Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 208: Europas Abschottung

Neues aus der Festung Europa (vollständig)

Bewegungsmelder, Zusammenarbeit mit Folterstaaten, weitere Datenbanken, aber keine Seenotrettung: Wie die Europäische Union die Grenzüberwachung aufrüstet, aus: vorgänge Nr. 208 (Heft 4/2014), S. 79-88

(Red.) Nahezu täglich sterben an den EU-Außengrenzen Menschen: an den Grenzzäunen in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, entlang der Grenzen in Osteuropa, in Griechenland und der Türkei. Die Tragödien im Mittelmeer mit Hunderten von Toten setzen sich fort. Wider die Einhaltung von Menschenrechten nimmt die EU die Tode dieser Menschen in Kauf und bleibt bei ihrer politischen Strategie der Grenzsicherung. Die Grausamkeit der dabei zum Einsatz kommenden Mittel wird in der Regel verschwiegen.

Einen „neuen Grad der Grausamkeit“(1) nannte die Pressesprecherin der EU-Grenzagentur Frontex die beiden ausgemusterten Frachtschiffe „Ezadeen“ und „Blue Sky M“, mit denen zu Beginn des Jahres 2015 rund 1.300 größtenteils syrische Flüchtlinge Kurs auf die Europäische Union genommen hatten. Beide Schiffe stachen Ende Dezember vermutlich im türkischen Mersin in See. Beim Erreichen italienischer Gewässer hatte die Besatzung das Weite gesucht oder sich unter die Passagiere gemischt. Nun ermittelt die Polizei und wertet die Handydaten der Reisenden aus, um zu erfahren, wer zu den Organisatoren der Überfahrt gehört.

Dass manche Menschen aus der Not von Geflüchteten Kapital schlagen, ist nicht von der Hand zu weisen. Andererseits gehen sie aber auch ein hohes Risiko ein, denn bei Ergreifen drohen satte Strafen. 25 Jahre nach dem deutschen Mauerfall gelten Fluchthelfer_innen nicht mehr als Helden, sondern als „Schlepper“, „Schleuser“ oder „Menschenschlepper“. Das Wording ist doppelbödig: Fluchthelfer_innen gelten als Kriminelle, die Geflüchteten als Opfer. Die kommerzielle Fluchthilfe wäre aber überflüssig, würde sich die EU für sichere Überfahrten einsetzen. Nicht nur die Bürgermeisterin von Lampedusa fordert deshalb sichere Korridore, um den Geflüchteten halsbrecherische Überfahrten und viel Geld zu ersparen.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 2014 mindestens 3.400 Menschen im Mittelmeer ertrunken,(2) eine deutliche Zunahme gegenüber den Vorjahren. Angesichts der ebenfalls zunehmenden Überwachung der Land- und Seegrenzen der EU-Mitgliedstaaten warnt Frontex seit längerem vor einem zunehmenden „Migrationsdruck“ auch über das Schwarze Meer. Die Agentur scheint Recht zu behalten: Anfang November sank im Bosporus ein Schiff mit 40 afghanischen Migranten_innen, mindestens 24 von ihnen starben.

Grausam sind nicht die kreativen Möglichkeiten, mit denen Migranten_innen stets aufs Neue die Hindernisse bei der Einreise umgehen. Grausam ist vielmehr das System, das die Schutzsuchenden überhaupt zu neuen Mitteln und Routen zwingt.

