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Gesell­schaft für Bürger­rechte - Pro & Contra

Mitteilungen21010/2010Seite 20-24

Mitteilungen Nr. 210 (3/2010), S. 20-24

In Vorbereitung auf die bevorstehende Urabstimmung zum Verbandsnamen hatten wir in der letzten Ausgabe der HU-Mitteilungen zu Stellungnahmen aufgerufen. Nach den Diskussionen im Vorfeld der Fusion mit der Gustav Heinemann-Initiative (GHI), auf dem Lübecker Verbandstag (2008) und der letzten Delegiertenkonferenz (2009) sind die wesentlichen Argumente wohl ausgetauscht. Uns erreichten lediglich zwei neue Stellungnahmen, die wir hier zusammen mit einer Antwort des Bundesvorstands wiedergeben.

Ja zum neuen Vereins­namen

Die Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union (HU) am 13. /14. Juni 2009 in Frankfurt am Main und die Mitgliederversammlung der Gustav Heinemann-Initiative (GHI) am 13. Juni 2009 in Rastatt haben nahezu einmütig (HU: 3 Nein-Stimmen, GHI: 1 Enthaltung) dem Verschmelzungsvertrag zwischen der HU und der GHI zugestimmt. In der Präambel des Vertrages heißt es:

Die Mitglieder von HU und GHI werden sich nach dem Zusammenschluss in einer Urabstimmung auf einen neuen Namen für ihre Organisation verständigen.“

Es geht also nicht darum, ob der Vereinsname „Humanistische Union“ aufgegeben oder beibehalten werden soll, sondern um die Verständigung auf einen neuen Vereinsnamen. Alles andere wäre ein Wortbruch gegenüber den bisherigen GHI Mitgliedern, die im Vertrauen auf den Vertrag der Verschmelzung zugestimmt haben.

Hiervon einmal abgesehen: Im Gründungsjahr 1961 mag der Vereinsname Humanistische Union angebracht gewesen sein. Der Entwicklung zu einer Bürgerrechtsorganisation wurde der diffuse Vereinsname schon lange nicht mehr gerecht. HU-Geschäftsführer Sven Lüders hat in den Mitteilungen Nr. 208, Seite 27, die wesentlichen Argumente für einen neuen Vereinsnamen zusammengefasst. Ergänzend sei ein Blick in den „Oeckl. Taschenbuch des öffentlichen Lebens“ gestattet. Neben der Humanistischen Union tauchen dort Verbandsnamen auf wie: Humanistischer Verband Deutschlands, Humanistischer Verband Niedersachsen, Humanistischer Freidenkerverband Brandenburg, sowie – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zahlreiche Ableitungen, wie Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, Deutsche Gesellschaft für Humangenetik, Aktion Humane Schule, Humanistische Akademie. Es gibt oder gab sogar eine Humanistische Partei.

Dass mit der Namensänderung eine „Marke“ aufgegeben würde, dass die Worte „Humanistische Union“ sozusagen für Bürgerrechtsarbeit stehen, kann ich nach jahrzehntelanger Mitarbeit in der HU nicht bestätigen. Das gilt insbesondere für die Öffentlichkeitsarbeit. Um Journalisten die Einordnung zu erleichtern, hatte der Vorstand der HU schon vor langer Zeit beschlossen, in Pressemitteilungen nicht nur den Vereinsnamen Humanistische Union zu verwenden, sondern von der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zu sprechen. Statt solcher Hilfskonstruktionen wäre ein Vereinsname sinnvoller, aus dem die Verbandsarbeit bereits hervorgeht.

Für HU-Mitglieder, denen der Abschied vom gewohnten Vereinsnamen schwerfällt, und für die Öffentlichkeitsarbeit könnte für eine Übergangszeit im Kopf von Briefbögen und Pressemitteilungen der – künftigen – „Gesellschaft für Bürgerrechte“ folgender Zusatz angebracht werden: „Hervorgegangen aus der Humanistischen Union und der Gustav Heinemann-Initiative“.

