Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 169: Qualitätsjournalismus in der Krise

Struk­tur­wandel der Medienwelt

Ein aktueller Literaturbericht

aus: Vorgänge Nr. 169 (Heft 1/2005), S. 58-74

Die Rettung der Schriftkultur vor der totalen Visualisierung erwächst aus der Analyse ihrer Anfänge. Würde dieser Einstiegssatz Sie zum Weiterlesen des Literaturberichts animieren? Dieser Frage ist Dorothee Krings in ihrer empirischen Untersuchung über die Wirkungen von Anfangssätzen in Pressekommentaren und Reportagen nachgegangen:

Dorothee Krings: Den Anfang machen. Einstiegssätze in Reportage und Kommentar und ihr Einfluss auf die Rezeptionsentscheidung von Lesern, VS Verlag für Sozialwissenschäften: Wiesbaden 2004, 164 S., ISBN 3-531-14254-2; 19,90 Euro

Sie ordnete Einstiegssätze beider Genres aus der Süddeutschen Zeitung und ließ sie von Probanden bewerten. Die Konzentration auf die Präferenzen der Rezipienten, also der Leser, ergibt allerdings kein grundsätzlich neues Bild: Viele Leser wünschen informative, nur in Maßen verrätselte Anfänge, die Information statt Schönheit in den Mittelpunkt stellen, um die Entscheidung über das Weiterlesen rasch fällen zu können. Derart prosaische Erkenntnisse werden nicht alle von Krings nach praktischen Schreiberfahrungen mit „Ersten Sätzen” befragten SZ-Redakteure erfreuen, zumal jene – wie wohl jeder Schreibende – von schlaflosen Nächten berichten können, die ihnen Grübeleien über passende Anfänge bereiteten.

Welche Rolle spielen – gut oder schlecht begonnene – Pressekommentare für die politische Öffentlichkeit in Deutschland? Diese Frage rührt an das Herz der demokratischen Ordnung, weil in der Demokratie nach herkömmlicher Interpretation der „Vierten Gewalt” entscheidende Kontrollfunktion zukommt. Können Kommentare angesichts von Trivialisierung und Krisenanfälligkeit der Medien überhaupt noch ihre kritische Rolle wahrnehmen? Der Sammelband von Christiane Eilders/Friedhelm Neidhardt/Barbara Pfetsch (Hgg.): Die Stimme der Medien. Pressekommentare und politische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2004, 431 S., ISBN 3-531-14217-8; 39,90 Euro präsentiert dazu die mehrjährige Forschungsarbeit der Abteilung Öffentlichkeit und soziale Bewegungen am Berliner Wissenschaftszentrum. Anhand von fünf überregionalen Tageszeitungen von rechts bis links (Welt, Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, taz) wurden für den Untersuchungszeitraum 1994 und 1998 8.946 politische Kommentare gesammelt und ausgewertet. Der Band stellt somit eine empirisch gesättigte, einzigartige Fundgrube dar: So rücken die Herausgeber in Kapitel 2 der zahlenmäßig kleinen, aber redaktionell einflussreichen Gruppe von meinungsführenden Kommentatoren
(der „Öffentlichkeitselite”) zu Leibe, inklusive ihrer wechselseitigen kollegialen Wahrnehmungen. In Kapitel 4 untersucht Neidhardt die Kommentare auf die dominanten Themen und Inhalte. Im zweiten Teil des Buches finden sich dann umfassende Abschnitte zur Kommentierung der Schwerpunkte Recht und Justiz, Medienpolitik, Wissenschaft, Rechtsextremismus oder zur Gemeinwohlrhetorik. Wen der Einfluss der Qualitätspresse auf die politische Öffentlichkeit interessiert, muss künftig diesen Band studieren.

Barbara Pfetsch, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim, hat über mehrere Jahr hinweg die Politikvermittlungsprozesse in Amerika und Deutschland vergleichend untersucht. Aufgrund von 112 Interviews (leider bereits aus den Jahren 1992-95 stammend), die auf insgesamt 3.000 Seiten transkribiert wurden, stellt sie die Rolle von Pressekonferenzen und Hintergrundkreisen, von Meinungsumfragen und den Einfluss der Pressesprecher sowie regierungsamtlicher Kommunikationsinstitutionen in beiden Ländern dar:

Barbara Pfetsch: Politische Kommunikationskultur. Politische Sprecher und Journalisten in der Bundesrepublik und den USA im Vergleich, Westdeutscher Verlag: Wiesbaden 2003, 273 S., ISBN 3-531-13708-5; 32,90 Euro

Es ist ein theoretisch wie empirisch anspruchsvolles Projekt, das überzeugend und detailliert das Nähverhältnis zwischen Journalismus und politischen Sprechern hierzulande belegt; die Autorin konstatiert ein „Harmoniebedürfnis auf beiden Seiten”. In Amerika dagegen sei das Verhältnis distanzierter, wenngleich die Sprecher dort sich von vorneherein den Eigenlogiken des medialen Systems viel stärker unterordneten. Noch stünden aber einer oft voreilig als „Amerikanisierung” begriffenen Veränderung in der deutschen politischen Kommunikationskultur wesentliche Faktoren entgegen: die verfassungsrechtlich gesicherte, starke Rolle der Parteien sowie die differenzierte Medienlandschaft mit einem starken Anteil öffentlich-rechtlicher Strukturen.

Einer, der dieses Wechselspiel zwischen Politik und Journalisten lange Jahrzehnte miterlebte (und mit betrieb), hat nun ein dickes Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Jürgen Leinemann, Reporter des Spiegel in Bonn und Berlin, kennt die politische Klasse wie kaum ein zweiter und hat viele ihrer zentralen Figuren porträtiert:

Jürgen Leinemann: Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, Blessing: München 2004, 491 S., ISBN 3-89667-156-1; 20 Euro

Es ist ein ambivalentes Buch mit einem fälschlicherweise ein Pamphlet verheißenden Titel geworden: Stellenweise liest es sich wie ein – passend nach Generationen gegliederter –„Kurzer Lehrgang“ in bundesrepublikanischer Nachkriegsgeschichte. Die vielen raumgreifenden Exkurse in Kultur und Zeitgeist hat man allerdings anderswo schon präziser beschrieben gefunden. Zuviele Lesefrüchte aus dem Zettelkasten (von Jacob Burckhardt bis Sloterdijk), vielleicht einem zu ehrgeizigen Deutungsanspruch geschuldet, dämpfen die Lust am Notizblock des Reporters, aus dem oft brillante Erzählungen und kluge Interpretationen stammen. Auch wenn sich der Autor an manchen Stellen autobiographisch einbringt, hätte ein wenig mehr Selbstanalyse dem Buch gut getan: Denn was wäre die Welt der Politiker ohne ihre medialen Interpreten wie Leinemann?

Wissenschaftler und Praktiker beider Seiten (Journalisten, Politikberater, Untemehmenssprecher) führt der Sammelband
Lothar RolkeNolker Wolff (Hgg.): Die Meinungsmacher in der Meinungsgesellschaft. Deutschlands Kommunikationseliten aus der Innensicht, Westdeutscher Verlag: Wies-baden 2003, 189 S., ISBN 3-531-14089-2; 22,90 Euro zusammen.

