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vorgänge: Artikel, Geheimdienste: LfV - 24.07.13
Der Ausstieg ist machbar
Sven Lüders
Ein Gesetzentwurf der hessischen Linken zeigt, wie ein Landesamt für Verfassungsschutz abgewickelt werden kann. Aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 78-88
Ein Gesetzentwurf der hessischen Linken zeigt, wie ein Landesamt für Verfassungsschutz abgewickelt werden kann
Am 8. November 2012 beriet der Innenausschuss des Hessischen Landtages drei Gesetzentwürfe zur Arbeit des
Landesamtes für Verfassungsschutz. Der weitestgehende Vorschlag stammte von der Linksfraktion, die ein Konzept für
die Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz vorstellte. Dass sie mit diesem Vorschlag im Parlament
scheiterte, war zu erwarten. Die Beschäftigung mit dem Gesetzentwurf und den Stellungnahmen der Sachverständigen
lohnt sich dennoch, meint Sven Lüders. Verspricht sie doch eine Antwort darauf, ob und wie ein länderbezogener
Ausstieg aus dem System des administrativen Verfassungsschutzes möglich ist, der nicht mit den Vorgaben des
Grundgesetzes oder anderem Bundesrecht kollidiert.
Unterschiedlicher hätten die Konsequenzen kaum ausfallen können, die die hessischen Landtagsfraktionen aus dem
NSU-Versagen für ihr Landesamt zogen.
Die SPD–Fraktion konzentrierte sich in ihrem Vorschlag darauf, die Kontrollbefugnisse der parlamentarischen
Kontrollkommission zum Verfassungsschutz (PKV) auszubauen. Die Kommission sollte einen Anspruch auf Aktenherausgabe
gegenüber dem Landesamt erhalten, dessen Mitarbeiter direkt befragen, die Diensträume des VS betreten und ggf.
Sachverständige beauftragen dürfen.
Die Regierungskoalition aus CDU und FDP dagegen gestand der Kontrollkommission lediglich die Einsichtnahme in Akten
und Dateien des VS zu, sowie ein Zutrittsrecht zu den Diensträumen der Behörde. Nach ihrem Vorschlag kann die
Kommission außerdem mit 2/3-Mehrheit externe Sachverständige beauftragen, den Datenschutzbeauftragten anhören und
sie wird an den Beratungen zu Haushalts- und Wirtschaftsplan des VS beteiligt.
Ganz anders dagegen der Vorschlag der Linksfraktion: Ihr Entwurf für ein „Hessisches Gesetz zur Neuordnung der
Aufgaben zum Schutz der Verfassung und zur Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz“ skizziert ein
komplettes Programm zur Abwicklung des Geheimdienstes innerhalb eines Jahres, sowie die Errichtung einer
„Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie“. Die neu zu schaffende
Landesbehörde soll mit regelmäßigen Informationen über Gewalttäter und Rassismus dazu beitragen, den Schutz der
Verfassung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen. Zugleich dient sie dazu, den verschiedenen
bundesgesetzlichen Verpflichtungen zur Kooperation Genüge zu tun.
Abschaffung oder Verlängerung?
Der gesetzgeberische Vorschlag der Linken klingt utopisch, doch ganz neu ist die Idee einer Auflösung des
Verfassungsschutzes nicht. Bereits nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung gab es einzelne Initiativen, nach
der Auflösung der ostdeutschen Staatssicherheit auch deren westdeutsches Pendant abzuwickeln. (1) Kurzzeitige
Irritationen über die Legitimation eines Geheimdienstes, der seine Notwendigkeit stets mit systemwidrigen Gefahren
(vor allem aus dem Osten) begründet hatte, wurden jedoch schnell überwunden, neue Aufgaben für den
Verfassungsschutz gefunden. Damit verlagerte sich auch das Legitimationsproblem: Heute wird von den Befürwortern
einer Abschaffung der Nachweis dafür erwartet, dass ein Verzicht auf den Verfassungsschutz keine Risiken berge.
