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Der Arbeits­markt der Zukunft

Trends und Perspektiven,

aus: vorgänge Nr. 191, Heft 3/2010, S. 4-17

I. Einführung

Die Diskussion um die Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes pendelt in den letzten Jahren zwischen Extremen. Während nach dem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über fünf Millionen Menschen im Jahr 2005 und auch im Verlauf der mittlerweile wieder ausklingenden Wirtschaftskrise Massenarbeitslosigkeit und die Abkopplung ganzer Bevölkerungsschichten vom Erwerbsleben befürchtet wurden, rückten im vergangenen Aufschwung die Schlagwörter Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel in den Vordergrund. Wenn die wirtschaftliche Erholung weiter voranschreitet und sich die Erwartungen für den Arbeitsmarkt erfüllen, wird sich die Diskussion in den nächsten Jahren voraussichtlich wieder verstärkt in diese Richtung verlagern.

Was ist für die Zukunft des deutschen Arbeitsmarktes zu erwarten? Um sich dieser Frage zu nähern, ist es sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten und sich die langfristigen Entwicklungen auf der Angebots-und der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes zu vergegenwärtigen. Aus dem Grad der Passung beider Marktseiten lassen sich die Zukunftsperspektiven des deutschen Arbeitsmarktes ablesen. Dabei wird deutlich, dass sich Deutschland auf einem Pfad zu einem zweigeteilten Arbeitsmarkt bewegt. Beide Seiten, der eines relativ stabilen Kernarbeitsmarktes und der eines relativ flexiblen Randarbeitsmarktes, sollen näher beleuchtet werden: zunächst die Herausforderungen, die sich aus einem absehbaren Fachkräftemangel ergeben, dann die Probleme wettbewerbsschwächerer Arbeitnehmer mit der Gefahr (dauerhafter) Arbeitslosigkeit und der zunehmenden Unsicherheit atypischer Erwerbsformen oder niedrig bezahlter Beschäftigungsverhältnisse.

II. Langfris­tige Trends auf Angebots­-und Nachfra­ge­seite

Arbeit ist kein Gut wie jedes andere. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Arbeitskraft untrennbar mit dem Menschen verbunden ist. Arbeit dient nicht nur dem Einkommenserwerb als Voraussetzung für den persönlichen Konsum, sondern bestimmt auch das Selbstwertgefühl und den gesellschaftlichen Status. Schließlich besitzt die Erwerbstätigkeit häufig einen Wert an sich, dient der Selbstverwirklichung und erfüllt damit die Eigenschaften eines Konsumguts. Die in der Ökonomik traditionell verwendete Arbeitsleidhypothese wird den vielfältigen Dimensionen der Erwerbsarbeit daher nicht ganz gerecht.

Aus der besonderen Bedeutung der Erwerbsarbeit ergibt sich umgekehrt, dass Arbeitslosigkeit nicht nur mit einem niedrigeren Einkommen, sondern auch mit einem gesellschaftlichen Statusverlust sowie einer geringeren Selbstachtung verbunden ist. Hieraus lässt sich eine Nachfrage nach formalen Institutionen zur Absicherung der Arbeitsverhältnisse ableiten. Diese beziehen sich einerseits auf die Stabilität der bestehenden Arbeitsverhältnisse (Kündigungsschutz oder aktuell die Regelungen zur Kurzarbeit) und andererseits auf die finanzielle Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit.

Wegen der Besonderheiten des Gutes Arbeit spielen auf dem Arbeitsmarkt soziale Normen insbesondere in Form von Gerechtigkeitsüberlegungen eine wichtige Rolle. Formale Institutionen und Arbeitsmarktbedingungen wie Löhne und Arbeitszeiten, die Ausgestaltung der Arbeitslosenunterstützung oder die Regulierung von Erwerbsformen werden im Lichte dieser Normen beurteilt. Aus dem Zusammenspiel der formalen und informellen Regeln leitet sich das individuelle Verhalten auf dem Arbeitsmarkt ab. Ähnliches gilt auch für die betriebliche Arbeitsbeziehung. Arbeitsverträge sind unvollständig, weil Leistung und Gegenleistung nicht abschließend zu regeln sind. Informationsasymmetrien bieten Arbeitnehmern zudem einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Leistungserbringung. Die Effizienz meist auf Dauer angelegter Arbeitsbeziehungen lässt sich daher nicht allein durch Kontrolle und Sanktionen erhöhen, sondern wird auch über Reziprozitätsnormen im Sinne eines „Wie Du mir, so ich Dir“ geregelt (Dietz 2006). Trotzdem ist wie auf anderen Märkten das Verhältnis von Angebot und Nachfrage entscheidend für das gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktergebnis. Daher sollen im Folgenden langfristige Trends bei Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage beleuchtet werden.

II.a. Nachfra­ge­seite

Für den künftigen Bedarf an Arbeitskräften ist die längerfristige wirtschaftliche Entwicklung zentral. Deutschland ist ein Hochtechnologie-, Hochqualifikation- und Hochlohnland und wird es auch bleiben. Durch den im Zuge der Globalisierung wachsenden internationalen Wettbewerb wird es darauf ankommen, sich auf den Weltmärkten zu behaupten und neue Potenziale zu erschließen. Das in Deutschland traditionell starke Verarbeitende Gewerbe ist durch seine Exportorientierung ein wichtiger Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung.

