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Polizei­a­r­beit auch ohne ‚Racial Profiling’?

24. Juli 2013

Aufmerksamkeit für diskriminierende Polizeikontrollen in Deutschland steigt. Aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 134-142

Für viele Menschen in Deutschland gehört es zum Alltag: Egal wo sie sich aufhalten, was sie machen – sie werden immer wieder ohne jeden Anlass von Ordnern, Sicherheitsdiensten oder der Polizei angehalten und kontrolliert, ohne dass sie durch ihr Verhalten irgendeinen Anlass geliefert hätten. Das alles nur wegen ihrer Hautfarbe oder ihres nicht-europäischen Aussehens. Solche Diskriminierungen im Alltag lassen sich nur schwer nachweisen, der Vorwurf einer gezielten Benachteiligung meist schnell zurückgewiesen. Durch ein Gerichtsverfahren wegen rassistischer Personenkontrollen durch die Bundespolizei wurden im letzten Jahr auch viele Nicht-Betroffene und Menschenrechtsgruppen auf das Thema aufmerksam. Vera Egenberger schildert die Kontroverse um das „Racial Profiling“ und stellt erste Ideen für eine Lösung vor.

Der ‚Racial Profi­ling’-Fall, erster Teil

Ein junger Student wird im Dezember 2010 im Regionalexpress zwischen Kassel und Frankfurt a. M. von der Bundespolizei kontrolliert. Er ist deutscher Staatsbürger, ein Schwarzer. Er wird als Einziger im Abteil aufgefordert, seine Papiere zu zeigen. Die Prozedur kennt er bereits, es ist ihm schon mehrmals passiert, dass er jeweils als einziger im Abteil kontrolliert wird. Diesmal weigert er sich, den Beamten seinen Ausweis vorzulegen. Die Kommunikation zwischen den Polizisten und dem jungen Mann spitzt sich schnell zu, ein Wort gibt das andere. Schließlich äußerte er, dass ihn das Verhalten der Polizisten an SS-Methoden erinnere. Daraufhin nehmen ihn die Beamten zur Polizeidienststelle in Kassel mit. Dort wird sein Rucksack durchsucht, anhand eines Dokumentes seine Personalien festgestellt. Ein Beamter fühlt sich durch die Äußerungen des Studenten beleidigt und erstattete Strafanzeige. Im Gegenzug reicht der Student Klage gegen die Bundespolizei ein. Der Fall landet vor Gericht.
Im Verlauf der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Koblenz wird deutlich, dass der Beamte den Studenten einzig aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe kontrolliert hatte. In seinem Urteil wies das Verwaltungsgericht Koblenz (5 K 1026/11.KO)[1] die Klage gegen die Bundespolizei zurück. Die Richter sahen die Personenkontrolle als gerechtfertigt an. Die Polizei habe das Recht, verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchzuführen. Dabei dürfe, so das Gericht, auch nach dem äußeren Erscheinungsbild vorgegangen werden.
Damit war das erste Verfahren um ‚Racial Profiling’ vor einem bundesdeutschen Gericht vorerst abgeschlossen. Nachdem das Urteil bekannt wurde, sorgte die richterliche Entscheidung 2012 bundesweit für Aufruhr bei Antirassismus-Verbänden und Menschenrechtsorganisationen.

Was ist ‚Ethnic/Ra­cial profiling’?