„Task Force Mittelmeer“ zur Verhin­de­rung unerwünschter Migration

Nachdem im Oktober 2013 über 800 Migranten_innen bei zwei Schiffskatastrophen vor Lampedusa ertrunken waren, hatte die EU eine „Task Force Mittelmeer“ ins Leben gerufen.(3) Die Gruppe erarbeitet Vorschläge zur Verhinderung unerwünschter Migration und gibt diese an die EU-Mitgliedstaaten weiter. Außer Frontex und der EU-Polizeiagentur Europol macht auch der Auswärtige Dienst, der für die Außen- und Militärpolitik der EU zuständig ist, bei der „Task Force“ mit. Ziel ist die Erstellung eines Konzeptes für Grenzüberwachungsmaßnahmen „von Zypern bis Spanien“. Geraten wird, stärker mit den Durchreiseländern Ägypten, Libyen und Algerien zu kooperieren. Die unverzügliche Rückführung von ausreisepflichtigen Migrante_innen soll oberste Priorität haben. Auch die bessere Nutzung „moderner Überwachungstechnologien“ wird empfohlen.

Immerhin macht die „Task Force Mittelmeer“ auch Vorschläge, die den Geflüchteten selbst zugute kommen sollen. Um etwa deren Situation in den Herkunftsländern zu verbessern müssten neue Schutzprogramme eingerichtet und verstärkt werden. Programme in Libyen, Tunesien und Ägypten sollten auf- oder ausgebaut werden, damit dort funktionierende Asylsysteme entstehen. Auch dahinter dürfte sich aber das Bedürfnis nach mehr Migrationskontrolle verbergen: Denn geraten wird ebenfalls, dass die EU mit den nordafrikanischen Ländern Abschiebeabkommen unterzeichnet, um die in der EU unwillkommenen Geflüchteten möglichst schnell wieder loszuwerden.

„Mare Nostrum“ schrumpft zu „Triton“

Nach der doppelten Katastrophe vor Lampedusa hatte Italien die Operation „Mare Nostrum“ („Unser Meer“) gestartet. Mehrere Schiffe, Flugzeuge und Drohnen des Militärs patrouillierten auf dem Mittelmeer zwischen Italien im Norden und Ägypten, Tunesien und Libyen im Süden, um Migranten_innen in ihren zumeist überfüllten Booten aufzugreifen und zum italienischen Festland zu bringen. Zunächst als Militarisierung der Migrationsabwehr kritisch beäugt, entwickelte sich „Mare Nostrum“ tatsächlich zu einer groß angelegten Rettungsaktion: Mehr als 140.000 Menschen sollen allein bis zum Herbst auf dem Meer aufgegriffen worden sein.(4)

Italien hatte stets betont, es handle sich bei der großen Zahl Geflüchteter um ein europäisches Problem, weshalb die EU gemeinsam reagieren müsse. Die Regierung drohte mehrmals an, „Mare Nostrum“ ersatzlos einzustellen. Gleichzeitig hagelte es Kritik von der italienischen Rechten, die die Mission als Ermutigung zu illegalen „Schleusungen“ darstellte. Geflüchtete würden regelrecht ermutigt, mit seeuntüchtigen Booten aufs Meer zu fahren, um sich dann retten zu lassen.

Im Sommer kündigte die EU-Kommission an, „Mare Nostrum“ durch eine Mission „Frontex Plus“ zu ersetzen. Daraus wurde jedoch nichts: Nach Verhandlungen mit Italien betonten Frontex und die Kommission, es handele sich keineswegs um einen Ersatz für die großangelegte italienische Seenotrettung im Mittelmeer. Stattdessen würde Frontex seine bereits existierenden Missionen vor der italienischen Küste neu strukturieren und in einer neuen Mission „Triton“ zusammenfassen. Nun wartet Frontex seit November in italienischen Hoheitsgewässern darauf, wer es überhaupt noch bis Europa schafft. „Triton“ ist mit einem bescheidenen Budget von monatlich 2,9 Millionen Euro ausgestattet. „Mare Nostrum“ verfügte über monatlich rund 9 Millionen Euro.(5)

EU nimmt neues Grenz­über­wa­chungs­system in Betrieb

Vor einem Jahr hat die EU ihr neues Grenzüberwachungssystem EUROSUR gestartet(6). Ziel ist zunächst die Bekämpfung unerwünschter Migration auf See. Boote mit Geflüchteten sollen möglichst noch aufgehalten werden, bevor sie die Gewässer von EU-Mitgliedstaaten erreichen. Als Hauptquartier von EUROSUR fungiert der Sitz von Frontex in Warschau, wo in einer neuen Kommandozentrale jeder Vorfall an einer EU-Außengrenze grafisch angezeigt wird.

