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Bericht von der Mitglie­der­ver­samm­lung

Mitteilungen23308/2017Seite 1-3

in: Mitteilungen Nr. 233 (3/2017), S. 1-3

Drei Wochen, bevor sich die Regierungschefs der G20 in Hamburg trafen, fand in der Hansestadt die diesjährige Mitgliederversammlung der Humanistischen Union (HU) statt. Sie war mit rund 40 Mitgliedern durchschnittlich besucht, auch wenn nach Abschaffung des Delegiertenprinzips mehr Beteiligung möglich gewesen wäre.

Zum Auftakt diskutierten am Freitagabend (16.6.) der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar, und der Überwachungsforscher Nils Zurawski (Universität Hamburg) über die Risiken der Sicherheitspolitik. Unter der Überschrift „Mehr (Un-)Sicherheit durch Überwachung?“ gingen sie auf die Zielgenauigkeit, die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen der aktuellen Sicherheitsgesetze ein. Peter Schaar bemängelte, dass die meisten Sicherheitsgesetze keinerlei Bezug zum angeblich zu lösenden Problem aufweisen – dabei bezog er sich vor allem auf die Vorratsdatenspeicherung. Der vielzitierte Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit stelle sich eher als theoretisches Problem dar – in der Praxis würden Freiheitsrechte häufig für Maßnahmen geopfert, die keinen messbaren Sicherheitsgewinn erzielen. Er verwies darauf, dass die meisten Sicherheitsgesetze faktisch gegen Steuer- und Sozialbetrug eingesetzt werden, aber keinerlei Terror verhindern. Schaar sprach sich deshalb für eine systematische Prüfung und Bewertung sicherheitspolitischer Entscheidungen aus. Er verwies dazu auf die Anwendungs- bzw. Evaluationsberichte zu den Terrorismusbekämpfungsgesetzen, aus denen sich zumindest die Anwendungshäufigkeit und der Anwendungskontext der verschiedenen Befugnisse ablesen lasse.

Nils Zurawski wies auf die typischen Konjunkturzyklen in der Sicherheitsdebatte hin: Vor dem „Islamistischen Terrorirsmus“ gab es andere Leitbilder des Gefahrendenkens, etwa die organisierte Kriminalität, Sexualstraftäter … Zwischen diesen Leitbildern und der realen Gefahrenlage müsse sauber unterschieden werden, das Aufkommen eines neuen Leitbildes habe wenig mit steigenden Sicherheitsrisiken zu tun, sondern speise sich meist aus politischen/medialen Gründen.

Die anschließende Diskussion mit dem Publikum konzentrierte sich darauf, wie Bürgerrechtsorganisationen unter den gegenwärtigen Bedingungen agieren können und sollen, was von einer ernsthaften Evaluation der Gesetze zu erwarten ist und welche politischen Alternativen es zu den Überwachungsgesetzen gibt. 


Die Auftaktveranstaltung wurde vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden der HU, Prof. Dr. Fredrik Roggan (links) moderiert.

Am Samstagmorgen startete der offizielle Teil der Mitgliederversammlung mit den Berichten aus den Regionen und Arbeitsgruppen. Berichte gab es u.a. aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Marburg, und Niedersachsen. Neben den praktischen Schwierigkeiten der Vereinsarbeit gab es einige gelungene Beispiele für das bürgerrechtliche Engagement vor Ort, die zum Nachahmen einladen: etwa die Akteneinsichtsanträge und Klagen zu den Betreiberverträgen für Flüchtlings-Erstaufnahmeeinrichtungen (in Baden-Württemberg) bzw. zu Fragebögen für die Scheineheermittlung der Bremer Ausländerbehörde; die gutbesuchte Filmvorführung und Diskussion zu Fritz Bauer in München (s. Bericht in dieser Ausgabe der HU-Mitteilungen); die Erinnerung der Landtagsabgeordneten an die Einsparpotenziale bei den Staatsleistungen anlässlich der jährlichen Haushaltsberatungen (Niedersachsen) …

Der Arbeitsbericht des Bundesvorstands, den Werner Koep-Kerstin vortrug, stellte die organisatorischen Herausforderungen in den Mittelpunkt. Zunächst berichtete er über die Bemühungen um eine Organisationsreform und den Abschluss der Verfassungsschutzkampagne im vergangenen Jahr („erfolgreich gescheitert“), ging auf die schwierigen Rahmenbedingungen für Bürgerrechtsarbeit in der gegenwärtigen Zeit ein und stellte die nächsten Aufgaben und Themenschwerpunkte vor. Der neue Vorstand müsse sich – nach dem Auslaufen der Campaigner-Stelle und dem bald anstehenden Wechsel der Geschäftsführung – stärker mit der organisatorischen Aufstellung der Geschäftsstelle und des Verbandes befassen. Die Geschäftsführung ergänzte diesen Bericht mit Ausführungen zur Mitglieder- und Finanzentwicklung des Verbandes sowie den Arbeitsschwerpunkten des Büros.