In den Aufsätzen von Miriam Meckel und Walter Bajohr treffen wir noch einmal auf die Fernsehduelle zwischen Schröder und Stoiber 2002; die Interaktionen von Politik und Medien werden anhand dieses Beispiels oberflächlich rekapituliert. Der ehemalige Chefredakteur des Spiegels und des manager magazins, Wolfgang Kaden verweist auf die hermetische bis irreführende Öffentlichkeitsarbeit deutscher Unternehmen, die Wirtschaftsjournalisten die Arbeit erschweren. Martin Löffelholz fordert die stärkere Verknüpfung von handlungs- und systemtheoretischen Modellen, um die Funktion und Organisation von Politik- und Wirtschaftsjournalismus besser zu beschreiben. Hans Matthias Kepplinger versucht empirisch, die Unterschiede zwischen den medialen Kompetenzen von Managern und Politikern herauszuarbeiten.

Passen die wesentlichen Befunde der Journalismus- und Medienforschung auf knapp 600 Seiten zwischen zwei Buchdeckel? Obwohl dies kaum vorstellbar erscheint, ist es den Herausgebern des Handbuchs Günter Bentele/Hans-Bernd Brosius/Otfried Jarren (Hg.): Öffentliche Kommunikation. Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2003, 607 S., ISBN 3-531-13532-5; 38,90 Euro gelungen, den Stand der neueren Kommunikationsforschung mit beeindruckender Vollständigkeit abzubilden. Alle wesentlichen kommunikationsgeschichtlichen Teildisziplinen werden hier mit ihrer Forschungsprogrammatik und ihren leitenden Fragen skizziert, die wesentlichen Forschungsfelder – etwa: Kommunikatorforschung, Medienwirkungsforschung, Medieninhaltsforschung – beschrieben. Meist stammen die ca. 15 Seiten langen Einträge aus der Feder der für das jeweilige Gebiet wichtigsten Fachvertreter, so dass die Darstellung durchgehend kompetent und souverän ist. Für jeden Leser auch außerhalb der Kommunikationswissenschaft, der sich ein Bild vom Forschungsstand dieser Disziplin machen will, ist dieser Band eine mehr als lohnenswerte Anschaffung.

Die deutsche Medienwirtschaft ist spätestens seit der großen Medienkrise von 2001 Gegenstand zahlreicher Debatten. Wer sich mit dem Gebiet Medienökonomie systematisch befassen will, kommt um die folgende Publikation nicht herum:

Klaus-Dieter Altmeppen/Matthias Karmasin (Hg.): Medien und Ökonomie. Bd. 1/l: Grundlagen der Medienökonomie. Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft; Bd. 1/2: Grundlagen der Medienökonomie. Soziologie, Kultur, Politik, Philosophie; Bd. 2: Problemfelder der Medienökonomie (Bd. 3 u. 4 in Vorbereitung), VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2003ff., ISBN 3-531-13631-3; je 22,90 Euro (112; 2) bzw. 24,90 Euro (1/1)

In den insgesamt vier Bänden werden die Grundlagen der Medienökonomie als einer Hybrid-Disziplin aus Medien- und Wirtschaftswisssenschaften dargestellt. Ausgehend von der Charakterisierung von Medien als meritorische Güter (sowohl Kulturgut als auch Ware) wird die Medienökonomie als eigenständige Wissenschaft entwickelt und auf aktuelle Problemfelder des Medienmanagements angewandt.

Wer nach detaillierten Informationen zur wirtschaftlichen Krise der Tageszeitungen sucht, kann sich durch eine ebenso umfassende wie nützliche Artikel- und Interviewsammlung der taz arbeiten, die deren Recherchedienst anhand der in den letzten sechs Jahren in der taz zum Thema erschienenen Artikel zusammengestellt hat:

Zeitungsdämmerung. Die Presse, die Krise und der ganze Rest, hg. v. RechercheDienst der taz, taz: Berlin, September 2004, 136 S., Bestellmöglichkeiten: www.taz.de; e-mail: recherche@taz.de; Tel. 030/2590 2284; Fax: 030/2590 2684;10 Euro zuzügl. Versand
Vom Boom am Ende der 1990er Jahre, als alle überregionalen Blätter ihre Berlin-Seiten lancierten, über den beinharten Kampf einiger Verleger gegen die bisherigen Kartellrichtlinien, die Fusionen verhindern sollen, um noch größere Pressekonzentrationen zu vermeiden, bis zum Zusammenbruch des Anzeigenmarktes finden sich hier alle Tendenzen der letzten Jahre in thematischen Kapiteln geordnet. Am Ende steht ein umfangreicher Statistikteil, der Orientierung über die Werbeeinnahmen und Auflagenhöhen der letzten Jahre, die Beteiligungen der diversen Verlagsgruppen an der regionalen und überregionalen Presse u.v.m. verschafft.

Trotz einiger Krisensymptome waren bis vor kurzem die Regionalzeitungen ein festes Standbein der deutschen Presselandschaft. Doch auch hier kündigen sich dramatische Veränderungen an: Bereits Mitte der 1990er Jahre abonnierte nur ein Drittel aller 20- bis 29jährigen eine regionale Tageszeitung, in Großstädten gar nur jeder sechste aus dieser Altersgruppe. Da Leser in späteren Jahren kaum hinzugewonnen werden können, stehen auch hier unvermeidlich empfindliche Einbußen in der Leserschaft bevor. Welche Gründe nun für jene aussterbende junge Minderheit an Abonnenten entscheidend sind, versucht die Dortmunder Dissertation von Lars Rinsdorf: Einflussfaktoren auf die Abonnemententscheidung bei lokalen Tageszeitungen, LIT Verlag: Münster/Hamburg/London 2003, 201 S., ISBN 3-8258-6753-6; 19,90 Euro u.a. anhand von Interviews mit Probanden aus unterschiedlichsten Lebenswelten herauszufinden. Wichtig sind vor allem die einstigen Leseerfahrungen im Elternhaus. Je-doch erschwert eine wachsende Mobilität die Entscheidung, dann im ersten eigenen Haushalt eine Zeitung zu abonnieren; der Preis ist überraschenderweise eher nebensächlich. Genutzt wird die Regionalzeitung – entgegen landläufigen Vorstellungen – weniger als lokales Servicemedium. Vielmehr steht die überregionale Information in Mittelpunkt des Interesses; die im Vergleich zu den Überregionalen einfachere Sprache wird hier offenbar goutiert.

Wer sich einen ersten Überblick über die Geschichte deutscher Tageszeitungen in den letzten zweihundert Jahren verschaffen möchte, kann sich in der ausführlich bebilderten Einführung von Konrad Dussel: Deutsche Tagespresse im 19. und 20. Jahrhundert, LIT Verlag: Münster 2004, 272 S., ISBN 3-8258-6811-7; 19,90 Euro informieren. In zehn historisch angelegten Kapiteln (nur Kapitel 4 widmet sich systematisch den technischen Umwälzungen Ende des 19. Jahrhunderts) schildert der Mannheimer Lehrstuhlinhaber mitunter etwas betulich die Entwicklung der Zeitungslandschaft hierzulande. Die Parallelisierung mit der politischen Geschichte macht Sinn, doch hätte man sich einige vergleichende Betrachtungen über andere Länder gewünscht. Ebenso fällt die weiterführende Literatur am Ende jedes Kapitels zu kursorisch aus; die konkrete Nennung einiger Titel wäre sinnvoller gewesen. Doch im ganzen kann man den Band für einen ersten Einstieg in die Pressegeschichte gut verwenden.

