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Gefährliche Technologie der anderen Art - "Schut­z­er­klä­rungen" gegen die Angst vor einer Unter­wan­de­rung durch Scientology

Mitteilungen Nr. 213 (2/2011)

Gefährliche Technologie der anderen Art -

Den deutschen Staat mit Erklärungen schützen zu wollen, ist nicht neu. Derzeit versucht die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit ihrer Demokratie-Erklärung, einer vermeintlichen Unterwanderung der Republik durch Extremisten zu begegnen (vgl. Mitteilungen Nr. 212, S. 16/17). Schon länger, nämlich bereits seit Mitte der 1990er Jahre, soll uns eine andere Erklärung vor der drohenden Unterwanderung durch Scientology bewahren: die Rede ist von sog. „Schutz- oder Technologieerklärungen“. Derartige Schutzerklärungen sollen und werden gemäß verschiedener Vereinbarungen zwischen den Innen- und Wirtschaftsministerien der Länder von TeilnehmerInnen an öffentlichen Vergabeverfahren abverlangt. Eigentlich sollen sie nur zur Anwendung kommen, sofern die ausgeschriebenen Leistungen Beratungen oder Schulungen enthalten, die potentiellen AuftragnehmerInnen also instruktiv tätig werden. Die Praxis der Schutzerklärungen sieht jedoch von Bundesland zu Bundesland, und selbst dort je nach Behörde oder Körperschaft, höchst unterschiedlich aus. Das betrifft einerseits den Kreis derjenigen, die sich erklären müssen. In Bayern etwa werden Schutzerklärungen auch von BewerberInnen für den öffentlichen Dienst verlangt. Und selbst Dienstleister, die sich um die Reinigung öffentlicher Gebäude bewerben, wurden dort bereits zur Abgabe von Schutzerklärungen aufgefordert.

Bayern unterscheidet sich aber auch beim Inhalt der Schutzerklärungen vom Rest der Republik. In Bayern wird noch heute eine ältere Textfassung angewandt, die auf einen gemeinsamen Beschluss der Ministerpräsidenten der Länder im Jahr 1996 zurückgeht und deren Text von der Arbeitsgruppe Scientology entworfen wurde, die seit 1992 bis letztes Jahr in der Hamburger Innenbehörde bestand. Die ältere Fassung der Schutzerklärung (Typ I) verlangt von den BewerberInnen bzw. ihren Beschäftigten und SubauftragnehmerInnen eine Abgrenzung von den Lehren Scientologys (bzw. ihres Gründers L. Ron Hubbard) sowie eine Abstinenz von scientologischen Veranstaltungen. Auf eine deutlich zurückhaltendere Version der Schutzerklärung (Typ II) verständigten sich die Wirtschaftsminister und -senatoren der Länder im Februar 2001. Sie umfasst nur noch die Versicherung, dass bei der Ausführung der vergebenen Aufträge keine scientologischen Techniken angewandt und für den Verein weder geworben noch missioniert werde. Die Unterschiede zwischen den beiden Textfassungen fallen im Vergleich sofort auf: Während die alte Version quasi bekenntnishafte Züge trägt – es werden Überzeugungen und Veranstaltungsbesuche abgefragt – beschränkt sich die neue Version auf ein Neutralitätsgebot, das die Anwendung, Missionierung oder Werbung für scientologische Inhalte untersagt.

Ungeachtet der länderübergreifenden Absprachen kommt in Bayern immer noch die alte Fassung der Schutzerklärung zum Einsatz. So forderte die Stadt Augsburg in einem Ausschreibungsverfahren vom Juni 2009 zur Abgabe einer Technologie-Erklärung des Typs I auf. Bei der Ausschreibung ging es übrigens um einen Vortrag zum Thema „Fachgerechte Baumpflege“. Inwiefern ein solches Thema Raum für missionarische Bemühungen lässt, sei dahingestellt.

 

Schutzerklärung Typ I

Ich die/der Unterzeichnete erkläre
1)  daß ich bzw. mein Unternehmen nicht nach der Technologie von L.Ron Hubbard arbeite,
2)  daß weder ich noch meine Mitarbeiter nach der Technologie von L.Ron Hubbard geschult werden bzw. keine Kurse und/oder Seminare nach der Technologie von L.Ron Hubbard besuchen und
3)  daß ich die Technologie von L.Ron Hubbard zur Führung meines Unternehmens (zur Durchführung meiner Seminare) ablehne.

