Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 208: Europas Abschottung

„Wir brauchen Europa als den Ort von Schutz­ver­ant­wor­tung als oberstes Prinzip“ (vollständig)

Interview mit Claudia Roth, aus: vorgänge Nr. 208 (Heft 4/2014), S. 133-139

(Red.) CLAUDIA ROTH   ehemalige Bundesvorsitzende von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Eines ihrer politischen Aufgabengebiete sieht sie im Einsatz für Flüchtlinge weltweit. Im Gespräch mit der vorgänge-Redaktion nimmt sie Stellung zu aktuellen Entwicklungen in der Asylrechts- und Flüchtlingspolitik.

Frau Roth, am 3. Dezember 2014 hat sich ein Boot von Marokko auf dem Weg nach Europa gemacht. Die spanische Küste liegt etwa 40 Kilometer entfernt. Am 4. Dezember kam die Nachricht, dass das Boot in Seenot geraten ist, auf dem Meer treibt. Die spanische Seenotrettung kann nichts finden. Erst ein Frachter, der kurz darauf das Boot entdeckt, stellt fest, dass von den 50 Personen, die gemeinsam gestartet sind, mindestens 8 Kinder und 21 Erwachsene inzwischen gestorben sind. Wenn Sie eine solche Nachricht erreicht, was geht da in Ihnen vor?

Auf der einen Seite tiefe Trauer, Erschütterung, völliges Unverständnis über diese Realität. Und auf der anderen Seite richtige Wut. Ich habe als Kind im Mittelmeer schwimmen gelernt. Das war der Traum im Nachkriegsdeutschland: Mittelmeer, Italien, das war etwas Wunderbares. Dieses Meer ist in der Zwischenzeit zu einem Meer des Todes geworden. Und wenn Flüchtlinge auf der sizilianischen Seite, die es geschafft haben, erzählen, dass ein Drittel der Menschen diese Überfahrt nicht schafft, dann ist das Wahnsinn. Das findet ja nicht in einem Science-Fiction- oder in einem Horrorfilm statt, sondern das ist europäische Außengrenzenrealität. Wir reden hier über das Europa, das einen Friedensnobelpreis bekommen hat, Europa, das eine Wertegemeinschaft sein will, und Europa, das in Zeiten der größten Flüchtlingszahlen seit dem Zweiten Weltkrieg, in Zeiten der humanitären Katastrophen und Tragödien, in Zeiten, in der eine Welt aus den Fugen geraten ist, das in diesen Zeiten das Visier runter klappt und die Mauern hochzieht. Die jetzige italienische Regierung hat Mare Nostrum auf den Weg gebracht, als Seenotrettung, und hat damit über 150.000 Menschen retten können. Und hat dann aber zu Recht gesagt, das kann nicht nur Aufgabe Italiens sein, sondern auch Europa soll bitte mit die Kosten übernehmen. Es geht dabei um ca. acht Millionen Euro im Monat. Eine für ganz Europa lächerliche Summe. Acht Millionen. Für die Lebensrettung von Menschen, die eigentlich Schutzverantwortung erleben müssten. Aber diese Menschen, die in Not sind, sind der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten offenbar dieses Geld nicht wert.

Sondern nur die 2,9 Millionen für die Frontex-Einsätze, die unter dem Operations-Namen „Triton“ gestartet sind.

So sieht es aus.

Sind Sie vertraut mit der Situation an den Außengrenzen der EU, zum Beispiel mit dem Umstand, dass diese Grenzanlagen zum Teil bereits in Nordafrika installiert werden?

Ich war lange im Europaparlament, und schon 1990 war das ein Thema. Damals kam zum ersten Mal die Debatte auf, in Italien an der Außengrenze Militär gegen Flüchtlinge einzusetzen. Das war ein unglaublicher Skandal innerhalb Italiens, innerhalb des Europaparlaments. „Wie können die Italiener überhaupt auf so eine Idee kommen. Flüchtlinge sind doch keine Feinde!“ Das waren damals die Reaktionen. Jetzt haben wir eine Militarisierung der Flüchtlingsabwehrpolitik, bei der es nicht darum geht, den Schutz für Flüchtlinge zu organisieren, sondern den Schutz vor Flüchtlingen. Das ist eine Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht. Das fängt schon damit an, dass man sie einfach umbenennt. Sie sind dann keine Flüchtlinge mehr, sondern Illegale. Aber wie kann ein Mensch illegal sein?

Die innere Aufrüstung gegen Flüchtlinge ist der eine Punkt. Der andere ist dieser Wettlauf der Schäbigkeit, wenn es darum geht, die Verantwortung mit einer abenteuerlichen Logik auf die Länder abzuschieben, die EU-Außengrenzen haben. Also entweder sind wir ein gemeinsames Europa, mit einem gemeinsamen Binnenmarkt, mit der Freizügigkeit von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital, oder wir sind es nicht. Bei Personen tut man sich schwer, aber man kann nicht sagen, es sind nur diejenigen Mitgliedsländer verantwortlich für die Aufnahme von Flüchtlingen, in denen die Menschen zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union betreten, so wie es das Dublin-System tut. Ich halte diese EU-Flüchtlingspolitik für dramatisch gescheitert.