Außer den Alarmmeldungen der Mitgliedstaaten erhält Frontex Zugriff auf ein satellitengestütztes Aufklärungssystem. Etliche EU-Forschungsprogramme haben bereits satellitengestützte Anwendungen für Polizei- und Grenzbehörden entwickelt. Die Forschungen zielten auf die Entwicklung einer Software, die bestimmte Risikoindikatoren verarbeitet, etwa langsam fahrende Boote, bekannte Migrationsrouten oder das Ablegen von unbesiedeltem Gebiet. Auf diese Weise könnten Boote mit Geflüchteten automatisiert aufgespürt werden. Auch Daten aus Schiffsortungssystemen werden eingebunden. Große Schiffe sind zur Mitführung von Transpondern verpflichtet, die stets den aktuellen Standort und Schiffsdaten mitteilen. Im Herbst meldete die EU-Kommission einen ersten Erfolg: In Kooperation von Frontex mit der EU-Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs und dem EU-Satellitenzentrum sei es erstmals gelungen, mit EUROSUR ein Schlauchboot mit Migrant_innen aufzuspüren.

Ein neues Kontroll­system mit dem niedlichen Namen „Seepferd­chen“

Im Oktober vergangenen Jahres hatte der EU-Rat Schlussfolgerungen zur besseren Handhabung von „Migrationsströmen“ veröffentlicht(7). Dort heißt es, dass vermehrt mit Libyen, Tunesien und Ägypten zusammengearbeitet werden müsse. So soll etwa der Handel mit Booten verhindert werden, damit Migranten_innen erst gar nicht in Richtung Europa in See stechen können.

Deutschland verhandelt derzeit ein Polizeiabkommen mit Ägypten, obwohl den dortigen Sicherheitsbehörden von Menschenrechtsorganisationen Folter und Misshandlung vorgeworfen wird. Auch in Libyen und Tunesien ist die Bundesregierung an der Reorganisation des Sicherheitsapparates beteiligt.

Um die Länder des Arabischen Frühlings in die EU- Migrationsabwehr zu integrieren, errichtet die Regierung Spaniens das kleinere grenzpolizeiliche Überwachungsnetzwerk „Seepferdchen Mittelmeer“ („Seahorse Mediterraneo“). An dem von der spanischen Guardia Civil geführten Projekt wollen alle südlichen EU-Mitgliedstaaten teilnehmen, die eine Außengrenze am Mittelmeer haben (Frankreich, Italien, Portugal, Malta, Griechenland und Zypern). Das Projekt folgt einem bereits existierenden Netzwerk „Seepferdchen Atlantik“, das ebenfalls unter spanischer Leitung steht. Auch Mauretanien, Marokko, Senegal, Gambia, Guinea Bissau und die Kap Verden sind dort mit „regionalen Koordinierungszentren“ angeschlossen. „Seepferdchen Mittelmeer“ soll ab 2015 in Betrieb genommen werden. Dann können alle teilnehmenden Staaten Informationen über Zwischenfälle und Patrouillen per Satellitenkommunikation „in Beinahe-Echtzeit“ austauschen.

Vor zwei Jahren hat die Regierung in Tripolis eine Erklärung unterzeichnet, wonach das Land an „Seepferdchen Mittelmeer“ mitarbeiten will und hierfür Lagenzentren der Marine und der Küstenwache in Benghasi und Tripolis einrichtet. (7) Beide Behörden unterstehen dem Verteidigungsministerium. Mit dem libyschen Militär war vereinbart worden, im April 2014 eine Ausschreibung für „gemeinsame Infrastruktur“ zu veröffentlichen. Hierzu gehört sowohl die Ausrüstung als auch die Beschaffung von Hard- und Software.

