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vorgänge: Artikel, Anti-Terror-Kampf - 24.07.13
Das Bundesverfassungsgericht und die Anti-Terror-Datei
Rosemarie Will
aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 102-110
Sechs Jahre hat sich das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zur Anti-Terror-Datei (ATD) Zeit
gelassen. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an das Urteil. Am 24. April 2013 wurden diese Erwartungen
allerdings kräftig enttäuscht – die Karlsruher Entscheidung (1) fiel in bürgerrechtlicher Hinsicht mager aus.
Rosemarie Will erläutert und kommentiert die Entscheidung.
Am 31. Dezember 2006 trat das Gesetz zur Anti-Terror-Datei (ATDG, BGBl I S. 3409) in Kraft. Damit wurde zum ersten
Mal eine Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten geschaffen. Mit ihrer Hilfe sollen Daten über den
internationalen Terrorismus und Terroristen ausgetauscht werden. Das Gesetz verpflichtet eine Vielzahl von
Behörden, Daten in diese Datei einzustellen. Insgesamt waren nach Angaben des Evaluationsberichts vom 7. März 2013
18.000 Personen in der Datei gespeichert (2). Die Speicherung von Daten erfolgt nach zwei Kategorien: Entweder es
handelt sich um die sogenannten Grunddaten, die offen gespeichert werden und vom Nutzer der Datei sofort einsehbar
sind oder um die erweiterten Grunddaten, die verdeckt gespeichert werden und erst auf Anfrage von der
einspeichernden Behörde freigeschaltet werden können. Zu den Grunddaten gehören unter anderem der Name, das
Geschlecht, das Geburtsdatum, der Geburtsort, der Geburtsstaat, aktuelle und frühere Staatsangehörigkeiten,
gegenwärtige und frühere Anschriften, besondere körperliche Merkmale, Sprachen, Dialekte und Lichtbilder.
Aus den erweiterten Grunddaten ergibt sich ein verdichteter „Steckbrief,“ der alle bei der jeweiligen Behörde
verfügbaren Daten versammelt. Dazu gehören unter anderem von der gespeicherten Person angemeldete oder genutzte
Telekommunikationsanschlüsse und Telekommunikationsendgeräte, E-Mailadressen, Schließfächer, auf die Person
zugelassene oder von ihr genutzte Fahrzeuge, Familienstand, Volkszugehörigkeit, Religionszugehörigkeit und
„besondere Fähigkeiten.“ Im September 2012 ist nach dem Vorbild der ATD die Rechtsextremismus-Datei eingerichtet
worden.
Kann die Anti-Terror-Datei verfassungsgemäß sein?
Seit die Anti-Terror-Datei eingerichtet wurde, steht die Frage im Raum, ob eine solche Verbunddatei zwischen
Polizeibehörden und Geheimdiensten das Trennungsgebot verletzt. Damit verbunden ist die Frage nach dem
verfassungsrechtlichen Rang des Trennungsgebotes. Sowohl darüber als auch über den Inhalt des Trennungsgebotes wird
bereits seit Inkrafttreten des Grundgesetzes heftig gestritten. Relativ einig ist man sich seit jeher darin, dass
das Trennungsgebot in organisatorischer Hinsicht die Angliederung der Nachrichtendienste an Polizeidienststellen
verbietet. Generell sollen den Geheimdiensten polizeiliche Befugnisse vorenthalten werden – das sogenannte
Exekutivverbot für Nachrichtendienste. Die Polizei wiederum soll nicht im Aufgabengebiet von Nachrichtendiensten
operieren und dazu nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.
Weitere Fragen an die Verfassungsmäßigkeit des ATDG waren und sind: Ist der Terroristenbegriff hinreichend
bestimmt? Wie wird die Teilnahme der Behörden an der Verbunddatei geregelt? In welchem Maße werden Kontaktpersonen
in die Datei einbezogen? Sind die zu speichernden Daten überhaupt verfassungsgemäß? Was sind die
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Speicherung in der Datei?
Mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz legte der Beschwerdeführer Klage ein gegen die Verletzung seines
Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung in Verbindung mit dem Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie seinen Grundrechten aus den Art. 10 (Telekommunikationsgeheimnis), Art. 13
(Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 19 Abs. 4 GG (Recht auf effektiven Rechtsschutz).
