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Neuauflage der Berufs­ver­bo­te­pra­xis?

26. November 2019

in: vorgänge Nr. 227 (3/2019), S. 153-156

In der politischen Auseinandersetzung mit der AfD erliegen die regierenden Parteien immer wieder der Versuchung, ihre neue Konkurrentin von bestimmten Gremien und Funktionen ausschließen zu wollen. Aktuelles Beispiel dafür ist die kürzlich geführte Debatte über eine mögliche Unvereinbarkeit der AfD-Mitgliedschaft mit dem Beamtenstatus. Diese Debatte ist nicht neu. Über die in den 1970er Jahren praktizierten Berufsverbote für Beamte, ihre rechtlichen Grundlagen und die bürgerrechtliche Kritik an dieser Praxis gibt der folgende Beitrag von Prof. Martin Kutscha einen kurzen Überblick.

Mitte Februar 2019 berichteten die Medien, dass Bundesinnenminister Seehofer von seinem Hause prüfen lasse, ob die Mitgliedschaft von Beamten in „extremistischen“ Parteien mit deren Pflichten vereinbar ist. Auch wenn Seehofer beteuerte, diese Prüfung gelte „für Rechts- wie für Linksradikale“[1], dürfte dabei weniger der Schutz unserer Verfassungsordnung im Vordergrund gestanden haben als die Suche nach Möglichkeiten, den Einfluss der politischen Konkurrenzpartei AfD einzudämmen.

Schon kurze Zeit später hieß es aus dem Bundesinnenministerium, die reine Zugehörigkeit zu einer „extremistischen“ Partei sei „beamtenrechtlich ohne Relevanz“.[2] Seehofers Hausjuristen und -juristinnen haben Recht: Solange das Bundesverfassungsgericht nicht gemäß Art. 21 II Grundgesetz die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei festgestellt hat, dürfen deren Mitglieder nicht wegen angeblicher „Verfassungsfeindlichkeit“ benachteiligt werden. Das ist allerdings kein Freibrief für neonazistische Agitation etwa von Lehrern oder Lehrerinnen im Unterricht – in diesem Fall verletzen sie ihre Neutralitätspflicht und betreiben möglicherweise Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch.

Der Berufsverbotepraxis der 1970er Jahre war diese Differenzierung fremd: Wegen ihres außerdienstlichen Engagements für die DKP, in manchen Bundesländern auch in sozialdemokratischen Organisationen, wurde zahlreichen jungen Menschen der Zugang zum öffentlichen Dienst wegen „Zweifeln an ihrer Verfassungstreue“ verwehrt. Selbst bei Bahn und Post wurden Beamten und Beamtinnen wegen eines solchen Engagements „aus dem Dienst entfernt“[3]. Viele Jüngere wissen nichts über dieses dunkle Kapitel der Geschichte der Bundesrepublik – in Anbetracht des siebzigsten Jahrestages unseres Grundgesetzes ist es deshalb Zeit, die wesentlichen Fakten noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Fortgel­tende Rechts­grund­lagen

Die Grundlage für die Berufsverbotepraxis bildeten nicht etwa (neue) gesetzliche Bestimmungen, sondern bloße politische Vereinbarungen auf Regierungsebene: allen voran der „Ministerpräsidentenbeschluss“ vom 28. Januar 1972. Zur Legitimation stützte sich die Administrative auf bereits bestehende und auch heute noch geltende beamtenrechtliche Bestimmungen:

„Gewährbieteklausel“: Nach § 7 I 2 Beamtenstatusgesetz und den insoweit wortgleichen Vorgängerbestimmungen darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer u. a. „die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten.“ Vorbild dieses problematischen Bestimmung ist § 4 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 11.4.1933, wonach Beamte die Gewähr bieten mussten, „jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat ein(zu)treten“. Die „Gewährbieteklausel“ geht von einer Fiktion aus: Können Beamtenbewerber oder -bewerberinnen wirklich diese „Gewähr“ schon deshalb bieten, weil dem Verfassungsschutz über sie keinerlei „Erkenntnisse“ vorliegen und/ oder sie Mitglieder einer Regierungspartei sind?

Treueklausel: Nach § 33 I 2 Beamtenstatusgesetz und den insoweit wortgleichen Vorgängerbestimmungen müssen Beamtinnen und Beamte sich „durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.“ Entgegen verbreiteter Fehlinterpretationen beinhaltet die beamtenrechtliche Treuepflicht also keinesfalls die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber den politischen Zielen der jeweiligen Regierung, sondern ist auf den Kern unserer Verfassungsordnung begrenzt.[4]

„Freiheitliche demokratische Grundordnung“ (fdGO): Dieser (auch im Grundgesetz enthaltene) Begriff bezeichnet keineswegs den Status quo der politischen und sozialökonomischen Machtverhältnisse, sondern lediglich den Kern unserer Verfassungsordnung als Rahmen demokratischer politischer Gestaltung.[5] Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem NPD-Urteil vom 17.1.2017 richtig festgestellt hat, umfasst er „nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.“ Dazu zählt das Gericht die Garantie der Menschenwürde (welche die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit umfasst), ferner das Demokratie- sowie das Rechtsstaatsprinzip.[6] Pikant ist freilich, dass das Gericht die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung in diesem Zusammenhang als „unverzichtbar für ein demokratisches System“[7] bezeichnet. Genau diese gleichberechtigte Teilnahme aller – also auch Oppositioneller – wurde durch die Berufsverbote aber gerade negiert.

