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Böses TTIP – gutes CETA?

Was steht im Vertrag der EU mit Kanada?, in: Mitteilungen Nr. 232 (2/2017), S. 11-14

(Red.) Nachdem sich der HU-Landesverband NRW stärker in einer Volksinitiative gegen das CETA-Handelsabkommen engagiert, gab es verbandsintern kritische Stimmen, die die positive Bedeutung solcher Abkommen in Zeiten zunehmenden Nationalismus und ökonomischen Isolationismus hervorhoben. Aus diesem Anlass fasst Helge Klawitter noch einmal die Kritik an CETA/TTIP zusammen. Für Erwiderungen ist ggf. in der nächsten Ausgabe der HU-Mitteilungen Raum.

TTIP, das geplante Handelsabkommen der EU mit den USA, wurde nach drei Jahren Verhandlungen von der EU-Kommission „auf Eis gelegt“. Es gab keine Einigung zwischen europäischen und amerikanischen Wirtschaftsinteressen, und die nationalistische Gegnerschaft des neuen amerikanischen Präsidenten Trump gegenüber dem Freihandel macht ein Abkommen zur Zeit noch unwahrscheinlicher. Die bekannt gewordenen Planungen für TTIP enthalten nach Ansicht großer Teile der Öffentlichkeit Gefahren für die Demokratie sowie für den Schutz von Umwelt, Verbrauchern und Arbeitnehmern.

Im Unterschied dazu wird CETA, das Abkommen mit Kanada, das unterzeichnet ist und sich im Prozess der Ratifizierung befindet, von seinen Befürwortern als fortschrittliches und gegenüber TTIP deutlich entschärftes Freihandelsabkommen dargestellt. Ist es das?

Reform der Schieds­ge­richts­bar­keit berührt nicht den Kern des Problems

Skandalöse Beispiele für Klagen von Investoren gegen Staaten vor privaten Schiedsgerichten hatten zu einer Welle des Protests dagegen geführt, dass auch TTIP und CETA solche Klagemöglichkeiten enthalten sollten. Das Europäische Parlament verlangte daher für TTIP eine Reform solcher Investorenklagen, die dann auch noch nachträglich in den bereits fertig verhandelten CETA-Vertrag aufgenommen wurde. Er sieht jetzt ein ständiges Gericht anstelle der privaten Schiedsgerichte vor, mit einer Berufungsinstanz, weitgehend öffentlichen Verhandlungen und Richtern, die von der EU und Kanada ernannt werden. Neu ist auch ein Absatz, der das Recht der Staaten auf Gesetzgebung „zur Erreichung legitimer (!) politischer Ziele“ betont (Art. 8.9) – dem SPD-Abgeordneten Matthias Miersch zufolge „eine bloße Selbstverständlichkeit …, die jedoch durch unbestimmte Rechtsbegriffe ein Einfallstor für Auslegungsstreitigkeiten in sich trägt“.

Die Richter erhalten nur eine kleine Grundvergütung sowie Honorare für die tatsächlich verhandelten Fälle, haben also ein finanzielles Interesse daran, dass es möglichst viele Klagen gibt. Sie sollen Fachwissen über „Streitbeilegung im Rahmen internationaler Investitions- oder Handelsabkommen“ besitzen (Art. 8.27.4); d.h. sie werden nicht zuletzt aus dem Kreis derjenigen Juristen ausgewählt, die als Richter bei den privaten Schiedsgerichten tätig waren oder sind.

Der Kern der bisherigen Regelung bleibt erhalten: das Recht ausländischer Investoren, Staaten vor einem Sondergericht auf Schadensersatz für deren Gesetzgebung zu verklagen, wenn diese ihre Investitionen entwertet oder „den vernünftigen Erwartungen (!), die mit der Investition verbunden sind, zuwiderläuft“ (Anhang 8-A.2, S. 632-633 des Dokuments).

