Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 184: Der gläserne Mensch

Datenschutz in das Gesetzbuch

Eine angemessene Festgabe zu dessen sechzigstem Geburtstag

aus: Vorgänge 184 ( Heft 4/2008), S.30-38

1. Der Daten­schutz: Vom Rand in die Mitte 1. Das deutsche

Datenschutzrecht: von gestern

Das deutsche Datenschutzrecht ist trotz seines vergleichsweise jugendlichen Alters von vierzig Jahren erkennbar in die Jahre gekommen.[1] Das erste Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten wurde am 30.09.1970 in Hessen in Kraft gesetzt.[2] Die ursprüngliche Struktur des Gesetzes blieb trotz mehrer Novellen seitdem erhalten. Auch die Umsetzung der Europäischen Datenschutzrichtlinie durch die Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes im Jahre 2001 hat daran nichts geändert.[3] Das Bundesdatenschutzgesetz ist informationstechnisch geprägt von den Gründerjahren, als es darum ging, die Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren staatlicher Großrechner zu schützen. Höhepunkt dieser ersten Phase war der 15. Dezember 1983, als das Bundesverfassungsgericht sein Volkszählungsurteil verkündete.[4]Dieser „große Tag für den Ausbau des Grundrechtsschutzes“[5] liegt aber nunmehr ein Vierteljahrhundert zurück. An der Aktualität dieser Entscheidung hat sich nichts geändert. Das zeigen die zahlreichen Urteile des Bundesverfassungsgerichts, in denen staatliche Stellen gerade in den letzten Jahren immerwieder in ihre Schranken verwiesen wurden.[6]

Im Zeitalter des Internet haben sich die Rahmenbedingungen für einen wirkungsvollen Schutz der Bürgerinnen und Bürger grundlegend gewandelt. Heute kommt es darauf an, den Schutz vor dem heimlichen Zugriff auf den eigenen Computer mit seinen vielfältigen persönlichen Informationen zu sichern.[7] Höchst gehaltvolle Vorschläge für eine grundlegende Reform liegen seit Jahren ausgearbeitet auf dem Tisch. Leider wurde das Konzept der Professoren Roßnagel, Pfitzmann und Garstka nicht weiter verfolgt. Sie hatten bereits 2001 vorgeschlagen, ein allgemeines Gesetz zu schaffen, das präzise Vorgaben für alle Gesetzesbereiche formuliert und nach Möglichkeit offene Abwägungsklauseln vermeidet.[8] Mit Nachdruck plädierten sie beispielsweise für eine Stärkung der Transparenz von Datenverarbeitungsvorgängen und eine Stärkung der Rechte von Betroffenen.[9] Gestärkt werden soll nach den Vorstellungen der angesehenen Hochschullehrer auch die Datenschutzkontrolle. Das betrifft sowohl die Stellung der Datenschutzbeauftragten, einschließlich der betrieblichen Datenschutzbeauftragten, den Ausbau der Kontrollbehörden wie die gesetzliche Einführung von Auditierungverfahren. Die Vorschläge wurden seinerzeit in enger Abstimmung mit einer parlamentarischen Begleitgruppe von Abgeordneten der damaligen Rot-Grünen Koalition unter Beteiligung von Datenschutzbeauftragten und weiteren Fachleuten in einem monatelangen Diskussionsprozess entwickelt. Die Ideen sind bis heute aktuell geblieben.

2. Europa und die Bundesländer sind längst weiter

Während es im Bund nach wie vor keine grundgesetzliche Regelung zum Datenschutz im Grundgesetz gibt, sind [10] Bundesländer bereits weiter.l° Auch in den Europäischen Grundrechtskatalog wurde das Menschenrecht auf Datenschutz aufgenommen.[11]Die grundrechtliche Dimension der einfachgesetzlichen Regelungen ist unumstritten. Es fehlt indes das normative Band, dass Verfassung und das übrige Bundesrecht transparent und verbindlich zusammenhält.

