Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 203: Religiöse Sonderrechte auf dem Prüfstand

Heraus­for­de­rung im Schulall­tag: Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt zu musli­mi­schem Gebet in der Schulpause

aus: vorgänge Nr. 203 (3-2013), S. 102-103

Öffentliche Schulen sollen weiterhin offen sein für religiöse Bezüge – zumindest der Schüler_innen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschied am 10. November 2011 mit seinem Urteil(1) zum Gebetswunsch eines muslimischen Schülers, dass das an den Staat gerichtete Neutralitätsgebot dem nicht entgegenstehe. Dennoch verwehrte das Gericht dem Schüler das Recht, in den Pausen beten zu können. Der damals 14jährige Junge muslimischen Glaubens besuchte ein Gymnasium in Berlin-Wedding. Im Jahr 2007 betete er in der Schulpause gemeinsam mit sieben anderen Schülern nach islamischem Ritus. Dafür knieten sie etwa zehn Minuten lang auf ihren Jacken im Schulflur. Nach Darstellung des Schülers befanden sie sich dabei in einem abgelegenen und nicht ohne weiteres einsehbaren Bereich. Dennoch wurden sie von Mitschülern und einem Lehrer gesehen, der die Schulleiterin informierte. Diese wies den Kläger am folgenden Tag darauf hin, dass das Beten auf dem Schulgelände nicht geduldet werden könne und teilte dies auch den Eltern mit.

Das BVerwG sah das muslimisch motivierte Beten des Schülers als vom Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst an. Seiner Freiheit zu beten stünden nicht die negative Religionsfreiheit der Mitschüler_innen und Lehrer_innen entgegen. Auch das dem Staat auferlegte religiös-weltanschauliche Neutralitätsgebot verbiete nicht das Beten in den Schulpausen. Wenn die Schule ein Gebet eines muslimischen Schülers zulasse, bevorzuge sie damit weder den muslimischen Glauben noch versuche sie dadurch selbst die Schülerschaft im Sinne dieses Glaubens zu beeinflussen.

Das Recht des Schülers, in der Pause zu beten, finde seine Schranke aber in dem Gebot, den Schulfrieden zu wahren – so die Begründung des BVerwG. Die Erfüllung des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrages nach Artikel 7 Grundgesetz setze die Wahrung des Schulfriedens voraus. Damit sei ein Zustand der Konfliktfreiheit und -bewältigung gemeint, der einen ordnungsgemäßen Unterrichtsablauf ermögliche. Die Vermeidung religiös-weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Schulen stelle ein wichtiges Gemeinschaftsgut dar. Dieser Schulfrieden werde durch das Beten des Schülers beeinträchtigt; denn durch das Gebet des Schülers auf dem Flur werde eine ohnehin bereits bestehende Gefahr für den Schulfrieden weiter verschärft. An dem Gymnasium herrsche ein Klima, in dem sich an religiösem Verhalten aus geringem Anlass Konflikte entzündeten. Die offene Verrichtung eines rituellen Gebets könne dazu führen, dass religiös geprägte Konflikte aufbrechen, weil das Gebet andere zum Mitmachen auffordere und daher geeignet sei, zwischen strengen und weniger strengen Anhängern einer Religion zu unterscheiden. Das BVerwG entschied demnach, dass die Schulleitung dem Schüler zu Recht das Pausengebet verboten habe.

(1) BVerwG, Urteil v. 10.11.2011 – 6C 20.10.

Dateien

nach oben