Unabhängig davon wird die Beschäftigung im Dienstleistungssektor weiter zulegen. Bislang resultierte ein Teil der sektoralen Beschäftigungsumschichtung auch aus der Auslagerung produktionsnaher Dienstleistungen aus dem Verarbeitenden Gewerbe. Der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft darf daher nicht als De-Industrialisierung gedeutet werden. Vielmehr dürfte auch das künftige Verhältnis von Industrie und Dienstleistungen durch Komplementarität und nicht durch Substitution gekennzeichnet sein (Fuchs/Zika 2010). Zwar wird der technische Fortschritt der Industrie weitere Möglichkeiten der Rationalisierung eröffnen und somit dort zu einem geringeren Arbeitseinsatz führen. Dennoch ist zu erwarten, dass die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe auch in Zukunft überdurchschnittlich wächst.

Längerfristige Projektionen des Arbeitskräftebedarfs gehen davon aus, dass die Erwerbstätigkeit bei einem Trendwachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,7 Prozent bis zur Mitte der Dekade noch um einige Hunderttausend zulegen könnte (Fuchs/Zika 2010). Danach setzt eine Phase der Stagnation ein, die zu Beginn des nächsten Jahrzehnts in einen Rückgang des Arbeitskräftebedarfs mündet. Eine wichtige Rolle spielt dabei die demographische Entwicklung, denn eine rückläufige und alternde Bevölkerung sorgt für Engpässe am Arbeitsmarkt, die vermutlich zu Lohnsteigerungen und damit zu einer sinkenden Beschäftigungsintensität des Wirtschaftswachstums führen werden.

Bedeutsame Verschiebungen des Arbeitskräftebedarfs wird es aber nicht nur in sektoraler Hinsicht geben, sondern auch in Bezug auf die Zusammensetzung der Arbeitskräftenachfrage nach Qualifikationen. Der Trend zur Höherqualifizierung betrifft nicht nur das Verarbeitende Gewerbe. Auch bei den unternehmensbezogenen Diensten und in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales wird ein hohes Maß an Wissen und Kompetenz verlangt. Prognosen gehen davon aus, dass der Bedarf an Akademikern weiter steigt, die Nachfrage nach Absolventen des dualen Systems in etwa gleich bleibt und Geringqualifizierte weniger gefragt sein werden (Helmrich/Zika 2010).

II.b. Angebots­seite

Für die Entwicklung des künftigen Arbeitskräfteangebots, also die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte („Erwerbspersonenpotenzial“) sind drei Faktoren maßgeblich: die Demographie, die Arbeitsmarktbeteiligung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und der Saldo aus Zu-und Abwanderungen. Das Erwerbspersonenpotenzial ist in den Jahren nach der Vereinigung noch kräftig gestiegen, während es sich am aktuellen Rand nach unten entwickelt. Zudem sieht sich Deutschland bereits seit einigen Jahren einer Alterung der Gesellschaft gegenüber. Damit werden die jüngeren, in den Arbeitsmarkt nachrückenden Kohorten immer weniger in der Lage sein, die älteren, aus dem Arbeitsmarkt ausscheidenden Kohorten zahlenmäßig zu ersetzen. In den neunziger Jahren wurde dieser demographische Effekt noch durch Migration und die stärkere Arbeitsmarktpartizipation von Frauen überkompensiert. Diese Zeiten sind aber vorbei. Inzwischen dominiert der demographisch bedingte Rückgang die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials.

Projektionen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) ergeben, dass das Erwerbspersonenpotenzial von knapp 45 Mio. in 2008 auf knapp 43 Mio. in 2020 sinken wird. In 2025 läge es dann noch bei 41,1 Mio. und damit nicht mehr weit entfernt von der Zahl der projizierten Erwerbstätigkeit (Abb. 1).

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Abbildung 1: Arbeitsmarktbilanz 1995 bis 2025*

Diese Entwicklung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage sollte indes nicht zu dem voreiligen Schluss führen, dass der Bundesrepublik die Vollbeschäftigung in den Schoß fallen wird. Zwar ergibt sich aus den Modellrechnungen ein starker Rückgang der Unterbeschäftigung aus Arbeitslosigkeit und Stiller Reserve auf rund ein Viertel des heutigen Niveaus. Eine solche rein rechnerische Verbesserung setzt aber voraus, dass der projizierte Arbeitskräftebedarf auch in seiner Struktur gedeckt werden kann und es nicht zu gravierenden Stellenbesetzungsproblemen kommt. Dies scheint jedoch sehr fraglich zu sein. So steigen die Qualifikationsanforderungen der Unternehmen bei gleichzeitiger Bildungsstagnation. Weiterhin wächst der Ersatzbedarf für die demnächst ausscheidenden Kohorten, die eine gute Qualifikationsstruktur aufweisen. Die schwächer nachrückenden jüngeren Kohorten versorgen den Arbeitsmarkt damit immer weniger mit „neuem Humankapital“, sodass qualitative Engpässe zu erwarten sind. Im Ergebnis könnte es also zu einer Übernachfrage bei gut qualifizierten Arbeitskräften kommen, wohingegen sich die Situation der Geringqualifizierten weiter verschlechtert. Ein zunehmender Fachkräftemangel stünde also einer sich verfestigenden Arbeitslosigkeit gegenüber. Diesen Szenarien widmen wir uns in den folgenden Abschnitten.