Zur harten Theoriearbeit: Ein Standard-Referenztitel könnte Bertram Scheufele: Frames – Framing – Framing-Effekte. Theoretische und methodische Grundlegung des Framing-Ansatzes sowie empirische Befunde zur Nachrichtenproduktion, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2003, 248 S., ISBN 3-531-14040-X; 25,90 Euro werden. Denn auch wenn der Autor mit dem sperrigen Titel dieses Bandes wohl kaum einen Preis zur Sprachpflege in den Sozialwissenschaften gewinnen wird, leistet er doch mit diesem Buch erstaunliches. Framing ist ein relativ neues Konzept der Medienwirkungsforschung und bedeutet, dass Medienberichterstattung in den Köpfen der Zuschauer und Leser „rahmende” Effekte hat. Kulturelle und politische Vorlieben werden über Jahre und kontinuierlich durch Medienberichterstattung aufgebaut und bestimmen dann auch, wie ein aktuelles Ereignis von den Rezipienten aufgenommen wird. Das ist insoweit sehr plausibel – und erinnert schon als Walter Lippmanns berühmte pictures in their heads –, hatte aber bislang den Nachteil, dass die verschiedenen Framing-Modelle unterschiedlicher Wissenschaftszweige nie zu einem Konzept zusammengeführt wurden. Diese Arbeit hat nun Scheufele unternommen und seine systematischen Ergebnisse auch noch empirisch unterlegt. Die produktive Diskussion um die verschiedenen Framing-Modelle und ihre Effekte kann dadurch nur beflügelt werden.

Der Zusammenhang zwischen der jeweils vorherrschenden Medienkultur und ihrer Reflexion in der Kulturkritik ist spätestens seit Günter Anders‘ Antiquiertheit des Menschen ein gängiger Topos auch der kommunikationswissenschaftlichen Diskussion:
Klaus Neumann-Braun (Hg.): Medienkultur und Kulturkritik. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2002, 234 S., ISBN 3-531-13772-7; 24,90 Euro

Der vorliegende Sammelband beleuchtet dieses Wechselspiel aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Im Zentrum der Beiträge stehen Studien zur gegenwärtigen Medienkultur, aber auch zu literaturwissenschaftlichen Themen wie „Novalis und die Reflexivität des Hörens” (Harro Zimmermann). Interessant vor allem der Beitrag von Jörn Ahrens zum Thema „Code – Anmerkungen zu einer ubiquitären Kategorie”, die einen ersten Versuch darstellt, eine Ordnung in die diversen Code-Begriffe der Medienwissenschaften zu bringen. Insgesamt jedoch fehlt dem Band – der als Festschrift für Stefan Müller-Doohm konzipiert wurde – ein klares thematisches Zentrum. Die klassische Kulturkritik, die ja eine starke und wichtige Denkrichtung eigenen Rechts darstellt, findet hier – obwohl titelgebend – so gut wie keine Erwähnung.

Ein ubiquitärer Allgemeinplatz gegenwärtiger Kulturkritik ist jedenfalls das laute Klagelied über die ARD-Polit-Talkshow Sabine Christiansen. Das demokratiegefährdende Potential dieses Sendeformats ist innerhalb der gebildeten Stände unumstritten („Parlamentsersatz“). Wer in der Hoffnung auf eine Erklärung von Wesen und Erfolg, oder wenigstens auf eine intelligent-demaskierende Kritik dieser Sendung nach dem Buch Walter van Rossum: Meine Sonntage mit „Sabine Christiansen”. Wie das Palaver uns regiert, Kiepenheuer & Witsch: Köln 2004, 185 S., ISBN 3-462-03394-8; 8,90 Euro greift, wird enttäuscht. Es ist ein Pamphlet, das in weiten Teilen nur am Rande mit der Sendung zu tun hat. Stattdessen breitet der Autor aus, was er ohnehin zum Zustand der Republik schon immer einmal sagen wollte oder sich hier und dort zusammengelesen hat – und das auch noch höchst unoriginell, weil man die Kritik an Sozialabbau, Steuerflucht, Großkapital und neoliberalen Meinungseliten in dieser inhaltsfreien Form schon zu oft vernommen hat, als dass sie nicht irgendwann ermüdete. Rätselhaft bleibt vor allem, wie der Autor, der immerhin 1988 den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik erhielt, stilistisch auf das niedrige Niveau seines attackierten Objekts herabsinken konnte: eine Einladung als Gast in die Sendung wäre allemal gerechtfertigt.
Wenn Journalisten über die Tätigkeit von Journalisten schreiben, dient das auf der einen Seite dem Branchenklatsch und der Selbstbeweihräucherung. Zunehmend ist aber in den letzten Jahren erkannt worden, dass „Journalismusjournalismus” auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion einnimmt: Wenn Medien der Gesellschaft die Selbstbeobachtung und -korrektur ermöglichen, muss auch die Beobachtungsinstanz Beobachtungen ausgesetzt sein, um einwandfrei zu funktionieren. Es geht um die Frage, wer die Kontrolleure kontrolliert.

Maja Malik: Journalismusjournalismus. Funktionen, Strukturen und Strategien der journalistischen Selbstthematisierung, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2004, 429 S., ISBN 3-531-14205-4; 38,90 Euro

Die Autorin legt mit dieser preisgekrönten Dissertation die erste große Studie über den deutschen Medienjournalismus vor. Sie untersucht die Kommunikationsmechanismen des Journalismus über Journalismus im Kontext einer allgemeinen, funktionalen Journalismustheorie, knüpft dabei an kognitionstheoretische und sozialpsychologische Erkenntnisse zur Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung an und fundiert ihre theoretischen Konzepte empirisch.

Vielleicht ist dem Forschungsfeld des Medienjournalismus mit Werken wie dem von Malik eine bessere Zukunft zu prophezeien als einer anderen kommunikationswissenschaftlichen Disziplin, der Zeitschriftenforschung:

Andreas Vogel/Christina Holtz-Bacha (Hg.): Zeitschriften- und Zeitschrifteinforschung, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2002 (= Sonderheft 3/2002 der Publizistik. Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung), 291 S., ISBN 3-531-13661-5; 28 Euro

Bei dem vorliegenden Heft handelt es sich um einen neuerlichen Versuch, einer zentralen, doch wenig erforschten Pressegattung zu einer systematischen Begleitforschung zu verhelfen. In zumeist sehr überzeugenden Aufsätzen plädieren Autoren wie Hans Bohrmann, Rudolf Stöber, Ulrike Röttger, Michael Schmolke und Patrick Rössler für eine Integration der Zeitschriftenforschung in die Kommunikationswissenschaft, skizzieren den Forschungsstand, untersuchen einzelne Gattungen wie die Kirchenpresse oder Kundenzeitschriften und präsentieren empirische Forschungsergebnisse. Es ist verdienstvoll, dass so der Blick einmal mehr auf den Komplex der Zeitschriften gelenkt wird. Ob dies aber zu einer nachhaltigen Vitalisierung des Forschungsfeldes führt, muss angesichts des Schicksals vorheriger Versuche bezweifelt werden.