Als ‚ethnic’ oder ‚racial profiling’ wird eine Praxis bezeichnet, bei der Personen allein aufgrund ihrer äußeren Erscheinung sowie der vermuteten Zugehörigkeit zu einer fremden ethnischen oder religiösen Gruppe bzw. ihrer Herkunft aus einem anderen Kulturraum für polizeiliche Maßnahmen ausgewählt werden. Dabei kann es sich beispielsweise um Personenkontrollen, Überwachungen oder beginnende Ermittlungshandlungen handeln. Für dieses Vorgehen gibt es in der deutschen Sprache noch keine angemessene Terminologie, daher werden die Begriffe ‚ethnic’ bzw. ‚racial profiling’ alternativ oder in Kombination verwendet.
Die Erstellung von Profilen ist grundsätzlich ein legitimes Mittel der polizeilichen Präventions- und Ermittlungsarbeit. Hier bilden das Erscheinungsbild, bzw. unveränderliche Eigenschaften wie Herkunft, Sprache oder Hautfarbe eines (möglichen) Täters, aber auch veränderliche Eigenschaften, wie das Verhalten, eine zentrale Rolle. ‚Profiling’ muss allerdings von Grundsätzen der Unschuldsvermutung und der Unparteilichkeit geleitet sein, um rechtsstaatlichen Ansprüchen zu genügen. Die Indikatoren für solche Verdächtigen- oder Täterprofile müssen daher auf fundierten Hinweisen bezüglich einer bestimmten Tat beruhen. Basiert das ‚Profiling’ dagegen nicht auf fundierten Annahmen, sondern nur auf unveränderlichen Eigenschaften wie der Hautfarbe oder dem vermeintlichen Migrationshintergrund, stellt dies eine Form von Diskriminierung dar.

‚Ethnic/Ra­cial Profiling’ in der Polizei­a­r­beit

Die Bundes- beziehungsweise Landespolizeien sind befugt, Personalien festzustellen, Fahrzeuge anzuhalten und zu durchsuchen, Massenkontrollen durchzuführen, Verhaftungen und Inhaftierungen vorzunehmen, gezielt Daten abzufragen und andere Überwachungsmaßnahmen zu tätigen. Hierbei werden immer wieder Profiling-Methoden eingesetzt, die mitunter ausschließlich auf ethnischen und/oder religiösen Zuschreibungen basieren. Sie treffen deshalb überproportional häufig Angehörige von Minderheiten. Das widerspricht dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Diese Form von Zuschreibung schließt von vorhandenen unveränderlichen Eigenschaften auf ein konkretes Täterprofil und führt zu illegitimen Stereotypisierungen und Verallgemeinerungen, die Menschen mit diesen unveränderlichen Merkmalen eine prinzipielle Affinität zu bestimmten Straftaten unterstellt. Eine mangelnde Kommunikation der Polizei mit den kontrollierten Personen kann die Problemlage noch verstärken. Betroffene fühlen sich bloßgestellt, schutzlos und als Kriminelle stigmatisiert. Das Gefühl der Ausgrenzung betrifft jene besonders stark, die hier, in ihrem Heimatland, als ‚Fremde’ eingestuft werden. Dies stört eine kooperative Zusammenarbeit von Angehörigen ethnischer Minderheiten und der Polizei in der Kriminalitätsbekämpfung. Zudem kann ‚Ethnic Profiling’ rassistische Tendenzen innerhalb der Mehrheitsbevölkerung verstärken. Es suggeriert der weißen Mehrheit, dass Angehörige der häufig kontrollierten Minderheiten irgendwie krimineller seien.

Der ‚Racial Profiling’ Fall – die Fortsetzung

Da er das oben erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichtes Koblenz nicht hinnehmen wollte, entschied sich der Kläger in Berufung zu gehen. Das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) unterstützte ihn in seinem Berufungsverfahren und führte gemeinsam mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) Öffentlichkeitsarbeit durch. Die Verhandlung beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz fand am 29.10.2012 in Koblenz statt. In der circa fünfstündigen Verhandlung wurden sowohl der Kläger als auch die Zeugen nochmals befragt. In der Verhandlung wurde letztlich die Unrechtmäßigkeit der Personenkontrolle des Klägers durch die Bundespolizei anerkannt. Diese entschuldigte sich förmlich beim Kläger für die Kontrolle. Die RichterInnen machten deutlich, dass für die „Befragung und die Aufforderung, Ausweispapiere vorzulegen, nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz im vorliegenden Fall (…) der Anknüpfungspunkt der Hautfarbe nicht zulässig (ist). Die Maßnahmen (erste Befragung und erstes Auskunftsverlangen der Polizeibeamten) verstießen gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 GG, so dass sie ermessensfehlerhaft waren.“[2]

