Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 203: Religiöse Sonderrechte auf dem Prüfstand

Die öffentliche Bekennt­nis­schule – vor der Heraus­for­de­rung des religiösen Pluralismus geschei­tert?

aus: vorgänge Nr. 203 (3-2013), S. 88-91

Der Leiter einer katholischen Bekenntnisgrundschule machte die Teilnahme am Religionsunterricht zur Aufnahmebedingung für einen muslimischen Schüler. Dessen Vater klagte dagegen – und verlor ein Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Das Gericht stufte das Elterngrundrecht und die negative Religionsfreiheit niedriger ein als den rechtlichen Status der Schule als bekenntnisgebundene Schule – warum eigentlich?

Der Schulleiter einer katholischen Bekenntnisgrundschule kann die Aufnahme einer Schülerin oder eines Schülers muslimischen Glaubens ablehnen, wenn die Eltern bei der Anmeldung nicht zugleich ihr Einverständnis erklären, dass ihr Kind am Religionsunterricht des Bekenntnisses teilnimmt. Mit dieser Entscheidung wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster in seinem Beschluss vom 4. September 2013 (19 B 1042/13) die Beschwerde eines muslimischen Vaters zurück. Der hatte zuvor beim Verwaltungsgericht (VG) Minden beantragt, die Grundschule im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Aufnahme des Kindes zu verpflichten. Das VG Minden lehnte dies mit Beschluss vom 30. August 2013 (8 L 538/13) ab. Weder im Ergebnis noch in der Begründung kann die Entscheidung des 19. Senats vollständig überzeugen.

Die Begründung des OVG Münster

Der Aufnahmeanspruch ergebe sich aus § 46 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen (SchulG NRW), wonach jedes Kind einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität hat, soweit der Schulträger kein Schuleinzugsgebiet gebildet hat.

Weiter gehende Einschränkungen des Aufnahmeanspruchs sollen sich aus dem Charakter der katholischen Grundschule als Bekenntnisschule im Sinne des Art. 12 Abs. 3 S. 2 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen (LVerf-NRW) ergeben, insbesondere dem spezifischen Erziehungsauftrag der Bekenntnisschule. Demgemäß werden in Bekenntnisschulen Kinder des katholischen oder evangelischen Glaubens nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. Für den Fall, dass es sich bei der katholischen Grundschule um eine Bekenntnisschule handelt, soll dies zur Folge haben, dass der Schulleiter bei seiner im Ermessen liegenden Aufnahmeentscheidung die konkrete Aufnahme von der Einverständniserklärung der Eltern zur Teilnahme am katholischen Religionsunterricht abhängig machen könne. Nach Auffassung des Gerichts handelten Eltern, die von ihrem Befreiungsrecht (§ 31 Abs. 6 SchulG NRW) nach der Aufnahme Gebrauch machten, gegen Treu und Glauben und müssten damit rechnen, dass ihr Kind von der katholischen Grundschule verwiesen werden könnte.

Im Zentrum des Rechtsstreits steht der Bekenntnischarakter der katholischen Grundschule. Begrifflich setzt eine Bekenntnisschule die Homogenität im evangelischen, katholischen oder einem anderen Glauben der Kinder voraus. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 3 S. 2 LVerf NRW, demzufolge „in Bekenntnisschulen“ mitunter „Kinder des katholischen Glaubens … unterrichtet und erzogen“ werden. Allerdings liegt der katholische Schüleranteil der insgesamt 580 Kinder an der in Frage stehenden Grundschule de facto bei gerade 42,5%, wohingegen 26,1% evangelisch, 8,8% muslimisch; 6,3% syrisch-orthodox; 2,5% griechisch-orthodox und 10% konfessionslos sind. Mit Bezug auf diesen religiösen Pluralismus könne es sich – so die Auffassung des Vaters – nicht mehr um eine Bekenntnisschule handeln, sondern um eine bekenntnislose Gemeinschaftsschule. Daher könne die Grundschule von ihm auch bei der Aufnahme keine Einverständniserklärung für die Teilnahme seines Kindes am Religionsunterricht verlangen.

Allerdings ließ das OVG Münster den Bekenntnischarakter der Grundschule in materiell-rechtlicher Hinsicht offen und verwies auf die nur summarischen Feststellungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes offen. Eine Klärung dieser Frage sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Der 19. Senat zieht sich stattdessen auf einen formal-rechtlichen Standpunkt zurück. Die von dem Gericht für möglich gehaltene, aber noch nicht abschließend geklärte unzureichende Homogenität könne jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht den Status der Grundschule als katholische Bekenntnisschule kippen. Zumal der Verlust des Bekenntnischarakters einer Grundschule nur entweder durch Antrag der Eltern (§ 27 Abs. 3 SchulG NRW in Verbindung mit der Bestimmungsverfahrensverordnung, BestVerfVO) oder durch einen den Schulentwicklungsplan berücksichtigenden Organisationsbeschluss des Gemeinderates (§ 81 Abs. 2 S. 1 SchulG NRW i.V.m. § 52 Abs. 2 Gemeindeordnung NRW) herbeigeführt werden könnte. Letztlich falle es in den Aufgabenbereich der Politik, den Rechtsstatus einer Grundschule an die Rechtswirklichkeit heranzuführen.