„Mannsein ist kein Zuckerschlecken.” Dieser universellen Erkenntnis fühlen sich die Macher von Men’s Health verpflichtet, die als führende deutsche Männerzeitschrift gelten kann und immerhin mehr als 280.000 Exemplare verkaufte, übrigens zu 61 Prozent an Angestellte und Beamte (Stand: Ende 2001). Eine Dortmunder Examensarbeit hat sich nun den Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern dieser Zeitschrift sowie deren Folgen für die dort verhandelten Liebe-und-Sexualität-Fragen gewidmet:

Lars Bregenstroh: Tipps für den modernen Mann. Männlichkeit und Geschlechterverhältnis in der Men’s Health, LIT Verlag: Münster/Hamburg/London 2003, 175 S., ISBN 3-8258-6831-1;19,90 Euro

Vorbildlich wird hier Theorie mit empirischer Analyse verknüpft: Die drei umfassenden einleitenden Kapitel referieren im Schnelldurchgang die Konstruiertheit und historische Bedingtheit der Geschlechterverhältnisse sowie deren Widerspiegelung in den Massenmedien. Dann werden vier Ausgaben des Jahres 2001 detailliert untersucht, was dem Leser viele komische Momente verschafft. Sichtbar wird, wie dieses Produkt bekannte Vorbilder von Frauenzeitschriften erfolgreich auf eine neue Zielgruppe überträgt: Männer seien durch die Irritationen der Geschlechterfragen „reif” für eine solche Zeitschrift geworden – was traditionelle, allenfalls geringfügig modernisierte Männlichkeitsstereotype hinsichtlich Körperlichkeit und Sexualität gerade nicht ausschließt.
Medien und bewaffnete Konflikte: In den vergangenen Jahren wird in Fachkreisen viel über den Sinn und das Problemlösungspotenzial eines „Friedensjournalismus” diskutiert. Dass die klassische Kriegsberichterstattung, in der Reporter von Krisenschauplatz zu Krisenschauplatz ziehen, nicht mehr zeitgemäß ist, wird anhand der Lektüre von Bettina Gaus: Frontberichte. Die Macht der Medien in Zeiten des Krieges, Campus Verlag: Frankfurt/Main/New York 2004, 193 S., ISBN 3-593-37543-5;19,90 Euro mehr als deutlich. Auf Grundlage eigener Beobachtungen weist die langjährige Afrika-Korrespondentin der taz detailliert nach, wie Kriegsberichterstatter aus Krisenregionen durch kulturelles und politisches Unwissen, unzureichende Arbeitsbedingungen und Beeinflussung durch Kriegsparteien immer wieder ein falsches Bild vom Krieg zeichnen, das dann den Diskurs in der Heimat prägt.

Ob allerdings wie auch immer gearteter „Friedensjournalismus” eine bessere Berichterstattung garantieren kann, ist umstritten. Den bislang existierenden normativen Bestimmungen des Begriffs „Friedensjournalismus” zumindest erteilt Martin Löffelholz eine klare Absage. Dahinter stecke ein medienpädagogisches Konzept, das weder mit den realen Aufgaben und Arbeitsbedingungen von Kriegsberichterstattern noch mit der theoretischen Aufgabenzuweisungen an den Journalismus in Einklang zu bringen sei, schreibt der Ilmenauer Kommunikationswissenschaftler in der Einleitung zu:

Martin Löffelholz (Hg.): Krieg als Medienereignis II. Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-13997-5; 34,90 Euro

Dieser Band, Nachfolger eines ähnlich angelegten Werkes aus den frühen 1990er Jahren, enthält viele bemerkenswerte Beiträge zum Verhältnis von Journalismus und Krieg aus historischer und systematischer Perspektive, die naturgemäß in ihrer Qualität stark differieren. Herausragend der einleitende Beitrag aus Löffelholz‘ Feder, in der systematisch in das Forschungsfeld Kriegs- und Krisenkommunikation eingeführt wird und Perspektiven für die Forschung aufgezeigt werden.

Zurück in die Vergangenheit: Die bundesdeutsche Nachkriegsmediengeschichte zehrt bis heute von ihren Gründungsmythen. Hier waren Aufstiege aus dem scheinbaren Nichts möglich, die in anderen, stärker von Kontinuitäten geprägten Wirtschaftszweigen so nicht denkbar waren. Zwanzig Jahre nach dem Tod eines der umstrittensten deutschen Medienunternehmer widmet sich eine Biographie dem Wirken seiner Witwe:

Inge Kloepfer: Friede Springer. Die Biographie, Hoffmann und Campe: Hamburg 2005, 319 5., ISBN 3-455-09489-9; 22 Euro

Das Erbe Axel Springers, das viele Konkurrenten von Kirch bis Burda gerne unter sich aufgeteilt hätten, wurde von der oft unterschätzten Friede Springer gesichert – zumindest bis auf weiteres. Der Werdegang des friesischen Kindermädchens im Hause Springer zur Mätresse, dann fünften und letzten Ehefrau des Verlegers bis hin zur heutigen Mehrheitseignerin der AG trägt zweifellos filmreife Züge. Ihre Biographin, Wirtschaftskorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, hat denn auch tief in die Farbeimer gelangt und manche Passage penetrant-blumig ausgemalt. Das liest sich unterhaltsam, doch hätte man die Medienmacht des Weltanschauungskonzerns Springer unter Friedes Ägide – und mit Mathias Döpfner an der Spitze – gerne einmal jenseits von „Wer gegen Wen“-Betrachtungen präsentiert bekommen.

Geschickt ausgeübte Medienmacht (und eine mindestens so ambitionierte Vergangenheitspolitik) lässt sich am Beispiel des Bertelsmann-Konzerns demonstrieren. In ihrem Buch über die Geschichte des Mediengiganten skandalisieren Frank Böckelmann und Hersch Fischler den aus ihrer Sicht bislang geschickt camouflierten politischen Einfluss des ostwestfälischen Konzerns. Dabei kultivieren die Autoren den aufklärerischen Gestus:

Frank Böckelmann/Hersch Fischler: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums, Eichborn Verlag: Frankfurt/Main 2004, 348 S., ISBN 3-8218-5551-7; 19,90 Euro

So sehr der Einfluss von Bertelsmann ein spannendes, allemal diskutierenswertes Thema ist, so sehr verfehlt Böckelmanns und Fischlers Enthüllungsstück sein Ziel. Statt den heutigen Einfluss des Medienhauses in den Mittelpunkt des Buches zu stellen, referieren sie langatmig die Unternehmensgeschichte, wobei sie sich vornehmlich auf den erst vor wenigen Jahren publizierten Bericht der Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte von Bertelsmann im „Dritten Reich” stützen. Zwar gelingt es ihnen dabei, dem Konzern zahlreiche kleine und größere Lügen im Umgang mit seiner Historie nachzuweisen, doch zu einer Erhellung der Frage, wie und zu welchem Nutzen Bertelsmann heute wirtschaftlichen mit politischem Einfluss kombiniert, trägt diese Darstellung wenig bei. Dort dagegen, wo man gerne mehr über die Netzwerke der Gütersloher erfahren hätte – vor allem die Tätigkeit der Bertelsmann Stiftung –, verharrt die Darstellung an der Oberfläche und wird oft geradezu peinlich dünn.