„Seepferdchen Mittelmeer“ und damit auch die libysche Küstenwache wird in EUROSUR integriert. Zwar dürfen bei EUROSUR nur EU-Mitglieder teilnehmen. Dessen ungeachtet fordert der Rat der Europäischen Union nun aber weitere Anstrengungen, um auch andere „relevante Staaten“ Nordafrikas zur Teilnahme an „Seepferdchen Mittelmeer“ zu bewegen. Genannt werden Tunesien, Algerien und Ägypten. Laut der EU-Kommission sei der Druck auf die Länder aber nicht ausreichend. Aus einem Kommissionsdokument geht hervor, dass auch Tunesien mit „Schiffen, Fahrzeugen, technischer Ausrüstung und Trainings“ aus EU-Mitteln unterstützt wird. Ein ähnliches Projekt sei für Ägypten „in der Pipeline“. Mit anderen afrikanischen Ländern sei ebenfalls eine „Verbesserung des Austauschs von Aufklärungsdaten“ angestrebt.

EU-Po­li­zei­zen­tren in „Dritt­staaten“

Mittlerweile existieren in der gesamten EU rund 40 sogenannte Zentren für die Polizei- und Zollzusammenarbeit. Sie wurden nach Wegfall der Binnengrenzkontrollen errichtet und sollen die benachbarten Sicherheitsbehörden miteinander verzahnen. Gewöhnlich bestehen sie aus zwei Mitgliedstaaten. Nun verlagern sich diese Einrichtungen allerdings an die EU-Außengrenzen: Im bulgarischen Swilengrad wird derzeit das erste Zentrum aufgebaut, an dem mit der Türkei ein Nicht-EU-Staat mitarbeitet. Auch die EU-Agenturen Frontex und Europol sollen mitarbeiten. Eine entsprechende Absichtserklärung zwischen der griechischen, türkischen und bulgarischen Regierung ist mittlerweile unterzeichnet, nun wird ein endgültiger Rahmenvertrag ausgehandelt.

Vergangenen Sommer schlug die italienische Regierung vor, in Libyen oder Tunesien ein solches Zentrum für die Polizei- und Zollzusammenarbeit anzusiedeln.(9) Demnach soll der Polizeiposten dabei helfen, einen „Gürtel“ um den Mittelmeerraum und den Balkan zu ziehen. Sowohl das Zentrum in Bulgarien als auch jenes in Libyen oder Tunesien soll nach dem Vorschlag Informationen mit zwei italienischen Kommandozentralen austauschen, die dafür in der Region Apulien und auf Sizilien errichtet werden. Italien würde dabei von seiner traditionell guten Polizeizusammenarbeit auf dem Balkan profitieren.

Die Regierung in Rom ist sich offenbar bewusst, dass ein EU-Polizeiposten in Nordafrika von keiner existierenden Regelung gedeckt wäre. Weder Frontex noch Europol haben beispielsweise mit Tunesien oder Libyen Arbeitsabkommen unterzeichnet. Italien schlägt daher vor, „Ad hoc-Vereinbarungen“ mit den Ländern abzuschließen. Es handelt sich dabei um eine neue Vorgehensweise, die „nicht auf die Zurückweisung irregulärer Migranten“ beschränkt sei. Die Zentren könnten als „Antenne“ dienen, um bestimmte Kriminalitätsphänomene aufzuklären. Genannt werden „Terrorismus, illegale Einwanderung, Menschenhandel und organisiertes Verbrechen“.

Seit wann sind Grenzen intel­li­gent?

