Themen / Innere Sicherheit

Überwa­chungs­normen aus Terro­ris­mus­be­kämp­fungs­ge­setz erneut verlängert

04. Juni 2012

Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 9

Nachdem die vom Bundesinnenminister betreute „Evaluation“ des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes (TBEG) vorlag (s. Mitteilungen Nr. 214, S. 1-8), hat der Bundestag am 27. Oktober 2011 die meisten jener Überwachungsbefugnisse verlängert; eine große Koalition aus CDU/CSU, FDP und SPD verabschiedete das „Gesetz zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes“. Es trat am 10. Januar 2012 in Kraft und verlängert die nach den Anschlägen von 9/11 geschaffenen Überwachungsbefugnisse um weitere sechs Jahre.

Von den bisherigen Befugnissen des TBG/TBEG wurde lediglich die Abfrage von Informationen über die Umstände des Postverkehrs (§ 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BVerfSchG) gestrichen. Im Gegenzug erhielten die Geheimdienste zusätzliche Befugnisse, um Flugpassagierdaten nicht mehr nur bei einzelnen Airlines, sondern den Betreibern von zentralen Computerreservierungssystemen abzufragen. Ebenso darf der Verfassungsschutz nun zentral Kontostammdaten beim Bundeszentralamt für Steuern abrufen.

Der Innenausschuss des Bundestags führte am 17. Oktober 2011 eine Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf durch. Daran nahm u.a. das Beiratsmitglied der Humanistischen Union, Prof. Dr. Martin Kutscha, teil. In seiner Stellungnahme (A-Drs. 17(4)359 D) kritisierte er drei Punkte des Entwurfs:

  • die Kompetenzübertragung zur Terrorismusbekämpfung an das Bundesamt für Verfassungsschutz: „Bei Terrorismus handelt es sich um schwere Kriminalität, aber kaum um eine Gefährdung unserer Verfassungsordnung.“ (Kutscha, S. 1) Terroristische Straftaten betreffen zwar die „öffentliche Sicherheit“ im Sinne des Polizeirechts, nicht aber die „Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ im Sinne von Artikel 73 Absatz 1 Nr. 10 Grundgesetz. „[F]ür die Gefahrenabwehr sowie die Strafverfolgung in diesem Bereich ist mithin nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern sind die Polizeien (einschließlich des BKA …) bzw. die Strafverfolgungsorgane zuständig.“ (ebd.)
  • die weitergehende Nutzung von Telekommunikationsdaten durch den Verfassungsschutz, als dies das Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärt hat: Nach dem neuen Gesetz soll das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Telekommunikationsverkehrsdaten abrufen dürfen, soweit „tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in § 3 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen“ und die TK-Daten für deren Aufklärung erforderlich sind (§ 8a II Nr. 4 BVerfSchG). Damit könnte das BfV bereits auf die Kommunikationsdaten zugreifen, wenn es „sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten … für eine fremde Macht“ verfolgt. Aufgrund der besonderen Sensitivität solcher Daten hatten die Verfassungsrichter deren Nutzung jedoch nur gestattet, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr“ vorliegen. (vgl. Leitsatz 5 der Entscheidung vom 2.3.2010 in BVerfGE 125, 260).
  • die Einführung einer Auskunftspflicht für alle Unternehmen, bei denen das Bundesamt für Verfassungsschutz besondere Auskünfte einholen darf: Für ihre Vorfeldermittlungen durften die Verfassungsschützer schon bisher Banken, Fluggesellschaften, Telefonanbieter u.a. Dienstleister über deren Kunden befragen. Mit dem neuen Gesetz werden diese Unternehmen erstmals gesetzlich zur Auskunft verpflichtet (§ 8b VI BVerfSchG). Damit würde der bisher geltende Grundsatz, dass Geheimdiensten der Einsatz polizeilicher Mittel versagt bleibt, aufgehoben: „Die rechtsverbindliche Aufforderung zur Auskunft gemäß § 8b VI des Gesetzentwurfs ist … kaum anders denn als Ausübung einer Polizei- bzw. Weisungsbefugnis durch das Bundesamt zu werten, weil das Bundesamt damit eine klassisch hoheitsrechtliche Befugnis ausüben würde.“ (Kutscha, S. 2f.) 
    Das Gesetz sieht zudem vor, dass die Unternehmen „verpflichtet [sind], die Auskunft unverzüglich, vollständig, richtig und in dem Format zu erteilen, das durch … Rechtsvorschriften vorgeschrieben ist.“ (§ 8b Abs. 6 S. 1 BVerfSchG) Ausnahmen sieht die Regelung nicht vor, ein Recht zur Aussageverweigerung – wie bei der Polizei oder den Strafverfolgungsbehörden – wird nicht eingeräumt. „Dem gegenüber ist die geplante Befugnisregelung in § 8b VI BVerfSchG schlicht totalitär und zugleich eine Abkehr von der im ‘Polizeibrief’ postulierten Machtbeschränkung für Nachrichtendienste in Deutschland.“ (Kutscha, S. 3)

Wie wenig den Gesetzgeber derartige Kritiken interessierten, zeigt sich allein schon daran, dass der Gesetzentwurf nur 10 Tage nach der Anhörung der Sachverständigen ohne wesentliche Änderungen vom Parlament verabschiedet wurde.

Dokumente zum Gesetzgebungsverfahren:

Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes, BT-Drs. 17/6925 v. 6.9.2011
Stellungnahmen der Sachverständigen und Protokoll der mündlichen Anhörung v. 17.10.2011 unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a04/Anhoerungen/Anhoerung13/index.html

Beschlussempfehlung Innenausschuss: BT-Drs. 17/7513 v. 26.10.2011

Verkündung des Gesetzes v. 7.12.2011 im Bundesgesetzblatt Teil I 2011 Nr. 64 vom 13.12.2011, S. 2576.

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