„Fahl, staubgrau, dazu noch ungenau bis schlampig” – Fritz J. Raddatz‘ Verdikt über ein Porträt des großen Verlegerantipoden Springers, Rudolf Augstein, fällt viel-leicht übertrieben eindeutig aus. Jedoch ist Dieter Schröder, einstiger Spiegel-Reporter und später Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, tatsächlich der erratischen Rätsel-natur Augsteins nicht wirklich auf den Grund gegangen:

Dieter Schröder: Augstein. Siedler: München 2004, 319 S., ISBN 3-88680-782-7; 22,90 Euro

Viele der zahllosen Legenden um den Spiegel-Gründer, die der Autor mitteilt, sind schon länger bekannt. Zu klären wären Wandel und Kontinuitäten im Leben des Verlegers gewesen, des „Nationalliberalen” (Ralf Dahrendorf) und „Nationalisten” (Erich
Kuby), den man „linker gelesen [habe], als er war” (Iring Fetscher). Interessant wäre auch ein Vergleich des frühen mit dem späten Augstein: Sind die Marotten, Unberechenbarkeiten, Unsicherheiten und Unsinnigkeiten nicht erst Auswüchse desjenigen, der alles erreicht hat und nicht mehr mächtiger und kaum noch reicher werden kann? Augsteins multipler Persönlichkeit kam jedenfalls jüngst Joachim Fest in der Porträtskizze in seinem Erinnerungsbuch Begegnungen um vieles näher.

Augstein hatte der Sportwagenliebhaberin Marion Gräfin Dönhoff einst einen Porsche zum Geburtstag geschenkt, den sie jedoch lächelnd zurückwies. Bei ihrem Arbeitgeber war sie da weniger ablehnend: Verleger Gerd Bucerius schenkte ihr ein Haus, zu ihrem 70. Geburtstag 70.000 DM und zu ihrem 80. entsprechend 80.000 Mark. Auch ansonsten ist beider Beziehung nicht unbedingt von hanseatischer bzw. preußischer Zurückhaltung geprägt, wie man dem Briefwechsel der beiden entnehmen kann:
Ein wenig betrübt, Ihre Marion. Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius. Ein Briefwechsel aus fünf Jahrzehnten, hg. v. Haug von Kuenheim u. Theo Sommer, Siedler: Berlin 2003, 303 S., ISBN 3-88680-798-3; 22 Euro

Immer intensiv, zumeist herzlich, nicht selten aber auch leidenschaftlichempört übereinander haben beide gemeinsam das Schicksal ihrer Wochenzeitung, der Zeit, erörtert. Rund 160 der 280 erhaltenen, zwischen 1954 und 1993 gewechselten Briefe haben die Herausgeber mit knappen Erklärungen versehen und veröffentlicht, einige wohl gekürzt um die heftigsten Invektiven über Redakteure des Blattes oder sonstige Personalia, von denen sich ohnehin viel in den Briefen finden. „Was bloß ist mit der Zeitung los?”, sorgt sich der Verleger ständig, nicht nur in 20seitigen Blattkritiken einzelner Zeit-Ausgaben: „wir können zwischen Spiegel und FAZ zerrieben werden.” Beide schenkten sich nichts: „Warum hassen Sie mich?”, fragte er die Gräfin, die nach „Gutsherrinnenart” herrschen wolle, was sie mit dem Vorwurf des „Schlotbarons” konterte. Fast vierzig Jahre deutscher Pressegeschichte spiegeln sich in diesem ebenso schönen wie wichtigen Buch.

Zweifellos gehören die einzigartigen Gestalten Augstein, Axel Springer, Dönhoff einer unwiederbringlich vergangenen Epoche an. Wie sehen die heute und künftig prägenden Figuren des Medienbetriebs aus? 24 Studierende des Hamburger Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft haben erfolgreiche Journalisten interviewt, nach ihren Erfahrungen in der Branche befragt und diese Gespräche in gut gestreuter Pressearbeit schon vorab in vielen Medien untergebracht:

Bernhard Pörksen (Hg.): Trendbuch Journalismus. Erfolgreiche Medienmacher über Ausbildung, Berufseinstieg und die Zukunft der Branche, Herbert von Halem Verlag: Köln 2005, 299 S., ISBN 3-9311606-87-2; 16 Euro

Das Überschriftenmachen will zwar noch gelernt werden: selten ist ein Buch so irreführend, ja resonanzverhindernd betitelt worden, da die von den Profis offerierten Trends selten über Allgemeinplätze hinaus kommen. Dennoch ist es ein höchst interessantes und äußerst kurzweiliges Buch geworden, das facettenreiche biographische Selbstauskünfte bietet. Vergnügt liest man, wie die Mode- und Lifestyle-Redakteurin der SZ-Wochenendbeilage Rebecca Casati von ihren unwesentlich jüngeren Gesprächspartnerinnen mit dem fragwürdigem Sinn ihres Schreibens konfrontiert wird oder mit ihrer Liaison mit FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher. Nicht alle Interviews sind derart anregend-aggressiv, trotzdem vermögen Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust, Bild-Chef Kai Diekmann, Zeit-Herausgeber Michael Naumann, Tagesthemen-Moderatorin Anne Will, Talkmasterin Sandra Maischberger und ihr Kollege Reinhold Beckmann, taz-Chefin Bascha Mika, die Reporter Cordt Schnibben und Helge Timmerberg, Klatsch-Kolumnistin Katja Keßler, Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg, Politik- und Medienberater wie Michael Spreng und viele andere die Probleme und Unübersichtlichkeiten der Medienlandschaft sowie die Krisenanfälligkeit des journalistischen Berufslebens vor Augen zu führen.