Eine rechtliche Einschät­zung von ‚Racial Profiling’

Das Verbot von Diskriminierungen aufgrund der „Hautfarbe“ als eine Ausprägung rassistischer Diskriminierung ist ein elementarer Bestandteil der europäischen und internationalen Menschenrechtsschutzsysteme. Es geht hier um den grund- und menschenrechtlich verbrieften Diskriminierungsschutz, der in engem Zusammenhang mit dem Schutz der individuellen Menschenwürde steht.
Im Rahmen der Europäischen Union bestimmt der ‚Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen’, besser bekannt als ‚Schengener Grenzkodex’, wann, wo und wie die EU-Außengrenzen überschritten und wann Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten des Schengenraumes wieder eingeführt werden dürfen. Daneben darf die Polizei Personenkontrollen als Mittel der Strafverfolgung einsetzen. Schließlich sind Mitgliedsländer befugt, nach eigenem Ermessen eine Personalausweispflicht einzuführen. Alle diese Maßnahmen müssen allerdings den Gleichheitsgrundsatz wahren. Rassistische Diskriminierungen sind explizit nicht erlaubt.
Auf Bundesebene regelt das Bundespolizeigesetz die Aufgaben, als auch die Rechtsstellung der Bundespolizei. Gemäß §§ 22 und 23 ist die Bundespolizei dazu ermächtigt, zur Abwehr unerlaubter Einreisen in das Bundesgebiet verdachtsunabhängige Kontrollen auf Flughäfen, Bahnhöfen, in Zügen und im Grenzgebiet (bis zu einer Tiefe von 30 km) durchzuführen.
Die Nutzung von ethnischen Kategorisierungen in der Strafverfolgung ist nur mit einer soliden Informationsgrundlage und anhand ausreichender Beweismittel zu rechtfertigen. In der polizeilichen Präventionsarbeit stellt ‚Racial Profiling’ dagegen immer ein unangemessenes Mittel dar. Bei der Gefahrenabwehr und der Verhütung von Straftaten dürfen ethnische und/oder religiöse Zuschreibung einer Person nie als einziges oder ausschlaggebendes Merkmal für eine polizeiliche Maßnahme eingesetzt werden.

Politische Reaktionen

Auf eine Kleine Anfrage[3] von Bündnis 90/Die Grünen äußerte die Bundesregierung im August 2011, dass die unterschiedliche Behandlung von Personen „in Abhängigkeit von Rasse, Herkunft oder Religion“ nicht mit dem Verständnis von Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat vereinbar sei. Sie sprach sich damals ausdrücklich gegen ‚Ethnic Profiling’ aus. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom Februar 2012 fragte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erneut an[4], welchen Handlungsbedarf die Bundesregierung jetzt sehe und wie der im Vorjahr formulierte Anspruch einer nicht-diskriminierenden Polizeiarbeit eingelöst werde. In ihrer Antwort vollzog die Bundesregierung jetzt eine volle Kehrtwendung: Sie unterstrich, dass die Bundespolizei bei der Ausübung ihrer Befugnisse polizeiliche Erfahrungswerte und aktuelle Lageerkenntnisse heranziehen dürfe. Sie behauptete, die Bundespolizei selektiere bei ihren Personenkontrollen nicht nach Hautfarbe, Rasse oder Herkunft – dabei hatten aber gerade das die beteiligten Beamten vor dem Koblenzer Gericht bestätigt. Mit ihrer Umdeutung des Geschehens folgte die Bundesregierung der Argumentationsstrategie des Koblenzer erstinstanzlichen Gerichtes, mit der offenkundig auf äußeren Merkmalen basierende Personenkontrollen für zulässig erklärt werden.
Mit seinem Urteil vom 29.10.2012 stellte das Oberverwaltungsgerichtes klar, dass eine allein auf phänotypischen Merkmale begründete Personenkontrolle nicht mit Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz vereinbar ist. Eine Ungleichbehandlung aufgrund der Hautfarbe ist eine verbotene Diskriminierung, auch wenn sie einem legitimen Zweck dient, im vorliegenden Fall der Verhinderung und Verfolgung unerlaubter Einreisen in das Bundesgebiet.