Neben der Grenzüberwachung werden auch Grenzkontrollsysteme aufgerüstet. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, das seit 2008 geplante System „Intelligente Grenzen“ dieses Jahr in einem Pilotprojekt zu testen.(10) Bei allen Grenzübertritten an den EU-Außengrenzen sollen Reisende zukünftig bis zu zehn Fingerabdrücke abgeben. Dies beträfe sämtliche Angehörigen von „Drittstaaten“, also jenen Ländern außerhalb der EU. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob diese aus geschäftlichen, touristischen oder schutzbedürftigen Gründen einreisen. Ziel ist, sogenannte Over-Stayer aufzuspüren. Gemeint sind Personen, die zwar mit einem legalen Aufenthaltstitel (gewöhnlich ein Visum) einreisen, die dort festgeschriebene Aufenthaltsdauer aber überschreiten.

Zu diesem „Ein-/Ausreiseystem“ soll sich ein weiteres Programm zur Bevorzugung von „vertrauenswürdigen Vielreisenden“ gesellen. Für eine Gebühr von 20 Euro können vorab biometrische Daten auf einer Chipkarte hinterlegt werden. Damit können die Reisenden elektronische Kontrollgates nutzen, wie sie derzeit auch an mehreren deutschen Flughäfen installiert werden.

Das gesamte „Maßnahmenpaket intelligente Grenzen“ soll nach gegenwärtigem Stand 1,35 Milliarden Euro kosten und wird massive Investitionen für biometrische Systeme zur Folge haben. Viele Mitgliedstaaten hatten Bedenken wegen der hohen Kosten für die grenzpolizeiliche Datensammlung geäußert. Allerdings führte dies nicht zum Abbruch des Projekts. Im Gegenteil konnten sich jene Staaten durchsetzen, die das System für polizeiliche Zwecke erweitern wollen, denn erst dadurch würde es sich lohnen.

Mehr Kontrolle auch an den Binnen­grenzen

Ursprünglich sollte die Aufrüstung der EU-Außengrenzen mit dem Abbau der Binnengrenzen einhergehen. Das Schengener Abkommen regelt diese Freizügigkeit, die einst als größte Errungenschaft der Europäischen Union galt: Jeder Mensch, unabhängig von seiner Herkunft, hat das Recht die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten ohne jede Kontrolle zu überqueren.

Alle am Schengen-System teilnehmenden Regierungen (auch Island, die Schweiz und Norwegen) verpflichten sich, sämtliche Kontrollstellen an den Binnengrenzen abzubauen. Lediglich beim Vorliegen einer „ernsthaften Bedrohung“ dürfen die Grenzstationen wieder besetzt werden.

Ungeachtet dessen werden Migranten_innen signifikant häufig nach rassistischen Kriterien in grenznahen Bereichen kontrolliert und durchsucht. Nun müssen sich Geflüchtete bei der Durchreise durch Schengen-Staaten noch mehr vorsehen als ohnehin. Bereits zum siebten Mal haben die EU-Mitgliedstaaten eine großangelegte Polizeioperation für beinahe das gesamte Gebiet der Europäischen Union durchgeführt.(11) Zwei Wochen lang wurde an Bahnhöfen, Autobahnen und Flughäfen verstärkt kontrolliert. Solche „Gemeinsamen Polizeioperationen“ werden von der jeweils amtierenden EU-Präsidentschaft organisiert. Die italienische Operation firmierte als „Mos maiorum“, was übersetzt etwa „Die Sitten der Ahnen“ bedeutet. Im alten Rom war damit die unbedingte Einhaltung von Recht und Ordnung gemeint, um den Aufstieg zur Weltmacht zu sichern. Dies schloss religiösen und militärischen Gehorsam ein.

Die halbjährlichen Operationen sind mittlerweile zur Regel geworden, nur Griechenland hatte während seines EU-Vorsitzes darauf verzichtet. Die Kontrollen werden dabei größtenteils aus dem regulären Dienst heraus vorgenommen: Denn auch außerhalb solcher Operationen sind die Polizeibehörden im Rahmen ihrer grenz- und bahnpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung täglich an Bahnhöfen, Flughäfen und bekannten Fernstraßen auf der Pirsch nach Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Insgesamt sind an „Gemeinsamen Polizeioperationen“ bis zu 20.000 Polizisten_innen beteiligt. Bei den vergangenen Operationen „Mitras“, „Hermes“ oder „Perkunas“ waren in Deutschland jeweils um die 2.000 Menschen ohne gültige Papiere festgestellt worden. Wie viele von ihnen daraufhin inhaftiert wurden, ist nicht bekannt.

