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ACTA: Was die Musik­in­dus­trie vom filesharing hält. Vortrag von Stephan Urbach im Frankfurter „Club Voltaire"

Mitteilungen21112/2010Seite 21

Mitteilungen Nr. 211 (4/2010), S. 21

Bei „Produktpiraterie“ denken viele z.B. an ihre Turnschuhe: Stammen sie wirklich von Nike – oder wurde da ein gefälschtes Etikett aufgepappt? Die Angst vor solchen Fälschungen stand wohl tatsächlich am Anfang der Verhandlungen über ACTA, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ein Handelsabkommen, dessen Schwerpunkt sich inzwischen längst zu „geistigem Eigentum“ verlagert hat. Stephan Urbach referierte im Frankfurter „Club Voltaire“. Er ist ACTA-Koordinator der Piratenpartei und inzwischen auch HU-Mitglied. Stefan Hügel (Ortsvorstand Frankfurt) moderierte die Veranstaltung.

Bei ACTA gehe es zwar um einen Handelsvertrag, doch wurde der an der WTO, der Welthandelsorganisation, vorbei verhandelt. An maßgeblichen Teilnehmern der geheim geführten Verhandlungen nannte Urbach die USA, Kanada, die Europäische Union, die Schweiz, aber auch Marokko, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Mexico. Die mexikanische Filmindustrie produziere die allermeisten spanischen Soap Operas – und beklage sich, dass ihre Ideen von Sendern anderer Länder geklaut würden.

Ideenklau, geistiges Eigentum, das sind die Kernbegriffe von ACTA – oder auch nicht. Denn Strafverfahren und Folgen werden haarklein geregelt. Doch offen bleibt, was „geistiges Eigentum“ eigentlich sein solle. Urbach erläuterte, dass deutsches und kontinentaleuropäisches Urheberrecht nicht mit dem angelsächsischen Copyright kompatibel sind. Dadurch bleibe am Ende die Grundlage unbestimmt, gegen die verstoßen werden könnte – nicht aber die Folgen: die Provider sollen der „3-Strikes-Regel“ „freiwillig“ folgen. 3 Strikes heißt: Wer dreimal gegen die ACTA-Regeln verstoßen hat (oder haben soll), dem soll der Internet-Anschluß gesperrt werden – ohne richterliches Verfahren, ohne Rechtsmittel! Wohlgemerkt: nur eine „Empfehlung“, der die Provider „freiwillig“ folgen sollen. Würden sie sich dem jedoch verweigern, könnten sie als Mittäter haftbar gemacht werden. Was mit dem Internetzugang alles gekappt würde! Im Nach-ISDN-Zeitalter trifft das auch das Telefon, im ungünstigsten Fall auch das Handy!

In der anschließenden Diskussion wurde das undemokratische Zustandekommen von ACTA betont: Die Verhandlungen wurden zunächst geheim geführt, erst in einer sehr späten Phase NGOs einbezogen, jene aber zugleich extremen Verschwiegenheitsauflagen unterworfen. Selbst das europäische Parlament musste darum kämpfen, überhaupt informiert zu werden – auch das unter Auflage von Verschwiegenheit! Ein demokratisches Verfahren sieht anders aus und zeitigt sicher andere Ergebnisse als diesen Präzedenzfall, in dem eine Industrielobby ein multinationales Handelsabkommen durchsetzt.

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