Muster der „Hamburger Schutzerklärung“, die von der Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Innenbehörde entworfen wurde, zitiert nach: Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7.4.2000 (16 VG 2913/97), abrufbar unter http://www.ingo-heinemann.de/Verwaltungsgericht-HH-16VG2913-97.htm

 

Schutzerklärung Typ II

Das Beratungs- und Schulungsunternehmen verpflichtet sich sicherzustellen, dass die zur Erfüllung des Auftrags eingesetzten Personen nicht die „Technologie von L. Ron Hubbard“ anwenden, lehren oder in sonstiger Weise verbreiten. Bei einem Verstoß ist der Auftraggeber berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist zu kündigen. Weitergehende Rechte bleiben unberührt.

Muster der Schutzerklärung gem. Vereinbarung der Wirtschaftsminister und -senatoren der Länder vom 1./2. März 2001, entnommen aus: Rundschreiben der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie, Rundschreiben SenWiTech I Nr. 4/2001 vom März 2001, http://www.berlin.de/imperia/md/content/vergabeservice/rundschreiben/senstadt/rs01_04.pdf.

Sinn und Unsinn der Technologie-Erklärungen

Mit den Schutzerklärungen soll die scientologische Unterwanderung der Gesellschaft im allgemeinen und des öffentlichen Dienstes im Besonderen verhindert werden. Nach Überzeugung der Ministerpräsidenten drohe öffentlichen Stellen „bei Geschäftskontakten eine Infiltration und Ausforschung durch Scientology“ [1], da davon auszugehen sei, dass in diesem Zusammenhang erlangte Informationen an die Organisation abfließen könnten. Eine nicht abgegebene Schutzerklärung oder nachweislich falsche Angaben führen deshalb zum Ausschluss vom Bewerbungsverfahren.

Für die Erlasse zur Anwendung der Schutzerklärung stützen sich die zuständigen Minister regelmäßig auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB § 97 Abs. 4) sowie die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/Teil A § 6 EG). Demnach können TeilnehmerInnen bei öffentlichen Vergabeverfahren vom Wettbewerb ausgeschlossen werden, wenn es Zweifel an ihrer Gesetzestreue oder ihrer Zuverlässigkeit gebe. In der Vergabe- und Vertragsordnung ist hierbei von einer „nachweislich … schwere(n) Verfehlung“ die Rede. Nur: Wie sollte sich eine Verfehlung aus den in der Schutzerklärung abgefragten Fakten nachweisen lassen? Stellt der Seminarbesuch bei einer – legalen – Organisation bereits eine Verfehlung dar? Ebenso uneinsichtig ist, warum Scientologen als besonders unzuverlässig gelten. In der scientologischen Ideologie nimmt das Leistungsprinzip eine herausgehobene Stellung ein, Scientology bewertet seine Mitglieder an ihren beruflichen Erfolgen und ihrem sozialen Status.

Woher aber kommt das Misstrauen gegen Scientology? Sowohl der autoritäre Umgang mit ihren Mitgliedern und deren Unterordnung unter die Belange der Organisation, aber auch die Organisationsstrukturen und ein intransparentes Auftreten der Scientology-Gemeinschaft, die ihre politischen Kampagnen und Beratungsangebote über immer neue Vereine, Stiftungen und Firmen offeriert [2], nähren seit langem die Befürchtung, Scientology verfolge eine verdeckte Agenda, die auf eine neue Werteordnung (die Herrschaft der Clears) ziele. Eine solche Agenda lässt sich aus den Schriften des Scientology-Gründers ablesen, zahlreiche Berichte von AussteigerInnen bestärken das Bild. Solche Befürchtungen waren es auch, die 1997 die Innenminister der Länder dazu veranlassten, Scientology durch ihre Verfassungsschutzämter überwachen zu lassen. Die geheimdienstliche Beobachtung – so fragwürdig sie bereits im Ansatz war (s. Seifert 1997) – hat bis heute keine verwertbaren Ergebnisse erbracht. Trotz zahlreicher Bemühungen wurden keine Hinweise auf Vergehen gefunden, die der Organisation zuzurechnen wären; ebenso scheiterte der Versuch, Scientology die Bildung einer kriminellen Vereinigung nachzuweisen (vgl. Küfner, Nedopil & Schöch 2002). Wie immer man zum scientologischen Menschen- und Gesellschaftsideal, zu Thetanen und Clears stehen mag – es handelt sich um eine legale Vereinigung.

