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vorgänge: Artikel - 24.07.13
„Informelle Zusammenarbeit ist lockerer“ - Ein Gespräch mit Hansjörg Geiger
Interview
aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 29-39
Herr Geiger, die Humanistische Union fordert seit 1991 die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Was meinen Sie,
kann man ihn abschaffen?
Wir brauchen einen Verfassungsschutz, weil es leider Menschen gibt, die den Rechtsstaat aus seinen Angeln heben
wollen – sei es, dass sie rechtsextremistisches, neonazistisches Gedankengut nicht nur haben, sondern auch in Taten
umsetzen wollen, siehe NSU, sei es, dass wir auch von anderer Seite her Gefahren für die Demokratie sehen. Es darf
nicht erst dann reagiert werden, wenn die Gefahren sich verwirklicht haben, wenn der Anschlag geschehen ist.
Deshalb ist die präventive Arbeit des Verfassungsschutzes notwendig. Um im Vorfeld solche Risiken erkennen und
darauf reagieren zu können, brauchen wir eine Institution wie den Verfassungsschutz. Wenn man ihn abschaffte, würde
diese Aufgabe ja weiterhin bestehen bleiben und diese Aufgabe müsste dann nur eben von einer anderen Institution
erfüllt werden. Diese wäre zweifelsohne die Polizei. Als Ergebnis hätten wir, was es auch in anderen Demokratien
gibt, eine Art Staatsschutzpolizei, die die polizeilichen Befugnisse mit den Besonderheiten der
nachrichtendienstlichen Vorfeldarbeit verbinden würde.
Wir haben es den Alliierten zu verdanken, dass sie mit dem Polizeibrief vom April 1949 verfügt haben, dass
Nachrichtendienste und Polizei getrennt sein müssen. Das nennen wir heute Trennungsgebot. Das
Bundesverfassungsgericht hat erst vor wenigen Wochen dieses organisatorische Trennungsgebot zwischen
Nachrichtendiensten und Polizei im Grundsatz bestätigt. Dessen Aufweichung hielte ich für problematisch. Ich sehe
heute bereits durch die starke Ausweitung der polizeilichen Aufgaben hin zur Gefahrenvorsorge, also in das „Vor-
Vorfeld“ der Gefahrenabwehr, eine teilweise Überlappung mit den Aufgaben des Verfassungsschutzes. Inzwischen wird
es offensichtlich als völlig normal angesehen, wenn auch die Polizei in diesem Vor-Vorfeld tätig wird, dort ihre
eigenen polizeilichen Befugnisse einsetzt und letzten Endes inzwischen sogar über alle wesentlichen
nachrichtendienstlichen Befugnisse verfügt. Als alleinig tätiger Akteur hätte sie nach einer Abschaffung des
Verfassungsschutzes allerdings eine Macht, die in einem demokratischen Rechtsstaat einer einzigen Organisation
nicht zukommen sollte. Nur nebenbei bemerkt, die Polizei unterliegt keiner vergleichbaren Kontrolle wie für die
Nachrichtendienste etwa durch das Parlamentarische Kontrollgremium besteht.
Wenn man den Verfassungsschutz bestehen lässt, was muss an ihm verändert werden?
Wir müssen zwei Dinge unterscheiden, die Organisation des Verfassungsschutzes nach außen, seine Gesamtorganisation
und die innere Organisation des Verfassungsschutzes. Wir haben in Deutschland 18 Ämter für Verfassungsschutz: 16
Landesämter, das Bundesamt und den MAD. Das sind zu viele. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der MAD haben
faktisch die gleichen Aufgaben, nur der Personenkreis, für den sie zuständig sind, ist etwas unterschiedlich. Es
macht wenig Sinn, zwei Organisationen parallel nebeneinander arbeiten zulassen, die können sich nur unnötig ins
Gehege kommen, geben sich gegenseitig keine Informationen. Sie führen, wie wir es auch im NSU-Fall gesehen haben,
jeweils ihre eigenen V-Leute, die selbstverständlich nichts voneinander wissen.