II. Kampf um Verfas­sungs­po­si­ti­onen auch beim Datenschutz

Das Grundgesetz feiert im Frühjahr 2009 seinen 60. Geburtstag. Wahrlich ein guter Grund, dieses längst zu einer höchst erfolgreichen Verfassung gewordene Dokument zu würdigen und zu feiern. Diese Feiern sollten auch Gelegenheit bieten, uns der wenig rühmlichen Geschichte vieler Verfassungsänderungen zu erinnern.[12] Ob Notstandsverfassung, Großer Lauschangriff oder die sog.

„Föderalismusreform” mit ihrer Verlagerung der Bildungsverantwortung in die Kleinstaaterei. Der Gesetzgeber hatte bei der Änderung des Grundgesetzes nur selten eine glückliche Hand. Wer sich nur die aufgeschwemmten Artikel 16a und 13 in ihrer geänderten Fassung betrachtet, überkommt die Sehnsucht nach der Kargheit der alten Grundgesetzfassung aus dem Jahre 1949. Sechzig Jahre Grundgesetz sind sechzig Jahre vieler verlorener – aber auch einiger gewonnener Kämpfe um Freiheitspositionen. Die Niederlagen haben ihren Niederschlag im Verfassungstext gefunden. Allerdings sollten auch einzelne Erfolge nicht in Vergessenheit geraten[13] In Teilen der kritischen Öffentlichkeit ist von daher eine Neigung zu verspüren, sich beim Kampf um Verfassungspositionen lieber auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verlassen, als aktiv für mehr Grundrechte einzutreten. Diese eher passive Haltung sollte indes überdacht werden. Auch die Zusammensetzung der Senate des Bundesverfassungsgerichts kann sich ändern. Eine verfassungsnostalgische Sichtweise läuft auch Gefahr, das Grundgesetz als Ikone über den Kamin zu hängen und sie mit verklärtem Blick zu betrachten, statt mit der Verfassung unter dem Arm politisch zu streiten.

II. Grund­rechte: Richter­recht oder Aufgabe des Parlaments?

Es blieb bisher im Wesentlichen dem Bundesverfassungsgericht überlassen, den in Hin-blick auf diese neuen Entwicklungen notwendigen Schutz der Grundrechte durch eine Auslegung des überkommenen Grundrechtskatalogs sicher zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht ist seit Jahren fast ohne Unterbrechung damit beschäftigt, beispielsweise die neuen Sicherheitsgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zurechtzustutzen .[14] Ausgangspunkt ist dabei nach wie vor das Volkszählungsurteil aus dem Jahre 1983 („informationelles Selbstbestimmungsrecht“‚).[15]

In der Entscheidung zur automatisierten Erfassung von KFZ-Kennzeichen hat das Gericht die in § 14 Abs. 5 HessSOG und in § 184 Abs. 5 SchlHVerwG zugelassene Erfassung von Kennzeichen für den Abgleich mit dem Fahndungsbestand als unzulässig verworfen.[16] Gerügt wurde, dass die automatisierte Erfassung personenbezogener Daten „ins Blaue hinein” zulässig sein sollte. Allerdings hat der Senat auch deutlich gemacht, dass allein die automatisierte Erfassung vom Kennzeichen mit dem Ziel des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand dann kein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist, wenn diese Daten sofort und spurlos gelöscht werden. [17]

Das Urteil über die Online-Durchsuchung, wie sie im Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen geregelt wurden, wurde dann zum Anlass genommen, das Grundrecht auf „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme” zu entwickeln.[18] Die rechtsdogmatische Herleitung erfolgt wie bereits bei der „Informationellen Selbstbestimmung” aus Artikel 2 Abs. 1 i.V, mit der Menschenwürde aus Art. 1 des Grundgesetzes. Das Gericht hat sorgsam, wenngleich nicht widerspruchsfrei, herausgearbeitet, dass der vielfach unternommene Versuch, Netzverbindungen als in Räume eindringend anzusehen, nicht zielführend ist.[19] Mit dieser Entscheidung ins nunmehr anerkannt, dass eine Weiterentwicklung der Grundrechtsordnung unter den veränderten Bedingungen der modernen Kommunikations- und Informationsbedingungen notwendig ist.[20] Die Leerstelle im Grundgesetz ist mit einem neu kreierten Grundrecht gefüllt. Das Gericht hat nicht abgewartet, ob sich im parlamentarischen Raum eine Zweidrittelmehrheit für eine entsprechende Grundgesetzänderung findet. Rechtsstaatlich ist dieses Vorgehen aus guten Gründen zu begrüßen. Parlament und Demokratie sehen sich hier aber vor grundlegenden Herausforderungen im Hinblick auf ihr demokratisches Selbstverständnis gestellt.