Mit seiner Entscheidung hat das Gericht die Grundstrukturen des ATDG für verfassungsmäßig erklärt. Einige
Regelungen, deren Verfassungswidrigkeit von Anfang an mehr oder weniger offensichtlich war, wurden nun offiziell
für nicht verfassungsgemäß erklärt. Der Frage nach der Übereinstimmung des ATDG mit dem Trennungsgebot und den
Fragen des Rechtsschutzes ist das Gericht ausgewichen.
Wie ein Problem verschwindet
Mit seinem Urteil erklärt das BVerfG die Grundstrukturen der ATD für verfassungsgemäß. (3) In der Begründung heißt
es: „Da sie nur rechtlich begrenzte Einzelübermittlungen vorbereiten, ist eine solche Zusammenführung von Daten der
Nachrichtendienste und Polizeibehörden durch die Aufgaben der Terrorismusbekämpfung gerechtfertigt. Ebenfalls
bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen gezielteren Informationsaustausch nach Maßgabe des
Fachrechts zu ermöglichen.“ (4)
Das BVerfG begreift die Verbunddatei mit ihren offen einsehbaren Grunddaten demnach lediglich als Instrument für
eine Informationsanbahnung. Sie ermöglicht es den beteiligten Behörden demnach nur, die sogenannten Grunddaten als
Klarinformationen in die Datei eingeben und einsehen zu können. Der weitere Informationsaustausch bezüglich der
sogenannten erweiterten Grunddaten, die in der Datei verdeckt gespeichert werden, erfolgt nach Maßgabe des jeweils
geltenden Fachrechts, also gemäß den jeweiligen Übermittlungsvorschriften, denen die einzelnen Behörden
unterliegen. Tritt jedoch ein sogenannter Eilfall ein, können die erweiterten Grunddaten sofort ohne weitere
Prüfung freigeschaltet werden.
Wird durch einen erzielten Treffer bei den Grunddaten tatsächlich nur ein Informationsaustausch angebahnt und
ansonsten kein Informationsgewinn erzielt? Zweifel sind schon bei der Anbahnungsthese angebracht, denn auch dem
Gericht muss klar sein, dass durch den Datenaustausch ein Eingriff in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung vorliegt. Dieser Eingriff besteht darin, dass die Daten jeweils zu einem anderen Zweck von der
eingebenden Behörde erhoben wurden, als sie die abfragende Behörde dann anschließend verwendet. Dazu heißt es im
Urteil: „Das Eingriffsgewicht der Antiterrordatei ist dadurch erhöht, dass sie einen Informationsaustausch zwischen
einer großen Zahl von Sicherheitsbehörden mit zum Teil deutlich verschiedenen Aufgaben und Befugnissen ermöglicht.
Bedeutung hat hierbei insbesondere, dass sie auch den Informationsaustausch zwischen Nachrichtendiensten und
Polizeibehörden umfasst.“ (5)
Das Gericht sieht auch, dass mit der Verwendung der personenbezogenen Daten durch die abfragende Behörde eine
Zweckänderung der Daten im Vergleich zum ursprünglichen Erhebungszweck einhergeht. „Die den verschiedenen
Sicherheitsbehörden jeweils eingeräumten Datenerhebungs- und -verarbeitungsbefugnisse sind, soweit es um
personenbezogene Daten geht, auf ihre spezifischen Aufgaben zugeschnitten und durch sie begrenzt. Entsprechend
unterliegen die Daten von Verfassung wegen und hinsichtlich ihrer Verwendung, Zweckbindungen und können nicht ohne
weiteres an andere Behörden übermittelt werden.“ (6) Dennoch, so das Gericht weiter, schließe der
verfassungsrechtliche Grundsatz der Zweckbindung Zweckänderungen durch den Gesetzgeber nicht aus. Dabei dürften
aber verfassungsrechtliche Voraussetzungen für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten nicht dadurch
unterlaufen werden, dass Behörden, für die aufgrund ihrer Aufgabenstellung weniger strenge Anforderungen gelten,
Daten im Wege der Übermittlung an Behörden weiterleiten, die ihrerseits strengeren Anforderungen unterliegen. (7)
Wie aber sollen diese Maßstäbe für den erweiterten Datenaustausch, der nach Ansicht des Gerichts durch die Einsicht