Im Landesbereich haben wir 16 Ämter mit einem sehr breiten Aufgabenspektrum. Sie sollen die rechts- und die
linksextremistischen Bestrebungen beobachten, sie sollen islamistische Bestrebungen beobachten, sowie
sicherheitsgefährdende oder extremistische Bestrebungen von Ausländern beobachten, sie sollen Spionageabwehr
betreiben, Sicherheitsüberprüfungen durchführen, sie sollen auch Scientology im Auge behalten und sich schließlich
selbst verwalten. Es gibt 3 Landesämter, die mehr als 300 Mitarbeiter haben, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-
Westfalen. Zwei Landesämter, Niedersachsen und Hessen, verfügen über deutlich mehr als 200 Mitarbeiter. Die anderen
Landesämter haben weniger, zum Teil unter 100 Mitarbeiter. (1) Damit dürfte ein überwiegender Teil der Landesämter
nicht wirklich in der Lage sein, das von ihnen erwartete breite Aufgabenspektrum zu erledigen. Deswegen ist eine
grundsätzliche Reform notwendig. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob alle diese Aufgaben zukünftig noch erforderlich
sind. Dann wird zu überlegen sein, wie die Landesämter untereinander und wie Landesämter und das Bundesamt
zusammenarbeiten sollen. Vorstellbar ist, dass einzelne Landesämter sich die Aufgaben untereinander aufteilen und
dies über Staatsverträge vereinbart wird. Auch könnten die Aufgaben, die einen Bezug zum Ausland haben, vorrangig
dem Bundesamt übertragen werden. Die Verfassungsschutzämter sind ja nicht alleine tätig – außer den Polizeibehörden
besitzt der Zoll auf diesem Feld partiell eigene Zuständigkeiten. Ein aktuelles Problem ist die Zusammenarbeit der
Verfassungsschutzämter untereinander. Zwar verpflichtet das Bundesverfassungsschutzgesetz die
Verfassungsschutzbehörden zur Zusammenarbeit, diese funktioniert, wie inzwischen allgemein bekannt, nicht
ausreichend. Das hat unterschiedliche Gründe; zum Teil spielen Kompetenzgerangel und Eigensucht eine Rolle, wenn
Informationen nicht an andere Ämter weitergegeben werden.
Ich habe überdies den Eindruck, dass auch Polizei und Verfassungsschutz sich oft sehr kritisch gegenüber stehen.
Die Polizei bewertet Informationen des Verfassungsschutzes oft als wenig valide und die Verfassungsschutzbehörden
wiederum haben die Sorge, dass der Polizei übermittelte Informationen nicht geheim bleiben, sondern schnell
öffentlich werden könnten.
Angesicht der zahlenmäßigen Besetzung der Landesämter liegt es doch nahe, Landesämter mittels Staatsvertrag
zusammenzufassen, wie man sich beim Rundfunkstaatsvertrag zusammenschließt. Wer soll eigentlich die Aufgaben neu
formulieren und umverteilen, der Gesetzgeber?
Die Überlegungen zur Veränderung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern setzen voraus, dass die Länder
grundlegenden Veränderungen des Kompetenzgefüges zustimmen. Die Länder scheinen nach wie vor hierzu nicht bereit zu
sein, wie auch die jüngsten Reaktionen auf vorsichtige Vorschläge des Bundes zeigen.
Auf dem Tisch liegt zur Zeit die Reformankündigung vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die vom
Bundesinnenminister gebilligt werden wird. Danach soll dem Bundesamt eine Zentralstellenfunktion zugeordnet werden.
Dazu müsste § 5 des derzeitigen Gesetzes geändert werden. Dass Bundesamt könnte Dinge an sich ziehen und
selbstständig auf dem Territorium der Länder ermitteln. Was halten Sie davon?
Ich kenne die genauen Überlegungen nicht. Ganz grundsätzlich könnten die neuen erweiterten Aufgaben des
Bundeskriminalamts gegenüber den Polizeibehörden der Länder auch Anknüpfungspunkte für vergleichbare Regelungen für
eine Aufgabenerweiterung des BfV sein. Zudem ist vorstellbar, dem BfV die ausschließliche Kompetenz zuzuordnen,
wenn es um Sachverhalte mit Bezügen zum Ausland geht. Jedenfalls sollte grundsätzlich allein das BfV der
Ansprechpartner für Auslandsnachrichtendienste sein und nicht einzelne Landesämter.