III. Stabile Arbeits­be­zie­hungen in Zeiten eines erhöhten Fachkräf­te­be­darfs

Im letzten Aufschwung wurden die Folgen des Zusammenspiels aus demographischer Entwicklung und dem stärker werdenden qualifikationsspezifischen Mismatch auf dem Arbeitsmarkt bereits spürbar. Obwohl noch nicht von einem flächendeckenden Fachkräftemangel gesprochen werden konnte, klagten Betriebe über Rekrutierungsprobleme, und die Diskussion um die volkswirtschaftlichen Schäden eines solchen Ungleichgewichts gewann an Fahrt.[1]

Die Konsequenzen dieser Entwicklung lassen sich in der mittlerweile wohl hinter uns liegenden Wirtschaftskrise beobachten. Führt man sich den starken Einbruch des Bruttoinlandsprodukts vor Augen, so ist der deutsche Arbeitsmarkt nahezu unbeschadet aus der Krise hervorgegangen. Hinter den relativ milden Veränderungen auf aggregierter Ebene verbergen sich jedoch starke Veränderungen der Arbeitszeit und der Arbeitsproduktivität (Fuchs et al. 2010). Der Einbruch der Wirtschaftsleistung wurde also in erster Linie auf der betrieblichen Ebene über Anpassungen der gearbeiteten Stunden oder über einen Rückgang der Produktivität abgefedert, während auf Entlassungen soweit wie möglich verzichtet wurde. Eine Voraussetzung hierfür ist die Existenz entsprechender Instrumente zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Hier sind neben der Kurzarbeit und der unterstützenden Rolle der Sozialpartner bei der flexiblen Anpassung von Arbeitszeiten vor allem innerbetriebliche Innovationen wie der verstärkte Einsatz von Arbeitszeitkonten zu nennen. Letztere ermöglichen eine intertemporäre Verschiebung der Arbeitszeiten im Konjunkturzyklus bei einem stabilen Arbeitseinkommen. Die im Aufschwung angesparte Arbeitszeit wird also in Zeiten mangelnder Nachfrage abgebaut.

Die internen Anpassungen gingen auch mit einem Rückgang der Arbeitsproduktivität pro Stunde einher (Dietz et al. 2010). Dies deutet darauf hin, dass Betriebe mehr Arbeitskräfte gehalten haben, als die Nachfrage nach Gütern-und Dienstleistungen nötig gemacht hätte. Die Stärkung der internen Flexibilität und das damit verbundene Arbeitskräftehorten können als Reflex auf die bereits dargestellten längerfristigen Trends gewertet werden. Die Betriebe sind sich bewusst, dass die Kosten der Neueinstellung von qualifizierten Mitarbeitern in einem solchen Umfeld steigen.

Für den starken Einsatz der internen Flexibilität spielt auch eine Rolle, dass es sich in Deutschland nicht um eine strukturelle Krise handelte, sondern um einen kräftigen Nachfrageschock, der in erster Linie international wettbewerbsfähige Betriebe mit einer starken finanziellen Basis traf. Diesen Unternehmen war es möglich, die direkten Kosten des Arbeitskräftehortens zu tragen.[2] Zudem handelte es sich bei den von der Krise betroffenen Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie oder dem Maschinenbau gerade um jene, die im vorangehenden Aufschwung über Rekrutierungsprobleme klagten (Möller 2010). Diese noch frische Erfahrung dürfte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass interne Anpassungen Entlassungen vorgezogen wurden.

Alles in allem lässt sich aus den langfristigen Trends und den aktuellen Entwicklungen schließen, dass für die oberen Qualifikationsebenen der Kernbelegschaften zukünftig kaum gravierende Beschäftigungsprobleme zu erwarten sind. Allerdings wird sich der Wettbewerb um die besten Köpfe weiter verschärfen (Fuchs/Zika 2010). Die Unternehmen sind gefordert, neue Personalreserven zu erschließen oder bestehendes Personal weiterzuentwickeln. Für die Politik geht es darum, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Betriebe in ihren Bemühungen unterstützt werden. Dies gilt in erster Linie für bildungspolitische Anstrengungen, die längerfristiger Natur sind und den Arbeitsmarkt zunächst nur mittelbar betreffen. Dabei sollte das Augenmerk vor allem auf die Unterstützung „bildungsschwacher Schichten“ sowie Jugendliche mit schlechter Arbeitsmarktperspektive gelenkt werden.

