Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 225/226: Meinungsfreiheit in Zeiten der Internetkommunikation

Anti-­So­ziale Medien

in: vorgänge Nr. 225/226 (1-2/2019), S. 142-145

Siva Vaidhyanathan: anti-social media. How Facebook Disconnects Us and Undermines Democracy. Oxford University Press 2018, 276 S.

Von einem Kritiker der sozialen Medien seitenlang zu lesen, welche grossartigen Möglichkeiten diese für die einzelnen NutzerInnen bieten – das überrascht. Der Professor für Medienwissenschaft an der Universität von Virginia reiht Beispiel an Beispiel, um die Segnungen der sozialen Medien zu zeigen: von den Großeltern, die Minuten nach der Geburt des Enkelchens Fotos der neuen Erdenbürgerin übermittelt bekommen bis zum zeitweise getrennt lebenden Liebespaar, das über Kontinente hinweg so leicht kommunizieren kann wie nie zuvor. Rasch zeigt sich aber, dass es sich hierbei um ein großes Paradoxon handelt: Facebook sei zugleich die monströse Maschine mit schlimmsten Auswirkungen auf unser soziales und politisches Leben. Zwei Gründe nennt der Autor, die Facebook so gefährlich machen: Zum einen die Art, wie es arbeitet und das heißt die Wirkung seines Geschäftsmodells; zum anderen ist es die Art und Weise, wie mehr als 2 Milliarden Menschen es nutzen: „Two things (are) wrong with facebook; how it works and how people use it.“

Das Geschäftsmodell lebt davon, die Unmasse der Daten und persönlichen Informationen seiner Nutzer zu erfassen und damit (bildlich gesprochen) virtuelle Zielscheiben auf den Rücken der Nutzer zu malen, auf die die Werbewirtschaft – die eigentliche Kundin von Facebook – anlegen kann.

Auf der anderen Seite wird Facebook für Fake News und bösartigste Angriffe genutzt: für Hate Speech mit Folgen bis zum ethnic cleansing, für Antisemitismus und Islamophobie oder auch für Versuche, Wahlen zu beeinflussen. Das zentrale Problem mit Facebook bestehe in der schlimmen Symbiose des Geschäftsmodells und dem Verhalten der Nutzer*innen, die die „freien“ Angebote von Facebook nutzen und dadurch ein noch genaueres Profiling als Werbeadressaten ermöglicht.

Das alles ist im Großen und Ganzen nicht neu. Allerdings belegt der Autor dies im Einzelnen durch solide Recherche. So wird in sieben Kapiteln dieser Symbiose nachgegangen: In der „Pleasure machine“ (1) wird gezeigt, wie spielerisch der Zugang zu vermeintlich qualitativem „Content“ gemacht wird und NutzerInnen abhängig werden können. Die „Surveillance machine“ (2) schildert die extensive Sammlung von Daten und deren Nutzung zu Werbezwecken unter bewusster Missachtung der Privatheit der Social Media-Gemeinde. Die „Attention machine“ (3) sorgt dafür, dass positive oder negative Inhalte dominieren, auf die unmittelbar und stark emotional reagiert wird. Damit hat Facebook Kommunikationsbedingungen geschaffen, die günstig für Populisten und Demagogen sind. Das „User Engagement“ soll gefördert und verstärkt werden. Ideengeschichtlich geht der zentrale Begriff des „User Engagements“ auf das Anfang der 2000er Jahre in Stanford/ Kalifornien entwickelte „Gaming“ zurück, mit dem die Bereitschaft zu Engagement und Dranbleiben (stickiness) der Nutzer sozialer Medien optimiert werden sollte – auf Kosten eines anspruchsvolleren Diskurses, den der Autor für sein Bild von Demokratie als freien Austausch von Meinungen vermisst.

Das Kapitel „The benevolence machine“ (4) geht der Ideologie von Mark Zuckerberg nach, dem Chef von Facebook, der der Meinung ist, dass die Welt zu verbinden eine gute Sache sei und der dabei ausblende, wie sehr Facebook auch für die Spaltung und Fragmentierung der Gesellschaft u.a. in „Filterblasen“ mitverantwortlich ist. Das vom Autor vermittelte Bild von Zuckerberg, der nicht übersehe und begreife, was er anrichtet, scheint fragwürdig bis naiv. In „The protest machine“ (5) zerstört der Autor die Mythen, die die zentrale Rolle von Facebook für die Revolten der vergangenen Jahre erzählen; das sei „techno-narcissism“.

„The politics machine“ (6) und „The disinformation machine“ (7) schildern das Potential sozialer Medien für Missbrauch, indem die seit Jahrzehnten bestehende Verbindung zwischen Marketing und politischen Kampagnen mit Facebook einen neuen Höhepunkt erreicht hat. So sei Facebook für die buddhistischen Nationalisten in Myanmar bei der Verfolgung der Rohingyas oder für die Wahlkampagnen von Rodrigo Duterte in den Philippinen wesentlich effektiver gewesen als für die Aufständischen des Arabischen Frühlings,  etwa durch schlimmste Formen von Desinformation und das Verbreiten von Gerüchten inklusive Lügen, mit denen Bevölkerungsgruppen gegen Minderheiten aufgehetzt wurden.