Zwei Beispiele für Namensänderungen in jüngster Zeit: PDS und WASG haben sich zur Partei „Die Linke“ vereinigt. Aus dem Zusammenschluss von fünf Einzelgewerkschaften (ÖTV, DPG, HBV, IG Medien und DAG) ging 2001 die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft mit der Kurzbezeichnung „Ver.di“ hervor. Die Linke und Ver.di sind heute bei Medien und in der Öffentlichkeit feststehende Begriffe, was von der HU auch nach fast 50 Jahren nicht gesagt werden kann. Also Mut zum neuen Vereinsnamen Gesellschaft für Bürgerrechte (GFB).

Gerhard Saborowski, Hannover

Ein neuer Name für die HU? Besser nicht!

Warum überhaupt eine Namens­än­de­rung?

Der Name „Humanistische Union“ ist ein Markenzeichen. Mit dem vorgeschlagenen neuen Namen „Gesellschaft für Bürgerrechte“ (engl. „German Society for Civil Liberties“) würden wir unseren bisherigen Namen vollständig aufgeben. Das sollte ein unter seinem Namen gut eingeführter Verband wirklich nur dann tun, wenn es dafür absolut zwingende Gründe gibt. Diese scheinen uns keineswegs vorzuliegen.

Warum nicht eine Ergänzung unseres Namens unter Beibe­hal­tung des bisherigen?

Von den Befürwortern des vorgeschlagenen neuen Namens wird behauptet, der Name „Humanistische Union“ führe zu Verwechslungen mit anderen Organisationen, insbesondere mit dem „Humanistischen Verband Deutschlands“ (HVD). Überdies lasse der Namensteil „humanistisch“ nicht erkennen, dass wir uns als bürgerrechtliche Organisation verstehen. Wir wollen dieses Argument gar nicht von der Hand weisen, aber um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, wäre ein Aufgeben unseres Namens keineswegs erforderlich. Diesem Anliegen ließe sich dadurch Genüge tun, dass wir unserem Namen eine klarstellende Ergänzung anfügen. Einen entsprechenden Antrag hatte einer von uns, Theodor Ebert, schon für die Delegiertenkonferenz des letzten Jahres gestellt. Er lautete:

Der Name der Humanistischen Union wird in der Weise geändert, dass er in Zukunft nur noch mit dem Zusatz „für Menschen- und Bürgerrechte“ geführt wird.“

Übrigens würde diese Ergänzung auch einen Namensteil des vollständigen Namens der Gustav-Heinemann-Initiative aufnehmen, auf deren Drängen in erster Linie es ja zu einer Änderung des Namens kommen soll: „Gustav-Heinemann-Initiative für Menschenrechte und Frieden“. Dieser Antrag wurde auf der DK seinerzeit zurückgezogen. Dass nicht dieser Vorschlag, sondern der jetzt vorliegende der Mitgliedschaft zur Abstimmung vorgeschlagen wird, zeigt im übrigen, dass das hauptsächliche Ziel der Namensdiskussion tatsächlich die Tilgung des Namensteils „humanistisch“ ist.

Warum heißt die „Huma­nis­ti­sche Union“ eigentlich ‚huma­nis­tisch‘?

Natürlich gibt unser Verband mit dem Namensteil „humanistisch“ zu erkennen, dass wir einen deutlichen Akzent in Richtung Kritik, zwar nicht der Religion, aber doch der Religionsgesellschaften, der Kirchen, setzen. Auch wenn wir keine säkulare Organisation sind, antiklerikal sind wir schon. Warum kam es schließlich zur Gründung der HU? Weil es 1961 in München auf Betreiben der katholischen Kirche zum Verbot einer Aufführung von Mozarts Figaro kam, wegen des  ‚unsittlichen‘ Bühnenbildes (!). Das war der Auslöser, der Dr. Gerhard Szczesny dazu brachte, zur Gründung der Humanistischen Union aufzurufen. Im Gründungsaufruf sprach Szczesny „von dem immer unverhüllter und anmaßender zutage tretenden Versuch, eine Gesellschaft, die nur zu einem Teil aus gläubigen Christen besteht, dem totalen Machtanspruch einer christlichen Sprach-, Denk- und Verhaltensregelung zu unterwerfen.“ Ist das nicht mehr aktuell?