Qualifizierung und Weiterbildung spielt jedoch auch für Arbeitslose und Beschäftigte eine entscheidende Rolle. Mit Blick auf die Beschäftigungsperspektiven von Arbeitslosen zeigen Studien, dass betriebsnahe Trainingsmaßnahmen relativ gute Erfolgschancen aufweisen (Kopf/Wolff 2009). Doch auch zeitaufwändigere Weiterbildungsmaßnahmen sind sinnvoll, wenn eine grundsätzliche berufliche Umorientierung nötig erscheint. Auch hier sollten Maßnahmen so weit wie möglich an den betrieblichen Bedarfen ausgerichtet werden. Die Verbesserung der Beschäftigungschancen stellt sich bei solchen Maßnahmen in der Regel erst nach einer etwas längeren Frist ein.[3]

Beim lebenslangen Lernen im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung besteht in Deutschland Luft nach oben (Leber/Möller 2009). Auch wenn die Verantwortung hierfür in erster Linie bei Arbeitnehmern und Betrieben liegt, kann der Staat Hilfestellung leisten. Dies gilt vor allem für kleinere und mittlere Betriebe mit geringeren Ressourcen für Weiterbildungsmaßnahmen. Eine zu geringe Weiterbildungsbeteiligung weisen besonders Geringqualifizierte und Ältere auf, für deren Unterstützung bereits Programme wie WeGebAU (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer im Unternehmen) implementiert wurden (Lott/Spitznagel 2010).

Ältere haben nicht nur Aufholbedarf in der betrieblichen Weiterbildung, sondern trotz einer positiven Entwicklung in den letzten zehn Jahren noch immer eine relativ geringe Erwerbsbeteiligung (Arlt et al. 2009). Mit Blick auf die Alterung und die Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials schlummern genau hier die Personalreserven, die von den Betrieben mittelfristig zur Deckung ihres Fachkräftebedarfs benötigt werden. Die Politik hat in den letzten Jahren einige richtige Weichen für eine längere Erwerbsbeteiligung gestellt. Hierzu gehört unter anderem die Entscheidung, frühzeitige Übergänge aus Erwerbstätigkeit in den Ruhestand nicht mehr über die Altersteilzeit zu fördern. Entscheidend dürfte aber sein, dass das betriebliche Arbeitsumfeld geeignet ist, die verlängerte Lebensarbeitszeit gesund und produktiv zu gestalten. Altersspezifische Regelungen sind in den Betrieben aber noch immer die Ausnahme (Bellmann et al. 2007).

Weitere Personalreserven bestehen bei der Beschäftigung von Frauen. Da sich ihre Erwerbsbeteiligung bereits deutlich erhöht hat, geht es vor allem um die Steigerung des Arbeitsvolumens. So ist Teilzeitarbeit noch immer eine Frauendomäne: Im Dezember 2009 arbeiteten mehr als ein Drittel der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen Teilzeit, während der Teilzeitanteil der Männer bei nur knapp 6 Prozent lag (Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2010). Zwar unterstützt Teilzeitarbeit in einem gewissen Maß die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – häufig fehlen jedoch die Möglichkeiten, an der bestehenden Aufteilung etwas zugunsten einer Arbeitszeitausweitung zu ändern. Insbesondere zusätzliche Angebote zur Ganztags-oder Nachmittagsbetreuung von Kindern könnten dazu führen, dass Frauen sich für längere Arbeitszeiten entscheiden. Auch bessere Wiedereinstiegsbedingungen nach einer (familienbedingten) Erwerbspause sind geeignet, die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter zu stärken und die vorhandenen Qualifikationen besser zu nutzen.

Neben der Ausschöpfung bestehender Personalreserven ist über die Gewinnung qualifizierter Arbeitnehmer aus dem Ausland nachzudenken. Aktuell gelingt eine bedarfsgerechte Zuwanderung kaum. Die durchschnittliche Qualifikation der Zuwanderer liegt nicht nur niedriger als in Deutschland, sondern auch unterhalb der Ursprungsländer (Brücker/Ringer 2008). Hier könnte man durch eine gezielte Zuwanderungspolitik Abhilfe schaffen, die nicht auf spezifische Tätigkeitsprofile setzt, sondern sich am allgemeinen Ausbildungsniveau orientiert und damit langfristig ein breites Tätigkeitsspektrum ermöglicht. Eine solche Politik berührt die Zuwanderung aus humanitären Gründen nicht, sondern ist komplementär dazu zu sehen. Zudem ist darauf zu achten, dass sie mit einer entsprechenden Integrationspolitik verbunden wird, um die Zuwanderung positiv in der Gesellschaft zu verankern.

IV. Schlechtere Aussichten für Gering­qua­li­fi­zierte

Bei Menschen mit geringeren Qualifikationen oder anderweitigen Beschäftigungshemmnissen bestehen von Grund auf andere Probleme als in dem im Abschnitt III geschilderten Segment. Hier sind die Herausforderungen in der Arbeitsmarktintegration und der Stabilisierung der Beschäftigungsbeziehung zu sehen.