Alle anfallenden Informationen werden an die verantwortliche Regierung und schließlich an die EU-Grenzagentur Frontex weitergereicht. Die anonymisierten Daten zu Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Reiserouten und Zielländern werden dann in Risikoanalysen verarbeitet, mit denen Frontex Migrationsströme darstellt und Prognosen über zukünftige Routen entwirft.

„Notfall­me­cha­nismus“ bei zu viel Migration

Die mit Abstand meisten Geflüchteten reisen über Italien in die EU ein. Gemäß den Dublin-Verträgen ist Italien damit für die Bearbeitung von Asylanträgen der Betroffenen sowie deren Unterbringung zuständig. Deutschland und Frankreich, aber auch einige andere Mitgliedstaaten werfen Italien allerdings vor, nicht wie vorgeschrieben von allen irregulär Eingereisten die Fingerabdrücke abzunehmen. So könnten diese ungehindert weiterreisen und in anderen Ländern um Asyl nachsuchen. 

Schon kurz nach den Revolten in Tunesien, Ägypten und Libyen hatten Deutschland und Frankreich vorgesorgt. Auf Druck der beiden Regierungen hat die EU 2013 Jahr das Schengener Abkommen um einen „Notfallmechanismus“ ergänzt.(12) Die Grenzposten an Binnengrenzen dürfen nun wieder in Betrieb genommen werden, wenn ein anderer Mitgliedstaat von zu viel unerwünschter Migration an seiner EU-Außengrenze betroffen ist. Ein solches Verfahren war bereits bekannt, wenn unliebsame Gipfeldemonstranten_innen und Fußballfans für bis zu vier Wochen an der Aus-  oder Einreise gehindert werden sollten.

Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und sein französischer Amtskollege schlugen für den neuen „Notfallmechanismus“ ebenfalls eine Dauer von 30 Tagen vor. Allerdings geht die schließlich verabschiedete Änderung deutlich darüber hinaus: Zunächst dürfen die Binnengrenzen eines Landes für sechs Monate kontrolliert werden. Dieser Zeitraum kann dreimal verlängert werden, insgesamt also bis zu 24 Monate. Die neue Regelung gilt seit dem vergangenen Herbst.

Gemäß dem nun verschärften Schengener Abkommen müssen die bis zu zwei Jahre währenden Grenzkontrollen gut begründet werden: Möglich sind sie dann, wenn einer Regierung „anhaltende schwerwiegende Mängel“ bei den Kontrollen ihrer EU-Außengrenzen vorgeworfen werden können und das Funktionieren des Schengen-Raums „insgesamt gefährdet ist“. Wenn es dadurch in einem anderen Land zu einer „ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit“ kommt, darf wieder kontrolliert werden.

Deutsche Polizei patrouil­liert in Norditalien

Faktisch sind deutsche Innenministerien allerdings längst bei verschärften Kontrollen der Binnengrenzen behilflich. Seit mehreren Jahren sind deutsche Polizist_innen in Norditalien unterwegs, um dort zusammen mit italienischen Grenzbehörden irreguläre Migrant_innen aufzuspüren.(13) Auch Polizisten_innen aus Österreich sind beteiligt. Die Patrouillen zielen offenbar auf grenzüberschreitende Züge auf italienischem Hoheitsgebiet. Seit November wurden diese „trilateralen Streifen“ deutlich verstärkt.