Das gilt offenbar auch nach dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie, wie die Diskussion in Hessen zeigt. Dort war der
Landesgesetzgeber gefordert, denn das hessische Landesverfassungsschutzgesetz war bis 31.12.2012 befristet. Die
Abgeordneten mussten deshalb entscheiden, ob die geltenden gesetzlichen Befugnisse verlängert werden sollten oder
nicht. Wer nun glaubte, nach dem NSU-Desaster könne es vielleicht zu Begründungsproblemen kommen, wurde eines
Besseren belehrt. Sowohl die regierende CDU/FDP als auch SPD sahen gar keinen Anlass, die Notwendigkeit eines
geheimdienstlichen Verfassungsschutzes noch einmal zu rechtfertigen. Oder um es mit den Worten des Sachverständigen
Erhard Denninger zu sagen: „Mit Rücksicht auf die öffentliche Diskussion um die Aufklärung/Nichtaufklärung der
Taten der „NSU“-Mord- und Terrorzelle und um die mangelhafte Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten und
Polizeibehörden der Länder sollte der Hessische Gesetzgeber sich doch ein paar Gedanken über die Notwendigkeit des
„Verfassungsschutzes“ (VfSch) machen und dies zum Ausdruck bringen. Ein Hinweis auf § 2 Abs. 3 BVerfSchG allein
reicht dafür nicht aus.“ (Denninger, S. 1)
In diesem Kontext trat die Fraktion der Linken mit einem Gesetzentwurf zur Abschaffung des
Landesverfassungsschutzes auf. Ihr Gesetzentwurf will nicht nur das bestehende Landesamt für Verfassungsschutz
auflösen, sondern es durch ein „Informations- und Dokumentationszentrum zum Schutz der Grund- und Menschenrechte
sowie der Demokratie“ ersetzen. Jenes soll als obere Landesbehörde errichtet werden und über keinerlei
nachrichtendienstliche oder andere Eingriffsbefugnisse verfügen. Es bezöge seine Informationen allein aus
öffentlichen Quellen, wissenschaftlichen Studien, der Beratung anderer Akteure oder persönlichen Hinweisen von
Bürgerinnen und Bürgern (§ 7 Abs. 2 HessVerfSchG-E). Das Informations- und Dokumentationszentrum soll dabei sehr
unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen:
Als Informations- und Dokumentationseinrichtung fertigt es Untersuchungen zu neonazistischen, rassistischen,
gruppenbezogen menschenfeindlichen und antidemokratischen Positionen an: eine jährliche statistische Erhebung zur
Verbreitung derartiger Einstellungen unter der hessischen Bevölkerung; Dokumentation entsprechender Aktivitäten im
Land; wissenschaftliche Analysen zu Stand und Entwicklung derartiger Positionen; Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit,
Beratung und Handlungsempfehlungen für Gegeninitiativen (§ 5 Abs. 1 HessVerfSchG-E).
Als Träger eines landesweiten Förderprogramms gegen Neonazismus und für Demokratie erstellt es dessen
Förderrichtlinien, entscheidet über die Anträge der zivilgesellschaftlichen Initiativen, berät und begleitet diese
bei ihren Vorhaben sowie evaluiert deren Wirksamkeit (§ 5 Abs. 2 HessVerfSchG-E).
Als Verfassungsschutzbehörde des Landes i.S.d. § 3 Bundesverfassungsschutzgesetz sammelt und verwertet es
Informationen über 1. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische und soziale Verfassungsordnung, den
Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder deren Verfassungsorgane; (2). geheimdienstliche
Tätigkeiten für andere Staaten; (3). gewaltsame Handlungen, die auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland
gefährden; (4). Bestrebungen, die sich gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten (Art. 26 Abs. 1
Grundgesetz; s. § 5 Abs. 3 HessVerfSchG-E).
Als Verfassungsschutzbehörde des Landes wirkt es mit bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen im öffentlichen
Geheimschutz bzw. in sensiblen, lebenswichtigen Einrichtungen; beim technischen Sicherheitsschutz von Einrichtungen
und sonstigen Sicherheitsüberprüfungen (§ 5 Abs. 4 HessVerfSchG-E).
Diese Auflistung macht deutlich, dass die neue Behörde zwei sehr unterschiedliche Aufgaben in sich vereint: Sie
soll einerseits die Engführung vermeiden, die mit dem verfassungsschützerischen Blick auf sogenannte Extremisten
und deren geheimdienstliche Kontrolle verbunden ist. Damit sollen die diagnostischen Fehlleistungen eines
Verfassungsschutzes vermieden werden, der vor Jahren von einem politisierten Islam genauso überrascht wurde wie er
jetzt die Verbreitung rassistischer Einstellungen und die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen unterschätzte.
