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Der litera­ri­sche Maulwurf (I)

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 107-09

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 107-09

In dieser neuen Kolumne werden in jedem Heft wichtige Titel aus Taschenbuch- und Paperbackreihen angezeigt werden. Der Rezensent will versuchen, sich gleich einem fleißigen Maulwurf durch die Berge von Neuerscheinungen zu arbeiten und auf Beachtenswertes, das andernfalls leicht übersehen wird, hinzuweisen.
Den Anfang soll eine Taschenbuchreihe aus dem Verlag C. F. Müller machen mit dem Titel: Recht — Justiz — Zeitgeschehen, die sich keineswegs nur an Juristen, sondern gleichermaßen an den politisch interessierten Zeitgenossen wendet, im allgemeinen Buchhandelssortiment aber viel zu schwach vertreten ist. Die Bändchen, deren Themen durch den Reihentitel abgegrenzt sind, werden von qualifizierten Fachleuten bearbeitet. Sie befassen sich oft mit Fragen, deren gesetzliche Regelung bevorsteht, was ihnen eine besondere Aktualität sichert.

So untersucht der im vergangenen Jahr verstorbene Staats- und Steuerrechtler Friedrich Klein in Band 19 Vermögensbildung und Eigentumsgarantie die verfassungsrechtliche Problematik der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen — allerdings beschränkt auf Art 14 GG — und gibt als Grundlage seiner Untersuchung auch einen höchst informativen Überblick über die vorliegenden Vorschläge von SPD, DGB und FDP. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß alle drei Konzeptionen weitgehend übereinstimmen, die geplanten Maßnahmen zwar nicht als Enteignung im Sinn des Art 14 Abs 3 Satz 1 GG zu beurteilen, aber als Eigentumsumschichtung ohne Entschädigungspflicht verfassungswidrig seien. Kleins Prüfung erfolgt anhand des herkömmlichen Eigentumsbegriffs. Er fragt nicht danach, ob nicht Eigentum, genauer: Eigentum am wachsenden Produktivvermögen anders begriffen werden kann, ob es nicht — wie alle anderen verfassungsrechtlichen Begriffe auch — einem Bedeutungswandel unterliegen kann, der freilich nicht von Gesetzes wegen dekretiert werden kann. Hier wie auch in der Notwendigkeit der Weiterentwicklung der vorliegenden Vermögensbeteiligungsentwürfe dürften die Ansatzpunkte zur weiteren Diskussion liegen. Kleins Untersuchung bildet hierfür jedenfalls eine solide Grundlage.
In Band 17 Des Bürgers teure Diener setzen sich Eberhard Moths und Monika Wulf Mathies kritisch mit der Ministerialbürokratie auseinander, der beide Autoren selbst angehören. Ihre Ergebnisse, gewonnen aufgrund von Befragungen von Hilfsreferenten, die Schlüsselstellungen im System der ministeriellen Entscheidungsvorbereitung innehaben: Das hierarchische System ist untauglich für kreative und innovative Arbeit, es gibt keine Motivation für Leistung, Kontrollinstanzen fehlen. Jedem, der sich mit Problemen der Verwaltungsstruktur und ihrer Reform befaßt, ist das Bändchen zu empfehlen.
Bereits in 2. Auflage ist Band 10 erschienen, Die Verbrechen in der Wirtschaft, hrsg von Klaus Thiedemann, mit Beiträgen, die aus Forschungsaufträgen, Referaten sowie aus dem wirtschaftsrechtlichen Seminar, das der Herausgeber mehrere Jahre lang an der Universität Gießen abgehalten hat, hervorgegangen sind. Von Thiedemann selbst stammt die Einführung, in welcher er aufzeigt, vor welche Probleme die verschiedenen Formen, Ursachen und Erscheinungsweisen der Wirtschaftskriminalität die (präventive und repressive) Gesetzgebung stellen. Es folgen dann monografische Beiträge zur Außenhandelskriminalität, insbesondere der Subventionserschleichung, zur Erschleichung staatlicher Finanzhilfen für die Landwirtschaft als Vereitelung der Agrarpolitik, zum unrechtmäßigen Bezug von Wohnungsbauprämien, zu Embargoverstößen im System des .Außenwirtschaftsstrafrechts, zu dem in letzter Zeit in der öffentlichen Diskussion gerade hervorgetretenen Thema des Versicherungsmißbrauchs, drei Berichte diskutieren die Schwierigkeiten von Witschaftsstrafverfahren für Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft sowie für Schöffen, Sachverständige und Zeugen. Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen behandelt ein bekannter Strafverteidiger; seine Auseinandersetzung mit Gesetzgebungsvorhaben ist weitgehend überholt, weil die von ihm kritiserten Pläne großenteils zum 1.1.1975 geltendes Recht wurden — mehr zur Erleichterung der Aburteilung denn zur Festigung des Rechtsstaats. Rudolf Wassermann versucht schließlich in seinem Schlußbeitrag „einige Richtpunkte” zur künftigen Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zu setzen: so etwa die Forderung nach exakter Analyse von Erscheinungsformen und Ursachen der Wirtschaftskriminalität, nach operativer Planung der Strafverfolgung, Bildung von Schwerpunktdezernaten und — nicht zuletzt — nach Aufklärung, um bei den direkten und indirekten Opfern (zu denen jeder Steuerzahler gehört) eine Veränderung des Bewußtseins herbeizuführen, daß Steuerhinterziehung oder Subventionserschleichung eben nicht Kavaliersdelikte sind, sondern — gerade wenn sie in großem Stil begangen werden — im höchsten Maße gemein-schädliche Verhaltensweisen. Ein Beitrag zu dieser Aufklärung ist die Lektüre des besprochenen Buches, von der man sich nicht durch für viele unattraktive Begriffe wie „Außenhandelskriminalität”, „Embargoverstöße” oder „Subventionserschleichung” abhalten lassen sollte. Die Beiträge, auf die in diesem Rahmen leider nicht näher eingegangen werden kann, sind durchweg für jedermann verständlich geschrieben.