In der Diskussion zu den Berichten gab es vor allem Rückfragen zum Spendenaufkommen für einzelne Projekte der HU (bes. Grundrechte-Report und Tribunal), zur Arbeitsweise der vorgänge-Redaktion und der Frage der Mitgliedergewinnung.

Die Antragsdebatte begann mit der Vorstellung des Leitantrags zum Social Media Einsatz in der HU. Dazu hatte sich eine fünfköpfige Arbeitsgruppe in den vergangenen Monaten ausgiebig mit den Möglichkeiten und Risiken eines Facebook-Auftritts befasst, Erfahrungen anderer NGOs eingeholt sowie Erwartungen von Mitgliedern und Interessierten erfragt. Die Ergebnisse und Empfehlungen der Arbeitsgruppe lagen als ausführliche Tischvorlage vor. In der Diskussion wurden die Bedenken gegen Facebook betont und die Frage nach Alternativen diskutiert – die es faktisch nicht gibt, wenn eine möglichst große Reichweite außerhalb des bestehenden Umfelds erzielt werden soll.


Anja Heinrich gab am Sonntag der Mitgliedschaft einen Überblick über den Stand der Gesetzgebung zur Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen und den unabhängigen Beschwerdestellen – ein Dauerbrenner der HU-Arbeit.

Als Kompromiss schlug der Antrag eine zeitlich begrenzte Erprobung des Social Media Einsatzes vor, der konsequent ausgewertet werden soll. Die Vorlage wurde nach ausführlicher Diskussion und einer sprachlichen Präzisierung des Beschlusstextes von der Versammlung mehrheitlich angenommen. Vor ihrer Umsetzung bedarf es jedoch weiterer Überlegungen und Konkretisierungen, insbesondere zu den Arbeitsschwerpunkten und zum Profil der HU, das derzeit im Vorstand diskutiert wird.

Im Anschluss diskutierte die Mitgliederversammlung über die derzeitigen Gesetzgebungen zum Verbot der Vollverschleierung. Anlass war ein Gesetzgebungsverfahren in Niedersachsen, wo ein interfraktioneller Vorschlag für ein gesetzliches Verschleierungsverbot für Schülerinnen an öffentlichen Schulen vorliegt. Hierzu wurde die HU um Stellungnahme gebeten. Kirsten Wiese, die das Thema Staat/Religion im Vorstand betreut, hatte sich dazu bereit erklärt; im Tenor mit zahlreichen Bedenken gegen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung. Gerhard Saborowski aus Hannover – der den Gesetzentwurf grundsätzlich befürwortete – bat die Versammlung um ein Votum, auf eine entsprechende Stellungnahme zu verzichtende, da zu diesem Thema kontroverse Auffassungen im Verband vertreten werden. In der lebhaften Diskussion wurde auf die Unterschiede zu den bisherigen Verboten (für Lehrerinnen, Referendarinnen etc.) hingewiesen – Schülerinnen unterliegen der Schulpflicht und treten nicht in staatlicher Funktion auf, ihre Bekleidung sei daher keine Frage der gebotenen staatlichen Neutralität. Nach der Diskussion, in der sich keine Mehrheit für einen Verzicht ergab, entschied sich der neu gewählte Bundesvorstand zur Abgabe einer Stellungnahme zum niedersächsischen Schulgesetz (s.S. 8 dieser Ausgabe).

Der Versammlung lagen weitere Initiativanträge vor, die zusammen mit den bereits vorab veröffentlichten Anträgen (s. Mitteilungen #232) diskutiert und entschieden wurden, darunter zur geplanten Abschaffung des Bargelds und zur Versammlungsfreiheit während des G20-Gipfels (Beschlüsse s.S. 4 ff.).

Bei den Wahlen zum Bundesvorsitz und dem Vorstand gab es keine Überraschungen: Werner Koep-Kerstin kandidierte erneut für den Vorsitz und wurde mit überzeugender Mehrheit gewählt. Aus dem alten Bundesvorstand traten Oksan Karakus, Mara Kunz und Sarah Thomé aus persönlichen Gründen nicht zur Neuwahl an, neu in den Vorstand wurde dafür Stefan Hügel gewählt.

Sven Lüders
Geschäftsführer

Alle Mitglieder können die Berichte von Vorstand/Geschäftsführung sowie das (vorläufige) Protokoll der Versammlung in der Bundesgeschäftsstelle abrufen.

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