Kritik

1. Gerade wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz hätte das OVG Münster den Schulleiter verpflichten müssen, das Kind vorläufig an der katholischen Grundschule aufzunehmen, bis ihr Bekenntnischarakter materiell-rechtlich in der Hauptsache geklärt ist. Den Grundrechten der Eltern und des Kindes (insbesondere das Elternrecht, Art. 6 Abs. 2 GG und die negative Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG) hätte das Gericht gegenüber der nur formalen Rechtsposition der Grundschule als Bekenntnisschule, deren materiell-rechtlicher Bekenntnisgehalt ungeklärt ist, den Vorrang einräumen müssen.

2. Dass die Entscheidung über die Schüleraufnahme im Einzelfall in das Ermessen des Schulleiters gelegt wird, stimmt nicht nur deshalb bedenklich, weil sie dadurch in der Aufnahmepraxis anfällig für (religiöse) Diskriminierungen ist. Überdies ist die Aufnahmeentscheidung in Bezug auf das elterliche Wahlrecht grundrechtswesentlich. Die abschließende Regelung der materiellen Aufnahmekriterien steht daher unter einem Gesetzesvorbehalt. Insofern fehlt eine ergänzende Regelung im Schulgesetz NRW.

3. Der Schulleiter hätte die negative Religionsfreiheit des Vaters und des Kindes durch die Gewährung des Rechts zur Befreiung vom Religionsunterricht bereits bei der Anmeldung respektieren müssen. Im Gegensatz zu einer Bekenntnisschule in freier bzw. kirchlicher Trägerschaft sind die kommunalen Bekenntnisschulen öffentlich-rechtlich überformt, auch wenn nach den theologischen Grundsätzen der katholischen Kirche in allen ordentlichen Fächern unterrichtet und erzogen wird. Es bestehen allerdings begründete Zweifel daran, dass sich dieses normative Bild der Bekenntnisschule in der Realität der Schulpraxis widerspiegelt. In einer Bekenntnisschule in staatlicher Trägerschaft wird häufig nicht spezifisch katholisch oder evangelisch erzogen. Die Schulpraxen der Bekenntnisschulen und der Gemeinschaftsschulen sind ähnlich.

4. Die Gewährleistung einer im Geiste des Glaubens einheitlichen Unterrichts- und Schulpraxis wird wesentlich durch eine konfessionshomogene Schülerschaft sichergestellt. Der an der streitgegenständlichen Grundschule vorherrschende religiöse Pluralismus mit einem katholischen Schüleranteil von unter 50 Prozent dürfte allen Bemühungen um eine einheitliche katholische Glaubensvermittlung in allen Schulfächern zum Trotz zum Scheitern verurteilt sein. Das VG Minden als Ausgangsinstanz (Beschluss vom 30.August 2013, 8 L 538/12) bestimmte nun die Homogenität nicht oder nicht allein nach der objektiven Konfessionszugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler, sondern auch unabhängig davon nach dem subjektiven Elternwillen zum Zeitpunkt der Schulaufnahme. Durch diese Subjektivierung des Homogenitätstatbestands ist er kaum mehr gerichtlich überprüfbar. Würde man sich der Auffassung des VG Minden anschließen, wäre das Homogenitätserfordernis selbst dann noch erfüllt, wenn die bekenntnisfremden Schüler_innen in der Mehrzahl sind, da ihnen der Wille unterstellt wird, sich einer konfessionsfremden schulischen Erziehung unterstellen zu wollen. Wie eine bekenntnisfremde Erziehung im Elternhaus unterstützt werden soll, bleibt das Geheimnis des VG Minden.

5. Vielmehr ist vor dem Hintergrund des wachsenden religiösen Pluralismus davon auszugehen, dass an vielen Schulen der Bekenntnischarakter nur auf dem Papier steht, da es sich bei ihnen in Wahrheit schon längst um bekenntnisneutrale Gemeinschaftsschulen handelt.

Forderungen

Um eine stärkere Übereinstimmung zwischen Rechtsnormen und Rechtswirklichkeit zu erreichen, ergeben sich zwei Forderungen: Zum einen sollte die Landesregierung mit den beiden Kirchen eine Vereinbarung treffen, dass die Einverständniserklärung zur Teilnahme am Religionsunterricht für bekenntnisfremde Kinder keine zwingende Voraussetzung für die Aufnahme ist. Zum anderen sollte sich die Politik parteiübergreifend auf eine Verfassungsänderung zur Beseitigung der öffentlichen Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen verständigen. Das muss kein Nachteil für die Kirchen sein, vielmehr Chance zur Konzentration auf die konfessionelle Profilbildung in den kircheneigenen Schulen.

DR. THOMAS LANGER   ist Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Bildungsforschung und Bildungsrecht e.V. (IfBB) an der Ruhr-Universität Bochum. Neben seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Schulrecht berät er Verbände und Träger freier Schulen.

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