Dass sich eine offene Gesellschaft auch jenseits des Strafrechts mit der Gefahr einer drohenden Unterwanderung ihrer demokratischen Institutionen auseinandersetzt, ist nachvollziehbar. Doch wie soll hierbei die Schutzerklärung helfen? Nimmt man die beschworenen Gefahren ernst, dann wären die demokratischen Regularien der Institutionen (etwa Transparenz und Sachbezogenheit von Entscheidungen) oder die vom Ausspähen betroffenen Informationen (etwa persönliche Daten von Bürgerinnen und Bürgern) zu schützen. Hierbei hilft jedoch keine der beiden Schutzerklärungen. Und ehrlich gesagt: Wer glaubt wirklich daran, dass sich eine konspirativ vorgehende Organisation mittels Selbstbekennerschreiben stoppen ließe? Die bisherigen Erfahrungen mit scientologisch geführten Unternehmen zeigen vielmehr, dass die Unterwanderungsversuche eher an organisationsinternen Zielkonflikten scheitern, nämlich an der Frage, ob man solche Firmen als Finanzquelle abschöpft (die ihre Gewinne an die Org abführen muss) oder ob unterwanderte Firmen dazu dienen sollen, den eigenen wirtschaftlichen wie politischen Einfluss auszubauen. Zahlreiche Insolvenzen von scientologynahen Unternehmen legen nahe, dass es der Organisation mehr ums schnelle Geld, als um langfristige Investitionen in die angestrebte Weltherrschaft geht (vgl. Nordhausen & Billerbeck 2008).

Beide Versionen der Schutzerklärung schießen aus bürgerrechtlicher Sicht in ihrem Bemühen um die präventive Vermeidung scientologischer Einflüsse auf die Gesellschaft deutlich übers Ziel hinaus. Insbesondere die bayerische Variante des Textes erinnert an jenes Kontakt- und Betätigungsverbot des sog. Radikalen-Erlasses, auf dessen Grundlage zwischen 1972 und 1976 die BewerberInnen für den Öffentlichen Dienst einer Prüfung ihrer Verfassungstreue unterworfen wurden. Welchem Weltbild (oder welcher „Technologie“) jemand anhängt und ob er/sie seine/ihre eigene Firma nach deren Regeln führt, geht niemanden etwas an – solange arbeitsrechtliche Vorschriften und die Regeln des zivilen Miteinanders eingehalten werden. Das faktische Verbot, Seminare oder Kurse der Organisation zu besuchen, für all diejenigen, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen wollen, stellt quasi ein Kontaktverbot auf und verhindert, dass sich Interessierte eine auf eigener Anschauung und Erfahrung begründete Meinung bilden können. Was wäre, wenn wir andere zweifelhafte Psychogruppen, Vereine oder Religionsgemeinschaften mit vergleichbaren Sanktionen belegen würden? Eine demokratiefeindliche Haltung lässt sich schließlich in zahlreichen dogmatischen Schriften finden.

Im Übrigen kommt ein Verbot des Besuchs scientologischer Veranstaltungen einer Überhöhung dieser sog. Technologien und ihrer Wirksamkeit gleich. Ein solches Verbot suggeriert schließlich, alle Besucher eines solchen Seminars würden einer Infektion ausgesetzt, die ihr bisheriges demokratisches Wertesystem außer Kraft zu setzen droht und vor der die Bürgerinnen und Bürger – notfalls auch gegen ihre eigene Neugier und gegen ihren Willen – zu schützen seien. Verleiht der Staat damit den scientologischen „Wunder“techniken nicht einen ungewollten Ritterschlag, gemäß der Logik: Gefährlich kann doch nur sein, was auch wirksam ist. Und stellt ein solches Verbot umgekehrt nicht die Einsichtsfähigkeit, Urteilskraft und Willensfreiheit der Bürgerinnen und Bürger in Frage, die sich derartige Seminare aus welchen Gründen auch immer einmal anschauen wollen?