Ziel ist laut einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums eine „Erhöhung der Kontrolldichte“. In die neuen Maßnahmen seien die bayerische Polizei, die Bundeszollverwaltung und „weitere Sicherheitspartner sowie die Eisenbahnunternehmen“ eingebunden. Weitere Details, etwa zu deren Tätigkeiten, werden nicht genannt. Laut dem Bundesinnenministerium haben Deutschland, Österreich und Italien vereinbart, die europäischen „Bemühungen zur Eindämmung der illegalen Migration“ durch „weitere konkrete bi- und trilaterale Aktivitäten“ zu ergänzen. Benannt werden diese aber nicht.

Neue Infor­ma­ti­ons­sys­teme sind unterwegs

Zu den im Schengener Abkommen festgelegten „Ausgleichsmaßnahmen“ gehören Datenbanken wie das Schengener Informationssystem (SIS), das nicht nur der Migrationskontrolle dient. Mittlerweile gibt es das SIS in einer zweiten Generation, nun können auch biometrische Daten angehängt werden. Neue Datensammlungen sind unterwegs. Mittlerweile ist auch der Vorschlag eines EU-Passagierdatensystems nach US-Vorbild wieder auf der Agenda. Vor jedem interkontinentalen Flug, vermutlich aber auch bei allen Verkehren innerhalb der EU-Mitgliedstaaten sollen Grenzbehörden umfangreiche Personendaten austauschen, um diese mit eigenen Datenbanken abzugleichen.

Weil der Überblick langsam verloren geht, hat die EU mittlerweile eine eigene Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA) eingerichtet. Die Agentur in Estland ist ausschließlich für migrantische Datensammlungen zuständig. Derzeit werden dort das Visa-Informationssystem, die Fingerabdruckdatenbank und das Schengener Informationssystem verwaltet. Später soll die geplante Vorratsdatenspeicherung zu Ein- und Ausreisen hinzukommen, auch die Passagierdatensammlung könnte von eu-LISA verantwortet werden.

Allerdings gibt es weit mehr europäische Informationssysteme: Daten werden über die EU-Polizeiagentur Europol oder die internationale Polizeiorganisation Interpol an „Drittstaaten“ weitergegeben. Weitere Kanäle der digitalen Zusammenarbeit sind die über 40 Zentren für die Polizei- und Zollzusammenarbeit und die bei verschiedenen Behörden angesiedelten „Verbindungsbeamten“. Im „schwedischen Rahmenbeschluss“ und dem „Vertrag von Prüm“ sind ebenfalls Absprachen zur Datenverarbeitung festgelegt. Getauscht werden DNA-Profile, Fingerabdrücke und Daten aus Fahrzeugregistern.

Wer verdient eigentlich an der Aufrüstung der Grenzen?

Seit dem Sommer 2013 gehört Kroatien zur Europäischen Union, ist aber noch kein Vollmitglied des Schengen-Raums. Die Kontrollen an den Binnengrenzen, also zu den umliegenden EU-Mitgliedstaaten, werden deshalb aufrechterhalten. Das gilt auch für Bulgarien und Rumänien, die mittlerweile einem harten Kontrollverfahren unterworfen wurden: In einem regelmäßigen Fortschrittsbericht stellt die EU-Kommission Forderungen auf, die die beiden Ländern im darauf folgenden Jahr abarbeiten müssen.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen zum Schengen-Beitritt ist die Installation moderner Grenzsicherungssysteme. Der Beitritt Rumäniens erforderte für seinen insgesamt 3.147 Kilometer langen Grenzverlauf höhere Investitionen: Für eine Milliarde Euro kaufte die Regierung ein Grenzüberwachungssystem von EADS (mittlerweile umbenannt in Airbus Defence and Space). In Rumänien dürfte man sich daran nur ungut erinnern: Zwar wird in jedem Fortschrittsbericht zum Schengen-Beitritt die Bekämpfung der Korruption angemahnt. Der Auftrag an EADS wurde aber ohne Ausschreibung vergeben, was im Inland sowie bei der EU heftige Kritik nach sich zog und dem Konzern Ermittlungen wegen Korruption einbrachte.(14)