Von der Krise der Tagespresse besonders betroffen scheint das Feuilleton – oder vermag es nur theatralischer als andere zu wehklagen? Schon war von Subventionierung die Rede, da es unverzichtbares Kulturgut sei. Dass es tatsächlich einmal ein intellektuelles Leitmedium des Kulturjournalismus gab, das unabhängig von den Pressionen des Marktes das geistige Bewusstsein Deutschlands nach 1945 prägen konnte, daran erinnert die verdienstvolle und zudem gut geschriebene zeitgeschichtliche Untersuchung von Monika Boll: Nachtprogramm. Intellektuelle Gründungsdebatten in der frühen Bundesrepublik, LIT Verlag: Münster 2004, 270 S., ISBN 3-8258-7108-8; 24,90 Euro

Nach 22 Uhr sendeten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten NWDR, HR, SWF, BR und der RIAS bis in die 1960er Jahre hinein sogenannte Nachtprogramme, die den Kulturhunger der geistigen Eliten nach 1945 befriedigen sollten. Zwar blieb dieses Radioprogramm naturgemäß eine Minderheitenveranstaltung, doch immerhin erreichte es beispielsweise im Sendegebiet des NWDR 100.000 Personen. Die Autorin stellt zum einen mit dem Instrumentarium der intellectual history die geistigen Traditionen der Redaktionen und Redakteure dar, wobei sie wenig überzeugend eine überkommene elitär-kulturkritische Dominanz herausarbeiten will. Zum anderen geht es ihr um die intellektuellen Diskurse, die via Nachtstudio in die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft wirkten und in denen sich vorzugsweise Soziologen tummelten: Plessner, Gehlen, Adorno, König, Schelsky machten erst durch ihre Radiodiskussionen und -vorträge die Soziologie zur Leitwissenschaft, so könnte man zugespitzt formulieren. Ihre wirksamsten Unterstützer sind dabei die KuIturredakteure der Rundfunkanstalten, was Boll anhand zahlreicher Archivmaterialien illustriert – nicht zuletzt der einflussreiche Nachtstudioleiter des Bayrischen Rundfunks und Gründer der vorgänge, Gerhard Szczesny.
Kulturkritik erscheint da als einziger Ausweg, wenn man nach dieser Lektüre zurück aus längst versunkenen Zeiten in der tristen Gegenwart des Kulturjournalismus angelangt ist. In einem Sammelband reflektieren Praktiker und Theoretiker dessen aktuelle Bedeutung:

Michael Haller (Hg.): Die Kultur der Medien. Untersuchungen zum Rollen- und Funktionswandel des Kulturjournalismus in der Mediengesellschaft, LIT Verlag: Münster 2002, 234 S., ISBN 3-8258-5907-x; 20,90 Euro

Rüdiger Steinmetz deutet noch einmal die Trash-Fernsehshow Big Brother als endgültigen Beleg für den Wandel der Fernseh-Programms vom Kulturgut zur Ware; Hans-Jürgen Bucher beschreibt in einem klugen, weit in die Geschichte ausgreifenden Aufsatz den Wandel der journalistischen Schriftkultur hin zur gegenwärtig immer stärker werdenden Visualisierung von Texten durch Grafiken usw. – diese müssten endlich in eine Kommunikationstheorie miteinbezogen werden. Manfred Eichel, Verantwortlicher für Kultur beim ZDF, zeichnet das durchwachsene Schicksal der Kulturmagazine im Fernsehen nach. Und Jens Jessen, Feuilleton-Chef der Zeit, vermag in der kurzen Blüte-zeit des Feuilletons in den 1990er Jahren nur die Glanzzeit einer seiner Untergruppen, des politischen Feuilletons, zu entdecken. Doch die Anfeindungen durch alles Populäre seien existenzgefährdend für ein Genre, das Kenntnisse, Bildung und Tradition zur Voraussetzung hat: „Wenn die Vorstellung um sich greift, Kultur müsse anstrengungslos und Vorbildungslos für alle zugänglich sein, beginnt das Totenglöcklein für das Feuilleton zu läuten”; es solle eine Sporenform annehmen, um im „Dauerfrost des eskalierenden Populismus” zu überleben.

Um sich gegen diese sibirische Kälte ein wenig zu wärmen, hilft auch dem individualistischen Feuilletonisten das Wir-Gefühl, zumal wenn es mit staatlichen Finanzmitteln, in diesem Falle der Bundeskulturstiftung, wenigstens für ein Wochenende erzeugt wird. Eine Tagung im September 2003 wurde zum Klassentreffen des deutschen Kulturjournalismus, auf dem intensiv die Krise des Feuilletons diskutiert wurde; Vor-träge und Diskussionen kann man jetzt in einem ebenso intelligenten wie preiswerten Taschenbuch nachlesen:
Thomas Steinfeld (Hg.): Was vom Tage bleibt. Das Feuilleton und die Zukunft der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland, Fischer Taschenbuch: Frankfurt/Main 2004, 190 S., ISBN 3-59b-16329-3;10,90 Euro

Die illustre Schar der Referenten – Redakteure (u.a. Patrick Bahners, Ina Hartwig, Gustav Seibt, Jürgen Kaube, Jens Jessen, Eckhard Fuhr, Thomas Steinfeld, Stephan Speicher, Lothar Müller), publizistisch präsente Wissenschaftler (Heinrich Detering, Heinz Bude, Moritz Baßler) und auch essayistisch tätige Schriftsteller (Martin Mosebach, Feridun Zaimoglu, Georg Klein) – weist wie zu erwarten kaum Auswege, aber bietet – ebenso erwartbar – zahlreiche lohnende Reflektionen. Gustav Seibts unschwer zu akzeptierende conclusio am Ende des Bandes und seiner Ausführungen zur verschwindenden Bildungsbürgerlichkeit: „Das Feuilleton lebt von Grundlagen, die es nicht garantieren kann.”

Die Grenzen werden heute vielfach überschritten: Attackiert wurde und wird auch das herkömmliche Feuilleton formal und stilistisch von einer relativ „heißen” Spielart des Schreibens, die als New Journalism eher umschrieben denn definiert ist.

In Amerika aufgekommen, mit Autoren wie Tom Wolfe oder Hunter S. Thompson verknüpft, bedeutet der Begriff am ehesten wohl die Neuverknüpfung literarischer mit journalistischen Arbeitsweisen; zugleich unter Einbeziehung fiktionaler und stark subjektiv gefärbter Momente. In einem ausgezeichneten Sammelband mit durchweg lesenswerten, oft brillanten Beiträgen kann man sich einen umfassenden Überblick verschaffen:

Joan Kristin Bleicher/Bernhard Pörksen (Hg.): Grenzgänger. Formen des New Journalism, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2004; 443 S., ISBN 3-531-14096-5; 39,90 Euro

Bernhard Pörksen erzählt die Geschichte des Magazins Tempo, das hierzulande einen deutschsprachigen New Journalism zu kreieren versuchte; die Popliteratur und deren Zwitterstellung zwischen Journalismus und Literatur analysiert Dirk Frank; Hans J. Kleinsteuber dekonstruiert ebenso energisch wie nachhaltig den Mythos Tom Wolfe, Niels Werber untersucht aus systemtheoretischer Perspektive die lange Geschichte der Factual Fiction, bis hin zu Daniel Defoe.

