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„Hände weg von der Meinungs­frei­heit“

Aktivitäten der HU Südbayern gegen Einschränkung der Israelkritik. Aus: HU-Mitteilungen Nr. 234 (4/2017), S. 6/7

(Red.) Die von der BDS-Kampagne initiierten Boykottaufrufe gegen Israel stoßen in Deutschland auf viele Vorbehalte und zum Teil heftige Kritik. Jenseits grundsätzlicher Zweifel an Sinn und Wirkung solcher Boykotte – die vorrangig die Bevölkerung, nicht den Staat treffen – ist es fraglich, ob sie in Deutschland nicht das nationalsozialistische Vorbild assoziieren.

Die Auseinandersetzung um die BDS-Kampagne hat hierzulande die Diskussion um die Grenzen der Kritik an der israelischen (Regierungs-)Politik sowie verdeckten Antisemitismus neu entfacht: BDS verfolge – so die KritikerInnen – das Ziel einer Delegitimierung des Staates Israel und weise damit antisemitische Züge auf. Mittlerweile verweigern viele Städte und öffentliche Einrichtungen (vermeintlichen)  Unterstützer/innen und Vertreter/innen der BDS-Kampagne die Anmietung von Veranstaltungsräumen. Nachdem sich der südbayerische HU-Regionalverband entschlossen hatte, seinen „Aufrechten Gang“ an Judith und Reiner Bernstein zu verleihen, wurde ihm ein Raum im städtischen Veranstaltungszentrum Gasteig versagt. Der Regionalverband engagiert sich inzwischen gegen diesen Ausschluss israelkritischer Stimmen aus dem öffentlichen Raum und den Vorwurf eines (verdeckten) Antisemitimus. Der Bundesvorstand wird sich auf seiner nächsten Sitzung ebenfalls mit dem Thema befassen.

Weil im Münchner Rathaus CSU und SPD die Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleichsetzen, sollen keine kommunalen Räume für ihre Veranstaltungen zur Verfügung gestellt werden.

Der Antrag von CSU und SPD lautet:

Gegen jeden Antisemitismus! – Keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung („boykott, divestment and sanctions“)

Die Landeshauptstadt München

• steht solidarisch zu Israel und bekennt sich zu Israels Recht auf Existenz und Selbstverteidigung.
• verurteilt den weitverbreiteten Antisemitismus aufs Schärfste.
• stellt sich gegen die antisemitische BDS-Kampagne („boycott, divestment and sanctions).
• stellt städtische Räume nicht für BDS-Kampagnen oder Veranstaltungen, Ausstellungen oder Demonstrationen zur Verfügung, welche die Ziele von BDS verfolgen. 
• Kooperiert (in Form von Zuschüssen oder Raumvergaben) nicht mit Gruppierungen, welche die Ziele von BDS verfolgen.
• unterstützt keine Veranstaltungen in Form von Zuschüssen oder Raumvergaben, die für BDS werben oder die von Personen oder Organisationen veranstaltet werden, die auf der BDS-Unterstützerliste stehen. 

Begründung: Während „klassische“ antisemitische Argumentationsmuster in Deutschland an Bedeutung verlieren, ist zunehmend ein Antisemitismus zu beobachten, der über Umwege artikuliert wird – häufig als vermeintliche Kritik an Israel. Laut dem aktuellen Bericht des vom Deutschen Bundestag im Dezember 2014 eingesetzten Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus gaben 2016 zusammengefasst sechs Prozent der deutschen Bevölkerung ihre Zustimmung zu klassischem Antisemitismus, 26 Prozent zu sekundärem Antisemitismus und 40 Prozent zu israelbezogenem Antisemitismus“ (BT-Drs. 18/11970)

Antrag der Stadtratsfraktionen von CDU und SPD vom 11.07.2017

Dieser absurde Vorwurf trifft jetzt auch die Humanistische Union, d.h. der HU wird die Nutzung kommunaler Räume für die Preisverleihung verwehrt. Ob die geplante Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit einer rechtlichen Überprüfung standhalten würde, ist zweifelhaft. Münchner Persönlichkeiten veröffentlichten einen Protestaufruf, den wir unterstützen.