Der Name einer Organisation hat, wenn er gut gewählt ist, immer auch eine klare Signalwirkung an die allgemeine Öffentlichkeit. Und der Name „Humanistische Union“ ist zweifellos von Gerhard Szczesny gut gewählt worden: Er macht mit dem Namensteil „humanistisch“ klar, dass wir uns in die Tradition der europäischen Aufklärung stellen und uns kirchlichen Einflussnahmen und Machtansprüchen entgegenstellen. Der Umstand, dass mit dem Namensteil ‚Union‘ ein Wort gewählt wurde, dass auch die C-Parteien an Stelle von ‚Partei‘ in ihre Namen aufgenommen haben, setzt ‚humanistisch‘ umso deutlicher in Gegensatz zu ‚christlich‘. Das Signal: Hier sind Nichtchristen willkommen!

Die Satzung der HU bestimmt als Zweck des Vereins, „alle Bestrebungen zu fördern, welche (. . .) 3. die Unabhängigkeit des Staates und seiner Einrichtungen (. . .) gegenüber Machtansprüchen konfessioneller und weltanschaulicher Gruppen zu wahren suchen„. Und an wen ist denn bei konfessionellen Gruppen wohl zu denken? Na eben! Wenn wir als Humanistische Union versuchen „die Unabhängigkeit des Staates und seiner Einrichtungen“ zu wahren, so nicht um des Staates willen, sondern um dem selbstbestimmten Individuum die Möglichkeiten seiner Selbstverwirklichung in Freiheit und Mündigkeit zu garantieren. Das autonome, sich selbst bestimmende Individuum muss aber Organisationen suspekt sein und ihren Widerstand herausfordern, die den Einzelnen der Heteronomie eines göttlichen Gesetzgebers unterordnen wollen. Klar, – um das aktuellste Beispiel anzuführen – wenn Gott der Herr auch über Leben und Tod ist, dann hat der Mensch kein Recht, über seinen Tod selbst zu bestimmen, und der Widerstand der Kirchen gegen die Sterbehilfe ist dann nur konsequent. Das heißt aber für eine Vereinigung wie die Humanistische Union, die ihre politischen Aktivitäten am Leitbild des über sich selbst bestimmenden Individuums ausrichtet und die von daher ihr Engagement für Bürger- und Menschenrechte begründet, dass sie zu den Kirchen notwendig in einem sehr kritischen Verhältnis steht.

All das spricht für die Beibehaltung unseres bisherigen Namens, auch wenn der kirchenkritische Unterton manchen (neuen) Mitgliedern nicht sonderlich behagt!

Warum soll ‚huma­nis­tisch‘ aus unserem Namen verschwin­den?

Antwort: Weil in erster Linie bestimmte Personen der Gustav-Heinemann-Initiative das gerne möchten. Es reicht, dazu einen Absatz aus dem Protokoll der gemeinsamen Vorstandssitzung von GHI und HU (17./18. 10. 2008) zu zitieren:

Die Vorstände diskutieren mögliche inhaltliche Konflikte, die aus dem Engagement der HU zum Themenbereich Staat/Kirche entstehen könnten. Die Vertreter der GHI betonen, dass viele ihrer Mitglieder ihr politisches Engagement auf einem modern verstandenen Protestantismus begründen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass unter integrativen Aspekten eine staatliche Förderung von Religionsgemeinschaften durchaus wünschenswert sei (z.B. islamischer Religionsunterricht). Die Vertreter der HU betonen, dass sich die HU als religiös-weltanschaulich neutrale Organisation verstünde, die sich für eine strikte Trennung von Staat und Kirche einsetzt. (…) Der Vorschlag, das Engagement der HU zum Themenbereich Staat/Kirche bis zu einer verbandsinternen Klärung der Positionen mit den neuen Mitgliedern auszusetzen, sei für die HU nicht annehmbar (…).“

Manchen unter unseren neuen, protestantisch geprägten Mitgliedern passt eben die kirchenkritische Richtung der Humanistischen Union nicht. Manchen, nicht allen: das, was Ulrich Finkh, evangelischer Pfarrer i. R., zu den letzten Berliner Gesprächen in den Mitteilungen Nr. 208 gesagt hat, wird jedes HU-Mitglied nur begrüßen. Aber es gibt eben auch andere, und für sie soll dann eben ein neuer Name her, mit dem der ‚alten‘ HU der kirchenkritische Zahn gezogen werden kann. Die „neue Organisation“ (so die GHI-Vertreter laut Protokoll v. 17./18. 10. 2008) soll dann wohl auch „eine staatliche Förderung von Religionsgemeinschaften durchaus wünschenswert“ finden. Da ist mir doch der alte Name der alten Organisation viel lieber!