Verschiedenen Übergängen bzw. Berührungspunkten zwischen Literatur und Journalismus widmet sich auch der instruktive Sammelband
Bernd Blöbaum/Stefan Neuhaus (Hg.): Literatur und Journalismus. Theorie, Kontexte, Fallstudien, Westdeutscher Verlag: Wiesbaden 2003, 341 S., ISBN 3-531-13850-2; 34,90 Euro

Neben systematischen Beiträgen, u.a. zum Bild des Journalisten in der Literatur, zur Theorie und Praxis von Literaturkritik und von Hans J. Kleinsteuber über die Gattung des Medienthrillers, stößt man hier auf Texte zu den Fallbeispielen Erasmus und Montaigne, Defoe, Heinrich Heine, Egon Erwin Kisch, Erich Kästner u.a. Literarisch inspirierte Journalisten und Feuilletonisten von einst scheinen gegenwärtig ohnehin eine Renaissance zu erleben, werden gar in den Rang von Klassikern erhoben – vielleicht weil sich in ihren Texten Qualitäten entdecken lassen, die unter den schwierigen journalistischen Bedingungen heute nur noch selten anzutreffen sind? Das bewundernswerte und verdienstvolle Großprojekt einer Tucholsky-Gesamtausgabe, die im Rowohlt Verlag erscheint, hat hier vor Jahren einen Anfang gemacht. Zuletzt er-schien Band 8 mit Tucholskys Texten aus dem Jahr 1926, der knapp 550 Seiten Text und 450 Seiten Anhang mit ausführlichen Stellenkommentaren und Registern umfasst:

Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe Bd. 8: Texte 1926, hg. v. Gisela Enzmann-Kraiker u. Christa Wetzel, Rowohlt: Reinbek 2004, 1.012 S., ISBN 3-498-06531-9; 49,90 Euro

In jenem Jahr der Weimarer Republik, das der Romanist Hans Ulrich Gumbrecht vor einiger Zeit als Jahr am Rande der Zeit porträtiert hat, weilt Tucholsky in Paris als Korrespondent für Ullstein; die meisten seiner Feuilletons veröffentlicht er als Peter Panter in der Vossischen Zeitung, aber auch in der Weltbühne. Die szenisch starken 218 Texte aus diesem Jahr, grundiert von lauter Ironie, wirken für eine deutsch-französischen Aussöhnung, kommentieren scharf die Verhältnisse in der Weimarer Republik. Der lärmend-scheppernde Tonfall mag heute befremden, vermittelt jedoch stilistisches Zeitkolorit aus einer umkämpften Epoche.

Im gleichen Verlag wurden als preiswerte Taschenbücher die Schriften Alfred Polgars wiederaufgelegt, jenes 1873 in Wien geborenen, legendären Großmeisters der kleinen Form:

Alfred Polgar: Kleine Schriften. Bd. 1: Musterung, Bd. 2: Kreislauf, Bd. 3: Irrlicht, hg. v. Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Ulrich Weinzierl, Rowohlt Taschen-buch: Reinbek 2003/2004 [EA: 1982], 461 S., 416 S. 451 S., ISBN 3-499-13506-X, 3-499-23808-X, ISBN 3-499-23809-8; je 9,50 bzw. 9,90 Euro

Keine Facette des Daseins scheint Polgar in der hier dargebotenen Fülle an Texten aus den 1920er bis 1950er Jahren zu übersehen, ob es nun Schlafwagen, späte Geburtstage oder die verschiedenen Abschiede im Leben sind. Hier verteidigt er brillant jene „kleine Form”: sie sei „mit mancher Qual verknüpftes schriftstellerisches Bemühen, aus hundert Zeilen zehn zu machen”, was ungerechterweise dazu geführt hätte, zum „Autor für Nachspeise- und Vorschlummerstündchen” degradiert zu werden. Tatsächlich ist es schwer, den Zauber seiner Texte zu beschreiben, der auf einer extremen Verdichtung, dem Weglassen jenes „Schwänzelns” beruhte, das sein Kollege Victor Auburtin doch als die wichtigste Technik des Feuilletonisten benannt hatte. Polgars Licht dagegen „erhellt, ohne je zu blenden”, wie Herausgeber Reich-Ranicki treffend formuliert.

Zu den bemerkenswertesten Wiederentdeckungen der Feuilletongeschichte gehören die frühen Texte von Sebastian Haffner, die dieser in den 1930er Jahren für solche Magazine wie Die Koralle oder Die Dame, aber auch die Vossische Zeitung verfasste:
Sebastian Haffner: Das Leben der Fußgänger. Feuilletons 1933-1938, hg. v. Jürgen Peter Schmied, Hanser : München 2004, 397 S., ISBN 3-446-20490-3; 23,50 Euro

Einer der einflussreichsten Starpublizisten der Bundesrepublik, der erst in der Welt, dann im Stern vorzugsweise die Weltpolitik kommentierte, zudem aufsehenerregende Bücher wie seine Anmerkungen zu Hitler schrieb, hatte sich in den Anfängen seiner journalistischen Arbeit mit Themen wie der Zigarette, der Ansichtspostkarte, der Hose, den Vorteilen der Geldverschwendung sowie den Unterschieden zwischen Fensterschließern und Fensteröffnern in Zugabteilen beschäftigt. Die Wiederentdeckung dieser Texte, von denen manche nie erschienen, ist ein Glücksfall, auch weil sich in ihren scheinbaren Abseitigkeiten eine „subversive Geste” gegen den NS-Zeitgeist verbarg: das „Beharren auf der privaten Perspektive” (Süddeutsche Zeitung). „Mit der Zigarette zwischen den Fingern ist es unmöglich, den Übermenschen zu spielen” – mancher oberflächliche Rezensent hat solche und ähnliche Anspielungen Haffners überlesen. Für die Medienlandschaft der Bundesrepublik war es dennoch eine List der Vernunft, dass Haffner 1938 in die Emigration gezwungen wurde: Er endete vielleicht ihretwegen nicht als „Redakteur in der Rätselecke”, wie er Joachim Fest das Schicksal junger Genies beschrieb.

Ein Medium für eine solche feuilletonistisch-literarische Kultur war klassischerweise die intellektuelle Zeitschrift. Sie hat sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt, bis hin zur heutigen prekären Situation angesichts sinkender Abonnentenzahlen und eines schwindenden Lesepublikums; die Einstellung der Gewerkschaftlichen Monatshefte oder die unklare Zukunft des Kursbuchs mag das illustrieren. Tröstlich ist hier einmal mehr der Blick in die Vergangenheit. So hat beispielsweise Sylvia Kall in ihrer Bochumer Dissertation die vier maßgeblichen literarischen Zeitschriften Ende des 18. Jahrhunderts (Allgemeine Literatur-Zeitung, Horen, Deutschland, Athenaeum) und deren explosionsartigen Boom untersucht – und ihr jeweiliges Ende nicht ausgespart:

Sylvia Kall: „Wir leben jetzt recht in Zeiten der Fehde”. Zeitschriften am Ende des 18. Jahrhunderts als Medien und Kristallisationspunkte literarischer Auseinandersetzung, Peter Lang: Frankfurt/Main 2004, 420 S., ISBN 3-631-52396-3; 68,50 Euro

Das Zeitschriftengründungsfieber profitierte vom „Strukturwandel der Öffentlichkeit” (Habermas) in jenen Jahrzehnten, den es zugleich beförderte. Ein interessiertes Publikum entstand, das lebhaften Anteil an den zwischen den Zeitschriften und ihren Autoren ausgetragenen heftigen Kontroversen nahm. Die Autorin widmet sich neben den literarischen Inhalten auch den finanziellen Aspekten und der Redaktionsorganisation der Zeitschriften.

