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Menschen­rechte sind immer auch Frauen­rechte

Mitteilungen21010/2010Seite 17-18

Zum Tod von Susanne v. Paczensky. Mitteilungen Nr. 210 (3/2010), S. 17-18

Da bin ich sicher: In der Geschichte der Frauenbewegung wird für den Kampf gegen den § 218 ein Name an vorderster Stelle stehen: der Name von Susanne v. Paczensky. Sie wusste, wovon sie sprach: Abtreibung bedeutete für Frauen unserer Generation Illegalität, grausame Prozeduren und Gefahr. Diese Bedingungen wollte sie für andere Frauen ändern. Sie wollte ein Bewusstsein dafür schaffen: „mehrere Abtreibungen, ebenso wie mehrere Geburten, können zum Frauenleben dazu gehören.“ Deshalb forderte sie 1972 an der Spitze einer Hamburger Delegation auf dem ASF-Kongress die ersatzlose Streichung des Paragrafen. Und sie war eine der Bekennerinnen, als der Stern den Titel brachte „Wir haben abgetrieben“. Von da an war sie überall eine gesuchte Streiterin, im Radio und in den damals neu aufkommenden Talkshows.

Und als Journalistin hat sie natürlich auch darüber geschrieben. Die Frauenzeitschriften, für die sie sonst arbeitete, wollten solche Artikel nicht drucken. Also machte sie Bücher. Als Herausgeberin der neuen Frauenbuchreihe rororo aktuell frauen gab sie in sieben Jahren über vierzig Bücher heraus, alles Frauenthemen, alle spiegelten die bestehenden Zwänge und das neu entstehende Selbstbewusstsein der Frauen jener Zeit 1978 – 85.

Zum Thema Abtreibung hat sie 6 Bücher geschrieben und herausgegeben, u.a. „Wir sind keine Mörderinnen“ und „Die neuen Moralisten“. Das anrührendste Buch ist für mich „Gemischte Gefühle“ – voller Empathie für die Betroffenen. Am mutigsten war wahrscheinlich: „Das hätte nicht noch mal passieren dürfen“. Diese Untersuchung über Mehrfachabbrüche kam zu dem Ergebnis: „Es wäre realistisch und frauenfreundlich, anzuerkennen, dass ein gewisser Anteil von Verhütung misslingt und es deshalb ungewollte Schwangerschaften – und eben auch wiederholte – gibt. Unsere Studie belegt, was Verstand und Nächstenliebe nahe legen: Frauen versuchen, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, wenn aber trotzdem eine eingetreten ist, dann kann am ehesten die Frau selbst darüber entscheiden. Schwangerschaft bleibt eine Folge von Sexualität, von nicht angewandter oder fehlgeschlagener Verhütung und ist eine von zwei möglichen Lösungen eines Problems.

Sie blieb nicht nur bei der Theorie. Sie war immer auch eine Frau der Tat: 1982 wollte sie ihre Forderungen umsetzen und gründete mit anderen das Hamburger Familienplanungszentrum. Damit wurde ein Ort geschaffen, an dem Frauen legal, medizinisch einwandfrei und respektvoll eine Abtreibung bekommen konnten. Ich habe dies Zentrum besichtigen können, kurz nachdem ich selbst eine beschämende Abtreibung in Bayern hinter mir hatte – und erlebte eine segensreiche und frauenfreundliche Einrichtung.

Im Familienplanungszentrum hat Susanne v.P. als Beobachterin einer ambulanten Abtreibung beigewohnt und darüber geschrieben. Da hat sie uns wieder in Erstaunen versetzt, wie sie berichtet, dass keine Kind zu sehen war, auch kein ganz kleines, sondern nur ein Löffelchen Schleim.

Als sich Anfang des Jahres 1990 abzeichnete, dass eine Vereinigung mit der DDR zu erwarten war, wurde uns klar, dass jetzt die endgültige gesamtdeutsche Verfassung kommen musste, wie es die Präämbel des GGs verlangte. Das war der Moment, um neue Rechte für Frauen zu fordern.

Ich sehe noch, wie wir zu dritt um unseren ovalen Tisch in Neubiberg sitzen, Susanne, Renate Sadrozinski und ich, um unsere Forderungen für die Verfassung zu formulieren. Was fehlt den Menschenrechten, damit sie Frauenrechte werden? Unser Acht-Punkte-Programm nannten wir „Frauen in bester Verfassung“. Die Humanistische Union übernahm die Initiative, Helga Killinger organisierte eine Postkartenaktion und viele Frauengruppen schlossen sich an. Das Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder formulierte nach langen Diskussionen einen Verfassungsentwurf und übernahm unsere Forderungen. Bis auf eine, und das war – man ahnt es schon – die Forderung nach einem neuen Grundrecht nur für Frauen, nämlich nach der Entscheidungsfreiheit bei einer Schwangerschaft. Diese Forderung nach einer Garantie auf körperliche Selbstbestimmung wollten viele Männer des Kuratoriums denn wohl doch nicht unterstützen.

Wie bekannt, eine neue Verfassung gab es letzten Endes nicht. Die Initiative war dennoch nicht umsonst, das Grundgesetz wurde u.a. in Artikel 3 für Frauen ergänzt. Das eigentliche Frauengrundrecht – in USA reproductive freedom – bleibt  als Forderung für kommende Generationen.

Susannes Engagement wurde gesehen und anerkannt: 2004 ehrte sie die HU mit dem Fritz Bauer Preis. Daß dieser für unbequemes Eintreten für Gerechtigkeit und Menschlichkeit verliehen wird – das passte genau zu ihrer Person. Sie starb in Hamburg – ihr Leben war selbstbestimmt, engagiert und unerschrocken bis zu Ende.

Heide Hering
ist Mitglied im Beirat der HU

Die acht Forderungen der Initiative „Frauen in bester Verfassung“ finden sich in den HU-Mitteilungen Nr. 135 (September 1991), S. 42.

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