Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 225/226: Meinungsfreiheit in Zeiten der Internetkommunikation

Zahlen zur Anwen­dungs­praxis des Netzwerk­­durch­set­zungs­­­ge­setzes

in: vorgänge Nr. 225/226 (1-2/2019), S. 57-59

Am 1. Oktober 2017 trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Im Kontrast zu den breiten öffentlichen Debatten um das Gesetz steht die Zahl der davon betroffenen Netzwerkanbieter, für die die Vorschriften des Gesetzes gelten: in Deutschland sind es ganze drei! Nach der Definition in § 1 Abs. 2 NetzDG sind davon nämlich nur Anbieter von bestimmten Telemediendiensten betroffen, die hier mindestens 2 Millionen angemeldete Nutzer*innen vorweisen können. Dies gilt derzeit nur für Facebook, Google+ und YouTube.

Nach § 2 Abs. 1 NetzDG sind die unter die Anwendung des Gesetzes fallenden Anbieter von Dienstleistungen verpflichtet, aller sechs Monate einen „Bericht über den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf ihren Plattformen“ zu veröffentlichen, erstmals zum Ende des ersten Halbjahres 2018. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe der vorgänge lagen von den betroffenen Betreibern – dazu zählen bisher in Deutschland nur Facebook, Google und Youtube – jeweils zwei solcher Berichte vor. Deren wichtigste Angaben über gemeldete bzw. gelöschte Beiträge dokumentieren wir auf den folgenden Seiten.

Die mit dem NetzDG vorgeschriebenen Berichte sollen die Zahl der Beschwerden und der darauf erfolgenden Löschungen dokumentieren, u.a. aufgeschlüsselt nach dem Beschwerdegrund. Das Gesetz selbst benennt in § 1 Abs. 3 eine Liste an Straftatbeständen (s. Übersicht 1), bei deren Vorliegen die Provider zur umgehenden Löschung der Beiträge verpflichtet werden. An dieser Liste ist zunächst einmal auffällig, dass sie nicht nur Schutzgüter aus dem Bereich der Persönlichkeitsrechte enthält, sondern auch eine ganze Reihe von Staatsschutzdelikten (die mit Hate Speech wenig zu tun haben). Auf der anderen Seite fehlen in dieser Liste einige Tatbestände, die für den Persönlichkeitsschutz in der digitalen Sphäre durchaus eine Rolle spielen und die man – den Intentionen des Gesetzes folgend – an dieser Stelle erwartet hätte. Dazu zählen etwa die Anleitung zu Straftaten (§ 130a StGB), die falsche Verdächtigung (§ 164 StGB) oder das Cybergrooming (§ 176 Abs. 4 Nr. 3).

Der Vergleich der Transparenzdaten der drei Anbieter ist trotz der ausführlichen gesetzlichen Vorgaben zu den Berichten leider nicht einfach. Im Gegensatz zu Facebook, das die Beschwerden und Löschvorgänge nach dem Katalog des NetzDG aufschlüsselt, werden die Daten für Google und YouTube nur in aggregierter Form (für verschiedene Deliktsgruppen) veröffentlicht. Deshalb wurde in der Übersicht versucht, die Facebook-Zahlen in vergleichbarer Weise zu aggregieren. Dies ist jedoch nur eingeschränkt möglich, da Google auf Nachfrage keine Angaben dazu machen konnte, welche der Normen unter welcher Kategorie zusammengefasst wurden: Angeblich erfasse / wisse die Firma nicht, nach welchen Regeln die Zuordnung in den Beschwerdezentren vorgenommen wird.[1] Das wirft nebenbei ein bezeichnendes Licht auf das Beschwerdeverfahren bei Google, denn es stellt sich die Frage, wie Google sicher stellen kann, dass eine Beschwerde zu den im NetzDG geregelten Fälle gehört, wenn sie sich eindeutig unter einen der im Gesetz genannten Straftatbestand subsummiert wird.

Übersicht 1: Rechts­wid­rige Inhalte gemäß § 1 Abs. 3 NetzDG

§ 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

§ 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

§ 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

§ 91 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

§ 100a Landesverräterische Fälschung

§ 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

§ 126 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

§ 129 Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129a Bildung terroristischer Vereinigungen

§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung

§ 130 Volksverhetzung

§ 131 Gewaltdarstellung

§ 140 Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§ 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften i.V.m. § 184d Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kinder- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien

§ 185 Beleidigung

§ 186 Üble Nachrede

§ 187 Verleumdung

§ 201a Verletzung d. höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen

§ 241 Bedrohung

§ 269 Fälschung beweiserheblicher Daten

Was lässt sich aus den dokumentierten Zahlen nun ablesen? Auf den ersten Blick zumindest folgende Erkenntnisse:

  • Es werden sehr viele Hinweise auf vermeintlich rechtswidrige Inhalte an die Anbieter gemeldet (vor allem wenn man berücksichtigt, dass es sich um eine neue gesetzliche Vorgabe handelt).
  • Die Netzwerkanbieter löschen aufgrund dieser Hinweise zahlreiche Inhalte, jedoch variiert die Löschquote (bezogen auf die Zahl der Meldungen) sehr stark je nach Anbieter und Thema zwischen einem Minimum von 7 % (Pornografische Inhalte bei Facebook) und einem Maximum von 61 % (Terroristische/verfassungswidrige Inhalte bei Google). Bei den Extremwerten handelt es sich um Bereiche mit vergleichsweise niedrigen Fallzahlen – die durchschnittliche Löschquote variiert bei den Anbietern zwischen 24 % (Facebook) und 50 % (Google).
    •In nahezu allen Bereichen ist der Anteil der Löschungen, bei denen ein Beitrag als Verstoß gegen Community-Standards gewertet wird, deutlich höher als die Zahl der Löschungen, die als Verstoß gegen das NetzDG (d.h. mit Bezug auf eine der darin genannten Straftaten) gewertet werden. Die einzige Ausnahme: die Meldung bzw. Löschung terroristischer bzw. verfassungswidriger Inhalte.
  • Es ist keineswegs so, dass die Hinweise offizieller Beschwerdestellen von den Netzwerken in jedem Fall als stichhaltiger angesehen werden als jene Hinweise, die von „einfachen“ Nutzer*innen der Plattformen kommen. Bei YouTube etwa liegt die Löschquote für Beschwerdestellen unter der Löschquote für einfache Nutzer*innen – in beiden Berichtszeiträumen.
  • Für die beiden Netzwerke Google+ bzw. YouTube wurden ganze 21 Meldungen auch an die Urheber*innen der inkriminierten Nachrichten weiter geleitet (was ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme gibt).
  • Bisher haben die Anbieter die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit einer Überweisung der Beschwerden an anerkannte Einrichtungen der Selbstregulierung nicht genutzt (auch wenn das für die Zukunft z.T. angekündigt wird) – weil entsprechende Stellen noch nicht eingerichtet wurden.

Dokumentation: Sven Lüders.

Anmerkungen:

1 Telefonische Auskunft v. Lutz Mache, Google Germany GmbH vom 7. Juni 2019. Zudem würden die strafrechtlichen Tatbestände mitunter in verschiedenen bzw. mehreren Kategorien erfasst.

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