Auch in diesem Zusammenhang sind in Deutschland Fortschritte zu vermelden. Im beschäftigungsfreundlichen Aufschwung der Jahre 2005 bis 2008 mit seinem starken Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gelang es erstmals seit langer Zeit, strukturelle Arbeitslosigkeit abzubauen. Neben der seit einigen Jahren ausgeübten Lohnzurückhaltung, die die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb gestärkt hat, haben die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre einen wichtigen Anteil an dieser Entwicklung. Die „Hartz-Reformen“ der Jahre 2002 bis 2005 brachten eine teilweise Abkehr von der Statusorientierung der Arbeitslosenunterstützung. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I wurde gesenkt und durch die Zusammenführung von (statusorientierter) Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum bedürftigkeitsorientierten Arbeitslosengeld II stiegen die finanziellen Einbußen bei länger andauernder Arbeitslosigkeit. Das Aktivierungsparadigma des Förderns und Forderns betont die Eigenverantwortung des Einzelnen bei der Arbeitssuche – der Bestandsschutz mit Blick auf Lohn und Qualifikation wurde abgeschafft. Die Deregulierung temporärer Erwerbsformen erhöhte die Flexibilität am Arbeitsmarkt weiter. Alles in allem verstärkten die Reformen den Druck auf Arbeitslose, auch einen Job anzunehmen, der nicht in jeder Hinsicht den eigenen Vorstellungen entspricht.

Aktuelle Untersuchungen zeigen eine bessere Vermittlungseffizienz des Arbeitsmarktes in den vergangenen Jahren (Gartner/Klinger 2010; Fahr/Sunde 2009). Die Qualität des Matching-Prozesses kann mit Hilfe der Beveridge-Kurve analysiert werden. Sie bildet offene Stellen und Arbeitslose ab und gibt Aufschluss über die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes und die Effizienz der vermittelnden Institutionen. Je weiter entfernt der Datenpunkt vom Ursprung liegt, desto weniger gut finden Angebot und Nachfrage zusammen. Mit abnehmender Konjunktur wandert man auf der Beveridge-Kurve von links oben nach rechts unten, weil es im Abschwung mehr Arbeitslose und weniger offene Stellen gibt. Eine Verschiebung der Beveridge-Kurve zeigt an, dass sich die Matching-Effizienz des Arbeitsmarktes verändert. So hatte sich die Beveridge-Kurve nach außen verschoben. In den vergangenen Jahren ist eine Rückverschiebung der Kurve zu beobachten, was in Teilen auf die Hartz-Reformen zurückgeführt werden kann (Abb. 2).

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Abbildung 2: Beveridge-Kurve für Deutschland – Januar 1992 bis Januar 2010

Die erhöhte Matching-Effizienz, die Verbesserung der Eingliederungschancen von Langzeitarbeitslosen und der Rückgang der strukturellen Arbeitslosigkeit kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass Erwerbstätigkeit in diesem Arbeitsmarktsegment mit einer höheren Unsicherheit verbunden ist. Auf zwei längerfristige Tendenzen wollen wir in den folgenden Abschnitten eingehen: die zunehmende Bedeutung atypischer Erwerbsformen und den wachsenden Niedriglohnsektor.

IV.a. Norma­l­a­r­beits­ver­hältnis und atypische Erwerbs­formen

In den letzten beiden Dekaden hat sich die Erwerbslandschaft verändert. Normalarbeitsverhältnisse – definiert als abhängige, sozialversicherungspflichtige und unbefristete Vollzeitbeschäftigung – haben relativ an Bedeutung verloren. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zunächst setzen personalpolitische Dispositionen der Betriebe gerade bei den Randbelegschaften immer mehr auf die Flexibilität des Faktors Arbeit. Aber auch die Präferenzen der Arbeitnehmer wirken auf die Zusammensetzung der Erwerbstätigkeit. Ein Beispiel hierfür ist die zunehmende Ablösung des Modells des männlichen Alleinernährers, wonach in Familien ausschließlich die Männer für die Erwerbsarbeit zuständig sind. Die zunehmende Arbeitsmarktpartizipation von Frauen geht vor allem mit einer stärkeren Teilzeitbeschäftigung einher. Zudem nehmen rechtliche Regelungen Einfluss auf den Wandel der Erwerbsformen. So haben die „Hartz-Reformen“ eine Deregulierung der Leiharbeit bewirkt und deren Zunahme begünstigt. Schließlich ist die Lage von Wirtschaft und Arbeitsmarkt eine wichtige Einflussgröße für die Beschäftigungsqualität. So sind Arbeitnehmer in schwierigen Zeiten eher bereit, Risiken auf sich zu nehmen und Zugeständnisse gegenüber ebenfalls unter wirtschaftlichem Druck agierenden Unternehmen zu machen. Nachhaltige Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt begünstigen unfreiwillige Teilzeitarbeit, temporäre Beschäftigung, niedrig entlohnte Tätigkeiten oder auch Existenzgründungen aus (drohender) Arbeitslosigkeit. Im letzten Jahrzehnt wuchsen Teilzeitarbeit und Minijobs, befristete Beschäftigung, Selbständigkeit und allen voran die Leiharbeit stärker als die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt.

