Publikationen / vorgänge / vorgänge 199: Ambivalenzen der Partizipation

Audiatur et altera pars

aus: vorgänge Nr. 199 (Heft 3/2012), S. 115-123

Wer sich auf die Suche nach einer befriedigenden Auskunft über den Begriff „Motto“ begibt, wird selbst in größeren Bibliotheken enttäuscht werden. Angesichts der unüberschaubaren Vielzahl der in der Geschichte verwandten Motti erscheint das Suchergebnis eher dürftig, so wenn in monotoner Wiederholung in Lexika meist auf folgende Standardbedeutungen verwiesen wird: „Devise“, „Leitgedanke“, „Leitspruch“, „Maxime“, „Parole“ oder „Wahlspruch“. Einen Ausweg verspricht womöglich der Hinweis, ein Motto als Wahlspruch oder Devise zu begreifen, als ein Symbol, das sich eine Gruppe Gleichgesinnter, eine Person oder eine Organisation gibt, welches ihr Ziel und ihren Anspruch deutlich machen soll. Solche Motti entstammen entweder langen Traditionen oder bestimmten historischen Ereignissen, etwa einem Bürgerkrieg oder einer Revolution (Vgl. hierzu Wikipedia). Eingedeutscht wurde das Synonym „Devise“ durch den Ausdruck „Wahlspruch“ von Philipp v. Zesen (1619-1689) (siehe hierzu Meyers Handlexikon des allgemeinen Wissens, 6. neu bearb. Aufl., Band 2, Leipzig und Wien 1912, S. 1597)

Die Notwendigkeit für diese Erwähnung der Begriffsgeschichte ergab sich aus der erneuten Lektüre der Schriften Michael Th. Grevens. Denn er hat, beginnend mit seiner Dissertation „Systemtheorie und Gesellschaftsanalyse“ (1974), Motti gewählt, um seine eigenen Texte durch bestimmte Leitgedanken zu markieren.

Diese sollen im Folgenden hinsichtlich ihrer Funktion für das wissenschaftliche Selbstverständnis des Politologen Michael Th. Greven befragt werden. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Motti:

I. Motti in selbst­stän­digen Publi­ka­ti­onen

SYSTEMTHE­ORIE UND GESELL­SCHAFTS­ANA­LYSE (1974)

1. „Worüber sie erst triftig zu urteilen hätte, das wird postuliert, ehe sie anhebt. System, Darstellungsform einer Totalität, der nichts extern bleibt, setzt den Gedanken gegenüber jedem seiner Inhalte absolut und verflüchtigt den Inhalt in Gedanken: Idealistisch vor aller Argumentation für den Idealismus.“ (Theodor W. Adorno)

PARTEIEN UND POLITISCHE HERRSCHAFT (1977)

2. „… jetzt haben wir das Recht, und wir haben die Zeit, über diese Handlungen nachzudenken. Sie sollten zur Befreiung führen, und unsere Klasse ist es, die diese Befreiung in die Wege leitet. Die Befreiung kann uns nicht gegeben werden, wir müssen sie selbst erobern. Erobern wir sie nicht selbst, so bleibt sie für uns ohne Folgen. Wir können uns nicht befreien, wenn wir nicht das System, das uns unterdrückt und die Bedingungen, aus denen das System erwächst, beseitigen. Wie aber soll Befreiung nun von uns ausgehn, wie sollen die Umwälzungen vollzogen werden, wenn wir immer nur gelernt haben, uns zu fügen, uns unterzuordnen und auf Anweisungen zu warten…

Dass wir uns zurechtweisen lassen, erniedrigen lassen, das liegt in unserem Wesen. Es wurde daraus eine brauchbare Eigenschaft rationalisiert. Wir hatten Stolz drüber zu sein, dass wir fleißig, tüchtig und gehorsam waren. Aus unserer Demut wurde das Ideal der Disziplin, der Parteitreue. Ich will, sagte er, als schon Unruhe entstand, auf das Folgende hinweisen. Alle unsere Bemühungen um Befreiung waren bedingt vom Versuch, die Vorherrschaft der Autoritäten abzuwerfen und endlich dorthin zu gelangen, wo wir selbst zu urteilen und zu bestimmen hatten. Dabei gerieten wir immer wieder vor die von oben, die uns erklärten, wir wüssten nicht, was das Richtige für uns sei und dass deshalb die Führung für uns handeln müsse. Wenn ich versuche, mir klarzuwerden über meine Stellung in der Arbeiterbewegung, so ist es, als müsse ich zuerst zu graben anfangen, müsse mich rauswühlen, rauskratzen aus einer Masse von Schutt, die uns zudeckt. Unsere Organisationen sind wie Erdschichten, die abgehoben werden müssen, damit wir uns selbst finden können. Dies ist es, was ich sagen wollte. Dass keine Gleichheit vorhanden ist. Dass wir immer, so sehr wir uns auch um Unabhängigkeit bemühn, auf jemanden stoßen, der uns vorschreibt, was wir zu tun haben. Dass wir unaufhörlich reglementiert werden. Dass alles, was vorausgesetzt wird, noch so richtig sein kann und dass es doch falsch ist, solange es nicht von uns, von uns selbst kommt. Aber die P a r t e i, wandte ein andrer ein, sie steht für uns, die P a r t e i, das sind wir. So heißt es, antwortete Münster. Aber die so was sagen, kommen zumeist aus den oberen Regionen.
(Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands)

