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Vom Blutzoll der christ­li­chen Kirche. Karlheinz Deschner vollendet seine „Krimi­nal­ge­schichte des Chris­ten­tums“

01. Dezember 2013

aus: vorgänge Nr. 203 (3-2013), S.144-145

Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 10: 18. Jh. u. Ausblick auf die Folgezeit, Reinbek: Rowohlt 320 S., 22,95 €
Die Politik der Päpste, Aschaffenburg: Alibri, erw. Neuausg., ca. 1100 S., ca. 59 €.

Wohl kaum ein anderer Autor hat die dunklen Kapitel der Kirchengeschichte so ausgeleuchtet wie Karlheinz Deschner (89), der weltweit zu den bedeutendsten wie umstrittensten Kirchenkritikern zählt. Jetzt liegt der zehnte und letzte Band seiner großangelegten „Kriminalgeschichte des Christentums“ vor. Sein Lebenswerk, die Arbeit von 40 Jahren.

Zudem trat der aus Bamberg stammende und in Hassfurt lebende Querdenker als Romancier und Aphoristiker hervor. Sein Œuvre umfasst mittlerweile über fünfzig Bücher, die in mehr als einer Million Exemplaren und in zwölf Sprachen Verbreitung fanden. Schließlich ist er als Tierschützer bekannt geworden.

Mit missionarischem Eifer begann Deschner, ein Aufklärer und Asket vor dem Herrn, um 1970 mit seiner umfassenden Abrechnung mit den Verbrechen der christlichen Religion – eingebunkert in einem Bücherturm und ausgerüstet mit einer mechanischen Schreibmaschine, die er noch heute benutzt. 1971 stand er wegen „Kirchenbeschimpfung“ vor Gericht.

Das Projekt der „Kriminalgeschichte“ lief schon bald aus dem Ruder. Aus den abgesteckten 320 Seiten sind fast 6000 geworden, die er sich in entsagungsvoller Arbeit Jahr für Jahr abgerungen hat. Der erste Band erschien erst 1986; bereits 1992 saßen Universitätstheologen, die ja noch immer unter kirchlicher Kontrolle stehen, in einer eigens anberaumten Tagung über ihn zu Gericht.

Monströses Unheil

Von den grauseligen Erzählungen des Alten Testaments über die Alte Kirche zu den Kreuzzügen im Mittelalter; von der Inquisition und der Hexenjagd, vom „christlichen Judenmorden“ über die bluttriefende Conquista in Lateinamerika („amerikanischer Holocaust“) bis zum „grässlichen Gemetzel“ des Dreißigjährigen Krieges spannt das opus magnum einen immensen Bogen.

Dabei erschließt es in jedem Band ein erschreckendes Panorama von Lug und Trug, Blut und Mord im Zeichen des Kreuzes; statt der verheißenen Heilsgeschichte die eines „monströsen Unheils“. Bisweilen vermag es jedoch die aus dem Nebel der Geschichte selten auftauchenden Lichtblicke nicht immer genau zu erkennen.

Unheil wird auch im neuen Band vernehmbar. Er berichtet von „Königen von Gottes Gnaden“ – besonders vom frommen Schwedenkönig Karl XII., der sich als alttestamentlicher Kriegsherr verstand und in seinen Kriege um 370.000 Menschen verschliss – wie auch vom Niedergang des Papsttums und der beginnenden Trennung von Staat und Kirche.

Auch darin bringt Deschner, oft mittels sarkastischem Unterton und leidenschaftlicher Zwischenrufe, das zur Sprache, was die offizielle kirchliche Lesart noch immer geflissentlich verharmlost oder sogar verschweigt. Der humanistische Autor erweist sich wiederum als Anwalt der Millionen von Opfern, deren Namen aus den Geschichtsbüchern gelöscht wurden. Er ist empört, wenn man das „himmelschreiende Unrecht der ‚Heilsgeschichte‘ in lammfromme Sprüche verpackt, in unverschämte Lügen“.

Der letzte Band, der im Vergleich zu seinen Vorgängern zu kurz ausgefallen ist, führt an die Schwelle des 19. Jahrhunderts. Die fehlenden 200 Jahre sollen durch die erweiterte Neuausgabe von Deschners Werk „Die Politik der Päpste“ (1991) abgedeckt werden, der noch in diesem Jahr erscheinen wird.

Ein moderner Voltaire

Dem streitbaren Kriminalhistoriker geht es nicht um eine ausgeklügelte Darstellung oder um brandneue Forschungsergebnisse; vielmehr schreibt er als ein moderner Voltaire, der daran Anstoß nimmt, dass das sich als Liebesreligion wähnende Christentum eine breite historische Blutspur hinterlassen hat.

Er hat mit seiner in brillanter Sprache dicht erzählten „Kriminalgeschichte“ ein alternatives Standardwerk geschaffen, das den Leser ungeschminkt hinter die Kulissen schauen lässt. Sie schließt mit den unversöhnlichen Worten: „Das Christentum wurde der Antichrist. Jene Hölle, mit der es drohte: sie war es selbst!“

WERNER RAUPP ist Theologie- und Philosophiehistoriker. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die neuzeitliche Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts (bes. Aufklärung und Pietismus) wie auch das 19. und 20. Jahrhunderts (bes. Albert Schweitzer). Raupp ist Mitherausgeber der philosophischen Zeitschrift „Aufklärung und Kritik“ der Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg; überdies Mitglied der Kant-Gesellschaft und des Deutschen Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene e.V.

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