Beitragsbild Blockupy-Proteste 2013. Frankfurt am Main setzte Grundrechte außer Kraft
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Blocku­py-Pro­teste 2013. Frankfurt am Main setzte Grundrechte außer Kraft

aus: vorgänge Nr. 205 (Heft 1/2014), S. 100-102

Blockupy-Proteste 2013. Frankfurt am Main setzte Grundrechte außer Kraft

Blockupy 2013 – Der Frankfurter Polizei-Kessel am 1. Juni 2013, Bericht zur Demonstrationsbeobachtung vom 30. Mai bis 1. Juni 2013, Komitee für Grundrechte und Demokratie

Unter dem Motto „Blockupy!“ rief in den Jahren 2012 und 2013 ein buntes Bündnis zum Protest gegen die Austeritätspolitik der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission auf. Teile des „Blockupy“-Bündnisses waren regional und überregional organisierte Gruppen der radikalen Linken wie die Interventionistische Linke, Queer-feministische Gruppen, die unter dem Slogan eines „Care-Mobs“ mobilisierten, antirassistische Initiativen oder das „Ums-Ganze-Bündnis“. Unterstützt wurden sie von der Gewerkschaft ver.di, der Partei DIE LINKE, sowie der globalisierungskritischen Organisation „attac“ und zahlreichen anderen antikapitalistischen und kapitalismuskritischen Gruppen und Netzwerken. Im Nachhinein beteiligte sich auch die IG Metall mit einer Solidaritätsinitiative für die festgehaltenen Demonstrant_innen.
Ziel der Demonstrant_innen war es, ein „solidarisches Signal“ an die von der „Kaputtspar“-Politik betroffenen Bevölkerungsschichten einzelner EU-Länder wie Spanien und Griechenland zu senden – und zwar mitten aus dem „Herzen der Bestie“, der Bankenstadt Frankfurt am Main, wo die EZB ihren Sitz hat. Mit angekündigten Blockade-Aktionen auf den Straßen Frankfurts sollte vom 30. Mai bis 1. Juni 2013 das Tagesgeschäft der EZB gestört werden.

Die Stadt Frankfurt versuchte demgegenüber mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, die Proteste einzuschränken. So wurden Demonstrant_innen u.a. stundenlang in einem Polizeikessel festgehalten.

Mitglieder des Komitees für Grundrechte (Komitee) beobachteten 2013 die Blockupy-Proteste in Frankfurt. Die jetzt vorliegende Broschüre des Komitees bereitet die Augenzeug_innenberichte vor dem Hintergrund der Geschichte von Demonstrationen und den bürgerlichen Grundrechten in der BRD auf. Sehr detailgetreu werden zunächst Demonstrationen und Aktionen von Blockupy und das polizeiliche Eingreifen in den Jahren 2012 und 2013 geschildert. Wer bei den Protesten anwesend war, wird sich schnell zurück versetzt fühlen, beispielsweise in die heftigen Buskontrollen oder in die Situation am Frankfurter Flughafenterminal (2013). Dort wurde die Versammlungsfreiheit auf 200 Teilnehmer_ innen beschränkt, die durch die Polizei mittels Einrichtung einer Schleuse „abgezählt“ wurden.
Im Anschluss kritisieren die Autor_innen anschaulich den Umgang mit den demonstrativen Protesten, nicht nur durch die Polizei, sondern auch durch Behörden und Gerichte: „Im Laufe des Nachmittags verabschiedete sich die Richterin im Amtsgericht in den Feierabend, wohl wissend, dass ca. tausend Menschen über Stunden von der Polizei festgehalten wurden.“ (S. 63) Der Einsatz von gefährlichem Pfefferspray, Kesselungstaktiken, Auflagen und die Verweigerung der Aufgabenerfüllung von Gerichten u.a. werden systematisch als Eigenschaften des staatlichen Umgangs mit den Protesten gegen die Finanzpolitik der Troika herausgearbeitet. Anhand historischer Gerichtsurteile (insbesondere des Brokdorf-Urteils von 1985) wird gezeigt, wie das Demonstrationsrecht 2013 (um-)gedeutet und durch dehnbare Begriffe wie Gefahrenabwehr und „präventive Sicherheit“ ausgehebelt wird, beispielsweise durch sich häufende Auflagen. So wird aus dem Recht zum Schutz von Versammlungen am Ende ein „Versammlungs-Verbotsgesetz“ (S. 79). Aufgrund von polizeilichen „Gefahreneinschätzungen“ (dazu reichte bereits die Absicht, zivilen Ungehorsam leisten zu wollen) wurden am Ende vielfach Versammlungsverbote ausgesprochen. Das Komitee gelangt zu der Einschätzung: „Diese Art der Prävention, die den Verdacht zum Ausgangspunkt macht, öffnet der Willkür Tür und Tor.“ (S. 54)
Regt der erste, dokumentarische Teil der Broschüre unter anderem durch den besagten Wiedererkennungswert für die Beteiligten sehr zum Lesen an, erscheint im weiteren der theoretische Rückbezug und die Kritik staatlicher Repression aus demokratietheoretischer Sicht besonders sinnvoll. In Frankfurt wurde das Recht auf Versammlungsfreiheit ausgerechnet denjenigen verweigert, von denen laut Grundgesetz angeblich „alle Staatsgewalt ausgeht“ (S. 113). Das Komitee, das sich selbst als demokratisch, grund- und menschenrechtlich fundiert versteht, misst hier die Demokratie der Verkündung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sowie politischer Willensbildung am Beispiel des Demonstrationsrechts an sich selbst.
Mit ihren beiden Teilen geht die Broschüre weit über eine reine Dokumentation hinaus. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Auswertung der Proteste. Allerdings leistet sie keine politische Auswertung der Aktionen, da weder die Bündnisarbeit noch die politische Wirksamkeit der Aktionen berücksichtigt werden. Zuweilen verbleibt die Argumentation auf einer legalistischen Beschreibung, in der sich viele Beteiligte der Proteste nicht wiederfinden.

ANN-KATRIN LEBUHN ist politische Aktivistin, lebt in Berlin und arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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