Gewidmet dem demokratischen Antifaschisten F r i t z C r o n e r, dem Freund und Lehrer, dem unerbittlichen Kritiker der „Deutschen Tradition“, zum 80. Geburtstag am
27. 2. 1976. M. G.

KRITISCHE THEORIE UND HISTORISCHE POLITIK (1994)

3. „Die Zukunft kommt von allein, der Fortschritt nicht.“ (G. Lukács, zit. Nach Frank Benseler, 1965, A, 25)

4. „Alles, was ich gesagt habe … ist nach Motiv und Intention wissenschaftlich gemeint, als wissenschaftliche These, die ich vor jedem wissenschaftlichen Kollegium der Welt zu vertreten wage“ (Carl Schmitt in: R. M. B. Kempner 1969, 296)

5. „Daher bleibt Philosophie nur solange wirksam, wie die Praxis, der sie entstammt, vorhanden ist und sie trägt und erhält.“ (Jean Paul Sartre)

6. „An Idealen fehlt es dem Materialismus daher nicht.“ (Max Horkheimer)

7. „Marx denkt von Anbeginn als Handelnder.“ (Henri Lefebvre)

DIE POLITISCHE GESELL­SCHAFT (1999)

8. „So weit wir daran mitwirken, eine Welt einzurichten, in der alle Menschen menschenwürdig leben können, geschieht es aufgrund des bloßen Glaubens an unsere Verantwortung dafür, und in keinem Sternenreiche der Ideen vermögen wir zu lesen, dass unser Handeln einen ewigen Wert besitze oder einer ewigen Wirklichkeit gerecht sei.“ (Max Horkheimer, 1926)

KONTINGENZ UND DEZISION (2000)

9. „Jeder Fortschritt ist ein Zuwachs an Macht, der in einem fortschreitenden Zuwachs an Ohnmacht mündet.“ (Robert Musil)

10. „Wenn zu allen Zeiten die Bildung den Menschen eine Hilfe ist, um ihre Unabhängigkeit zu verteidigen, so trifft das für die demokratischen Zeiten vor allem zu.“

SYSTEMOPPOSITION (2011)

11. „Sie irren – aber ich beneide sie um ihren Glauben und ihre Redlichkeit. Die Gesellschaft wird sich vor ihnen bewähren müssen.“ (Gerd Bucerius, DIE ZEIT, am 25.03.1968)

II. Motti in Beiträgen zu Sammel­werken und Aufsätzen

MACHT IN DER DEMOKRATIE

Hrsg. Michael Michael Th. Greven, Baden Baden, 1991:Macht in der Demokratie – Anathema in Politikwissenschaft und empirischer Politikforschung

12. „Diejenigen, die die Macht besitzen, bevorzugen unklare und verschwommene Begriffe; sie versuchen, ihre Prinzipien zu verdecken; diejenigen, die dem abhelfen wollen, stehen demgegenüber vor der Notwendigkeit, ihre Ideen klar herauszustellen und zu identifizieren.“ (U. Jaeggi 1969, 16)

POLITIK ALS URSPRUNG POLITISCHEN DENKENS, in: Vorgänge 103, 29. Jg., H. 1 (1990)

13. Dialektiker sein heißt, den Wind der Geschichte in den Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst, sie setzen zu können, ist das Entscheidende.“ (Benjamin 1983)

14. „In meinen Überzeugungen gibt es doch auch einen dogmatischen Kern. Ich würde lieber die Wissenschaft fahren lassen, als diesen Kern aufweichen zu lassen.“ (Habermas, 1985)

III. Versuch einer Interpretation

ad Motto 1:

