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Ein Virus namens Angst

Mitteilungen21112/2010Seite 1

Mitteilungen Nr. 211 (4/2010), S. 1

Ein Virus namens Angst

Die Inszenierung war an Dramatik kaum zu überbieten: Als der Bundesinnenminister am 17. November vor die Presse trat und verkündete, dass es Hinweise auf einen geplanten Terroranschlag in Deutschland gebe, stockte der Republik für einen Moment der Atem. Ausgerechnet jener Minister, der sich bisher durch maßvolle Zurückhaltung von seinen Vorgängern im Amt abzusetzen wusste, der den Dialog mit den Kritikern des Sicherheitsdenkens im eigenen Haus etablierte, wandte sich jetzt – offenbar notgedrungen – an die Öffentlichkeit. Die Lage musste ernst sein, daran konnten kaum Zweifel bestehen.

Die Ankündigung setzte die bekannten Reflexe in Gang: Noch am gleichen Tag traten die ersten innenpolitischen Hardliner auf den Plan. Der eine wollte die Gefährder präventiv wegsperren, der andere ihnen Fußfesseln anlegen, ihnen Handys und Computer wegnehmen. Ein dritter warnte vor arabisch sprechenden Nachbarn, auf die die Bevölkerung achten solle. Und unisono wurde die Forderung nach einem neuen Gesetz zur Vorratsspeicherung der Kommunikationsdaten erhoben. Das in Umlauf gebrachte Virus befiel jedoch nicht nur Politiker, auch die Medien ließen sich anstecken. Wenige Tage nach der Warnung enthüllte Spiegel Online den vermeintlichen Plan der Terroristen: die gewaltsame Stürmung des Reichstagsgebäudes. Vor den Augen der Leser wurde eine Blutspur ausgemalt, die bis ins „Zentrum der Demokratie“ führte. Für den ministeriellen Aufruf zur Besonnenheit, es gebe „Grund zur Sorge, aber keinen Grund zu Hysterie“, war es da schon zu spät.

Die Aufregung hat sich mittlerweile etwas gelegt. Der zunächst prophezeite Anschlagstermin verstrich ohne Zwischenfälle, die Bundespolizisten in Kampfmontur rücken langsam wieder ab. Und der Bundesinnenminister konnte gegen die hysterischen Stimmen in Politik und Medien locker sein Image des Besonnenen verteidigen. Alles noch mal gut gegangen!

Eine Frage bleibt: Wofür war die Warnung eigentlich gut? Die geschilderten Reaktionen waren wenig überraschend, sie waren vorhersehbar. Glaubte der Minister wirklich, terroristischen Anschlägen ließe sich mit einem Aufruf an die Bevölkerung vorbeugen, die Terroristen sich von Polizisten mit verstärkten Schusswesten abschrecken? Wohl kaum! Alle Erfahrungen mit den bisherigen Anschlägen zeigen doch, dass sich solche Fanatiker weder von Kameras (wie in London) noch von intensivster Überwachung (wie im Sauerland) von ihrem Ziel abbringen lassen. Sowohl Polizisten, die nicht einmal wissen, wonach sie eigentlich Ausschau halten sollen, als auch nervöse Bürger können solche Täter nicht stoppen. Am Ende überwiegen bei dieser Art von Sicherheitspolitik immer noch die bürgerrechtlichen Kollateralschäden: der weitere Abbau rechtsstaatlicher Standards (wie der Unschuldsvermutung), die Einschränkungen demokratischer Prinzipien (wie der Pressefreiheit) und nicht zuletzt die Kultur der gegenseitigen Verdächtigungen.

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