Wie kann ‚Ethnic/Ra­cial Profiling’ bearbeitet werden?

Polizeibeamte können – wie andere Menschen auch – ihre Stereotype nicht immer zu Hause lassen, wenn sie zur Arbeit gehen und dort auf Muster des ‚drogendealenden Afrikaners’ oder des ‚muslimischen Terroristen’ zurückgreifen. Ein Dilemma, das einer nachhaltigen Bearbeitung bedarf.
Die nächstliegende Antwort darauf, wie ‚Racial Profiling’ bei Personenkontrollen wegen des Verdachts auf illegalen Aufenthaltes beendet werden können, wäre eine Streichung des Paragrafen 22 (1a)[5] Bundespolizeigesetz. Das hieße, auf verdachtsunabhängige Personenkontrollen in Bahnhöfen, auf Bahnstrecken, oder an Flughäfen zu verzichten. Genau dies forderten das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) in ihrer Petition zu ‚Racial/Ethnic Profiling’, die im November 2012 beim Petitionsausschuss des deutschen Bundestages eingereicht wurde. Über 12.000 Unterstützer/innen kamen zusammen und wiesen die Bundesregierung einmal mehr auf das Problem hin.

Ein Blick über die Grenzen: Vorbild Großbri­tan­nien?

Ein Blick nach Großbritannien könnte helfen, konkrete Vorschläge zur Bearbeitung des Problems in Deutschland zu entwickeln. Im April 1993 war der 18-jährige Schwarze Brite Stephen Lawrence in London an einer Bushaltestelle erstochen worden. Erst 2012 konnten zwei der vermutlich fünf Täter verurteilt werden. Für ihr Verhalten bei der Aufklärung des rassistisch motivierten Mordes wurde die Londoner Polizei heftig kritisiert. Sie hatte die rassistische Motivation lange negiert; Beweismittel und Zeugenaussagen hierzu nicht ernst genommen. Auf öffentlichen Druck hin wurde 1997 eine Untersuchungskommission einberufen, die 1999 einen Bericht mit weitreichenden Empfehlungen veröffentlichte, die sich vor allem an die britische Polizei richteten. Das britische Innenministerium versuchte daraufhin, tiefgreifende Veränderungen in der Struktur, der Arbeitsweise und der Verantwortung der Polizei gegenüber der Bevölkerung umzusetzen. So wurde die Kommunikation mit Angehörigen von Opfern rassistischer Gewalt verbessert, die Rekrutierung von Beamten aus so genannten „Minderheiten Communities“ forciert, und rassistisch motivierte Straftaten erfasst.
Eine weitere Empfehlung aus dem erwähnten Bericht zielte darauf ab, mittels einer polizeilichen Informationskampagne die Bevölkerung besser über den rechtlichen Rahmen der Personenkontrollen zu informieren. Statistiken der vergangenen Jahre weisen darauf hin, dass beispielsweise in London überproportional viele Menschen mit ‚Black and Minority Ethnic’ Hintergrund – wie ethnische Minderheiten in Großbritannien genannt werden – kontrolliert wurden. Das Innenministerium setzte daraufhin eine genauerer Datenerhebung und -veröffentlichung durch, die das Problem sichtbarer machten und es NGO’s ermöglichten, sich in die Diskussionen einzubringen. So veröffentlicht das Innenministerium mittlerweile auf seiner Webseite Informationen darüber, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen Personenkontrollen überhaupt durchgeführt werden dürfen. Zugleich bietet es eine Anleitung dafür, wie eine Beschwerde wegen einer Personenkontrolle eingereicht werden kann. Außerdem hat die britische Menschenrechtskommission – eine von Polizei und Staat unabhängige Institution – das Mandat, die Polizeipraxis bei Personenkontrollen zu untersuchen und aus der Menschenrechtsperspektive zu beleuchten. Sie veröffentlichte inzwischen umfassende und kritische Analysen. Auf ein hohes Maß an Transparenz wird augenscheinlich Wert gelegt.