Adorno wirft der Systemtheorie vor, dass sie voreilig postuliert, ohne den Gegenstand ihrer Analyse, das System, konkret zu bestimmen. Ohne ein triftiges Urteil werde ein völlig formal bleibender Systembegriff eingeführt. Im Gegensatz hierzu versteht Adorno den Totalitätsbegriff der Kritischen Theorie als einen konkret-historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang im Zeichen des im Kapitalismus universell gewordenen Tausches, von dem her sich eine spezifische soziale Struktur herausbilde. Diese gelte es, vorab zu bestimmen, um „gesellschaftliche Totalität“ als ein gleichermaßen empirisches wie theoretisches Ganzes in den Diskurs einzuführen. Vorbild hierfür ist – wie bei Marx – der Gesellschaftsbegriff Hegels, wie dieser ihn in seiner „Rechtsphilosophie“ (1821) entwickelt hat.

Wenn Greven bereits 1974, zu einer Zeit, in der Luhmanns Systemtheorie vor allem bei Jungsoziologen hoch im Kurs stand, mit seiner Dissertation kritisch gegen deren Monopolanspruch interveniert, so darf man wohl schließen, dass er sich zwar keineswegs als ein blinder Anhänger der Theorie Adornos zu erkennen gab, doch immerhin dessen Kritik der Systemtheorie bemüht, um seine eigene Position zu autorisieren.

Nicht zufällig wählt der 27jährige Dr. phil. im Jahre 1974 gerade Adorno als Motto, um sich mit seiner eigenen Kritik von der damals ebenso dominanten wie modischen Systemtheorie abzusetzen.

ad Motti 2 und 11:

Es ist bemerkenswert, dass die von ihren politischen Positionen her wahrlich nicht übereinstimmenden Autoren Peter Weiss und Gerd Bucerius im Blick auf Rebellionen zu einem durchaus vergleichbaren Ergebnis kommen. Zwar nehmen beide die Massivität des „Establishment“ ernst, gleichwohl kommt nicht bloß Bucerius zu dem Schluss: „Die Gesellschaft wird sich vor ihnen bewähren müssen.“ Demnach ist der Anspruch der Rebellion nicht bloß der 68er-Generation legitim, denn man kann sich kaum vorstellen, sich vor Narren bewähren zu müssen.

ad Motto 3:

Die Wahl dieses Mottos lässt darauf schließen, dass Greven gegenüber allen teleologischen Geschichtsphilosophien reserviert bleibt, so gegenüber sämtlichen Formen des orthodoxen Marxismus. Demgegenüber plädiert er – mit Lukács – für die unbequemere Einsicht, dass in der Regel weder auf die Zukunft noch gar auf deren Prognose Verlass ist, und, soll von Fortschritt überhaupt rechtens die Rede sein, so wird er einzig und allein von den handelnden Menschen selbst – mühsam genug – zu Wege gebracht (s. Peter Weiss, Motto 2).

In dieser Differenzierung von bloßer Zukunft und wirklichem Fortschritt treffen sich – nicht überraschend – ansonsten so unterschiedliche und in manchem auch gegensätzliche Geister wie Georg Lukács, Peter Weiss und Michael Greven mit dem jungen Marx. So heißt es im gleichen Sinne an einer zentralen Stelle der „Heiligen Familie“ (1845): „Die Geschichte tut nichts, sie ‚besitzt keinen ungeheuren Reichtum‘, sie ‚kämpft keine Kämpfe‘! Es ist vielmehr der Mensch, der wirkliche, lebendige Mensch, der das alles tut, besitzt und kämpft; es ist nicht etwa die ‚Geschichte‘, die den Menschen zum Mittel braucht, um ihre – als ob sie eine aparte Person wäre – Zwecke durchzuarbeiten, sondern sie ist nichts als die Tätigkeit des seine Zwecke verfolgenden Menschen.“ (Karl Marx/Friedrich Engels (1970): Berlin, Bd. 2, S. 98)
Nimmt man das ernst, so verbietet sich die Zuordnung der genuinen Marxschen Theorie zu irgendwelchen totalitären Kollektivismen.

ad Motto 4:

Diese Selbsteinschätzung Schmitts entstammt dem Protokoll eines Verhörs in Nürnberg mit dem Ankläger Robert M. B. Kempner. Bei Schmitts Aussage handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung: Alle seine Publikationen seien stets in lauterer wissenschaftlicher Absicht verfasst, und sie hätten deshalb mit der NS-Weltanschauung nichts gemein. Er sei am Dritten Reich unschuldig und die, die ihn als Helfer der NS- Herrschaft denunzieren wollen, hätten ihn völlig missverstanden.