Eine Beurteilung atypischer Beschäftigungsformen ist nicht einfach, weil sie sehr heterogen wirken und für die Betroffenen nicht nur mit Risiken, sondern auch mit Chancen verbunden sein können (Dietz/Walwei 2007). Sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit entspricht häufig den Bedürfnissen der überwiegend weiblichen Beschäftigten nach Vereinbarkeit von Familienaufgaben und Erwerbstätigkeit. Mit Blick auf den drohenden Fachkräftemangel können genau an dieser Stelle noch erhebliche Personalreserven erschlossen werden, wenn durch die frühkindliche und schulische Betreuung bessere Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit von Familien geschaffen würden. Etwas anders stellt sich die Situation bei den Mini-Jobs dar. Ihre steuerliche Begünstigung kommt nicht nur bedürftigen Personen zugute – vielmehr profitieren häufig Personen, die kein Beschäftigungsproblem aufweisen (RWI et al. 2005). Mini-Jobs sind nur selten ein Sprungbrett für Arbeitslose in eine herkömmliche Beschäftigung. Daher gibt es kaum gute Gründe, diese Beschäftigungsform weiter durch öffentliche Mittel zu fördern.

Temporäre Erwerbsformen wie befristete Beschäftigung oder Leiharbeit übernehmen dagegen eine ganz andere Funktion. Befristete Beschäftigung hat sich zu einer fast „normalen“ Form der Einstellung entwickelt. Fast 50 Prozent aller Neu Rekrutierten wurden in 2009 befristet eingestellt (Hohendanner 2010). Da die Übernahmequoten ähnlich hoch sind, kann diese Beschäftigungsform Arbeitnehmern den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern und Betrieben die Personalauswahl vereinfachen. Dagegen dient die Leiharbeit viel stärker als flexible, ad-hoc abrufbare und überbetriebliche Personalreserve. Die Beschäftigungsverluste der Leiharbeit in der jüngsten Wirtschaftskrise haben gezeigt, wie stark diese Erwerbsform auf die Konjunktur reagiert. Für viele Menschen ist Leiharbeit jedoch die bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit, auch wenn sie noch zu selten eine Brücke in reguläre Beschäftigung darstellt (Lehmer/Ziegler 2010).

Grundsätzlich erlauben atypische Erwerbsformen eine breitere Teilhabe auch Geringqualifizierter am Arbeitsmarkt. Gerade Arbeitslosen aus der Grundsicherung gelingt der Eintritt in das Erwerbsleben häufig über atypische Erwerbsformen (Achatz/Trappmann 2009). Daher kann es angesichts der noch immer hohen Sockelarbeitslosigkeit nicht um eine massive Re-Regulierung gehen, sondern um eine die Flexibilität gestaltende und damit zukunftsweisende Rolle des Staates. Hier sind frühzeitige Investitionen in Bildung sowie eine kontinuierliche Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit durch eine möglichst gute Ausbildung und eine systematische Weiterbildung zu nennen.

IV.b. Ausweitung des Niedrig­lohn­sek­tors

Neben den atypischen Erwerbsformen steht der wachsende Niedriglohnsektor besonders im Fokus der öffentlichen Debatte. Nach internationalen Standards gilt eine Beschäftigung als niedrig entlohnt, wenn der Verdienst unter zwei Dritteln des Medianlohns liegt. Für 2008 weisen Kalina/Weinkopf (2010) aus, dass etwa 20 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland unterhalb der Niedriglohnschwelle von 9,06 Euro arbeiten. Dabei ist ein gewisser Zusammenhang zwischen atypischer Beschäftigung und geringer Entlohnung zu beobachten. Insbesondere bei „Mini-Jobbern“ (rund 80 Prozent) und Leiharbeitern (gut zwei Drittel) sind Niedriglöhne häufig anzutreffen. Doch auch ein Normalarbeitsverhältnis schützt nicht vor geringen Löhnen. Etwa 11 Prozent fielen 2006 unter die Niedriglohnschwelle. In der Gruppe der vollzeitbeschäftigten Geringverdiener sind deutlich mehr Frauen, jüngere Arbeitnehmer, Personen mit Migrationshintergrund sowie Mitarbeiter von kleinen Betrieben zu finden (Statistisches Bundesamt 2009).

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Zu nennen sind die rückläufige Tarifbindung, der Wandel der Erwerbsformen, der sektorale Strukturwandel und auch die in Folge der Arbeitsmarktreformen gestiegene Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene spricht vieles dafür, dass eine wachsende Zahl von Niedriglohntätigkeiten Beschäftigungsgewinne nach sich zieht, denn es erscheint unrealistisch, dass sie in Gänze substituierbar wären. Eine Aufwärtsmobilität von Niedriglohnbeschäftigten zeigt sich auf der Mikroebene jedoch nur bedingt. So konnte lediglich jeder achte Geringverdiener von 1998/1999 sechs Jahre später die Geringverdienerschwelle überschreiten (Schank et al. 2008). Rund jeder Dritte war im Jahr 2005 noch immer als Vollzeitbeschäftigter im Niedriglohnbereich tätig. Während jüngere und besser ausgebildete Geringverdiener deutlich öfter das Niedriglohnsegment verlassen konnten, schaffen Frauen, Ältere und Geringqualifizierte dies seltener.

Eine spezielle Gruppe im Niedriglohnbereich sind die „Aufstocker“. Dabei handelt es sich um Personen, die Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) beziehen und gleichzeitig einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Im September 2009 gab es fast 1,4 Mio. solche erwerbstätigen Hilfebedürftigen. Lediglich jeder fünfte war vollzeitbeschäftigt.

