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vorgänge im Wandel

Wechsel zum Selbstverlag und Diskussion um neues Profil der Zeitschrift. Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 21f.

vorgänge im Wandel

Seit der Gründung im Jahr 1961 hat die Humanistische Union an ihrer Seite eine kritische Wegbegleiterin, die die großen gesellschaftspolitischen Themen aktuell und zugleich grundsätzlich behandelt: die „Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik.“ Die fünf Jahrzehnte umfassende Themengeschichte der HU und die mit ihr verbundenen großen intellektuellen Namen werden in dieser Zeitschrift in einzigartiger Weise gespiegelt. Nach wechselnden Verlagsanbindungen und einer einst breiteren Trägerschaft ist die HU nach der Fusion mit der Gustav Heinemann-Initiative inzwischen alleinige Trägerin der vorgänge. So wie die Humanistische Union den 50. Jahrestag ihrer Gründung im Herbst 2011 zum Anlass nahm, sich Gedanken um ihre Zukunftsfähigkeit und thematische Profilierung als weiterhin attraktive Bürgerrechtsorganisation zu machen, stehen die Vorgänge vor der Frage, wie das inhaltliche Konzept weiterentwickelt und neue Leserinnen und Leser gewonnen werden können. Die Veränderungen in der politischen und medialen Landschaft einschließlich veränderter Mediennutzung haben ihre Wirkungen auch bei den Vorgängen hinterlassen.

Anlass für die aktuelle Beschäftigung von HU-Bundesvorstand und Vorgänge e.V. mit der Zeitschrift waren die vom Berliner Wissenschaftsverlag (BWV) für notwendig gehaltenen Preiserhöhungen für den Bezug der Zeitschrift ab 2012. Auch wenn der Verlag damit nur tatsächlich anfallende Kosten abdecken wollte, erschienen die Preiserhöhungen aus Sicht der HU und des vorgänge e.V. für die Bezieher nicht zumutbar. Daher wurde das Vertragsverhältnis mit dem BWV zum 30. Juni 2012 gekündigt und die Preiserhöhungen nicht an die Abonnenten weitergegeben. Danach wird die Zeitschrift zunächst im Selbstverlag – wie das schon einmal vor Jahren der Fall war – weitergeführt.

Ein Kreis bestehend aus einigen HU-Vorstandsmitgliedern, der HU-Geschäftsführung, dem Redakteur Dieter Rulff und Vertretern des vorgänge e.V. ist seit Anfang des Jahres mit der Entwicklung eines veränderten inhaltlichen Konzeptes für die Zeitschrift und Vertriebsfragen befasst. Dazu wurden auch externe Experten herangezogen, die ihre Wahrnehmung zur Positionierung der Zeitschrift im publizistischen Umfeld sowie Marketing-Erfahrungen bei der Sitzung des HU-Bundesvorstands Mitte Januar 2012 in Berlin einbrachten.

Zu den strukturellen Problemen der Zeitschrift gehören mehrere Faktoren: Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich aus ihrem Konzept der Themenhefte, wie dies prominent auf dem Cover ausgewiesen wird. Wechselnde Schwerpunktthemen machen es schwierig, das Interesse aller Bezieher am jeweiligen Heft zu gewinnen; sie erschweren tendenziell auch Abonnement-Entscheidungen. Ohne den Ergebnissen der laufenden Umfrage bei LesernInnen und HU-Mitgliedern vorzugreifen (s. Beilage), gehen erste Überlegungen für ein neues Konzept daher in die Richtung, die Zahl der Artikel zum Themenschwerpunkt zu verringern, sodass etwa die Hälfte des Heftes für andere Inhalte und Formate frei wird. Die Planung der Schwerpunktthemen soll sich stärker an den politischen Diskussionsbedürfnissen und der Agenda der HU orientieren. Dazu prüft die Redaktion derzeit, welche publizisti- schen Themen sich aus der Ressortplanung (s. Seite 26 dieser Ausgabe) des Bundesvorstands ergeben. Durch eine bessere Verzahnung zwischen Zeitschrift und HU könnten sich die vorgänge stärker bürgerrechtlich akzentuieren. Sie sollen damit keinesfalls zum Verbandsorgan mutieren, diese Funktion bleibt den Mitteilungen vorbehalten.