Hände weg von der Meinungsfreiheit in München!

Wir, Bürgerinnen und Bürger aus München und Umgebung, möchten frei und demokratisch diskutieren dürfen – auch über die Besatzungs- und Siedlungspolitik der israelischen Regierung und ihre Folgen für die Palästinenser. Die Mehrheitsfraktionen von SPD und CSU im Stadtrat wollen mit dem Antrag „Gegen jeden Antisemitismus!“ dieses vom Grundgesetz geschützte Recht in städtischen Räumen einschränken. Wir protestieren gegen die Unterstellung, hinter der Kritik an der israelischen Regierung verberge sich in Wahrheit eine antisemitische Gesinnung. Wir verurteilen Rassismus, Nazi-Terror und Antisemitismus. Wir bejahen das Existenzrecht des Staates Israel. Wir wehren uns dagegen, mit Juden-Hassern und Rassisten in einen Topf geworfen zu werden, weil wir uns auch für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser einsetzen. Alle internationalen Bemühungen um eine Lösung des Nahost-Konflikts sind gescheitert. Deshalb ist vor mehr als zehn Jahren auf Initiative palästinensischer Friedensgruppen weltweit eine zivilgesellschaftliche Bewegung entstanden, die versucht, die israelische Regierung zum Einlenken zu bewegen. Boykott wird international von vielen Staaten als gewaltfreies Druckmittel eingesetzt, wenn es zum Beispiel um Russland, Iran, oder Kuba geht oder früher um Südafrika. Wer sich jedoch wie die Münchner „Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe“ im Falle Israels für einen zeitlich befristeten Boykott bis zum Ende der Besatzung ausspricht, wird im Stadtratsantrag als „antisemi-tisch“ diffamiert. Diese Unterstellung ist haltlos: Gerade diese Gruppe bemüht sich seit 1985 um ein friedliches und gleichberechtigtes Miteinander von Israelis und Palästinensern im Nahen Osten.

Sollte der von SPD und CSU eingebrachte Antrag beschlossen werden, dann könnten viele internationale Referenten, z.B. auch der israelischen Friedensbewegung, nicht mehr in städtischen Räumen auftreten. Der Vortrag „50 Jahre israelische Besatzung“, den der israelische Journalist Gideon Levy (Haaretz) im Mai im Gasteig hielt, wäre künftig nicht mehr möglich. Selbst der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu dürfte nicht mehr im Gasteig sprechen. Wer mit falschen Begründungen Auftrittsverbote erlässt, beschädigt die Demokratie. Demokratie lebt von kontroversen Diskussionen. Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Berlin, hat kürzlich treffend festgestellt: „Wer Antisemitismus ruft, wo keiner ist, der schadet dem Kampf gegen den Antisemitismus.“ Wir sind in großer Sorge um die Informationsfreiheit in unserer Stadt. Deshalb appellieren wir an die Stadtratsmitglieder von SPD und CSU: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück!

ErstunterzeichnerInnen: Dr. Peter Barth, Politikwissenschaftler | Dr. Reiner Bernstein, Historiker – Gaby dos Santos, Kulturmanagerin | Lisa Fitz, Kabarettistin | Josef Hanneschläger, Schauspieler |  Gisela Heidenreich, Familientherapeutin und Autorin | Almut Hielscher, Journalistin | Henning Hintze, Journalist | Uta König, Journalistin und Filmemacherin | Ecco Meineke, Musiker und Kabarettist | Brigitte Obermayer, Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit | Anatol Regnier, Musiker und Schriftsteller | Clemens Ronnefeldt, Referent beim Internationalen Versöhnungsbund | Dr. Peter Scholze, Internist | Dr. Tilman Spengler, Autor | Dr. Johano Strasser, Schriftsteller | Stefanie Sycholt, Filmregisseurin und Autorin | Dr. Gerd Tersteegen, Rechtsanwalt | Michael Teutsch, Filmemacher | Martin Urban, Wissenschaftspublizist | Dr. Clemens Verenkotte, BR-Redakteur und früherer ARD-Korrespondent in Israel | Hans Well, Musiker, Kabarettist.

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