf dem Rechtsweg erkämpft werden – falls die persönliche Lebenssituation dies überhaupt zulässt. Und wir wissen ja: selbst der Kontakt zu Verdächtigten oder ein kleinster „Restverdacht“ rechtfertigen eine Speicherung.
Als Antwort auf diese bedrohliche Entwicklung rufen wir daher all jene, die unsere Sorgen teilen, im Rahmen der Kampagne gegen das „Stockholm-Programm“ dazu auf, nicht nur sich selbst und andere zu informieren, sondern konkret in Aktion zu treten und von ihren Rechten Gebrauch zu machen: Nadelöhre des grenzüberschreitenden europäischen Informationsaustausches sind (noch) die zentralen Polizeibehörden der EU-Mitgliedsstaaten – in Deutschland das Bundeskriminalamt (BKA). Das BKA ist nicht nur die nationale Kontaktstelle für das europäische Polizeiamt Europol und seine Computersysteme, für das Schengen-Informationssystem und für den Informationsaustausch im Rahmen bi- und multilateraler Vereinbarungen; das BKA ist auch verpflichtet, Auskunft über eventuell gespeicherte Daten zu geben.
 
Wer also wissen will, was die Polizei über sie oder ihn zu wissen glaubt, und wer sie damit beschäftigt sehen möchte, Auskunft über die Speicherungen ihrer bzw. seiner Daten in ihren Datenbanken zu geben, dem empfehlen wir, sogenannte Auskunftsersuchen zu stellen. Die Antworten werden Hinweise über das Ausmaß des polizeilichen Zugriffs auf die Bevölkerung geben und können Ausgangspunkt für individuelle Anträge auf Löschung und politischen Widerspruch sein.

Die Initiatoren der Kampagne:
Gipfelsoli, Humanistische Union, Komitee für Grundrechte &
Demokratie, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein

Informationen:
Eine aktuelle Liste aller europäischen UnterstützerInnen des Aufrufs ist abrufbar unter http://euro-data.noblogs.org.
Die Dokumentation der Auftaktveranstaltung zur Kampagne findet sich auf der HU-Webseite unter: https://www.humanistische-union.de/
veranstaltungen/berichte/.
Die Bundesgeschäftsstelle unterstützt HU-Regionalgruppen bei der Veranstaltungsplanung zum Thema: Wir vermitteln bei Bedarf gern Kontakte zu den im Bündnis vertretenen Expertinnen und Experten und stellen Informationsmaterial bereit.

So einfach geht’s – in fünf Schritten zum Auskunftsersuchen

Auf der Webseite der Kampagne „Reclaim Your Data“ wird ein Generator bereit gestellt, mit dem alle Formschreiben für die Auskunftsersuchen automatisch erzeugt werden können. Der Generator sorgt dafür, dass alle Anschreiben an jene Behörden adressiert werden, die für die jeweiligen Sicherheitsdateien zuständig sind.
1. Webseite aufrufen: http://www.datenschmutz.de/cgi-bin/moin.cgi/AuskunftErsuchen
2.  Angaben zur eigenen Person eingeben
3.  Alle gewünschten Abfragen auswählen (etwa SIS, BKA, ZKA, LKAs…)
4.  Den Button für „Generieren“ drücken – die Schreiben werden automatisch erzeugt!
5.  Die fertigen Texte ausdrucken, eintüten und mit der Post abschicken.

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