Daneben soll die neue Behörde jene (aus Landessicht) unvermeidbaren Kooperationsaufgaben wahrnehmen, die sich aus
bundesgesetzlichen Verpflichtungen im Sicherheitsbereich ergeben (s. § 1 Abs. 3 und § 5 Abs. 3/4 HVerfSchG-E). Denn
selbst wenn man die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Einrichtung eines geheimdienstlichen
Verfassungsschutzes verneint (s. Memorandum, S. 63), existieren im föderalen Sicherheitsgefüge einige gesetzliche
Vorgaben, die vor allem den Datenaustausch betreffen. Auf diesen zweiten Aspekt konzentriert sich die folgende
Darstellung. Sie greift zurück auf die Sachverständigenanhörung des hessischen Landtags vom 8.11.2012.2 Technisch
korrekt formuliert geht es dabei um die Frage,
„ob der Verzicht auf eine oberste Landesbehörde mit nachrichtendienstlichen Befugnissen mit geltendem
Verfassungsrecht und ggf. maßgeblichem sonstigen Bundesrecht vereinbar ist, ob die Übertragung von kraft
Verfassungs- oder Bundesrecht unabweisbaren Aufgaben auf eine Informations- und Dokumentationsstelle i. S. § 4 Abs.
1 HVerfSchG-E gelungen ist und ob der konkreten Ausgestaltung von Verfassungs- oder Bundesrechts wegen nach dem
Gesetzentwurf Bedenken, etwa aufgrund eines Untermaßverbots bezüglich der Eingriffsbefugnisse der projektierten
Informations- und Dokumentationsstelle, entgegenstehen würden.“ (Hilbrans, S. 2)
Ob darüber hinaus eine Verbindung der beiden oben skizzierten Aufgaben innerhalb einer Behörde sinnvoll ist, sei
vorerst dahingestellt.
Geheimdienst als Verfassungspflicht?
Die Zulässigkeit einer Abschaffung des Verfassungsschutzes wird teilweise damit bestritten, dass dies
Verfassungsvorgaben widerspreche, die eine Verfassungsschutzbehörde mit nachrichtendienstlichen Mitteln im
klassischen Sinne verlangen. Eine solche „Geheimdienst-Pflicht“ wird meist aus zwei Grundgesetzbestimmungen
hergeleitet:
„Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über ... die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder ... zum
Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines
Landes (Verfassungsschutz) ...“ (Artikel 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b GG)
„Durch Bundesgesetz können … Zentralstellen ... zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und
des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete
Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, eingerichtet werden.“ (Artikel
87 Absatz 1 GG)
Diese Bestimmungen besagen für sich genommen erst einmal nur, dass der Bundesgesetzgeber für die Zusammenarbeit von
Bund und Ländern beim Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die alleinige Gesetzgebungskompetenz
inne hat, und dass dafür nicht näher bestimmte Zentralstellen zur Informationssammlung eingerichtet werden können
(nicht müssen!). „Damit ist es den Ländern lediglich verwehrt, diesen Gegenstand selbst zu regeln. Inhaltliche
Festlegungen über die Art und Weise, mit welcher das Land Hessen den Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung, des Bestands und der Sicherheit des Bundes oder eines – ggf. auch anderen – Bundeslandes verfolgt,
bleibt Ländersache.“ (Hilbrans, S. 2) Aus dem Grundgesetz lässt sich deshalb nach Hilbrans lediglich eine
Verpflichtung zur regelmäßigen Zusammenarbeit (im Unterschied zur bloß situativen Amtshilfe) ableiten, wofür die
hessische Landesregierung geeignete Vorkehrungen zu treffen habe, indem sie die zuständige Stelle innerhalb der
Landesverwaltung benennt und ihr entsprechende Vorgaben für die Kooperation macht. Aus der Verfassung zumindest
lässt sich für den Bundesgesetzgeber kein Zugriff auf die konkreten Aufgaben und Befugnisse der
Landesverfassungsschutzbehörden oder ihre inhaltliche Ausgestaltung ableiten. Aus diesem Grund schreibe das
Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) nicht die Einrichtung von Landesämtern für Verfassungsschutz vor (s.
Hilbrans, S. 4) – es bleibt Sache des Landes, darüber zu entscheiden, welche Landesbehörde die bundesgesetzlich