Besonders schwerwiegend sieht Vaidhyanathan die Auswirkungen sozialer Medien auf den seriösen Journalismus. Der Entzug von Werbegeldern von klassischen Medien hin zu Facebook und Google ist das eine. Zum anderen ist der seriöse Journalismus in seiner Bedeutung für die öffentliche Debatte durch den neuen Umgang mit Meinungen und Nachrichten geschwächt: „Micro-targeting of political ads makes them invisible from public debate.“ Ein Teil der politischen Kommunikation werde dadurch dem Blick der Öffentlichkeit entzogen: „Political communication moves even further from the Habermasian or Jeffersonian ideal of public conversation about matters of policy and more toward motivation. Healthy republics need both motivation and deliberation.“

Der Autor wird nicht von radikalem Technik-Pessimismus getrieben; vielmehr beschäftigt ihn seit Jahren die Kulturgeschichte der Technik-Anwendungen mit breitem Blick auf soziale und politische Kontexte. Sein gründlich recherchiertes Buch ist ein Plädoyer fürs Innehalten und dafür, unseren Umgang mit den Angeboten der Tech-Giganten neu zu justieren: „We must stop and think“. „Norm-building is so much harder than technology development.“

Der Medien-Professor aus Virginia nennt sein Werk „a dark book“. Wohl wahr – was aber kann Positives dagegen gesetzt werden? Jaron Laniers Aufforderung aus seinem gleichnamigen Buch „Ten arguments for deleting your social media accounts right now“ kann Vaidhyanathan nichts abgewinnen.[18] Warum sollten Millionen NutzerInnen sich durch Boykott von ihrer für sie so wichtigen bisherigen sozialen Welt verabschieden wollen, fragt er. Im Übrigen sei von einer „Selbstreform“ durch Facebook ernsthaft nichts zu erwarten, denn die kommunikativen Kniefälle Mark Zuckerbergs seien vor allem Inszenierung, um eine kritische Öffentlichkeit und die Politik zu beruhigen.

In den USA sei Facebook zu sehr politisch verwurzelt, als dass von dort Lösungen zur Beschränkung von Marktmacht zu erwarten seien. Dabei sind die dortigen Antitrust-Gesetze ein scharfes Schwert, wie etwa die Zerschlagung des Telefonkonzerns AT&T gezeigt hat. Der Autor richtet seine Erwartungen vor allem auf Europa. Dort hat nicht nur der österreichische Einzelkämpfer Max Schrems mit seinen Forderungen und Klagen zur Herausgabe seiner kompletten Daten Facebook nerven können; auch die seit 2018 in der EU wirksame Datenschutzgrundverordnung trifft Facebook.

Ob das Bundeskartellamt mit seiner jüngsten Entscheidung zur Beschränkung des Datenflusses bei Facebook und seinen Diensten Whatsapp und Instagram einen Erfolg versprechenden Anfang gemacht hat, wird sich zeigen. Ist die „historische Entscheidung“ (Süddeutsche Zeitung vom 8.2.2019) der deutschen Wettbewerbshüter und das Kartellrecht insgesamt wirklich das „wirkungsvolle Mittel“ gegen den Einfluss der digitalen Plattform-Ökonomie? Die Reform des deutschen Wettbewerbsrechts hat durch ihre „Lex Facebook“ von 2017 „die Unangreifbarkeit des Weltkonzerns durchbrochen. Der Rechtsstaat, die Politik haben sich ein bisschen der verlorenen Gestaltungsmacht zurückgeholt“, schreibt der Kommentator der Süddeutschen Zeitung vom 8.2.2019 optimistisch. Allerdings ist Facebook gerade dabei, die Infrastruktur seiner wichtigsten Dienste und damit den Datenaustausch zu vereinheitlichen.

Wer „Anti-Social Media“ gelesen hat, wird mit deutlich mehr Sachkenntnis die Entwicklung der Sozialen Medien beurteilen. Das Buch bietet zumindest einen tiefen Einblick in den „Maschinenraum“ von Facebook und man weiß nach der Lektüre, dass dieser Konzern in ständiger Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit und Politik weiterhin knallhart seine eigenen Interessen verfolgen wird.

[18] Die 10 Argumente Laniers: „1. You are losing your free will. 2. Quitting social media is the most finely targeted way to resist the insanity of our times. 3. Social media is making you into an a**hole. [I censored that one for you, Grandma] 4. Social media is undermining truth. 5. Social media is making what you say meaningless. 6. Social media is destroying your capacity for empathy. 7. Social media is making you unhappy. 8. Social media doesn’t want you to have economic dignity. 9. Social media is making politics impossible. 10. Social media hates your soul.“

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