Vor allem aber wurde die Methodik der Personenkontrollen selbst überarbeitet. In einer neu eingerichteten Datenbank werden jetzt alle polizeilich durchgeführten Personenkontrollen in Großbritannien zentral erfasst. Zu den gespeicherten Daten gehören die Namen der kontrollierenden Beamten, der Anlass der Kontrolle und Angaben zur kontrollierten Person. Die persönlichen Daten der Kontrollierten werden anonymisiert und gelangen nicht an die Öffentlichkeit. Die Angabe der ethnischen Zugehörigkeit – die in Großbritannien durchaus gebräuchlich ist – ist dann möglich, sofern die kontrollierte Person dies wünscht und ihre ethnische Zugehörigkeit selbst definiert. Die kontrollierte Person erhält einen Durchschlag der erfassten Informationen. So soll sich nachvollziehen lassen, welche Personengruppen verstärkt kontrolliert werden. Gleichermaßen bedeutet dies, dass Betroffene nun wissen, welche Beamte sie kontrolliert haben, sofern sie eine Beschwerde gegen die Polizei erwägen.
In Großbritannien werden heute zudem Beschwerden gegen Polizeibeamte nicht mehr von der Polizei selbst bearbeitet und untersucht. Einer Empfehlung der Stephen Lawrence-Untersuchungskommission folgend wurde die Beschwerdestelle der Polizei (Police Complaints Authority, PCA) durch die Unabhängige Beschwerdekommission der Polizei (Independent Police Complaints Commission, IPCC) [6] ersetzt. Diese neue Stelle ist strukturell von der Polizei unabhängig und hat das Vertrauen gestärkt, bei missbräuchlichem Verhalten von Beamten Beschwerden einzureichen. Kritische Stimmen werfen der IPCC jedoch vor, sie analysiere die Beschwerden eher aus der polizeilichen Perspektive und nicht aus der Sicht der Beschwerdeführer.
Wie fragil solche Reformbemühungen sein können, zeigen leider die Londoner Aufstände vom August 2011. Die Eskalation von Polizeigewalt und Gegengewalt macht deutlich, wie abhängig die Umsetzung von Polizeireformen von der politischen Großwetterlage ist. Trotz der seit dem Regierungswechsel (2010) zunehmend sichtbaren Erosion bietet die britische Praxis zahlreiche positive Ansätze für eine diskriminierungsfreie Polizeiarbeit. Die dabei gewonnenen Erfahrungen sollten dafür genutzt werden, um zielgerichtet und nachhaltig die deutsche Praxis des ‚Racial/Ethnic Profiling’ zu ändern.

Welche Schritte werden zurzeit in Deutschland vorge­nom­men?

Bis sich in Deutschland ähnliche Prozesse realisieren lassen, wird es wohl noch eine ganze Zeit dauern. Immerhin, seit 2012 vernetzen sich zahlreiche NGOs und interessierte Gruppen zum Thema und haben erste Kooperationen gestartet. Ende 2012 legten die ISD und das BUG die bereits erwähnte Petition beim Petitionsausschuss des Bundestages vor. Die Petition mobilisierte viel Aufmerksamkeit für das Problem. Zusammen mit der Koblenzer Klage konnte in der zweiten Jahreshälfte 2012 ein beachtliches Medienecho zum ‚Ethnic/Racial Profiling’ erzielt werden, wie ein Pressespiegel auf der Website des BUG[7] illustriert. Der Petitionsausschuss wird das Thema nun intern besprechen, für weitere bundespolitische Initiativen bleibt vorerst die Wahl abzuwarten.
Mehrere Organisationen versuchen derzeit, den Diskriminierungsschutz im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu stärken, da dort der Tatbestand des ‚Ethnic/Racial Profiling’ sowie die institutionelle/strukturelle Diskriminierung weitgehend integriert sind. Auf einer Vernetzungstagung im Juni 2013 in Berlin wurde intensiv über strukturellen bzw. institutionellen Rassismus’ in der Polizei diskutiert. Da die Polizeigesetzgebung weitgehend in der Hoheit der Länder liegt, sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für verdachtsunabhängige Personenkontrollen als auch deren praktische Umsetzung von Land zu Land unterschiedlich. Deshalb ist geplant, über parlamentarische Anfragen zu klären, ob die existierenden Landespolizeigesetze jeweils mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes Artikel 3 Absatz 3 vereinbar sind. Ferner wurde vereinbart, ein Konzept für eine unabhängige Beschwerdestelle für die Polizei zu erarbeiten. Weitere Klagen von Betroffenen des ‚Ethnic Profiling’ würden sowohl die öffentliche Debatte als auch die rechtliche Bearbeitung der Probleme befördern.