Goethe hatte sich mit vielen Beiträgen an den Horen, dem Zeitschriftenprojekt seines Freundes Schiller, beteiligt und diesen ermutigt, auf die heftige Kritik an der Zeitschrift mit einem gemeinsamen Rundumschlag gegen literarisch-kritische Zeitgenossen, den berühmten Xenien, zu antworten. Hansjürgen Koschwitz, emeritierter Professor für Kommunikationswissenschaft in Göttingen, hat nun Goethes Umgang mit der Presse untersucht:

Hansjürgen Koschwitz: Wider das „Journal- und Tageblattverzeddeln”. Goethes Pressesicht und Pressenutzung, LIT Verlag: Münster 2002, 284 S., ISBN 3-8258-4896-5; 25,90 Euro

In einer immensen Fleißarbeit hat der Autor alle denkbaren Äußerungen des Klassikers zur Presse zusammengetragen, wobei auch die tägliche Lektürepraxis berücksichtigt wird. Dass der Geheimrat und Minister eine „weise und kräftige Diktatur” gegenüber der „Press-Anarchie” befürwortete und den „Unfug der Pressfreiheit” monierte, erstaunt nicht wirklich. Bei seiner privaten Lektüre stoßen wir dagegen auf bekannte Parallelempfindungen: einerseits die Klage über unsinnig mit Zeitungsstudium vergeudete Zeit, andererseits die lebenslange neugierige Begeisterung für alles, was die Journale täglich, wöchentlich oder monatlich aus der Welt berichten.

Der kleine Hamburger Verlag Edition Nautilus erinnert durch Wiederanknüpfung und Fortführung an ein legendäres linksradikales Zeitschriftenprojekt der 1920er Jahre:

Die Aktion. Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst, Edition Nautilus: Hamburg, ISSN 0516-340X, Vier Lieferungen im Jahr zu je 8 Euro (23. Jg., Zweite Lieferung 2004, Heft 209: Franz Pfemfert. Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen) Heft 209 widmet sich dem einstigen Herausgeber der Zeitschrift, dem revolutionären Irrlicht Franz Pfemfert (1879-1954), der die Aktion 1911 gründete und bis 1918 auf ihren Seiten gegen den Krieg und die Sozialdemokratie kämpfte, um nach 1918 bis zur letzten Ausgabe 1932 von links gegen Lenin und die Moskauer Parteidiktatur zu agitieren. Lutz Schulenburg, der aktuelle Herausgeber, schildert mit durch Nähe getrübtem Blick das umtriebige Leben Pfemferts, zitiert leider viel zu ausführlich aus den Pamphleten dieses Feuerkopfs. Sein Verdienst bleibt es dennoch, diese wilde Episode deutscher Zeitschriftengeschichte zwischen Expressionismus und zunehmend dogmatischerem Anarchismus ins Gedächtnis zurückzurufen.

Einer Legende der deutschen Nachkriegspublizistik hat sich der Schriftsteller und Publizist Marko Martin verschrieben: der zwischen 1948 und 1971 (mit einem kurzzeitigem Wiederaufleben 1978-1986) erschienenen Zeitschrift Der Monat:

Marko Martin: „Eine Zeitschrift gegen das Vergessen”. Bundesrepublikanische Traditionen und Umbrüche im Spiegel der Kulturzeitschrift Der Monat, Peter Lang: Frankfurt/Main u.a. 2003, 106 S., ISBN 3-631-51105-1; 24,50 Euro

Martin stützt sich in seiner Magisterarbeit auf die veröffentlichten Artikel im Monat sowie Gespräche mit den ehemaligen Redakteuren Melvin Lasky, Peter Härtling und Klaus Harpprecht. Einerseits war die Zeitschrift ein Produkt der Nachkriegskultureuphorie, die geistige Erzeugnisse aller Art beflügelte. Andererseits formierte sich hier eine breite Strömung einer liberal grundierten, antitotalitären Ausrichtung: Im offenen Monat schrieben Emigranten wie Hans Sahl, Siegfried Kracauer, Golo Mann und Peter de Mendelssohn; internationale Autoren wie W. H. Auden, Ignazio Silone, Raymond Aron und Isaiah Berlin und viele andere. Der Geist des amerikanischen Pragmatismus im Sinne des Philosophen John Dewey prägte die weltoffene Zeitschrift und machte sie unter der Ägide von Lasky und Hellmut Jaesrich zum Instrument von Verwestlichung und Reeducation. Melancholischer Anwandlungen vermag sich der heutige Leser nicht zu erwehren, angesichts des Themenspektrums und der glanzvollen Autorenschaft (und nicht zuletzt angesichts einer Auflage von 25.000 Exemplaren in den 1950er Jahren).

Die Kollegen vom seit 1947 erscheinenden und traditioneller, weniger politisch orientierten Merkur bemühten sich um einen Autor ganz besonders: den Dichter Gottfried Benn. Wer die gemeinhin nicht immer spannungsfreie Beziehung zwischen Autor und Redakteur in all ihren Nuancen studieren möchte, dem sei dringend geraten, exemplarisch den kürzlich veröffentlichten Briefwechsel zwischen Benn und den Merkur-Herausgebern zu lesen:

Gottfried Benn: Briefwechsel mit den Merkur-Herausgebern Hans Paeschke und Joachim Moras 1948-1956 (Briefe, Bd. 7), Klett-Cotta: Stuttgart 2004, 253 S., ISBN 3-608-93697-1; 23 Euro

Da wird beiderseits verführt, geworben, gedroht, geschmeichelt, gewährt, gebettelt, gezürnt, gewedelt, gehuldigt und gelobt. Verstimmungen bleiben nicht aus, denn die Konkurrenz will auch mit Texten bedacht werden. Die Redakteure drängen stets untertänig, gieren höflich nach Neuem und nach exklusiver Bindung; der Dichter ziert sich. Bald streift die Korrespondenz neben den Zeitläuften viel Privates und Branchentratsch. Dieser Briefwechsel ist, abgesehen von seiner Benns Rückkehr in die Nachkriegsöffentlichkeit geschuldeten literaturgeschichtlichen Bedeutung, ein wunderschönes Beispiel interner Zeitschriftenkommunikation.

Doch wer das wahre Geheimnis einer Intellektuellenzeitschrift entschlüsseln möchte, der sollte den kurzen Roman des amerikanischen Schriftstellers Charles Simmons lesen. Der Autor war dreißig Jahre Redakteur der New York Times Book Review und hat als Bilanz eine hinreißend komische Mediensatire vorgelegt:

Charles Simmons: Beiles Lettres. Roman, C.H. Beck : München 2003, 183 S., ISBN 3-406-50870-3 ; 17,90 Euro

Frank Page, junger Redakteur bei der bedeutenden New Yorker Literaturzeitschrift Belles Lettres, erlebt kautzige Kollegen, borniert-ignorante Eigentümer, die auf Rendite drängen, Büroboten, die Rezensionsexemplare verkaufen und die Bestsellerlisten manipulieren, einen Illiteraten Sanierer als neuen Chef, der den verträumt-zynischen Alten ablöst, unübersichtliche Affären und Intrigen sowie all die sonstigen Unsinnigkeiten eines Redaktionsalltags. Dieser intelligente und feinsinnige Roman offenbart das Wesen der Medien: Es ist selbstreferentielles interpersonales Chaos.

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