in die Grunddaten nur „angebahnt“ wurde, nun auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft werden? Hierzu macht das
Gericht keine Angaben – man könnte auch sagen: Die Prüfung findet nicht statt. Das Gericht stellt einzig darauf ab,
dass der Austausch der erweiterten Grunddaten nur auf der Grundlage des bestehenden Fachrechts für den
Datenaustausch erfolgen kann. Das heißt, dass das Gericht die fachrechtlichen Austauschregeln als die geforderten
gesetzlichen Zweckänderungsregelungen für den erweiterten Datenaustausch begreift, ohne diese auf ihre
Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Aber diese Art Austausch auf der Grundlage des jeweiligen Fachrechtes hat
es auch ohne die Datei schon gegeben. Das Problem einer möglichen verfassungswidrigen Zweckänderung durch den
Austausch der erweiterten Grunddaten mittels der Verbunddatei verschwindet also dadurch, dass es diese Art
Austausch schon immer gab – die Datei hat nichts daran geändert. Das wirkt wie ein Taschenspielertrick, denn auf
diese Weise bleibt das Verbot einer nachträglichen Zweckänderung wirkungslos. Für das Gericht ist der
Datenaustausch über die Datei nichts anderes als eine Effektivierung der gängigen Praxis mittels Digitalisierung
und Vernetzung, deren Verfassungsmäßigkeit nicht zu prüfen war. Selbst den Eilfall, bei dem sofort ohne weitere
Prüfung die verdeckt gespeicherten erweiterten Grunddaten dem Anfragenden übermittelt werden, sieht das Gericht für
gerechtfertigt an und erhebt keine verfassungsrechtlichen Einwände. Geht man davon aus, dass bei der
internationalen Terrorbekämpfung der Eilfall recht häufig eintritt, gibt es für diese Fälle überhaupt keine Hürde
für den Datenaustausch und der damit verbundenen Zweckänderung bei der Weiterverwendung der Daten.
Kampf gegen den Terror: Nur weniges ist nicht erlaubt
Nachdem die Grundstrukturen der ATD die verfassungsrechtliche Prüfung passiert haben, erklärt das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil einzelne Normen des Gesetzes für verfassungswidrig. Dies betrifft die Art
der Festlegung der an der Datei beteiligten Behörden; den Umfang der in der Datei erfassten Personen, insbesondere
die breite Einbeziehung von Kontaktpersonen in die Datei; die Nutzung der erweiterten Grunddaten zur sogenannten
Inverssuche (8); die Befugnis der Sicherheitsbehörden, selbständig die zu speichernden Daten weiterführend
bestimmen zu können; und schließlich die „Maßnahmen zur Gewährleistung einer effektiven Aufsicht“ – neben der
gerichtlichen und der parlamentarischen Kontrolle hier vor allem die Aufsicht durch die Datenschutzbehörden.
Schon während der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren hatte der Sachverständige Hansjörg Geiger darauf hingewiesen,
dass es rechtsstaatlich geboten sei, dass der Gesetzgeber selbst die an der Datei beteiligten Behörden abschließend
festlegt. Im § 2 Abs. 1 ATDG ist hingegen vorgesehen, dass das Bundesministerium des Inneren weitere
Polizeivollzugsbehörden zur Teilnahme an der Datei bestimmen kann. Diese Regelung wurde nun als mit dem
Bestimmtheitsgebot für unvereinbar erklärt. (9)
Zur Festlegung des zu speichernden Personenkreises hatte der § 2 Nr. 1 ATDG geregelt, dass Personen, die
Vereinigungen oder Gruppierungen des internationalen Terrorismus angehören oder in einer besonderen Nähe dazu
stehen, gespeichert werden. Dieses Vorhaben ist bereits im Gesetzgebungsverfahren als zu weitgehend kritisiert
worden.
Darüber hinaus sollten nach § 2 Nr. 2 ATDG Personen gespeichert werden, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur
Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden, unterstützen, vorbereiten,
befürworten oder durch ihre Tätigkeit vorsätzlich hervorrufen. Die Nr. 3 des Paragrafen sah zudem die Speicherung