Offene Rechts­fragen

Eine gerichtliche Klärung der Frage, ob die Schutzerklärungen (insbesondere in ihrer bayerischen Fassung) mit dem Recht der Meinungsfreiheit und des freien Informationszugangs (Artikel 5 Grundgesetz) vereinbar sind, steht bisher noch aus. Ein Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den bayerischen Erlass zur Schutzerklärung wurde im Herbst 1997 ergebnislos eingestellt (VG München M 24 E 96.6565, Einstellungsbeschluss v. 22.9.1997). Ein Händler für Kopierpapier hatte sich dagegen gewehrt, dass er von seinem öffentlichen Auftraggeber (der bayerischen Polizeihubschrauberstaffel), den er seit geraumer Zeit belieferte, plötzlich zur Abgabe einer Schutzerklärung aufgefordert wurde. Nachdem der Papierhändler einstweiligen Rechtsschutz beantragt hatte, zog die Behörde ihre ursprüngliche Aufforderung zur Abgabe einer solchen Erklärung zurück, womit das Verfahren nach Angaben der Scientology Kirche Deutschlands (SKD) gegenstandslos geworden war. Seitdem haben sich nach Auskunft der SKD keine weiteren Mitglieder gefunden, die bei öffentlichen Ausschreibungen von Schutzerklärungen betroffen und zugleich bereit waren, die mit einer Klage verbundenen Risiken (der Publizierung ihrer Scientology-Mitgliedschaft; dem drohenden Verlust weiterer Aufträge) einzugehen.

Eine zweite Klage richtete sich gegen die von staatlichen Stellen ausgesprochene Empfehlung zur Verwendung von Schutzerklärungen in der Privatwirtschaft. Die Betreiberin eines Kosmetik-Salons war von einem ihrer Lieferanten aufgefordert worden, eine Schutzerklärung abzugeben, damit jener sie weiter mit einem von ihm vertriebenen Vitaminpräparat beliefere. Nachdem die Klägerin die Abgabe der Erklärung verweigerte, beendete ihr Lieferant die Geschäftsbeziehung. Sie verklagte daraufhin die Innenbehörde der Stadt Hamburg (bzw. deren AG Scientology), über deren Webauftritt die Schutzerklärung bereitgestellt und zur Anwendung im privaten Umfeld beworben wurde. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig entschied am 15.12.2005 (BVerwG 7 C 20.04): Die öffentliche Verwaltung darf Mustervordrucke der Schutzerklärung nicht an Private abgeben, da solche Eingriffe in den privatwirtschaftlichen Verkehr nicht von der allgemeinen Leitungsaufgabe des Staates gedeckt seien. Damit wurde öffentlichen Stellen die Werbung für die Anwendung von Schutzerklärungen im Privatgebrauch untersagt. Über die Anwendung der Erklärungen selbst, sowohl im privaten Bereich wie für öffentliche Aufträge, sagt diese Entscheidung jedoch nichts aus, beides bleibt (vorerst) weiter zulässig.

Religiöse Diskri­mi­nie­rung oder Schutz vor gefähr­li­chen Psycho­tech­no­lo­gien?

Seitens der Scientology-Kirche Deutschlands konzentriert sich die Kritik an der Schutzerklärung besonders auf die Offenlegung der Religionszugehörigkeit, die von den Mitgliedern der Gemeinschaft abverlangt werde. So wies Richard Eisenböck, der Menschenrechtsbeauftragte der SKD, in einer Stellungnahme gegenüber der Humanistischen Union darauf hin, dass Mitglieder seiner Organisation durch die Schutzerklärungen zu einem weltanschaulichen Bekenntnis gezwungen würden. Dies verstoße gegen Artikel 136 der Weimarer Reichsverfassung und sei i.V.m. den Artikeln 140 und 4 Grundgesetz ein unzulässiger Eingriff in die Religionsfreiheit der Mitglieder. Selbst dann, wenn man dieser Selbsteinschätzung als Religionsgemeinschaft folgt, trifft diese Kritik jedoch nur auf die bayerische Version der Schutzerklärung zu. In der neueren Fassung verlangt die Schutzerklärung kein „Glaubensbekenntnis“, sondern zielt auf die religiöse Neutralität bzw. missionarische Enthaltsamkeit bei der Auftragsausführung. Hier ließe sich allenfalls fragen, ob solch eine einseitige Erklärung durch den besonderen missionarischen Eifer der Scientologen gerechtfertigt ist, oder ob nicht die Mitglieder anderer Gruppen gleichsam auf die Einhaltung neutraler Umgangsformen verpflichtet werden müssten.