Bis jetzt heißt es nur, dass die Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern durch
die Koordinierungs- und Zentralstellenfunktion des BfV mit der geplanten Änderung des § 5
Bundesverfassungsschutzgesetz gestärkt werden soll.
Das Bestreben, in bestimmten Bereichen die Zentralstellenfunktion zu stärken, kann ich nachvollziehen, weil es in
einigen Punkten grundsätzlich sachgerecht ist.
Gehen wir etwas weiter: Quasi handstreichartig ist am 15. November letzten Jahres das sogenannte GETZ (Gemeinsames
Extremismus- und Terrorabwehrzentrum) eröffnet worden, was die Ämter des Verfassungsschutzes und des
Auslandsgeheimdienstes an einen gemeinsamen Tisch bringen soll. Was halten Sie denn davon?
Bei dem schon bestehenden Terrorismus-Abwehrzentrum in Treptow geht es vorrangig um einen Informationsaustausch.
Damit wird möglichst verhindert, dass zwar mehrere Behörden nebeneinander das gleiche tun, aber, weil ihnen jeweils
einzelne Mosaiksteine aus ihren eigenen Informationen fehlen, sie nicht die richtigen Schlüsse ziehen können.
Das Trennungsgebot betrifft die Ausübung der Befugnisse und die Organisation, aber es verbietet nicht jeden
Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Wie allerdings das neue GETZ im Einzelnen organisiert
ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Die Frage ist, ob es dieses Regelwerk gibt. Als Bürgerrechtsorganisation fordern wir, dass es Rechtsgrundlagen für
die Arbeit dieser Art Zentren gibt. Die gibt es nicht, weder für das eine noch das andere. Hinzu kommt, dass wir
uns schlecht vorstellen können, wie man sich über Lagen austauscht, ohne das die Befugnisnormen bezüglich der
Erhebung, Speicherung und Verwendung von Daten eine Zweckänderung erfahren. Das ist für uns ein
Bürgerrechtsproblem.
Ganz grundsätzlich verweise ich insoweit auf meine Stellungnahme zum Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von
Polizeibehörden und Nachrichtendiensten anlässlich der Anhörung des Innenausschusses des deutschen Bundestags im
November 2006. Meine damaligen Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Schranken einer Zusammenarbeit zwischen
Polizei und Verfassungsschutz halte ich aufrecht. Und selbstverständlich sind auch bezüglich des GETZ die
allgemeinen Grundsätze zum Trennungsgebot zu beachten.Unabhängig davon wäre eine normenklare gesetzliche Regelung
für derartige Formen der Zusammenarbeit in gemeinsamen Zentren der Sicherheitsbehörden wünschenswert.
Sie haben vorhin die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Behörden angesprochen. Würden Sie denn grundsätzlich
die Einschätzung teilen, dass so eine informelle Zusammenarbeit wie im GETZ, einfacher, besser funktioniert als
eine gesetzlich normierte?
Üblicherweise funktioniert eine Zusammenarbeit besser, wenn man das Gegenüber persönlich kennt. Dem steht eine
gesetzliche Regelung für solche gemeinsamen Zentren nicht entgegen.
Ich gehe noch einmal an den Anfang zurück. Sie hatten von dem Gefahrenvorvorfeld gesprochen, in das auch die
Polizei immer weiter hereinreicht. Sie teilen diese Auffassung, nehme ich an?
Das sind Beobachtungen, die ich genauso mache. Und wozu wenig Kritik zu hören ist.
Wir sagen da schon was.
Offensichtlich leider – zu meinem Bedauern – ohne großen Niederschlag.
Meine Frage zielt darauf: Sie hatten gesagt, das Amt sei unter anderem deswegen unverzichtbar, weil es in diesem
Feld weiter zu ermitteln und Erkenntnisse zu sammeln gilt.
Die Aufgabe muss erledigt werden; und mir ist es lieber, die Aufgabe führt eine Organisation durch, die von der
Polizei getrennt ist, also nicht gleichzeitig polizeiliche Befugnisse besitzt, aber einer besonderen Kontrolle
unterliegt.
Sie wären also dafür, diesen Bereich aus der Polizeiarbeit wieder herauszunehmen?
Ich bin für eine klare Trennung. Wenn Polizeibehörden besondere Ermittlungsmethoden einsetzen, dann sollten sie