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Freiburg - Tacheles zu "Brauchen wir den Verfas­sungs­schutz?"

Mitteilungen07/2013Seite 15-16

Mitteilungen Nr. 221 (2/2013) S.15-16

Die Humanistische Union Baden-Württemberg und der Lehrstuhl für Strafrecht der Universität Freiburg hatten am xx. Juni zwei Kontrahenten zur Diskussion um den geheimdienstlichen Verfassungsschutz geladen:  Beate Bube, die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, sollte Sinn und Zweck der von ihr geleiteten Institution verteidigen. Ihr Konterpart war der langjährige  Bundesvorsitzende der Humanistischen Union und Rechtsanwalt in Bingen am Rhein, Till Müller-Heidelberg. Moderiert wurde die Diskussion, zu der 75 Besucher kamen, vom Journalisten Christian Rath.

Beate Bube wollte in ihrem Eingangsstatement die Legitimation des Verfassungsschutzes damit rechtfertigen, dass niemand sonst seine Aufgaben besser wahrnehmen könne. Die Polizei dürfe sich nur um konkrete Gefahren oder Straftaten kümmern. Es gebe aber im Vorfeld dessen Dinge, über die man Bescheid wissen wolle und deren staatliche und gesellschaftliche Kenntnis dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung diene. Zudem würden die Informationen an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Bezüglich des NSU-Skandals wies sie darauf hin, dass hier ein Großteil der Probleme auf polizeiliches und staatsanwaltschaftliches Versagen zurückzuführen sei.

Der Nicht-Verantwortlichkeit für das NSU-Versagen stimmte Till Müller Heidelberg zu. Nach seiner Auffassung gehen derart kriminell agierende Gruppen den Verfassungsschutz nichts an. Das strukturelle Problem des Verfassungsschutzes bestehe aber darin, dass er Meinungskontrolle betreibe. Meinungen, ebenso wie ihre Äußerung, seien aber von der Verfassung geschützt und dürften nicht überwacht werden, auch wenn sie sich gegen die Verfassung selbst richteten. Die Überwachung sog. „Extremisten“ und „Verfassungsfeinde“ sei problematisch, da es sich hierbei um juristisch kaum fassbare, politische Kampfbegriffe handle. Der Verfassungsschutz sei überflüssig wie ein Kropf: Privates gehe ihn nichts an; Öffentliches nehme die Gesellschaft selbst wahr und könne entsprechend darauf reagieren; die Verhinderung und Verfolgung von Gewalt sei schließlich Aufgabe der Polizei. Und als Frühwarnsystem funktioniere der Verfassungsschutz sowieso nicht.

Auch wenn der Verfassungsschutz selbst für die Ermittlungspannen im NSU-Fall nicht verantwortlich sei, so Till Müller-Heidelberg, zeige der Fall dennoch die Unsinnigkeit eines Verfassungsschutzes. Die Feststellung einer reinen Gewaltbereitschaft sei schlicht nicht möglich. Komme es zu Gewalt, müsse die Polizei richtig ermitteln und dürfe nicht auch noch durch den Verfassungsschutz dabei behindert werden. Dieser sei aber strukturell darauf aus, seine V-Leute zu decken und Informationen gerade nicht weiterzugeben. Der Versuch, die Verfassung durch die Beschäftigung ausgemachter Verfassungsfeinde als V-Leute zu schützen, sei absurd. Deren Informationen seien oft falsch oder gefiltert. Zudem stütze der Staat mit ihrer Bezahlung gerade diejenigen Bestrebungen, denen er entgegenwirken wolle.

Auch die anschließende Diskussion verlief kontrovers. Unter anderem stand die Frage im Raum, ob sich politische Umstürze und antidemokratische Entwicklungen durch einen Geheimdienst aufhalten ließen. Die bisherige Geschichte Deutschlands liefert eine eindeutige Antwort.

Jens Puschke

Zur Veranstaltung s. den Newsletter des Instituts für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht vom 14.6.13, abrufbar unter http://www.strafrecht-online.org.

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