Neue Insti­tu­ti­onen konkur­rieren mit gewählten Parlamenten und Regierungen

Die EU und Kanada sollen gemeinsame Ausschüsse zur Auslegung und Umsetzung des Vertrags schaffen, an der Spitze den „Gemischten CETA-Ausschuss“. Seine Auslegungen sind für das Investitionsgericht und für die Vertragsparteien bindend (Art. 26.1.5 e, 26.3.2). In bestimmten Fällen kann er nach Inkrafttreten des Vertrages Ergänzungen beschließen – und dadurch nach der Ratifizierung durch die Parlamente Inhalte verändern! So kann er die Liste der möglichen Verstöße gegen die gebotene „gerechte und billige Behandlung“ von Investoren nachträglich erweitern, gegen die sich Investorenklagen richten können (Art.8.10.3). Die Mitglieder der CETA-Ausschüsse sollen nicht gewählt, sondern von der kanadischen Regierung und der EU-Kommission ernannt werden.

Eine „demokratische Rückbindung“ des Gemischten Ausschusses an den Wählerwillen in Deutschland forderte das Bundesverfassungsgericht als eine seiner Bedingungen an die Bundesregierung für die Zeit bis zur Entscheidung der Verfassungsklagen gegen CETA. In dem Urteil vom 13. 10. 2016 ging es noch nicht darum, ob CETA verfassungswidrig ist, sondern lediglich darum, ob den Klägern ein irreparabler Schaden entstehen würde, wenn es der Bundesregierung nicht durch eine einstweilige Anordnung untersagt würde, CETA zuzustimmen – dies verneinte das Bundesverfassungsgericht. 

„Regu­lie­rungs­zu­sam­me­n­a­r­beit“ kann  in Gesetz­ge­bung eingreifen

Wie TTIP sieht auch CETA eine „Regulierungszusammenarbeit“ vor. Die Vertragsparteien sollen die Möglichkeit haben, Informationen über geplante Gesetze zum frühest-möglichen Zeitpunkt (lange vor Beginn einer parlamentarischen Debatte) auszutauschen und den betroffenen Interessengruppen zwecks Stellungnahme zu übermitteln, Folgenabschätzungen in Bezug auf die Wirksamkeit und die Kosten der geplanten Gesetze und Maßnahmen vorzunehmen sowie Alternativen zu prüfen oder auch eine „Minimierung des Einsatzes handels- und investitionsverzerrender Regelungsinstrumente“ (!) anzustreben (Art. 21.4 b,d,e,f,r).

Bei CETA kommt das harmloser daher als bei TTIP geplant: lediglich als Kann-Bestimmung – nicht als Verpflichtung, sondern als Ermächtigung. Wer wird hier aber ermächtigt? Es sind die Vertragsparteien EU und Kanada, vertreten durch den „Gemischten CETA-Ausschuss“ und das „Forum für die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen“. Sie sollen das Recht erhalten, die Gesetzgebung der EU, Kanadas und der Einzelstaaten zu koordinieren und zu kontrollieren im Hinblick auf deren Folgen für Handel und Investitionen. Damit würden die gewählten Gesetzgeber bereits im Planungsstadium von Gesetzen einem Rechtfertigungsdruck unterworfen.

Auch CETA verstößt gegen den Grundsatz der Volks­sou­ve­rä­nität

Wenn der Vertrag erst ratifiziert ist, entscheiden nicht die Parlamente und Regierungen der Einzelstaaten oder das EU-Parlament, ob sie ihre gesamte künftige Gesetzgebung der Messlatte von größtmöglicher Handels- und Investitionsfreundlichkeit unterstellen lassen wollen, sondern der „Gemischte CETA-Ausschuss“ entscheidet das für sie. Matthias Miersch: „Es ist nicht zu verstehen, warum sich demokratisch legitimierte Parlamente vorher mit unzureichend legitimierten Gremien auseinandersetzen müssen. … Hierdurch findet eindeutig eine Einschränkung des Gesetzgebungsrechts der Parlamente statt.“

Artikel 20 des Grundgesetzes – „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ – bedeutet: Der souveräne Gesetzgeber darf, mit den nötigen Mehrheiten und Verfahren, alles beschließen, was nicht gegen Grund- und Menschenrechte verstößt. Er muss sich vor keinem nicht gewählten Gremium rechtfertigen. Ein Handelsvertrag, der dieses Recht einschränkt, geht weit über einen Handelsvertrag hinaus: De facto ändert er die Verfassung – ohne die hierfür geltenden gesetzlichen Verfahren und ohne eine Verfassungsdebatte.

Ist CETA denn noch zu stoppen?