Gilt das auch für die deutsche Flüchtlingspolitik?

Deutschland spielt auf europäischer Ebene in dieser Hinsicht traditionell keine positive Rolle. Jede Regierung hat sozusagen eine Tendenz, Europa im Zweifelsfall für das zu benutzen, was man national vielleicht noch nicht durchsetzt. Was national noch nicht geht, macht man dann eben hinten rum über Europa; meistens hinter verschlossenen Türen. So kann man repressivere Politik über Europa traditionell im Bereich der Innenpolitik durchsetzen. Und ich würde mir wünschen, dass die deutsche Regierung sich hinstellt und sagt: Wir müssen eine liberale, eine offenere Politik machen; wir müssen eine Flüchtlingsaufnahme ermöglichen. Wir brauchen Europa als den Ort von Schutzverantwortung als oberstes Prinzip. Eher passiert das Gegenteil. Wenn der Bundesinnenminister jetzt sagt, er ist auch für eine europäische Verantwortung und für eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen, dann finde ich das erst einmal richtig, aber natürlich nicht in der Logik, dass die wenigen, die da sind, jetzt überall hin verteilt werden und Deutschland am Ende noch weniger Menschen aufnimmt.

Welcher Logik sollte es dann entsprechen?

Es braucht eine großzügige Aufnahme, eine neue Visumspolitik, direkte und legale Zugänge, sichere Fluchtwege und dann eine gerechte Verteilung, wobei natürlich die Biographie des Flüchtlings im Vordergrund stehen sollte. Das heißt, es muss berücksichtigt werden, ob er beispielsweise Französisch spricht oder nicht, ob in einem Land bereits Familienangehörige von ihm leben. Oder es muss berücksichtigt werden: Gibt es Länder, wo bestimmte Gruppen häufiger sind? Auch der Flüchtling soll selber mitentscheiden können, wo er hin möchte.

Das wären für Sie realistische Etappen auf dem Weg zu einer neuen Asyl- und Flüchtlingspolitik?

Also erst einmal braucht es diese andere Logik: Was sind es für Menschen? Sind die wirklich illegal oder werden sie nicht vielmehr illegalisiert und kriminalisiert? Sind es Menschen in Not? Man kann derzeit nicht sagen, dass es keine Gründe gibt, zu versuchen, aus Syrien oder aus dem Irak zu fliehen. Und es gibt vergessene Konflikte, die gelangen gar nicht bis nach Europa. Süd-Sudan, Zentralafrikanische Republik.

Das wäre eine Perspektive: die Logik verändern, Vorreiter zu sein der Menschenrechtscharta, der Erklärung der Menschenrechte, der Genfer Flüchtlingskonvention. Die andere Perspektive wäre eine Flüchtlingspolitik, die die gesamte Europäische Union in die Verantwortung nimmt; also nicht nur Malta, Griechenland, Italien, Spanien – und das war es dann.

Können Sie die Idee des Zugangs etwas konkretisieren?

Humanitärere Zugänge sehen für mich so aus, dass man ein humanitäres Visum bekommt bereits in den Herkunftsländern. Weiterhin müssen sich die Mitgliedsstaaten viel großzügiger am Resettlementprogramm des UNHCR beteiligen, indem legale Einwanderungsmöglichkeiten geschaffen werden für Menschen, die nicht Flüchtlinge, sondern klassische Einwanderer sind. Es muss legale Einwanderung geben und eine Flüchtlingspolitik, die diese gefährlichen, tödlichen Wege nicht als einzige Möglichkeit für viele übrig lässt. Aber stattdessen wird zurückgeschoben, werden in den Nachbarregionen Auffanglager aufgebaut, die Menschen dort registriert.

Was halten Sie denn von der Forderung, Frontex, das für die Umsetzung dieser Politik als mitverantwortlich gilt, abzuschaffen?

Ich glaube nicht, dass das durchsetzbar ist. Aber das war die Idee mit Mare Nostrum: Statt Abschottung eine Seenotrettung zu organisieren und nicht um jeden Preis zu verhindern, dass die Menschen überhaupt nach Europa kommen.

Aber die Mitgliedsstaaten sind offensichtlich nicht darauf angesprungen?

Ich finde es heuchlerisch, wie jetzt auf Italien geschimpft wird. Es geht bei den Flüchtlingen um Menschen, die gedacht haben, sie schaffen es, sie haben jetzt einen Ort der Ruhe und Sicherheit, wo sie angekommen sind, wo sie nicht mehr Angst haben müssen. Dann werden sie weiter geschickt, vertrieben, müssen wieder Angst haben, abgeschoben zu werden. Wieder dahin, wo sie zuerst angekommen sind. Das ist doch völlig aberwitzig. Stattdessen sollte man fragen, was passiert, wenn die Flüchtlinge da sind. Wie sehen menschenwürdige Kriterien der Unterbringung aus? Schon 1989 gab es Untersuchungen, die belegt haben, dass Massenunterkünfte nicht nur anschlagsrelevanter, sondern auch viel teurer sind. Also braucht es eine dezentrale Unterbringung, Arbeitserlaubnis, Freizügigkeit. Den Menschen müssen Mittel an die Hand gegeben werden, damit sie Teilhabe genießen können. Dazu gehört es auch, offensiv jeweilige Sprachkurse anzubieten, die Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, all das, was wir hier leider noch viel zu wenig haben.