Der neue Name, farb- und konturenlos!

Mit seinem Namensvorschlag hat der Vorstand praktisch das übernommen, was schon von der GHI auf ihrer letzten Mitgliederversammlung als Namensvorschlag beschlossen war: „Gesellschaft (oder Vereinigung) für Bürgerrechte e.V.“ (s. den Bericht über die letzte Mitgliederversammlung der GHI in den HU-Mitteilungen 205/206 von 2009 S. 18f.). Der neue Name „Gesellschaft für Bürgerrechte“ scheint mir aber unter mehreren Gesichtspunkten ganz untauglich, um dem politischen Anliegen unseres Vereins ein semantisches Gesicht zu geben. Im Deutschen hat die Rede vom Bürger und seinen Rechten immer schon die Misslichkeit, dass das Wort „Bürger“ den bourgeois ebenso wie den citoyen bezeichnet. Natürlich soll der citoyen, der Staatsbürger, gemeint sein, aber dann hätte man doch besser gleich von staatsbürgerlichen Rechten reden sollen. Zwar hat man auf das Adjektiv „deutsch“ im (deutschen) Namen verzichtet, aber in der englischen Übersetzung („German Society for Civil Liberties“) taucht er dann plötzlich wieder auf. Sind wir jetzt also doch eine „(Deutsche) Gesellschaft für Bürgerrechte“? Wollte man im deutschen Titel den nationalen Touch vermeiden, warum lässt man ihn dann im englischen wieder herein?

Der neue Name ist ein Titel ohne wirklichen Biss, ein Allerweltsname, die Signalwirkung, die von unserem bisherigen Namen ausgeht, fehlt ihm vollständig. Er ist politisch farblos und ohne deutliche Kontur. Ein Alleinstellungsmerkmal unseres Verbandes lässt sich damit nicht kenntlich machen. Dass wir als „Gesellschaft für Bürgerrechte“ jemals jenen Wiedererkennungswert erreichen, den der Name „Humanistische Union“ uns verschafft hat, erscheint daher mehr als zweifelhaft. Und mit einer Abkürzung wie GfB treten wir in Konkurrenz zu allen möglichen Gesellschaften, etwa zur „Gesellschaft für Beschäftigungsförderung“ oder auch zu einer Catering-Gesellschaft, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wer an weiteren interessiert ist, der kann ja diese Abkürzung einmal bei Google eingeben. Was für den Namensvorschlag aus der Sicht der Befürworter einer Umbenennung spricht, ist wohl einzig die Tatsache, dass damit der Name „Humanistische Union“ gänzlich und für immer ausgelöscht wird. Wollen wir das?

À propos Verwechslung: Es gibt schon eine „Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde“. Diese Gesellschaft vergibt sogar jedes Jahr einen Menschenrechts-preis. Vielleicht werden wir in Zukunft mit denen verwechselt. Leider handelt es sich um einen Club von DDR-Nostalgikern, u. a. von früheren Stasi-Mitarbeitern. Den Menschen- rechtspreis des Jahres 1998 vergab diese Organisation an – Fidel Castro! Da sollten wir uns doch immer noch lieber mit dem HVD verwechseln lassen.

Im Jahre 2011 wird die Humanistische Union den 50sten Jahrestag ihres Bestehens feiern können. Wir hoffen sehr, dass sie das unter dem Namen wird tun können, den sie seit ihrer Gründung nicht ohne Erfolg und mit Stolz getragen hat: „Humanistische Union“.