Jetzt liegt erst Runde Nr. 1 hinter uns: Die europäischen Gremien haben zugestimmt. Jetzt kommt die Runde Nr. 2, es müssen noch 38 Parlamente in den Mitgliedstaaten zustimmen. Wenn nur eine Kammer CETA ablehnt, kann das Abkommen nicht in Kraft treten. Hinzu kommt die anstehende Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht.

Wir haben also noch 38+1 Chancen gegen CETA. Diese hier sind besonders erfolgversprechend:

Chance 1: Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt      

Das Hauptsacheverfahren gegen CETA hat noch gar nicht begonnen. Es kann erst nach Zustimmung von Bundestag und Bundesrat eingeleitet werden. Das Gericht hat schon bei der Verhandlung über die vorläufige Anwendung erkennen lassen, dass unsere Argumente stichhaltig sind. Zudem wird noch eine Verfassungsbeschwerde in Frankreich vorbereitet.

Chance 2: Belgien / Wallonie                 

Belgien hat seine Zustimmung im Herbst auf Druck der Wallonie an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Der EuGH wird von Belgien angerufen mit der Frage, ob die Schiedsgerichte mit Europarecht vereinbar seien. Die härteste Auflage ist: Solange die Schiedsgerichte in CETA enthalten sind, wird die Wallonie nicht zustimmen.

Chance 3: Österreich                      

In Österreich wurden bei einem Volksbegehren gegen CETA innerhalb einer Woche 560.000 Unterschriften gesammelt. Die notwendige Hürde liegt bei 100.000 Unterschriften. Leider kommt es nicht automatisch zum Volksentscheid, sondern das Parlament muss einer Abstimmung durch die Bürger/innen zustimmen. Die Allianz gegen CETA ist breit. Das Volksbegehren wurde von SPÖ-Bürgermeistern initiiert, unterstützt von Grünen sowie der FPÖ. Eine seltene Allianz. Der Handelsriese Spar (ähnlich wie Aldi oder Lidl bei uns) rief auf jedem Kassenbeleg gegen CETA auf. Der Druck auf Parlament und Regierung ist immens.

Chance 4: Nieder­lan­de-Re­fe­rendum            

In den Niederlanden kann eine Volksabstimmung gegen CETA erzwungen werden, wenn 300.000 Menschen innerhalb von sechs Wochen gegen das Ratifizierungsgesetz unterschreiben. Es gibt  schon über 200.000 Unterstützer/innen und ein großes Bündnis. Das ist eine der besten Chancen, CETA zu kippen. Es gibt auch noch die Möglichkeit, dass in Dänemark, Slowenien oder Irland ein Referendum über CETA stattfindet.

Chance 5: Deutschland                      

Bundestag und Bundesrat müssen CETA zustimmen. Im Bundesrat braucht es dafür 35 JA-Stimmen von den insgesamt 69 Stimmen. Die große Koalition hat derzeit nur 19 Stimmen. Aktuell sind in allen anderen Bundesländern Grüne oder Linke an der Landesregierung beteiligt. Wenn sie als Koalitionspartner nicht zustimmen wollen, muss sich das Bundesland enthalten und es fehlen die notwendigen JA-Stimmen. Wenn Grüne und Linke standhaft bleiben, hat CETA keine Chance. Mit Volksinitiativen in Schleswig-Holstein und NRW kämpfen wir dafür, dass das so bleibt!

Und in Bayern werden wir prüfen, ob das Volksbegehren zu einem späteren Zeitpunkt doch noch möglich ist. Denn das Gericht beruft sich in seiner Entscheidung darauf, dass noch kein Gesetz zur Ratifizierung von CETA im Bundestag und Bundesrat vorliegt. Zudem sei noch nicht klar, nach welchem Verfahren CETA im Bundesrat abgestimmt wird.

Quellen:

CETA-Vertragstext deutsch: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/ceta-vorschlag-fuer-einen-beschluss-ueber-die-unterzeichnung-des-wirtschafts-und-handelsabkommens-zwischen-kanada-und-der-eu,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf;

Matthias Miersch, SPD-MdB, Bewertung des CETA-Abkommens, 17. August 2016: http://matthias-miersch.de/imperia/md/content/bezirkhannover/miersch/2016/2016_08_16_matthias_miersch_-_bewertung_ceta.pdf/2016_08_16_matthias_miersch_-_bewertung_ceta.pdf

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts, 13. 10.2016: http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/bvg16-071.html

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