Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 219: Soziale Menschenrechte

Wie objektiv sind unsere Medien?

in: vorgänge Nr. 219 (3/2017), S. 128-130

Jens Wernicke: Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung, Westend-Verlag Frankfurt a. M. 2017, 360 S., 18,- Euro, ISBN 978-3-86489-188-5.

Das auf unsere Medien gemünzte Schimpfwort „Lügenpresse“ assoziieren wir gewöhnlich mit PEGIDA und anderen rechten Gruppierungen. Aber bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir als Demokrat_innen auf den Wahrheitsgehalt unserer Medienberichterstattung wirklich vertrauen können? Dieser Frage geht der Kulturwissenschaftler und Journalist Jens Wernicke nach, indem er Interviews mit unterschiedlichen Akteuren, nämlich mit einigen kritischen Journalisten („Die Macher“), Wissenschaftlern („Die Denker“) sowie anderen Vertreter_ innen der Zivilgesellschaft führt. Dies hat den Nachteil etlicher Wiederholungen, aber zugleich die Vorteile guter Lesbarkeit und der Darstellung durchaus unterschiedlicher Positionen. Das zeigt sich z. B. bei den Antworten auf die Frage, ob die Medien gezielt lügen: Dies bejaht z. B. der Publizist Werner Rügemer und verweist auf die „Gründungslügen“ bekannter „Leitmedien“ wie Bild oder Die Zeit, deren Macher nach 1945 eifrig ihre Nazi-Vergangenheit vertuschten und sich plötzlich als „pro-westliche“ Demokraten gerierten. (S. 86ff.). Der im Dezember 2016 verstorbene Journalist Eckart Spoo nennt als Beispiel die Lügen, die 1989 zur Legitimation der Bombardierung Jugoslawiens verbreitet wurden (dazu näher Wolfram Wette, in: vorgänge 218, S. 11).

Demgegenüber betrachten z. B. der Journalist Ulrich Tilgner und der Publizist Ulrich Teusch die bewusste Lüge eher als Ausnahme. Teusch, dessen Buch „Lückenpresse“ kürzlich erschien, verweist auf andere Methoden zur Produktion eines verzerrten Bildes von der Wirklichkeit: „Erstens werden Nachrichten in ganz bestimmter Weise gewichtet. Zweitens werden Nachrichten gezielt unterdrückt. Drittens werden Nachrichten in tendenziöser Weise bewertet, das heißt, es wird mit zweierlei Maß gemessen, es gibt ‚Doppelstandards’“ (S. 47). Dafür werden in dem Buch etliche Beispiele genannt, so u. a. die Berichterstattung über die Kriegsopfer auf verschiedenen Seiten: Während deutsche Fernsehprogramme häufig erschütternde Bilder von Opfern der Bombardierung syrischer Städte durch russische oder syrische Kampfflugzeuge zeigten, werden die zahlreichen zivilen Opfer der Luftangriffe auf den Jemen durch Saudi-Arabien und seine Verbündeten weitgehend verschwiegen (S. 282f.). Immerhin ist das feudalistische Regime Saudi-Arabien mit den westlichen Staaten verbündet und überdies Empfänger von Waffenlieferungen u. a. aus Deutschland.

Wie erklärt sich solche Einseitigkeit und das „Framing“ von Nachrichten, also das Betrachten durch eine letztlich politisch bestimmte Wahrnehmungsschablone? Die Autor_innen des Bandes beschreiben verschiedene Kanäle der Einflussnahme auf die Arbeit der Medien. Da ist zunächst die dominierende Rolle der großen, global tätigen Nachrichtenagenturen wie z. B. die US-amerikanische Associated Press (AP), die französische Agence France Press (AFP) oder in Deutschland die Deutsche Presse-Agentur (DPA), deren Meldungen häufig unbesehen übernommen werden (ausführlich dargestellt auf S. 154ff.). Erich Schmidt-Eenboom beschreibt die Einflussnahme von Geheimdiensten, verweist aber auch auf die Rolle von Presseoffizieren und „Verteidigungspolitikern“, welche die Beteiligung Deutschlands am Kriegseinsatz in Afghanistan als Aktion zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frauen verkauften (S. 219) – übrigens auf Anraten der CIA (S. 188).

Eine zentrale Rolle spielt freilich die Abhängigkeit der Printjournalist_innen von ihren Arbeitgebern, den großen Pressekonzernen. Der Psychologe und Sozialwissenschaftler Klaus-Jürgen Bruder weist auf den Status der Journalisten als „Lohnarbeiter“ hin, die im Interesse ihrer Arbeitgeber ihren Arbeitsauftrag erfüllen (S. 232). Schon aus diesem Grunde würden sie die Erklärungsmodelle der neoliberalen Ideologie übernehmen und damit zur Verteidigung des sozialökonomischen Status quo beitragen. „Durch ihre Einbindung in ökonomische Machtstrukturen“, so der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld, „werden Medien nahezu zwangsläufig zu einem höchst wirksamen Element mächtiger ökonomischer Lobbygruppen, die sich auf diese Weise verdeckt in den öffentlichen Diskussionsraum einbringen und das Meinungsklima für ihre Belange günstig stimmen können.“ (S. 138)

Aber, so ein naheliegender Einwand, berichten die Medien über bestimmte Vorgänge in Politik und Wirtschaft, z. B. den „Dieselskandal“, nicht auch kritisch? Dies tun sie ohne Zweifel, wobei aber bestimmte „rote Linien“ wie z. B. das Festhalten an der NATO-Bündnistreue nicht überschritten werden. So wurde auch die – scheinbar merkwürdige – Passivität des Verkehrsministers Dobrindt von den meisten Medien mit dessen persönlicher Durchsetzungsschwäche erklärt, während die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft kaum je schärfer in den Blick genommen werden. Wo dies doch einmal geschieht und die machtpolitischen Hintergründe aufgehellt werden, wird der Autor oder die Autorin rasch als „Verschwörungstheoretiker“ abqualifiziert. Der Schweizer Historiker Daniele Ganser, wegen seiner Veröffentlichungen zur problematischen Rolle der NATO selbst Opfer dieser Denunziationsmethode, verweist darauf, dass dieser Begriff aus dem Arsenal der psychologischen Kriegsführung stamme und von der CIA erstmals in den sechziger Jahren etabliert worden sei, als sich nach der Ermordung des US-Präsidenten Kennedy Zweifel an der Einzeltäterthese regten (S. 253).

Etwas zu kurz gekommen ist in dem Buch von Wernicke die zunehmende Bedeutung des Informationsaustausches über das Internet, der gerade bei jungen Menschen immer mehr an die Stelle der klassischen Medien Zeitung, Radio und Fernsehen tritt. Immerhin kritisiert der Biologe Markus Fiedler Manipulationen bei Einträgen in Wikipedia, bleibt dabei aber recht unkonkret (S. 315ff.). Die Publizistin Daniela Dahn hingegen lobt Wikipedia als eine Art Gemeineigentum im Netz und als Beispiel für eine verantwortungsvolle Informationsarbeit (S. 324f.). Über die Chancen einer objektiven und von politischen bzw. ökonomischen Einflussnahmen freien Willensbildung im Netz und die Gefahr von „Filterblasen“ in den weltumspannenden sozialen Netzwerken hätte man gerne mehr erfahren. Gleichwohl sind die in diesem Band versammelten Interviews eine faktenreiche Fundgrube und ein wichtiger Anstoß für weitere Debatten um die Objektivität unserer Medien.

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