Auch wenn nicht jeder Aufstocker im Niedriglohnsegment tätig ist, sind geringe Löhne bei diesen Personen häufig anzutreffen. Ihr durchschnittlicher Stundenlohn betrug 2006/2007 etwa 7 Euro in Westdeutschland und 6 Euro in Ostdeutschland (Dietz et al. 2009). Hieraus wird zweierlei deutlich. Zum einen ist es aufgrund niedriger Stundenlöhne gerade für größere Haushalte mit Kindern besonders schwer, die Bedürftigkeit zu beenden. Denn vielfach sind fehlende Schulabschlüsse oder berufliche Qualifikationen die wesentliche Ursache für das geringe Lohnpotential der Menschen. Bei den teilzeitbeschäftigten Aufstockern scheitert die höhere Erwerbstätigkeit dagegen vielfach auch an der fehlenden betrieblichen Nachfrage, an gesundheitlichen Problemen, mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder der Pflegebedürftigkeit eines Familienmitglieds.

Als eine Antwort auf die zunehmende Niedriglohnbeschäftigung wird häufig ein gesetzlicher Mindestlohn ins Spiel gebracht. Seine Einführung würde eindeutig die Einkommensposition der betroffenen Personen verbessern. Er setzt jedoch gegensätzliche Wirkungsmechanismen in Gang: Wegen der Erhöhung der Arbeitskosten reduzieren Unternehmen bei Einführung eines Mindestlohns die Nachfrage nach Beschäftigung – damit gehen Arbeitsplätze verloren und insbesondere Beschäftigte mit geringer Produktivität würden noch schwieriger Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Ein Mindestlohn kann aber auch zu positiven Beschäftigungsimpulsen führen, wenn höhere Lohnangebote eine schnellere Besetzung offener Stellen mit sich bringen. Die Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen eines Mindestlohns ist also empirisch zu beantworten. Die Konsequenzen werden stark von der Höhe des Mindestlohns abhängen (Möller/König 2008). Moderate Mindestlöhne im Sinne einer Lohnuntergrenze könnten ein Mittel zur Begrenzung von „working poor“ sein. Dagegen würden zu hohe Mindestlöhne den Arbeitsmarkt gerade für diejenigen versperren, die es ohnehin schwer haben, einen Job zu finden.

Doch selbst wenn moderate Mindestlöhne von 6 oder 6,50 Euro allgemein gelten würden, gäbe es noch immer erwerbstätige Hilfebedürftige. Um diese Personen zu unterstützen, wäre über niedrigere Steuern und Abgaben für Geringverdiener nachzudenken. Noch wichtiger ist aber die Förderung der Aufwärtsmobilität von Menschen im Niedriglohnbereich. Ansatzpunkte hierfür liefern bspw. Beschäftigungsbegleitende Formen der Qualifizierung. Nicht zu unterschätzen sind schließlich gezielte Vermittlungsaktivitäten für den Personenkreis, denn Untersuchungen zeigen, dass sich Betriebswechsel generell als Möglichkeit für einen Aufstieg erweisen (Schank et al. 2008).

V. Fazit

Die öffentliche Diskussion über die Lage am deutschen Arbeitsmarkt wird stark durch kurzfristige konjunkturelle Entwicklungen getrieben. Doch auch diese eher zyklisch auftretenden Themen werden letztendlich durch längerfristige Arbeitsmarkttrends bestimmt. Für die Arbeitsmarktpolitik ergeben sich zwei Stränge mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen.

Um längerfristig international konkurrenzfähig sein zu können und die Voraussetzung für ein stabiles Wachstum zu schaffen, benötigt man eine Orientierung auf eine höhere Erwerbsbeteiligung und gute Bildungsabschlüsse. Es sind daher die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass bestehende und potentielle Personalreserven bei Älteren und Frauen oder durch gezielte Einwanderung erschlossen werden können. Für Personen im oberen Qualifikationssegment dürften die Arbeitsmarktperspektiven in einem solchen Umfeld günstig sein.

Der zweite Strang berührt stärker die Felder der Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik, denn man muss sich auch in Zukunft den wettbewerbsschwachen Personen zuwenden, um dauerhafte, strukturelle Arbeitslosigkeit zu verringern. Auch hier sind Bildungsanstrengungen mittel-bis langfristig der Schlüssel zum Erfolg, denn die Statistiken belegen, dass die Arbeitsmarktchancen ganz entscheidend von der Qualifikation der Menschen abhängen (Reinberg/Hummel 2009).

Der Wandel der Erwerbsformen und der wachsende Niedriglohnsektor haben die Arbeitsmarktentwicklung in der jüngeren Vergangenheit positiv beeinflusst. Der Preis hierfür sind Beschäftigungsverhältnisse, die mit stärkerer Unsicherheit behaftet sind, immer wieder durch Perioden der Arbeitslosigkeit unterbrochen werden oder deren Einkommen durch staatliche Zuschüsse aufgestockt werden muss. Dies sind Entwicklungen, die politischen Handlungsbedarf erkennen lassen. Es muss aber bezweifelt werden, ob neue Regulierungen unter dem Slogan „mehr gute Arbeit“ erfolgreich sein werden. Denn zwischen den Zielen „guter“ Arbeit und einer breiteren Teilhabe am Arbeitsmarkt, die auch durch atypische Erwerbsformen und niedrig entlohnte Beschäftigung erreicht wird, besteht ein Zielkonflikt.