Sophie Rieger, Nürnberg
Dr. Theodor Ebert, Erlangen

Für eine realis­ti­sche und faire Namens­de­batte

Gründungs­my­then und Humanis­mus­be­griff

Als Gerhard Szczesny im Juni 1961 seinen Aufruf zur Gründung einer Humanistischen Union (HU) an 200 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verschickte, wollte er mit dem Namen der zu gründenden Vereinigung einen Kontrapunkt setzen. Theodor Ebert und Sophie Rieger weisen in ihrem Text zurecht darauf hin, dass die HU eine Union sein sollte, die gegen den hegemonialen Anspruch der Christlichen Unionsparteien steht und die Religionsfreiheit für alle religiösen Überzeugungen und Weltanschauungen verteidigte – durch eine strikte Trennung von (persönlichem) Glauben und Staat. Worauf aber zielte Szczesny mit dem Humanismus? Und was ist aus jenem Humanismus geworden, den die Humanistische Union stets aus der Tradition der Aufklärung kommend für sich in Anspruch nahm?

Der Gründungsaufruf von 1961 zielte nicht gegen die Kirchen, sondern gegen die Politik. Schon die Geschichte jener Figaro-Aufführung, deren unsittliches Bühnenbild die Katholische Kirche auf den Plan gerufen habe und gegen deren Zensurgelüste sich der Gründungsaufruf richtete – ist ein Mythos. Er passt ins Bild des „antichristlichen Kampfbundes“, gegen das sich die HU seit ihrer Gründung zu erwehren hatte, und wurde später leichtfertig von uns selbst gepflegt. Der Mythos ist historisch dennoch falsch. Das besagte Theaterstück feierte am 30. September 1962 in Augsburg Premiere, da war die Humanistische Union längst im Vereinsregister eingetragen.

Der Humanismus, den Gerhard Szczesny vor Augen hatte, war kein Entwurf einer sinnstiftenden Ordnung, keine Ersatzreligion oder Weltanschauung. Im Gründungsaufruf hieß es dazu: „Diese ‚Humanistische Union‘ sollte eine Vereinigung sein, die die Solidarität unseres menschlich bürgerlichen Lebens ebenso entschieden pflegt und fördert wie die Pluralität unseres individuellen Daseins und Glaubens; sie hätte über das Bekenntnis zu einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung hinaus weder ein bestimmtes politisches noch ein bestimmtes weltanschauliches Programm zu vertreten.“ Für Szczesny bestand der Humanismus der HU also in einer strikten politischen wie weltanschaulichen Neutralität. Folglich lud er alle Christen, die der Ideologisierung und Politisierung ihres Glaubens überdrüssig waren, ausdrücklich dazu ein, in der Humanistischen Union mitzuwirken. Sein Angebot zeigte Wirkung: 1963 gaben 18 Prozent der Mitglieder an, dem katholischen und 35 Prozent dem evangelischen Glauben anzugehören; 40 Prozent stuften sich als konfessionsfrei ein (Hofmann 1967). Damit war die HU von Beginn an „unchristlicher“ als die deutsche Durchschnittsbevölkerung. Unter lebenspraktischen Gesichtspunkten ist jedoch festzuhalten, dass viele unserer Mitglieder den Humanismus der HU nicht als weltanschaulichen Gegenentwurf deuten.

Dass der von Szczesny gewählte Name in dieser Hinsicht mehrdeutig ist, wurde schnell klar. Bereits in einer Befragung aus dem Jahre 1963 (!) beklagte ein Mitglied: „Ich finde den ganzen Namen HU verkehrt, klingt so nach Goethes Humanismus“ (zit. nach Hofmann 1967, S. 131). 30 Jahre später diskutierte die HU erneut über ihren Namen, diesmal im Kontext der Gründung des Humanistischen Verbandes und der damit verbundenen Verwechslungsgefahren. Damals schlug Albert Eckert vor: „Und kennen wir nicht alle die zahllosen Missverständnisse, die sich bei HU-Interessenten mit dem Namen verknüpfen? Lieber sollte eines Tages – falls der ‚Humanistische Verband‘ größere Bekanntheit erreichen sollte – die HU sich einen neuen Namen geben, der sie unmissverständlich als Menschenrechtsorganisation ausweist“ (Mitteilungen 142, S. 31).