Auch der EU-Beitritt Bulgariens ließ die Kassen europäischer Rüstungskonzerne klingeln: Die in Bremen ansässige Firma ATLAS hatte der Regierung ein seeseitiges Überwachungssystem für die 350 Kilometer lange Küste verkauft. Das zuständige Innenministerium verfügt über neue Patrouillenboote, ein Oberflächenradar, flächendeckende Videoüberwachung und die Einbindung von Schiffsortungssystemen. Obwohl das Parlament dagegen stimmte, hat Bulgarien die Landgrenze zur Türkei inzwischen mit einem rund 30 Kilometer langen Zaun verstärkt. Im Dezember 2014 kündigte die Regierung an, den Zaun um weitere 130 Kilometer zu verlängern.

Die EU-Außengrenzen werden in beispielloser Weise zur Migrationsabwehr hochgerüstet. Deutsche Firmen verdienen daran prächtig. Die EU-Grenzpolitik wird aber nur zu weiteren Toten führen, denn die von Geflüchteten gewählten Routen werden zusehends riskanter. Das hat auch die Grenzagentur FRONTEX erkannt, die nun prognostiziert, dass der Landweg über die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla stärker frequentiert werden wird. Die in drei Reihen angeordneten, meterhohen Grenzzäune sind mit einem Klingendraht gesichert, der beim Überklettern schwere, mitunter auch tödliche Verletzungen verursacht. Wieder führt die Spur nach Deutschland: Der spanische Hersteller „European Security Fence“ unterhält eine Adresse in Berlin, nur unweit des Büros der EU-Kommission am Pariser Platz(15)

MATTHIAS MONROY   ist Wissensarbeiter, Aktivist und Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP. In Teilzeit Mitarbeiter des MdB Andrej Hunko. Publiziert in linken Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien, bei Telepolis, Netzpolitik und in Freien Radios.

Anmerkungen:

(1) Tagesspiegel v. 3.1.2015, http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/fluechtlinge-im-mittelmeer– fluechtlingsschiff-ezadeen-erreicht-hafen-in-sueditalien/11177638.html

(2) Mitteilung der VN v. 2.10.204, http://www.unhcr.de/presse/nachrichten/artikel/f548caed0d5f371feadc267799d15278/-baaf86cb9e.html

(3) Pressemitteilung der EU-Kommission v. 3.12.2014, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-1199_de.htm

(4) Tageszeitung v. 3.10.2014, http://www.taz.de/!146982/

(5) Tageszeitung v. 3.10.2014, http://www.taz.de/!146982/

(6) Netzpolitik.org v. 1.12.2014, https://netzpolitik.org/2014/hauptquartier-der-eu-grenzagentur– frontex-nimmt-satellitenaufklaerung-in-betrieb

(7) Ratsdokument 14141/14, http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-14141-2014-INIT/de/ pdf

(8) Telepolis v. 19.11.2014, http://www.heise.de/tp/artikel/43/43358/1.html

(9) BT-Drucksache 18/3024.

(10) Netzpolitik.org v. 22.12.2014, https://netzpolitik.org/2014/eu-testet-neue-vorratsdatenspeicherung-von-fingerabdruecken-kriegen-grenzueberschreitend-eingesetzte-spitzel-nun-das-schlottern/

(11) Statewatch v. 6.10.2014, http://www.statewatch.org/news/2014/oct/migrant-hunt.htm

(12) Pressemitteilung des BMI v. 30.5.2013, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/ DE/2013/05/ji.html

(13) Telepolis v. 1.12.2014, http://www.heise.de/tp/artikel/43/43474/1.html

(14) DIE WELT v. 15.11.2014, http://www.welt.de/wirtschaft/article134369894/Bestechungsverdacht-bei-Auftragsvergabe-an-Airbus.html

(15) S. http://www.esfdeutschland.de/pdfs/Katalog_ESF.pdf

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