Sicherlich kommt eine stabile, gut bezahlte Vollzeitbeschäftigung der Vorstellung von „guter Arbeit“ näher als ein atypisches oder niedrig entlohntes Beschäftigungsverhältnis. Doch auch scheinbar „gute“ Beschäftigungsverhältnisse können durch Freisetzung beendet werden, und „weniger gute“ Arbeit kann eine Brücke zu „guter“ Arbeit schlagen. Die Arbeitsmarktsituation ist also nicht ausreichend durch die Alternativen „guter“ oder „schlechter“ Arbeit beschrieben. Als weiterer Status tritt die Arbeitslosigkeit hinzu. Und diese wird für viele Betroffenen die schlechteste Variante darstellen. So zeigen Untersuchungen, dass arbeitslose Sozialhilfeempfänger mit ihrem Leben deutlich unzufriedener waren als alle anderen Arbeitsmarktgruppen – auch als vollzeitbeschäftigte Niedriglohnempfänger (Koch et al. 2005). Es muss also darum gehen, der zunehmenden Flexibilisierung dort gesetzlich zu begegnen, wo man Grenzen als überschritten ansieht. Solche Fälle könnten die Umwandlung von Normalarbeitsverhältnissen in schlechter bezahlte Leiharbeit bei gleicher Tätigkeit oder aber sehr niedrige Löhne sein.

Grundsätzlich ist die gerade für wettbewerbsschwächere Arbeitslose gewonnene Durchlässigkeit aus der Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit zu erhalten. In diese Richtung weisen auch die Hartz-Reformen, die stark auf die (Wieder-)Aufnahme von Arbeit ausgerichtet sind. Ergänzend sollten die Brücken an der zweiten Schwelle ausgebaut und stabilisiert werden. Denn atypische und gering entlohnte Beschäftigung wären als weniger problematisch einzustufen, wenn Aufstiegsmobilität nicht die Ausnahme sondern die Regel wäre. Das setzt allerdings voraus, dass sich die dort Beschäftigten auf ihren Positionen bewähren können und perspektivisch intelligente Modelle einer berufsbegleitenden Qualifizierung mit anerkannten Zertifikaten zur Verfügung stehen.

Doch auch hier muss man realistisch sein. Obwohl die Arbeitsmotivation in der Regel hoch ist, besitzen nicht alle Erwerbspersonen die Fähigkeiten, einen solchen Aufstieg zu realisieren. Für viele bildungsschwache Personen wäre es bereits ein Erfolg, den Arbeitsmarkt (wieder) zu erreichen und dort für eine gewisse Zeit verbleiben zu können. Für den Personenkreis der Geringverdiener sind daher Modelle zu entwickeln, durch die der Abstand zwischen Brutto-und Nettoeinkommen gesenkt werden kann, damit die Arbeitskosten gering bleiben und Arbeitnehmer zusätzliche Arbeitsanreize durch ein höheres Nettoeinkommen erhalten.

Alles in allem sind die langfristigen Trends in Wirtschaft und Arbeitsmarkt zwar unumkehrbar, aber ihre Folgen sind politisch gestaltbar. In der Arbeitsmarktpolitik und auch der Arbeitsmarktforschung wird also auch in Zukunft kein Mangel an spannenden Fragestellungen und kontroversen Diskussion herrschen.

[1] Vgl. bspw. die Materialsammlung zum Fachkräftebedarf unter http://infosys.iab.de/infoplattform/ thema.asp.

[2] Bei den Arbeitszeitkonten fallen die vollen Arbeitskosten weiter an. Auch Kurzarbeit ist für Betriebe nicht kostenlos. Bach/Spitznagel (2009) schätzen,

dass bei einem Arbeitsausfall durch Kurzarbeit bis zu 35 Prozent der üblichen Arbeitskosten bei den Betrieben verbleiben.

[3] Siehe die Übersicht bei Bernhard et al. (2009).

Literatur

Achatz, J./Trappmann, M. (2009): Befragung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern: Wege aus der Grundsicherung. IAB-Kurzbericht, Nr. 28.

Bach, H.-U./Spitznagel, E. (2009): Kurzarbeit: Betriebe zahlen mit – und haben was davon. IAB-Kurzbericht, Nr. 17.

Bellmann, L./Kistler, E.; Wahse, J. (2007): Demographischer Wandel: Betriebe müssen sich auf alternde Belegschaften einstellen. IAB-Kurzbericht, Nr. 21.

Bernhard, S./Hohmeyer, K.; Jozwiak, E./Koch, S./Kruppe, Th./Stephan, G./Wolff, J. (2009): Aktive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland und ihre Wirkungen. In: Möller, J.; Walwei, U. (Hrsg.), Handbuch Arbeitsmarkt 2009, S. 149-201.

Brücker, H./Ringer, S. (2008): Ausländer in Deutschland: Vergleichsweise schlecht qualifiziert. IAB-Kurzbericht, Nr. 1.

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