Was Albert Eckert befürchtete, ist tatsächlich eingetreten: Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hat uns nicht nur in ökonomischer Hinsicht überholt, sondern gewinnt auch zunehmend die Deutungshoheit über den Humanismus. Wurde um den Humanismus/Antihumanismus in den 1960er/1970er Jahren noch politisch gerungen, wächst der Humanismus heute mehr und mehr zur naturalistischen Weltanschauung heran, die sich in einem humanistischen Alltag von der Schule über Jugend und Familie bis zum Sterben bewähren will (s. dazu die Rezension auf S. 25 dieser Ausgabe). Derlei sinnstiftendes Engagement war nie das Anliegen der HU, und wir sollten heute gut überlegen, ob wir uns die immer wieder nötige Abgrenzungsarbeit zur „humanistischen Bewegung“ nicht durch eine Umbenennung ersparen können.

Die HU als Marken­zei­chen?

Gegen eine Umbenennung wird das Argument eines Markenverlustes (bzw. die Furcht vor einem Bedeutungsverlust) angeführt. Die Einschätzung eines solchen Risikos teilen wir nicht. Amnesty International hat vor zwei Jahren eine repräsentative Untersuchung in Auftrag gegeben (AI 2008), bei der die Bekanntheit von Menschenrechtsorganisationen abgefragt wurde. Bekannt waren demnach die Auftraggeber selbst (ai: 30 %), die UNO (21 %), die UNICEF (12 %) sowie die UNESCO, das Deutsche Rote Kreuz und eine Reihe kirchlicher Organisationen (alle max. 3 %). Die Humanistische Union tauchte in dieser Liste gar nicht erst auf.
Machen wir uns nichts vor! So wichtig unser Engagement auch ist, so erfolgreich wir manche Nadelstiche setzen können – die Humanistische Union ist definitiv keine Marke, die in einem größeren Kreis bekannt oder gar unersetzbar wäre. Mit unseren begrenzten Ressourcen erreichen wir spezialisierte Teilöffentlichkeiten, etwa die rechtspolitischen Korrespondenten, Abgeordnete oder Richter. In diesem überschaubaren Kreis ließe sich eine Namensänderung schnell und gezielt vermitteln. Alle anderen Kontakte zu Journalisten wie Interessenten beginnen auch heute mit der Frage: „Wofür steht eigentlich die Humanistische Union? Was macht Ihr?“

Ein neuer Name als Zugeständnis an die Gustav Heine­mann-I­n­i­tia­tive?

Neue Gruppen wachsen besser zusammen, wenn sie ihren Namen und damit einen wichtigen Teil ihrer Identität gemeinsam wählen dürfen. Das galt für die Ostdeutschen nach 1989 und gilt heute für die Mitglieder der ehemaligen GHI in unseren Reihen. Sich dem Integrationsbedarf einer Namensdiskussion ganz zu verweigern, entspricht der Mentalität eines elitären, geschlossenen Zirkels, aber nicht einer weltoffenen Organisation, wie sie die Humanistische Union sein will.

Wenn Sophie Rieger und Theodor Ebert so tun, als ob uns der GHI-Vorstand in den Fusionsverhandlungen eine Namensdiskussion aufgedrängt hätte, verdrehen sie schlicht die Tatsachen. Die Namensdebatte begleitet die Humanistische Union seit ihrer Gründungszeit. Ihr zentrales Motiv ist die jahrzehntelange Erfahrung (auch schon vor der Gründung des HVD), dass der Name ein falsches Signal setzt. Niemand vermutet dahinter eine Bürgerrechtsorganisation. Dieses Verwechslungspotential unseres Verbandsnamens erfährt, wer sich außerhalb der eingespielten Zirkel, im Kreise der Nicht-Kundigen bewegt. Allein zwei jüngere Veranstaltungen zeigen, wie missverständlich das religionspolitische Profil der HU von außen wahrgenommen wird: In der Ringvorlesung zu „60 Jahren Grundgesetz“ gelang es selbst unserer Vorsitzenden nicht, dem eingeladenen Referenten zum Religionsverfassungsrecht auszureden, dass die HU kein Weltanschauungsverband, sondern eine Bürgerrechtsorganisation sei. Und in diesem Jahr ermunterte uns der Vertreter der FDP bei den 4. Berliner Gesprächen, den (vom HVD) eingeschlagenen Weg der humanistischen Hospize, der Kindergärten etc. fortzusetzen. Dass eine Organisation, die sich humanistisch nennt, eine Bürgerrechtsorganisation und keine Gegenkirche sein wolle, konnte er nicht verstehen. Beides passierte wohlgemerkt bei unseren eigenen Veranstaltungen, in einem Kontext, in dem noch eine gewisse Bekanntheit vorausgesetzt werden darf.