ad Motti 5, 6 und 7:

Die Geltung einer Aussage wird stets auch mitbestimmt durch das Umfeld, in dem ein Urteil gefällt wird. Um dessen Sinn ganz zu verstehen, muss zugleich immer auch mitreflektiert werden, in welchem Medium, in welcher Zeit und in welchem Kontext es gefällt wird: Zur Deutung seines Wahrheitsgehalts genügt niemals allein der Rekurs auf seine bloß grammatikalischen oder semantischen Qualitäten. Vielmehr bedarf es zu seiner Deutung auch der Einbeziehung seiner von ihm gezeitigten Wirkungen. Aussage und Wirkung bilden stets eine Einheit. Erst zusammen sind sie Gegenstand hermeneutischer Erschließung. Solange dieser nicht bestimmt, das heißt vor allem, die davon ausgehenden Wirkungschancen in die Analyse nicht einbezogen werden, bleibt es abstrakt. Jede philosophische Aussage besitzt sonach ihren Zeitkern.

Doch auch diese Einsicht der Kritischen Theorie bedarf, nicht allein Greven zufolge, stets der Selbstprüfung, will sie nicht ihrer ursprünglichen Intention untreu werden. Jegliches Standpunktdenken erscheint aus dieser Optik dogmatisch. Denn Reflexion ist ein Prozess, der kein Ende hat. (Nebenbei: die allzu eifrigen Imitatoren Adornos nannte man damals auch „Affen Adornos“.)

Will man eine Brücke zwischen Sartre, Horkheimer und Lefebvre bauen, so wird man womöglich auf die vom jungen Marx im Jahre 1845 verfassten 11 Feuerbach- Thesen stoßen, in deren 2. These es heißt: „Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i. e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ (Karl Marx / Friedrich Engels, Werke Bd. 3, Berlin 1969, S. 5)

ad Motti 8 und 3:

Die Absicht, allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, verdankt sich ausschließlich dem Glauben an unsere Verantwortung, nicht jedoch einem höheren Ratschluss der Götter oder gar metaphysischer Geschichtsteleologie. Dies meint auch Georg Lukács (im Motto 3), wonach Fortschritt sich nie automatisch einstellt, sondern sich samt und sonders menschlichem Zusammenhandeln verdankt. Hierin liegt die oft übersehene Differenz zwischen einem bloß mechanischem und dem dialektischen Materialismus. Während jener oft blind der Zukunft vertraut, die alles schon irgendwie richten werde, bedarf es der dialektischen Position zufolge der Entscheidungen mündiger Bürger, die allein durch ihr bewusstes Handeln, das, was sich später Fortschritt nennt, befördern. Sofern sich bei Marx von einer Anthropologie überhaupt sprechen lässt, betätigt sich die menschliche Vernunft im Gegensatz zum tierischen Instinkt vorab durch planvolles und bewusstes Handeln, ganz im Sinne des Grevenschen Kontingenzbegriffes, der u. a. auch besagt, es sei ein spezifisches Kennzeichen der Moderne, alles sinnvolle menschliche Tun beruhe letztlich auf verantwortlicher politischer Entscheidung: „Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht dass er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seine Willen unterordnen muss.“ (Karl Marx/Friedrich Engels Werke, Band 23, Berlin 1972, S. 193)

ad Motto 9:

Der Preis des Fortschritts wissenschaftlicher Naturerkenntnis und der damit möglichen Verfeinerung der Herrschaftstechniken bestimmt den in der Geschichte sich vollziehenden „Umschlag“ von Herrschaft über die Natur in die Herrschaft von Menschen über Menschen. So heißt es schon bei Francis Bacon: „naturam non vincimus nisi parendo“: Wir besiegen die Natur, wenn überhaupt, so nur durch unsere Unterwerfung unter ihre universell geltenden Gesetze. Aller Idealismus vergisst, dass wir selbst Teil der Natur sind und bleiben.

Die Verfeinerung der modernen Herrschaftstechniken bedeutet zugleich die in der Dialektik der Aufklärung sich vollziehende Umkehrung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt: Analog dem Goetheschen Zauberlehrling wird – und dies ist ein zentrales Motiv von Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“ (1947) – der menschliche Schöpfergeist selbst am Ende – wenngleich ungewollt – Opfer einer sich gegenüber seinem Tun fatalerweise verselbstständigenden Naturgewalt. Denn sie spricht aller menschlichen Hybris Hohn.