Wer heute z. B. die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen fordert, stellt damit also keineswegs etwa die „fdGO“ in Frage; diese Forderung ist vielmehr ausdrücklich durch Artikel 15 Grundgesetz abgedeckt. 

Die proble­ma­ti­sche Recht­spre­chung

In einer Entscheidung vom 14.3.1973 stellte das Bundesverwaltungsgericht im Einklang mit der damaligen „herrschenden Meinung“ fest, „dass sich vor dem Verbot einer Partei niemand zum Nachteil eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes darauf berufen kann, die noch nicht verbotene Partei sei verfassungswidrig oder setze sich nicht ‚für die bestehende demokratische Staatsauffassung’ ein, die Mitgliedschaft und Betätigung in ihr sei folglich nicht mit einem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.“[8] – Diese Entscheidung erging zugunsten eines Soldaten, der Mitglied der NPD war.

Knapp zwei Jahre später, am 6.2.1975, fällte ein anderer Senat des Bundesverwaltungsgerichts ein Urteil gegen die Lehramtsbewerberin Anne Lenhart, die wegen ihrer DKP-Mitgliedschaft nicht in den Schuldienst des Landes Rheinland-Pfalz übernommen wurde – und bezog dabei den entgegengesetzten Standpunkt: Es könne „schon allein das auf innerer Überzeugung fußende Bekenntnis des Bewerbers zu den mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarenden Zielen einer extremistischen politischen Partei linker oder rechter Prägung – das sinnfällig durch die Zugehörigkeit der Partei Ausdruck erlangt – geeignet sein“, Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers auszulösen, die dann seine Ablehnung rechtfertigten.[9] Hier ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass das jeweilige richterliche Feindbild auch für einen auffälligen „Wandel“ in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verantwortlich ist.

Der im Lenhart-Urteil vertretenen Position folgte dann im Grundsatz auch das Bundesverfassungsgericht in seiner für die Praxis der Berufsverbote maßgeblichen Grundsatzentscheidung vom 22.5.1975: „Ein Stück des Verhaltens“, das für die Beurteilung der Persönlichkeit des Bewerbers erheblich sein könne, „kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt – unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgericht festgestellt ist oder nicht.“[10]

In seinem Sondervotum zu dieser Entscheidung bezeichnete der Verfassungsrichter Rupp diese Auffassung zu Recht als unvereinbar mit der in Artikel 21 Grundgesetz gewährleisteten Parteienfreiheit. Auch der ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde kritisierte später – neben vielen anderen – die Schaffung eines Sonderrechts für die Mitglieder von Parteien, die nach Auffassung der Exekutive verfassungsfeindliche Ziele verfolgen.[11]

Aufatmen konnten die Opfer der Berufsverbotepraxis erst Jahre später, als führende SPD-Politiker diese Praxis als Fehler bezeichneten und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil vom 26.9.1995 die Entfernung der Lehrerin Dorothea Vogt aus dem öffentlichen Dienst wegen ihres Engagements für die DKP als unvereinbar mit der Meinungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit (Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention) wertete.[12] Allerdings lehnte die damalige Bundesregierung es ab, aus dieser Gerichtsentscheidung „allgemeine Konsequenzen zu ziehen“[13] und damit ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen vollauf anzuerkennen. Auch das Bundesverfassungsgericht hält weiterhin an seinem vorkonstitutionellen Verständnis des Beamtenstatus fest, wie sein Urteil vom 12.6.2018 zeigt, das trotz anders lautender Rechtsprechung des EGMR das Streikverbot für Beamte und Beamtinnen bekräftigt.[14]

Prof. Martin Kutscha   Jahrgang 1948, Dr. iur., Professor i. R. für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, war bis zum Juni diesen Jahres Mitglied im Bundesvorstand der Humanistischen Union.

Anmerkungen:

1 „Berliner Zeitung“ v. 13.2.2019.

2 „Die Welt“ v. 9.4.2019.

3 Einzelheiten z. B. bei Spoo, Was bleibt, ist mehr als Nachdenklichkeit. Die Berufsverbote und ihre Wirkungen, vorgänge Nr. 155 (3/2001), S. 144; Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013.

4 Vgl. im Einzelnen Kutscha, Verfassung und „streitbare Demokratie“. Historische und rechtliche Aspekte der Berufsverbote im öffentlichen Dienst, Köln 1979, S. 171 ff.

5 Ausführlich Kutscha a. a. O., S. 72 ff.

6 BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2017, S. 611 – Leitsatz 3.

7 BVerfG a. a. O., S. 620, Rn. 543.

8 BVerwG, NJW 1973, S. 1662.

9 BVerwG, NJW 1975, S. 1137.

10 BVerfG, NJW 1975, S. 1645.

11 Böckenförde, Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue? In. Koschnick (Hrsg), Der Abschied vom Extremistenbeschluss, Bonn 1979, S. 76 ff.

12 EGMR, NJW 1996, S. 375.

13 BT-Drucksache 13/3853 v. 26.2.1996.

14 BVerfG, Juristenzeitung 2019, S. 35.

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