Einem rechts- und sozialpolitischen Thema ist auch Band 18 gewidmet, Rechtsberatung unentgeltlich, in welchem Armin Schoreit sich mit der Einrichtung von „Rechtsauskunftsstellen für jedermann als soziale Gemeinschaftsaufgabe” — so der Untertitel — beschäftigt. Rasehorn hat den Band bereits in Vorgänge 13/1975, Seite 116, besprochen. Doch sind seiner Rezension noch einige kritische Anmerkungen hinzuzufügen. Schoreit zeigt zwar die Probleme von Rechtsberatungsstellen auf, beschreibt aber die von ihm erwähnten derzeit bereits praktizierten, aber unterschiedlich organisierten Modelle nicht ausreichend, insbesondere auch diejenigen, die der Autor für vorbildlich hält (wie etwa das von Hamburg), so daß der Leser sich kein befriedigendes eigenes Bild machen kann. Seine entschiedene Ablehnung eines von Rechtsanwälten getragenen Systems verstellt ihm zudem die Sicht für die originären Aufgaben der Anwaltschaft und deren Engagement hierfür, so daß die Darstellung Schoreits insoweit notwendig einseitig ist. Präventive Rechtsberatung etwa ist — entgegen der Annahme von Schoreit — ein wichtiger, oft der überwiegende Tätigkeitsbereich eines Rechtsanwalts, die reine „Prozeßkanzlei” dürfte die Ausnahme sein, wie der Beruf des Rechtsanwalts zu den helfenden, sozialen Berufen gehört, mit ihm immer ein Stück Sozialarbeit verbunden ist, wenn auch die Struktur der einzelnen Kanzleien erhebliche Unterschiede aufweist. Damit soll nicht geleugnet werden, daß die Schaffung öffentlicher Rechtsauskunftsinstitutionen nützlich und notwendig ist. Ein Verzicht auf die Anwaltschaft hierbei scheint allerdings wenig sinnvoll, die Heranziehung von in Rechtsberatung dilettierenden Richtern eine zweifelhafte Sache, denn in der Rechtsprechung tätige Juristen haben selten den für die Rechtsberatung erforderlichen Überblick. — Schoreit bietet eine (höchst informative) Bestandsaufnahme, er formuliert „Schlußfolgerungen”, entwickelt aber keine eigenen Modelle oder Vorschläge. Die tägliche Praxis der Rechtsberatung zeigt, daß es zwar eine Anzahl von Rechtsauskunftsfällen gibt, in denen es nicht eingehenderer Beratung bedarf, in vielen auch zunächst scheinbar einfach gelagerten Fällen erweist sich aber keine komplexe, nicht selten zeitraubende Beratung als notwendig, wenn man dem Hilfesuchenden nicht Steine statt Brot geben will. Ein Vorschlag: Warum versucht man nicht einmal ein Modell der „Rechtsberatung auf Kassenschein”, entsprechend dem Krankenscheinsystem? Die organisatorischen Schwierigkeiten für einen derartigen Versuch müßten überwindbar sein; ein Zurückgreifen auf das System der derzeitig bestehenden Rechtsschutzversicherungen ist allerdings untauglich, weil diese — nur unter der milden und für diesen Zweck untauglichen Kontrolle des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen — vielfach mehr auf den Verkauf von Versicherungspolicen als auf die Gewährung eines effektiven Versicherungsschutzes bedacht sind, wobei es allerdings von Versicherung zu Versicherung erhebliche Unterschiede gibt.
Zuletzt soll noch ein Band aus dem Themengebiet „Zeitgeschehen” erwähnt werden: Helmut Rumpf, Land ohne Souveränität. Kritische Betrachtungen zur Deutschlandpolitik von Adenauer bis Brandt, als Band 5 ebenfalls in 2. erweiterter Auflage erschienen. Die Souveränitätsfrage wird anhand der über das besiegte Deutschland sowie der von der BRD abgeschlossenen internationalen Verträge erörtert, von den Bonner und Pariser Verträgen von 1952/54 bis zu den Ostverträgen von 1970/72. Am Ende formuliert der Autor fünf Thesen zur Frage nach der deutschen Nation. Die Abhandlung wurde Ende 1972 abgeschlossen. Der Text wird durch eine Reihe von Übersichten ergänzt.
Sämtliche Bände der Reihe sind mit einem wissenschaftlichen Apparat in Form von Fußnoten — die die Lesbarkeit nicht beeinträchtigen — sowie mit Literaturverzeichnis und Stichwortregister ausgestattet. Die hier besprochenen Bände haben einen Umfang zwischen 66 (Nr 19) und 211 Seiten (Nr 5), ihr Preis liegt zwischen DM 13,80 und DM 16,80. Sie haben etwas überlanges Taschenbuchformat und sind kartoniert. Der popfarbige Umschlag wird durch ein rundes Blickfangbild akzentuiert.

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