Aus diesen Überlegungen halten wir eine Änderung unseres Vereinsnamens für sinnvoll. Der Vorwurf, damit ginge eine heimliche Verschiebung unserer Agenda einher, zielt eindeutig unter die Gürtellinie. Uns sind keine Bemühungen bekannt, die die kritische Position der HU zu den kirchlichen Privilegien in Frage stellen würden. Andererseits sehen wir keinen Platz für Denkverbote und Tabus – weder in der Humanistischen Union noch in der Gesellschaft für Bürgerrechte. Wir wollen auch in Zukunft kontrovers und fair um unsere Grundsatzpositionen streiten.

Die Mitglieder des Bundesvorstands

Quellen:
Amnesty International: Die Menschenrechte aus Sicht der deutschen Bevölkerung. Marktforschung, April 2008
Jürgen Hofmann: Die Humanistische Union. Eine Untersuchung über Struktur und Funktion einer neuen kulturpolitischen Vereinigung. München 1967
Arthur Vierbacher (Hrsg.), Der Obszöne Figaro. Eine Dokumentation in Wort und Bild zur Aufführung von „Figaros Hochzeit“ an den Städtischen Bühnen Augsburg. (= Sonderheft der kulturpolitischen Korrespondenz vorgänge), Augsburg 1963

Eine Chance für die Bürger­rechte?!

Lange habe ich gezögert, ob ich auf die wiederholten Einlassungen gegen die protestantisch geprägten Mitglieder der Gustav Heinemann-Initiative in der HU im Allgemeinen und meine Person als ehemaliger Synodalin in evangelischen Kirchenparlamenten im Besonderen reagieren soll. Ich antworte jetzt, weil ich von einem überzeugt bin: Die Bürgerrechtsbewegung in Deutschland braucht eine nüchterne Betrachtung ihrer Lage und die Kraft zu einem Neuanfang. Die Verschmelzung von GHI und HU bietet dafür eine Chance, die nicht verspielt werden sollte. Zwischen den beiden Vorständen in Berlin verliefen die vorbereitenden Gespräche und die Verhandlungen bis zu dem Verschmelzungsvertrag zwar nicht reibungslos, aber außerordentlich offen und zugeneigt: Wir waren und sind Realisten, auch in der Betrachtung unserer eigenen Organisationen. Beide sind mehr oder weniger überaltert und vor Ort auf eine Handvoll Aktive geschrumpft. Die jüngere Generation verbindet eine engagierte Bürger- und Menschenrechtsarbeit weder mit dem Namen Gustav Heinemann noch mit Humanistischer Union. Sie aber müssen wir  gewinnen, so schwer uns auch der Abschied von liebgewordenen Traditionen gefallen ist und noch fällt. In diesem Sinne haben HU und GHI vor einem Jahr beschlossen, einen neuen Anfang mit einem neuen Namen zu wagen: einem Namen, der vor allem auch im Internet sofort erkennbar macht, wofür wir stehen und wofür wir uns einsetzen. Beide Organisationen haben sich mit Skepsis und Optimismus zugleich auf den Weg der Urabstimmung verständigt.

Einen neuen Namen, mit dem eine andere Generation von Bürgerrechtsbewegten etwas anfangen kann, halte ich daher nach wie vor für richtig und wichtig. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings eine Bereitschaft zur Öffnung und eine Toleranzfähigkeit, welche die unterschiedlichen Strömungen und Entstehungsgeschichten der alten Bürgerrechtsgruppen und -initiativen anerkennt und respektiert. Zu den Mitstreiterinnen und Mitstreitern beim Kampf um Menschenrechte gehören heute ohne Zweifel auch kirchliche Gruppen und christlich geprägte Menschen so wie ich. Abgrenzungen und Streitigkeiten, die nur historisch zu erklären sind, bringen für die Zukunft nichts, schon gar nichts angesichts der kleinen Zahl von Engagierten. Wir brauchen diesen Neuansatz und an ihm sollten alle teilnehmen – die Optimisten wie die Skeptiker.

Jutta Roitsch-Wittkowsky, Frankfurt/M.

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