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"Ohne Frieden ist alles nichts"

Aus: vorgänge Nr. 189, Heft 1/2010, S. 123-124

Die SPD ist immer Partei des Friedens gewesen. Erinnert sei an das Engagement der deutschen Sozialdemokraten bei den großen Internationalen Sozialisten-Kongressen in Amsterdam (1907), Stuttgart (1910) und Basel (1912); erinnert sei daran, dass die SPD in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg riesige Friedenskundgebungen organisierte (zum Beispiel mit rund 200.000 Teilnehmern im Juli 1914 im Treptower Park in Berlin) und – ich mache einen großen Sprung – erinnert sei an Willy Brandts Satz: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Niels Annen, Ute Finckh, Tim Rohardt, Burkhard Zimmermann (Hrsg.) 2009, „Zeit für Frieden“. Sozialdemokratische Beiträge zur Friedens- und Sicherheitspolitik. Schriftenreihe des Forums Demokratische Linke 21 e.V., Nr. 4, spw Verlag; Dortmund; 197 S., 15,90 €.

Heute müssen wir aber auch feststellen, dass die Bundeswehr mit Zustimmung der SPD weltweit im Einsatz ist und dass neben ihre ursprüngliche Aufgabe der Landesverteidigung Krisenreaktion und Krisenbewältigung getreten sind. Vor diesem Hintergrund haben 12 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten über Friedens- und Sicherheitspolitik nachgedacht.

Den Autorinnen und Autoren geht es darum, dass es Gedanken und Ideen für eine Zeit jenseits der Sicherheitspolitik im Zeichen des globalen Krieges gegen den Terror geben sollte, die sich an den Gedanken des Friedens sowie der Abrüstung und der Rüstungskontrolle orientieren. Das Spektrum ist breit gesteckt.

Niels Annen erinnert an das Godesberger Programm, wonach die demokratische Entwicklung gefährdet und der Friede bedroht bleiben, solange nicht der Weltreichtum neu verteilt und die Produktivität in den Entwicklungsländern erheblich gesteigert wird. Die Verhinderung und Vorbeugung von Konflikten und die Schaffung von Frieden gehörten daher zu den obersten Zielen einer internationalen Politik der deutschen Sozialdemokratie. Dabei sei eine gründliche Debatte über die Ziele, Konzepte und Maßstäbe des friedenspolitischen Grundverständnisses der SPD zu führen. Diese habe es im Rahmen der Entscheidungsfindung über den Einsatz der Bundeswehr nach dem 11. September in Afghanistan nicht gegeben. Auch harrten nach 17 Jahren Auslandseinsätze offene Fragen einer Klärung. Die Rolle Deutschlands in Afghanistan sieht er grundsätzlich positiv. Anders Ute Finckh, die Vorgeschichte und Verlauf der deutschen Beteiligung, das zivile Engagement und die zivil-miltärische Zusammenarbeit beschreibt, die augenblickliche Lage bewertet (u. a. Verschlechterung der Sicherheitslage, lediglich marginale Ergebnisse beim Staatsaufbau, begrenzte Erfolge bei der Wasserversorgung und beim Straßenbau), schließlich nach den Grundlinien einer künftigen Afghanistan-Strategie der SPD fragt und ein radikales Umdenken in manchen Punkten fordert (u. a. Beendigung des Krieges gegen Terror und Drogen). Sie trifft sich darin mit Herbert Sohlmanns Überlegungen für eine neue Strategie für Afghanistan. Sohlmann und Ute Finckh sind sich auch in einem anderen Punkt einig: Zivile Hilfe zur Abfederung der Akzeptanz einer Militärintervention vereinnahmt diese hin zur gefährlichen Parteilichkeit ziviler Organisationen. Rolf Mützenich beschreibt die abrüstungspolitische Agenda der nächsten Jahre (u. a. Null-Lösung für taktische Nuklearwaffen und Verbot von Streumunition). Dabei hegt er die Hoffnung, dass die Obama-Administration schnell rüstungskontrollpolitische Impulse setzen werde.

Auch Ute Zapf setzt ihre Hoffnungen auf den neuen US-amerikanischen Präsidenten und sieht ein Fenster der Gelegenheit für nukleare Abrüstung. Ein Fenster der Gelegenheit sieht auch Cordula Drautz, die zu Recht herausstellt, dass sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik stärker als bisher umfassende Antworten auf die Etablierung weltstaatlicher Strukturen finden muss, die die schwindende Fähigkeit der Nationalstaaten, Ungleichheiten zu bekämpfen oder gar zu verhindern, ins Auge nehmen. Wolfgang Wodrag zeigt das breite Spektrum des Einsatzes von privaten Militärfirmen auf und weist auf die destabilisierende Wirkung ihres Einsatzes hin.

Richard Müller und Tim Rohardt beschäftigen sich mit der wahren Massenvernichtungswaffe: den Kleinwaffen, stellen ihren Umfang dar und zeigen auf, wie ursprünglich legale Waffen zu illegalen Kleinwaffen werden. Rene Röspel und Richard Müller kommen bei ihrer Analyse von Biorisiken zu dem Ergebnis, dass ein großangelegter terroristischer Akt sowie ein staatlicher Einsatz von B-Waffen als Massenvernichtungswaffen derzeit zwar unwahrscheinlich seien. Dennoch dürfe diese Waffengattung nicht unterschätzt werden, da bereits der begrenzte Einsatz und die daraus folgenden Verdachtsmomente eine Massenhysterie auslösen können.

Michael Müller sieht einen kritischen globalen Faktor verbunden mit einem schwindenden Zeitfenster: Die Welt stehe am Scheidepunkt, weil der noch immer ungebremste Klimawandel als Ursache für eine große Anzahl von Konflikten und Verteilungskämpfen zu sehen sei. Er sieht das Zeitfenster, in dem effektiv gehandelt werden kann, schwinden und stellt das bisherige ökonomische Wachstumsdenken der westlichen Welt nicht nur in Frage, sondern sieht es durch die unverhältnismäßig hohen und jetzt eintretenden Folgekosten an seinem Ende. Tim Rohardt untersucht die Karriere des Wortes Sicherheit als politische Vokabel und Burkhard Zimmermann zeigt das friedenspolitische Engagement der SPD auf von den Gründerjahren bis zum Kosovo-Konflikt und sieht die sozialdemokratische Friedensbewegung in der „Klemme“.

Mehrere Autoren setzen auf Obama und sind der Auffassung, dass die derzeitige Krise der Finanzwirtschaft ein Fenster der Gelegenheit für alternative ökonomische und politische Spielregeln – einschließlich der Abrüstung – darstellen könnte. Dabei handelt es sich womöglich um eine vergebliche Hoffnung.

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