Das Scientology in seiner Kritik an der Schutzerklärung die Religionsfreiheit in den Vordergrund stellt, zeigt aber das Freiheitsverständnis der Gemeinschaft. Einerseits passt die Argumentation in die seit Jahren zu beobachtende Strategie, sich selbst als religiöse Gemeinschaft resp. Kirche zu beschreiben (während man sich selbst in den Gründungsjahren eher religionskritisch bis -feindlich gab) und daraus abgeleitet die Vereinsaktivitäten (Straßensammlungen, Seminare etc.) unter den besonderen Schutz religiöser Betätigungen stellen zu wollen. Auf der anderen Seite bedeutet es aber auch: Scientology sorgt sich vor allem um die Religionsfreiheit seiner Mitglieder, die Informations- und Meinungsfreiheit der „restlichen“ Bevölkerung scheinen der Organisation nicht so gewichtig. Wenn Scientology-Seminare frei zugänglich wären, ohne berufliche Konsequenzen fürchten zu müssen, käme das ja nicht nur den Mitgliedern und Sympathisanten der Organisation zugute. Eine solche Öffnung würde auch die Transparenz und die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit fragwürdigen Methoden und Praktiken der Organisation befördern. Genau dies wird aber mit den Schutzerklärungen verhindert. Die staatliche „Schutzerklärungspolitik“ spielt insofern den vorhandenen Abschottungstendenzen der Scientologen (ungewollt) in die Hand.

Die Gefahren, die von Scientology ausgehen können, sollten angesichts der ungewöhnlichen „Glaubensinhalte“ und der offensichtlich unrealistischen Ambitionen auf eine Weltherrschaft nicht unterschätzt werden. Konkret gefährdet sind aber weniger demokratische Institutionen oder gar die Verfassungsordnung unseres Landes, sondern vor allem jene Menschen, die in direktem Kontakt mit der Organisation stehen oder standen. Zahlreichen Erfahrungsberichten und Untersuchungen zufolge drohen ihnen psychische Abhängigkeiten, soziale Isolation und finanzieller Ruin. Anstelle eines fragwürdigen Technologieschutzes mit Schutzerklärungen wäre es deshalb an der Zeit, dass sich Verwaltungen und Gesetzgeber auf die konkreten Konflikte konzentrieren, denen die Mitglieder und Aussteiger zuweilen ausgesetzt sind. Dazu gehören u.a. die unbedingte Freiheit, dass Betroffene über ihre Erfahrungen in und ihr Wissen von der Organisation berichten können (ohne des Verrats von Firmengeheimnissen oder der Verletzung von Urheberrechten bezichtigt zu werden), ebenso die Freiheit zum jederzeitigen Austritt aus beliebigen Organisationen und ein absoluter Schutz der Vertraulichkeit für alle persönlichen Sachverhalte, die in religiösen oder therapeutischen Verhältnissen offenbart wurden. [3]

Sven Lüders

Anmerkungen:

[1] Scientology-Organisation – Verwendung von Schutzerklärungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung v. 29.10.1996 Nr. 476-2-151 (AllMBl. S. 701, StAnz. 44)

[2] Einen Überblick der in der Hauptstadt anzutreffenden Scientology-Organisationen bietet: „Scientology Inkognito“. Informationsblatt der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, abrufbar unter http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-familie/ sekten-psychogruppen/scientology_inkognito.pdf

[3] Vgl. die Forderungen des Europäisch-Amerikanischen Bürgerkomitees für Menschenrechte und Religionsfreiheit in den USA unter http://www.leipzig-award.org/deutsch/grundsatztext.htm.

Informationen zum Thema:

Udo Kauß: Was Kirche ist, bestimmt der Staat, Grundrechte-Report 1998, S. 70-76.

Heinrich Küfner, Norbert Nedopil, Heinz Schöch (Hrsg.): Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology. Eine Untersuchung psychologischer Beeinflussungstechniken bei Scientology, Landmark und der Behandlung von Drogenabhängigen. Pabst-Verlag, 2002, 647 Seiten, ISBN 3-936142-40-8, Auszüge unter http://www.stmi.bayern.de/imperia/md/content/stmi/sicherheit/verfassungsschutz/scientology/4.pdf.

Frank Nordhausen & Liane v. Billerbeck: Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will. Ch. Links Verlag, Berlin 2008.

Jürgen Seifert: Scientology – Keine Arbeitsbeschaffung für den Verfassungsschutz, Grundrechte-Report 1997, S. 107-112.

Eine kritische Perspektive auf Scientology bietet die Webseite von Ingo Heinemann: http://www.ingo-heinemann.de/Schutzerklaerung.htm.

Kontaktadressen für Betroffene unter: http://www.berlin.de/sen/
familie/sekten-psychogruppen/weitere-hilfe/index.html.

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