Wie bisher soll es Essays, Kommentare und Buchbesprechungen geben. Für den vielleicht frei werdenden Teil jenseits der Schwerpunktbeiträge sind als neue Formate angedacht: nachrichtliche Beiträge (kurzen Artikel) zu aktuellen Themen; Dokumentationen von Positionspapieren, Thesen, Aktivitäten der HU – aus dem aktuellen Kontext (oder „historische“ Texte mit aktuellem Bezug); schließlich auch Porträts von Bürgerrechtsorganisationen bzw. interessanten Protagonisten der Bürgerrechtsszene.

Seit 2006 betreut Dieter Rulff die vorgänge, ihm zur Seite steht eine Redaktion, die dreimonatlich zusammenkommt, um die Heftplanung zu diskutieren. Seit kurzem ist die Runde durch einige junge Wissenschaftler erweitert worden, die – um nur diese beiden zu nennen – an die Seite von Jutta Roitsch und dem „Urvater“ der vorgänge, Prof. Dr. Michael Th. Greven, getreten sind. Ulrich Finkch ist nach langer Zugehörigkeit zur Redaktion auf eigenen Wunsch ausgeschieden.

Die vorgänge sind ein publizistisches Mischprodukt, das Elemente von Wissenschaftspublizistik ebenso aufgreift wie Formate politischer Zeitschriften. Als publizistisches Aushängeschild der Humanistischen Union wendet sich die Zeitschrift in erster Linie an ein intellektuell ausgerichtetes Nicht-Fachpublikum, für das seriöses Hintergrundwissen und Aufklärung über gesellschaftspolitische Vorgänge nach wie vor maßgeblich sind – ein Publikum, das auch von den gegenwärtigen inhaltlichen und organisatorischen Modernisierungsbemühungen der Humanistischen Union adressiert wird.

Zahlreiche junge WissenschaftlerInnen nutzen Zeitschriften wie die vorgänge, um zu publizieren und präsent zu sein, auch wenn es dafür kein Honorar gibt. Durch die Ankündigung von Schwerpunktthemen für das Folgeheft dürfte in der Vergangenheit bei potenziellen Autoren mitunter der Eindruck entstanden sein, als wäre thematisch schon alles festgelegt. Die vorgänge werden zukünftig durch „call for papers“ für die Schwerpunktthemen und auch für die anderen Formate der Zeitschrift deutlicher herausstellen, wie sehr die intellektuelle Attraktivität der Zeitschrift von interessanten Beiträgen lebt. Als Zeitschrift an der Nahtstelle zwischen Wissenschaft und Publizistik/ Journalismus wird es Aufgabe des koordinierenden Redakteurs sein, einen Ausgleich zwischen überforderndem Wissenschaftsjargon und tagesjournalistischer Darstellung zu finden.

Verstärkte Marketing-Aktivitäten müssen Entwicklungen ausgleichen, wie sie z.B. durch Sparzwänge bei den Universitätsbibliotheken und den damit verbundenen Zeitschriften-Kündigungen zu verzeichnen sind. Der Online-Auftritt der vorgänge soll an heute übliche Standards angeglichen werden, d.h. ein günstiger Bezug der Online-Ausgabe, Kaufmöglichkeit einzelner Artikel, das Angebot mehrerer frei verfügbarer Artikel, eventuell auch eine Option zur Online-Kommunikation über die Inhalte der Zeitschrift.

Grundlage der Neu-Profilierung der vorgänge sollen die LeserInnenbefragung und die Befragung der HU-Mitglieder zu den vorgängen sein (s. Fragebogen in der Mitte dieser Ausgabe). Wir würden es sehr begrüßen, wenn die HU-Mitgliedschaft sich rege an der Befragung zur Zeitschrift beteiligt und engagiert dazu beitrüge, das neue Konzept durch eigene Beiträge und Artikel umzusetzen. Die vorgänge stünden  zweifellos besser da, wenn neben neuen „externen“ LesernInnen auch wesentlich mehr HU-Mitglieder für die Zeitschrift gewonnen werden könnten. HU-Mitglieder können für einen Zusatzbeitrag von 20 € jährlich die vorgänge beziehen – und hätten damit einen erheblichen Mehrwert in den Händen.

Werner Koep-Kerstin,
Vorgänge e.V. und Bundesvorstand der HU

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