Die in jüngster Zeit vollzogene Abkehr von der Atomkraft ist hierfür nur ein sinnfäliges Beispiel. Bereits im Jahre 1930 hatte Sigmund Freud in seiner Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ diesen dialektischen Zusammenhang von Natur-und Menschenbeherrschung wie folgt thematisiert: „Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, dass sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie wissen das, daher ein gut Stück ihrer gegenwärtigen Unruhe, ihres Unglücks, ihrer Angststimmung. Und nun ist zu erwarten, dass die andere der beiden ‚himmlischen Mächte‘, der ewige Eros, eine Anstrengung machen wird, um sich im Kampf mit seinem ebenso unsterblichen Gegner (dem Thanatos, d. h. dem Destruktionstrieb, K. L.) zu behaupten.“ (Sigmund Freud Das Unbehagen in der Kultur, Frankfurt am Main, 2001, S. 108)

ad Motti 10 und 2:

Es ist bemerkenswert, dass der progressive Peter Weiss im liberal-konservativen Alexis de Toqueville einen Bündnispartner findet, wo es um Bildung als einem möglichen Vehikel zur Emanzipation von blinder Hörigkeit geht. Auch hier gilt das Urteil Kants, Aufklärung sei der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.

ad Motto 12:

Durch Personalisierung aller politischen Prozesse werden nicht erst heute dahinter liegende gesellschaftliche Strukturfragen manipulativ verschleiert. Doch gerade das Diffuse an den messages „von oben“ gibt für ihre Breitenwirkung den Ausschlag. Demgegenüber hat eine präzise Strukturanalyse der Gesellschaft, ob sie nun Klassen, Schichten oder andere Subsysteme in ihren Darstellungen bemüht, von vornherein schlechte Karten. Nur so ist zu erklären, dass in der Bundesrepublik etwa der Springerkonzern mit seinem Flaggschiff BILD gegen kritische Medien (wie z. B. die „Frankfurter Rundschau“ oder die „taz“) von vornherein im Mainstream der öffentlichen Meinungsbildung dominiert. Nicht das Missverhältnis zwischen den jeweils zur Verfügung stehenden finanziellen und sonstigen Ressourcen allein gibt hierfür den Ausschlag, weit eher wohl der bewusste Einsatz populistischer Manipulationstechniken. Nicht bloß in der deutschen Massenpresse herrscht bekanntermaßen seit je blanker Populismus.

ad Motto 13:

Die Vorstellung, es genüge, durch begriffliche Analysen allein zur Aufklärung der Öffentlichkeit beizutragen, erweist sich nicht bloß für Benjamin als Illusion. Wirksam werden können rational begründete Analysen in der Regel nur dann, wenn es gelingt, sie durch lebendige Anschauung auch zum Sprechen zu bringen. Hierauf eben beruhte nicht zuletzt die Faszination von akademischen Lehrern wie Horkheimer und Adorno, die es verstanden, aus dem methodologischen Ghetto der Mainstream-Soziologie auszubrechen und damit – nur scheinbar abstrakte – Theorien zur Anschauung zu bringen, gemäß der Devise Kants, dass erst Begriff und Anschauung zusammen wirkliche Erkenntnis begründen helfen. Kurz: Aufklären heißt nach wie vor, sich verständlich zu machen. Ohne die dabei ins Spiel kommende Anstrengung und ein ihr entsprechendes Engagement wäre kein wirklicher Fortschritt in Theorie und Praxis denkbar.

ad Motto 14:

Das freimütige Bekenntnis von Jürgen Habermas zur verschwiegenen Wertbasis seiner Theorie mag verblüffen. Der wahre Kern seiner Aussage lässt sich vielleicht an Max Webers Überzeugung illustrieren, wonach auch die Wertabstinenz noch getragen sein muss von einem zu Grunde liegenden Engagement: für den Wert einer pluralistischen Wissenschaft, die ein Ferment des Selbstverständnisses unserer demokratischen Ordnung werden soll.

Meine knappe Präsentation der von Michael Greven im Rahmen seiner Publikationen verwandten Motti konnte vielleicht einen bestimmten Aspekt seiner „persönlichen Gleichung“ vor Augen führen. Indes enthält ein derartiger Versuch stets auch Momente der Indiskretion, die sich allenfalls mit Max Webers Forderung nach Objektivität rechtfertigen lässt. Alles Persönliche hat seinen Ort notwendig anderswo.

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