Themen / Rechtspolitik

31 Straf­rechts­lehrer zu den Beschrän­kungen der Vertei­di­gung im Straf­ver­fahren

16. November 1975

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 110

In großer Sorge appellieren die unterzeichneten Hochschullehrer des Strafrechts an Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat, mit der Beschneidung der rechtsstaatlich gebotenen Verteidigung im Strafverfahren einzuhalten.

Zu den wesentlichen Elementen der freiheitlich demokratischen Grundordnung gehört das Recht eines jeden Beschuldigten auf ein faires Verfahren, das die Gefahr von, Fehlurteilen soweit menschenmöglich ausschaltet und die Überlegenheit des staatlichen Strafverfolgungsapparats gegenüber dem beschuldigten Bürger durch eine starke Rechtsposition der Verteidigung auszugleichen sucht.

Die zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen Gesetze haben – zugleich mit einer Machterweiterung der Staatsanwaltschaft, der richterliche Befugnisse übertragen worden sind – in schwerwiegender Weise in das Recht der Verteidigung eingegriffen. Die Voraussetzungen für Beschränkungen sind außerordentlich weit gefaßt und stehen zu der Schwere des Eingriffs in keinem Verhältnis. Verteidiger können aufgrund von Beschuldigungen ausgeschlossen werden, ohne daß diese in einer für eine Verurteilung ausreichenden Weise bewiesen zu werden brauchen. Das Recht des Verteidigers, in der Hauptverhandlung jederzeit Erklärungen abzugeben, ist beschnitten. Angeklagte können – bei bewußt herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit – in Abwesenheit und damit ohne wirkliche Verteidigungsmöglichkeit zu schwerer Strafe verurteilt werden.

In diesen Bestimmungen werden die Interessen der Strafverfolgung dem Schutz des beschuldigten Bürgers vor Fehlurteilen übergeordnet. Sie sind aus einer von Emotionen beladenen Atmosphäre geboren, auf schwebende Verfahren zugeschnitten und in einem Schnellverfahren verabschiedet worden, das eine politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung über das Für und Wider von vornherein ausschloß.

Die Einwände gegen Inhalt und Zustandekommen gelten in noch höherem Maße gegen die ad-hoc-Gesetze, die sich jetzt im Gesetzgebungsverfahren befinden. Eine Überwachung des Verkehrs zwischen Verteidiger und verhaftetem Beschuldigten bis in das Stadium des Hauptverfahrens macht eine wirksame Verteidigung unmöglich. Ein Handel der Strafverfolgungsorgane mit dem „Kronzeugen”, der sich Nachsicht gegenüber seinen Verbrechen durch belastende Aussagen gegen andere erkaufen kann, beschwört Falschaussagen und damit Verurteilungen auch Unschuldiger herauf. Am Strafprozeßrecht eines Staates läßt es sich ablesen, wie ernst er die Sicherung des Bürgers gegen Fehlgriffe der Staatsgewalt nimmt. Die Bundesregierung hat in der Begründung zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz erklärt, die Strafprozeßordnung müsse den Wertentscheidungen des Grundgesetzes über die Stellung des Einzelnen zur Gemeinschaft angepaßt werden. Für Reformen im Strafprozeßrecht, die auf dieses Ziel gerichtet sind, werden wir uns einsetzen. Die gegenwärtigen Rechtsänderungen aber weisen in die entgegengesetzte, die falsche Richtung.

Günter Bemmann, Universität Augsburg – Anne-Eva Brauneck, Universität Gießen – Rolf-Peter Calliess, Technische Universität Hannover – Friedrich Dencker, Universität Bonn – Herbert Fiedler, Universität Bonn – Martin Fincke, Universität Regensburg – Wolfgang Frisch, Universität Bonn – Heinz Giehring, Universität Hamburg – Gerald Grünwald, Universität Bonn – Winfried Hassemer, Universität Frankfurt – Joachim Herrmann, Universität Augsburg – Günther Jakobs, Universität Kiel – Herbert Jäger, Universität Frankfurt – Heike Jung, Universität Saarbrücken – Arthur Kaufmann, Universität München – Günter Kohlmann, Universität Köln – Detlef Krauß, Universität Saarbrücken – Justus Krümpelmann, Universität Mainz – Ernst-Joachim Lampe, Universität Bielefeld – Klaus Lüderssen, Universität Frankfurt – Helmut Marquardt, Universität Bonn – Heinz Müller-Dietz, Universität Saarbrücken – Klaus Rolinski, Universität Regensburg – Hans-Joachim Rudolphi, Universität Bonn – Hinrich Rüping, Universität Bonn – Erich Samson, Universität Kiel – Hans-Ludwig Schreiber, Universität Göttingen – Bernd Schünemann, Universität München – Günter Stratenwerth, Universität Basel – Heinz Wagner, Universität Kiel – Jürgen Welp, Universität Münster.

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