Der Blick von Außen

Die Blindheit der deutschen Sicherheitsbehörden gegenüber den rassistischen Hintergründen der NSU-Mordserie sowie Fragen des institutionellen und strukturellen Rassismus – gerade auch der Polizeiarbeit – waren der Schwerpunkt bei der zweiten Anhörung zum Universal Periodic Review (UPR) über die menschenrechtliche Situation in Deutschland vor dem UN-Menschenrechtsrat im April 2013. Die deutsche Regierungsdelegation unter Leitung des Menschenrechtsbeauftragten Markus Löning sah – bei allem Bedauern über die NSU-Vorfälle – keinerlei gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Im Bericht der Anhörung heißt es dazu: „In concluding, the Commissioner stated that racial profiling was prohibited by law. This has been recently confirmed by a court decision. There was no need for any additional legislation in this regard. Awareness must be raised and maintained through specific training of police officers.” (Draft report of the Working Group on the Universal Periodic Review Germany, A/HRC/WG.6/16/L.7 no. 121) Bei einer anschließenden Konsultation deutscher Menschenrechtsorganisation bekräftigte die Vertreterin des Bundesinnenministeriums diese Sicht der Dinge: Bei der Koblenzer Entscheidung handle es sich um einen – gerichtlich korrigierten – Einzelfall, über häufigere Vorfälle dieser Art sei nichts bekannt.
Der alleinige Verweis auf die Rechtslage vermag jedoch überhaupt nicht zu überzeugen. Er bestätigt aus Sicht der betroffenen Bürger vielmehr jene kognitive Blindheit gegenüber strukturell-rassistischen Verhaltensweisen in der Polizei – das Problem wird einfach wegdefiniert. Es wird deshalb intensiver Lobbyarbeit bedürfen, um die Tragweite des Problem sichtbarer zu machen.

VERA EGENBERGER ist Geschäftsführerin des Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) mit Sitz in Berlin. Das BUG ist ein gemeinnütziger Verein, der Menschen mit Diskriminierungserfahrung unterstützt, die sich entschieden haben, dagegen zu klagen. Dabei liegt der Fokus auf strategischen Klagen, die nicht nur einzelnen Personen, sondern einer ganzen Gruppe zugute kommen. Das BUG erfüllt die Voraussetzungen nach § 23 AGG, um als Beistand bei Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vor Gericht aufzutreten.

Anmerkungen

1Siehe http://www.anwaltskanzlei-adam.de/download.php?f=0da80a58fdeeaf91b01721346561d430
2Aus dem Protokoll des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz – Az.: 7 A 10532/12.OVG vom 29.10.2012
3BT-Drs. 17/6778, siehe: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/067/1706778.pdf.
4BT-Drs. 17/10007, siehe: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/100/1710007.pdf.
5BPolG, § 22 (1a) Zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet kann die Bundespolizei in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes (§ 3), soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, daß diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden, sowie in einer dem Luftverkehr dienenden Anlage oder Einrichtung eines Verkehrsflughafens (§ 4) mit grenzüberschreitendem Verkehr jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, daß mitgeführte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen.
6Siehe http://www.ipcc.gov.uk/en/Pages/default.aspx
7Siehe http://www.bug-ev.org/fileadmin/user_upload/Pressespiegel_3.doc.pdf.

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