Die immer stärkere Prägung der politischen Entscheidungsprozesse durch Richter-recht mag vom Ergebnis her vielfach zu begrüßen sein. Es ist die Aufgabe des höchsten deutschen Gerichts, eine überbordende Neigung der Exekutive zur Beschränkung der Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger in ihre Schranken zu weisen. Der Ersatz der politischen Auseinandersetzung durch Urteilsexegese sollte indes nicht unkritisch betrachtet werden. Der demokratische Diskurs kann ins Stocken geraten, wenn die Beteiligten dilatorische Formelkompromisse schließen und stillschweigend darauf hoffen, dass es Karlsruhe schon richten wird. Gerade im Bereich der Grundrechte ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre grundlegenden Rechte im Text der Verfassung selbst nachlesen können. Der verfassungsgebende Gesetzgeber steht vor der Aufgabe, die neuen Grundrechte in Wahrnehmung seiner Verantwortung in einemdemokratischen Verfahren widerspruchsfrei und normenklar in die bestehende Grundrechtsordnung einzufügen.

Die Aufnahme der informationellen Selbstbestimmung und des „Computer-Grundrechts” bedeutet selbstverständlich nicht, dass damit die Weiterentwicklung der Verfassungsgrundsätze im Bereich der Kommunikation beendet ist. Das Bundesverfassungsgericht wird auch danach darum bemüht sein, die technische Entwicklung mit den Bürgerrechten in Einklang zu bringen. Solide Rechtsauslegung braucht aber eine „Grundnorm”, von der aus diese Weiterentwicklung vorgenommen werden kann. Die Schaffung dieser Grundnorm ist nicht Sache des Gerichts, dass sie seinerseits nur aus der Menschenwürde und der allgemeinen Handlungsfreiheit des Grundgesetzes ableiten kann. Der Gesetzgeber ist und bleibt in seiner ureigenen Verantwortung, die notwendigen gesetzlichen Entscheidung zu treffen und sich nicht aus seiner verfassungsmäßigen Verantwortung zu stehlen.

IV. Die Rahmen­be­din­gungen für eine Grund­ge­set­z­än­de­rung

Eine Verankerung klarer Gewährleistungen für den Bereich des Datenschutzes hat verschiedene Funktionen. Sie richtet sich unmittelbar an den Gesetzgeber und an die Verwaltung. Zudem erfüllt die Aufnahme ins Grundgesetz auch einen wichtigen Transparenzanspruch gegenüber den Bürgerinnen und Bürger.

Datenschutz als Grundrecht ist verbindliche Aufforderung an den Gesetzgeber, die schon lange notwendige Überarbeitung der Datenschutzgesetze endlich anzugehen. Neben den notwendigen Beschränkungen für den öffentlichen Bereich, insbesondere die Sicherheits- und Sozialbehörden ist auch der Schutz vor der zunehmenden privaten Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten auszubauen. Eine in der bisherigen Diskussion eher unterschätzte Bedeutung gewinnt die Grundgesetzformulierung als Leitlinie für die öffentlichen Verwaltungen, die Aufsichtsbehörden sowie die Beauftragten für den Datenschutz in Bund und Ländern.

Letztlich ist die Frage des Freiheitsschutzes eine Herausforderung an die Demokratie selbst und nicht nur an die Gerichtsbarkeit. Die Souveränität des Volkes findet – auch wenn dies hin und wieder in Vergessenheit gerät – ihren Ausdruck in Wahlen und Abstimmungen. „Die Demokratie ist keine Staatsform der Selbstbespitzelung des Volkssouveräns. Dem modernen Staat bleibt immer noch – Macht genug . [21]Es ist die ureigenste Aufgabe des Parlaments, diese Macht des Souveräns zum Schutz vor einer überbordenden Bürokratie aber auch vor privater Übermacht gegenüber dem Einzelnen durchzusetzen.

