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Auszug aus der Diskussion in der »Appel-Runde«

vorgängevorgänge 62-6306/1983Seite 195

in der Redaktion des >>Rheinischen Merkur>Christ und Welt

aus: vorgänge 62/63 (Heft 2-3/1983), S. 195

Rummel: Ich mache jetzt einen Sprung zu einem Thema, das ich unbedingt und gerne noch in Ihrer Anwesenheit hier zur Sprache bringen möchte, nämlich das Thema Widerstandsrecht, Herr Bajor.

Bajor: Ja, Widerstandsrecht im Zusammenhang natürlich mit der Diskussion, was läuft im sogenannten heißen Herbst dieses Jahres. Und die SPD hat ja offenbar Schwierigkeiten, ein bißchen ihre Genossenschaft auf eine Linie doch zu bringen. Es wird inzwischen, wie der Parteirat ja beschlossen hat, den Mitgliedern freigestellt, ob sie an friedlichen Aktionen teilnehmen oder nicht. Aber ziviler Ungehorsam zum Beispiel muß individuelle Entscheidungen überlassen bleiben, so heißt es dort. Und die Partei will allen Versuchen, Teilnehmer an solchen Aktionen außerhalb des GG zu stellen, entschieden widersprechen. Wie reimt sich das eigentlich zusammen, wenn gleichzeitig aber die Partei deutlich sagt, daß sie von einem Widerstandsrecht in der diskutierten Form überhaupt nichts hält? Da stellt man sich doch, wenn man dies in Anspruch nimmt, außerhalb des GG.

Vogel: Aber ich bitte Sie, das ist überhaupt kein Widerspruch. Wir haben ganz eindeutig erklärt, und ich bekräftige das hier noch einmal, daß für das Widerstandsrecht, das unsere Verfassung kennt im Art. 20, daß man sich also dem Staat gewaltsam widersetzen darf, daß diese Voraussetzungen in keiner Weise gegeben sind. Da schwebte den Vätern dieser Bestimmung die Kapp-Putsch-Situation vor, als gegen Reaktionär-Konservative die Verfassung auf diese Weise geschützt werden mußte, gegen Kapp und Lüttwitz und wie diese Leute hießen. Völlig klar. Eine ganz andere Frage ist, ob jemand sagt, ich muß meinem Engagement auch dadurch Ausdruck geben, daß ich eine Regel verletze, also beispielsweise eine Bestimmung der Straßenverkehrsordnung oder – und das ist wohl der einzig konkrete Fall, daß einer sich vor einem Objekt auf die Straße setzt und dort wegtragen läßt. Ich kann niemandem dazu raten, das zu tun. Ich muß jedermann sagen, das ist eine Regelverletzung. Aber ich muß zur Kenntnis nehmen, daß es Menschen gibt, die sagen, die Verhinderung dessen, was da droht, ist mir diese Handlung wert. Dann sag ich ihm allerdings, dann beschwer dich auch nicht, wenn du entsprechend deiner Regelverletzung zur Verantwortung gezogen wirst. Schauen Sie, ich meine wir loben mit Recht viele amerikanische Entwicklungen und Beispiele. Ist es uns bewußt, daß die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die im Laufe langer Jahre das Wahlrecht für die farbige Bevölkerung allmählich durchgesetzt hat, mit solchen Regelverletzungen gearbeitet hat, ohne ein Widerstandsrecht in Anspruch zu nehmen. Also ich glaube, dies sind Standpunkte, die sich nicht widersprechen, die nicht erlauben, denjenigen, der dies auf sich nimmt, gewaltfrei, als außerhalb der Verfassung stehend auszugrenzen. Ich könnte Ihnen aus der Geschichte noch andere Beispiele nennen, wo Regelverletzungen als Beweis für die Glaubwürdigkeit des eigenen Einsatzes eine Rolle gespielt haben.

Bajor: Leisten Sie damit nicht einer Erosion des Verfassungsverständnisses gerade in der jungen Generation erheblichen Vorschub?

Vogel: Schauen Sie, das ist doch keine Erosion des Verfassungsverständnisses, wenn ich dem jungen Menschen sage, tu dies nicht, aber wenn du’s tust, weil dich dein Gewissen dazu treibt, dann weil du glaubst, du mußt dies tun, dann beschwer dich nicht, wenn nach den Regeln verfahren wird und wenn du das, was auf der Regelverletzung als Folge steht, wenn du das dann auch auferlegt bekommst. Das ist völlig innerhalb der Verfassung.

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