V. Die Ausge­stal­tung der infor­ma­ti­o­nellen Selbst­be­stim­mung

Der Gesetzentwurf der Grünen Bundestagsfraktion vom 18.06.2008 ist hier der erste Formulierungsvorschlag für eine Grundgesetzänderung[22] Er bindet die drei Elemente „Informationelle Selbstbestimmung”, Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme mit der grundrechtlich garantierten Informationsfreiheit zusammen. Die Initiative begreift sich als Versuch, eine breite fachliche und gesellschaftliche Debatte voranzubringen. Der Entwurf geht über die Verankerung der „informationellen Selbstbestimmung” aus dem Volkszählungsurteil weit hinaus. Er sieht auch die Übernahme des „Computergrundrechts” aus der jüngsten Online-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor. Der Kernbereich der Persönlichkeit wird ebenfalls verankert und als neuer Art. 19 Abs. 3 GG im Grundgesetz festgeschrieben. Untrennbar verbunden mit dem Datenschutz ist Informationsfreiheit. Sie wird ebenfalls ins Grundgesetz übernommen.

1. Artikel 2 a

In dem Formulierungsvorschlag für einen neuen Art. 2a GG heißt es: „Das Recht, über persönliche Daten selbst zu bestimmen, wird gewährleistet. Beschränkungen dieses Rechts bedürfen einer gesetzlichen Grundlage.” Die Formulierung greift das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts auf, wo festgelegt[23] ist, dass in dieses Recht nur im „überwiegenden Allgemeininteresse” eingegriffen werden kann.

In einem neuen Artikel 2a des Grundgesetzes soll die Informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht verankert werden. Die größten Herausforderungen für den Datenschutz liegen im nicht-öffentlichen Bereich. Gerade hier werden ohne jede Ermächtigungsgrundlage personenbezogene Daten verarbeitet. Wie umfänglich der nicht-öffentliche Bereich ist, zeigt sich am Beispiel des Verhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Hier herrscht ein nur mühsam vom Richterrecht gebändigter Wildwuchs. Daher reicht für die Änderung des Grundgesetzes die Festschreibung eines Abwehr-rechts gegen den Staat nicht aus. Notwendig ist vielmehr, den objektiven Gehalt des „Datenschutz-Grundrechts” zu betonen. Dem Staat werden hier wichtige Gestaltungspflichten auferlegt, die über die bloße Abwehr gegenüber der öffentlichen Gewalt hinausgehen. Dies lässt sich sowohl aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts als auch aus der Europäischen Datenschutzrichtlinie ableiten[24].

Die Ausgestaltung eines Grundrechts als Gewährleistungsanspruch ist auch im Text des Grundgesetzes selbst keineswegs ungewöhnlich. Das Grundgesetz selbst bedient sich dieser Gestaltungsform an mehreren Stellen, wenn es mit einem bloßen Abwehranspruch gegenüber dem Staat nicht getan ist und der objektive Gehalt einer Bestimmung besonders herausgearbeitet werden soll. So regelt Art. 4 Abs. 2 die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung. Artikel 5 Abs. 1 S. 2 gewährleistet die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung. Das Recht zur Errichtung privater Schulen wird in Art. 7 Abs. 4 S. 1„gewährleistet“. Als Gewährleistungsanspruch ist auch die Vereinigungsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 S.l gewährleistet: Artikel 28 Abs. 3 wiederum verpflichtet den Bund zu gewährleisten, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Standards des Grundgesetzes zu entsprechen haben. Bemerkenswert ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner „Online-Entscheidung” vom 27. Februar 2008 das neu entwickelte „Grundrecht der Vertraulichkeit der Integrität informationstechnischer Systeme” ausdrücklich als Gewährleistungsanspruch ausgestaltet hat.[25]

2. Schutz informationstechnischer Systeme („ Computer-Grundrecht“)

Das Gericht leitet bereits in seinem ersten Leitsatz der „Online-Entscheidung” aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes das Grundrecht auf „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme” ab. Das Gericht arbeitet heraus, dass die grundrechtlichen Gewährleistungen der Artikel 10 und 13 des Grundgesetzes wie auch die Ausprägungen der allgemeinen Persönlichkeitsrechte dem Schutzbedürfnis angesichts der Standes der modernen Informationstechnik nicht mehr hinreichend Rechnung tragen[26]. Das Gericht geht ausdrücklich auch über die in Artikel 13 Abs. 1 GG gewährleistete Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung als Schutz gegenüber Zugriffen auf informationstechnische Systeme hinaus [27].

Der Formulierungsvorschlag der Grünen setzt diese Entscheidung des Gerichts unter Verzicht auf eine begriffliche Neufassung um. Der Schutzbereich des neuen Grund-rechts ist weit gefasst. Ein Schrankenvorbehalt ist ausdrücklich nicht vorgesehen.[28] Das Grundrecht kann mithin nur durch andere Grundrechte im Rahmen der Konkordanzregelungen beschränkt werden. Diese strenge Formulierung soll vermeiden, dass die besondere Schutzbedürftigkeit der Persönlichkeit beim Umgang mit den modernen informationstechnischen Systemen leerläuft.[29]

3. Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung seit dem „Elfes -Urteil[3o] anerkannt, dass jedem Einzelnen ein unantastbarer Bereich der privaten Lebensgestaltung zusteht. Dieser Bereich ist dem Zugriff staatlicher Stellen entzogen. Diese Ergänzung durch den neuen Art. 19 Abs. 3 soll auch im Verfassungstext selbst diesen absoluten Schutz des unantastbaren Kernbereichs verstärken und transparenter machen. Daraus leitet sich ab, dass Daten, die diesen Bereich berühren, so weit wie irgend möglich gar nicht erst erhoben, oder zumindest unverzüglich gelöscht und nicht verwertet
werden.

4. Garantie der Informationsfreiheit

Das Grundgesetz verankert in Art. 5 Abs, 1 Sa. 1 Hs.2 das Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten”. Dieses grundrechtlich gewährleistete Informationsempfangsrecht ist allerdings auf „allgemein zugängliche Quellen” beschränkt [31]Diese Regelung eröffnet indes kein Leistungsrecht auf Eröffnung einer Informationsquelle.[32] Informationszugangsfreiheit ist aus der bestehenden Regelung in Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht ableitbar. Das Recht „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten”, stellt nach herrschender Meinung ein Ab-wehrrecht dar.[33] Auf der Ebene der Bundesländer hat bisher nur Brandenburg in Artikel 11 Abs. 1 die Informationsfreiheit in der Landesverfassung verankert.

Die im Gesetzentwurf der Grünen vorgeschlagene Formulierung erweitert den Rahmen dessen, was die drei Informationsfreiheitsgesetze des Bundes festschreiben. Das Verbraucher-Informationsgesetz, das Umweltinformationsgesetz und insbesondere das Informationsfreiheitsgesetz leiden unter dem Mangel, dass hier die völlig überzogene Interpretation des Begriffs „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung” und insbesondere die „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse” unüberwindliche Hürden für die Antragsteller darstellen. Die Formulierung lässt Beschränkungen des Informationsanspruchs nur dann zu, „wenn öffentliche Interessen die Vertraulichkeit zwingend gebieten oder ein überwiegendes Interesse Dritter an der Vertraulichkeit besteht”. Die Textfassung erweitert den Rahmen, wie er in § 9 Abs. 1 des Umweltinformationsgesetzes und insbesondere in § 6 S.2 des Informationsfreiheitsgesetzes vorgegeben ist .[34] In der Praxis hat sich – nicht wirklich überraschend – herausgestellt, dass Behörden gerne die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter vorschieben, um den Antrag auf Informationszugang ablehnen zu können .[35] Die Auslegung des Begriffs „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, wie sie durch die Rechtsprechung zu § 30 VwVfG, § 17 UWG und § 203 StGB entwickelt wurde, steht im Zusammenhang mit dem aus Artikel 14. Abs. 1 abgeleiteten Recht am „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb” und der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG36 Die Übernahme der „Abwägungsklausel” zwischen dem Informationsinteresse auf der einen und dem Geheimhaltungsinteresse des Dritten aus § 9 Abs. 1 UIG auf der anderen Seite in das Informationsfreiheitsgesetz, würde die Auslegungsprobleme des § 6 IFG allein noch nicht beheben können. Notwendig ist, den Informationsanspruch selbst als Grundrecht auszugestalten um ihn dann auf dem Wege der Konkordanz mit den Verfassungsgütern der Eigentums- und Berufsfreiheit abwägen zu können.

VI. Wie geht es weiter

Die politische Debatte um die Änderung des Grundgesetzes wird in der laufenden Wahlperiode des deutschen Bundestages nicht beendet. Die große Koalition wird sich in ihrem gegenwärtigen politischen Zustand nicht einmal auf wirklich wirksame Reform des Datenschutzgesetzes verständigen können. Wichtige Vorhaben wie der Schutz der Beschäftigten, die Stärkung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Betriebe bleiben auf der Strecke. Die für Grundgesetzänderungen in Bundestag und Bundesrat notwendigen Zweidrittelmehrheiten sind unter diesen Rahmenbedingungen nicht erreichbar. Hinzu kommt, dass den Bundesinnenminister die Sorge plagt, Datenschutz im Grundgesetz könne auch dem Sammeltrieb der staatlichen Sicherheitsbehörden Probleme bereiten. Diese Sorge besteht durchaus zu Recht. Es ist gerade der Sinne einer Grundgesetzänderung, öffentliche und nicht-öffentliche Stellen gleichermaßen auf die Grundsätze der Verfassung festzulegen. Vielleicht klappt es aber nach den Wahlen zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009 mit der Verankerung des Datenschutzes in der Verfassung. Nach den vielen Sonntagsreden zum 60. Geburtstag käme dann als Festgabe ein neues veritables Grundrecht auf den Gabentisch. Unser Grundgesetz hat es sich verdient.

[1] Zur Entwicklung des Datenschutzrechts: Abel, Geschichte des Datenschutzrechts, in: Roßnagel,
Handbuch des Datenschutzrechts, München 2003, ICapitel 2.7.
[2] Dazu Roßnagel, Handbuch des Datenschutzrechts, München2003, Einleitung, Rn.19.
[3] Siehe dazu Roßnagel, Pfitzmann/Garstka, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des In-
nern, 2001, S. 22-34.
[4] BVerfGE, 65, 1.
[5]Hoffmann-Riem, Der grundrechtliche Schutz der Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter in-formationstechnischer Systeme, JZ 2008, 5. 1009.
[6] Beispiele sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur „Rasterfalmdung”, BVergGE 115,320ff und zur automatischen Scannung von KfZ-Kennzeichen, BVerfG, Urteil vom 11.05.2008
– 1 BvR 2007/05, 1 BvR 1254/07.
[7] Dazu: Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, Zugleich Besprechung von
BVerfG, Urteil v. 27.2.2008 —„Online-Durchsuchung”, JZ 19,2008, S.26.
[8] Roßnagel u.a., Gutachten, 5.13 ff.
[9]Roßnagel u.a., 5.15.
[10] Roßnagel/Globig, Handbuch des Datenschutzrechts, Kap. 4.7.1. Fn.4.
[11] Roßnagel/Globig, Kap. 4.7.1. Rn 2.
[12] Den vorläufigen Abschluss dieser selten rühmlichen Serie bildet das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22,34,33,52,72,43,74,74a,84,85,87,91a, 91b, 93, 98, 104, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143) vom 28.August 2006, BGBI. 2006, Teil I Nr. 41, S.2034. Im Tausch gegen die Zuständigkeit des Bundes für die Terrorismusbekämpfung wanderten die Reste der Bundeszuständigkeit für die Bildung zusammen mit dem Versammlungsgesetz und dem Strafvollzug in die Zu-
ständigkeit der Länder.
[13] Die Arbeit der Gemeinsamen Reformkommission von Bundestag und Bundesrat wurde nach fast zweijähriger Arbeit 1993 beendet (siehe Kommissionsbericht, Bundestags-Drucksache 12/6000). Die Arbeitsergebnisse der Kommission blieben an vielen Stellen hinter den Erwartungen zurück. Allerdings sind auch Lichtblicke zu verzeichnen wie das in Art. 3 Abs. 2 S. 2 verankerte Verpflich-
tung des Staates, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen zu fördern (dazu: BVerfGE 92, 91-
109).
[14] Mit einer beeindruckenden Zusammenstellung der jüngsten Urteile: Gola/Klug, Die Entwicklung
des Datenschutzrechts in den Jahren 2007/2007, NJW 34/2008, S. 2481 ff.
[15] BverfGE 65, 1 ff.
[16] BVerfG 1 BvR 2074/05 vom 11.3.2008.
[17] Mit kritischen Anmerkungen zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Breyer, Kfz-
Massenabgleich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, NVwZ 2008, S. 824 ff.
[18] BVerfGE, 1 BvR 370/07 vom 27.2.2008.
[19] Dazu ausführlich: Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, S. 926.
[20] GolalKlug, Entwicklung des Datenschutzrechts, NJW 34/208, S. 2486.
[21] Leisner, Das neue „Kommunikationsgrundecht” – Nicht Alibi für mehr, sondern Mahnung zu weni-
ger staatlicher Überwachung“, NKW 40/2008, S.2904
[22] Bundestag Drucksache 16/9607.
[23] BVerfG, NJW 1984, S. 419.
[24] So das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig.Holstein ind seiner Stellungnahme vom 3. September 2008 vor dem Ausschuss für Inneres des Landtags Brandenburg anlässlich der
Anhörung vom 2. Oktober 2008 unter Bezugnahme auf das „Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 65, 1 ff.) und Art. 28 Abs. 1 der Europäischen Datenschutzrichtlinie ,
www. datenschutzzentrum de, (aufgerufen am 19.11. 2008).
[25] BVerfGE, 1 BvR 370/07 vom 27.02.2008, Leitsatz 1, Rn.166.
38 vorgänge Heft 4/2008, S. 30-38
[26] BVerfG, 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07 vom 27.02.2008, Leitsatz 1, Rn. 181.
[27] BVerfG, 1 BvR 370/07 vom 27.02.2008, Leitsatz 1, Rn. 191; dazu Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, JZ 19/2008, S.926.
[28] Dazu: Künast, „Meine Daten gehören mir” – und der Datenschutz gehört ins Grundgesetz“, ZRP 7/2008, S. 204.
[29] Dazu auch die Begründung des Gesetzentwurfs, Drucksache 16/9607, S. 4.
[30] BVerfGE 6,32; mit weiteren Verweisen in der Begründung des Gesetzentwurfs der Abgeordneten Renate Künast, Silke Stokar und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 18.06.2008 (Bundestags-Drucksache 16/9607), zu Nr. 4.
[31] Dazu im Einzelnen: Rossi, Informationsfreiheit und Verfassungsrecht, Zu den Wechselwirkungen zischen Informationsfreiheitsgesetzen und der Verfassungsordnung in Deutschland, Berlin, 2004, S. 25 ff.
[32] BVerfGE 103, 44 (59f.).
[33] Mit weiteren Verweisen; Schoch, IFG, Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, München 2009, Einl. Rn 52.
[34] Zur Problematik der Gesetzesfassung: Berger in: Berger/Roth/Scheel, Informationsfreiheitsgesetz, Köln, Berlin, München 2006 zu § 6 IFG, Rn 12; Rossi, Informationsfreiheitsgesetz, Handkommentar, Berlin, 2006, zu § 6, Rn. 61- 85.
[35] Dazu äußerst sich ausführlich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in seinem ersten Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2006 und 2007, Bundestags-Drucksache 16/8500. Kap. 2.2.6.
[36] BVerfGE 45, S. 142, 175; dazu: Jastrow/Schlatmann, Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, Berlin 2006. zu § 6 IFG, Rn. 36.

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