Wie ist Ihre generelle Einschätzung zu den Entwicklungen im Bereich der Asyl- und Flüchtlingssituation während der letzten 20, 25 Jahre? Was hat sich verändert? Ist die Gesellschaft rassistischer geworden oder nicht? Macht es noch Sinn, an die Logik von Solidarität und Hilfe zu appellieren? Könnte nicht auch ein wirtschaftliches Argument geltend gemacht werden, zum Beispiel: Deutschland kann natürlich Millionen von syrischen Flüchtlingen aufnehmen, denn es gibt keinen wirtschaftlichen Schaden, sondern einen wirtschaftlichen Nutzen.

Erstens hat sich die Zahl der Flüchtlinge dramatisch verändert. Wir haben seit dem Zweiten Weltkrieg die größte Zahl an Flüchtlingen weltweit. Ban Ki-Moon hat das eine humanitäre Katastrophe genannt. Und die Klimaflüchtlinge sind noch gar nicht mitgerechnet. Fakt ist: Es sind noch nie so viele Menschen unterwegs gewesen, vertrieben innerhalb und außerhalb ihrer Herkunftsländer. Das hat sich verändert. Zweitens wird nun deutlich, dass trotz unglaublicher Anstrengungen, Mauern zu errichten, Grenzen hochzuziehen, Abwehr zu organisieren, Menschen dennoch versuchen werden zu kommen. Und sie gehen ein höheres Risiko dafür ein – nicht, weil sie Abenteurer sind, sondern weil das ihre einzige Chance auf eine Zukunft ist. Sie haben gar keine andere Wahl. Und das ist der dritte Punkt: Ich will nicht unterschätzen, was mit Pegida gerade abläuft in Dresden und in anderen Städten. Ich glaube, das ist ein unendlich gefährliches Gemisch. Die Frage ist, wie gehen demokratische oder konservative Parteien nun mit dieser Stimmung um, die da versucht wird zu erzeugen. Rennen sie dem hinterher, oder machen sie einen klaren Schnitt?

Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich eine große Offenheit in der deutschen Bevölkerung, zu sagen: Wir könnten mehr tun, wir sind bereit zu helfen. Insofern glaube ich nicht, dass man das jetzt alles reduzieren sollte auf ein ökonomisches Interesse. Das ist noch mal ein Zusatzargument, aber es geht schon um die Frage, ob wir eine Wertegemeinschaft sind. Was ist eigentlich unser Grundgesetz wert? Was ist die Behauptung wert, Humanität und Erinnerung spielen eine große Rolle, auch als Lehren aus der eigenen Geschichte? Die Erfahrung, dass es in der Nähe von uns wieder Krieg und Gewalt gibt, dass das nicht irgendwie auf einem anderen Planeten stattfindet: Das bringt viele Menschen zu großer Solidarität. Es ist ein Wert an sich, dass es in vielen Kommunen große Hilfsbereitschaft gibt. Es ist aber tatsächlich auch in unserem Interesse, dass wir Menschen aufnehmen, weil sie uns bereichern, und zwar nicht nur ökonomisch.

Sehr bemerkenswert zum Beispiel war mein Gespräch neulich mit dem Präsidenten und dem Generalsekretär der Industrie-und Handelskammer in Schwaben. Die sagen, sie wollen, dass nicht alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nur in München bleiben, sondern, dass auch welche nach Schwaben kommen. Sie wollen die ausbilden, weil sie sie brauchen. Zum Beispiel wird gerade ein syrischer Flüchtling ausgebildet, über den sagt der Präsident „Der spricht besser Englisch als alle anderen bei uns“. Und den wollen sie jetzt behalten, weshalb er zu mir sagt: „Dann tun Sie doch mal endlich was fürs Bleiberecht. Unsere Mitglieder sagen, sie würden ja einstellen, aber sie können nicht einstellen oder Jobs schaffen, wenn sie dann nicht wissen, ob die Menschen überhaupt hierbleiben können.“ Ja, Einwanderung ist in unserem Interesse der Internationalisierung der deutschen Hochschulen. Ja, wir könnten sehr viel mehr Studenten- und Studentinnenaustausch betreiben, zum Nutzen aller.

Ein Riesenfehler war, dass in den vergangenen Jahren systematisch Kapazitäten für die Flüchtlingsunterbringung abgebaut worden sind. Wir hatten angesichts des Krieges im ehemaligen Jugoslawien sehr viele Menschen, die nach Deutschland gekommen sind. Dann hat Europa diese großartigen Dublin- und Dublin II-Abkommen abgeschlossen, es wurden Stellen und Kapazitäten abgebaut. Man hat sich nicht darauf eingestellt, dass eine Situation entstehen kann, in der sich wieder viele Menschen auf den Weg zu uns machen müssen. Vor dem Problem stehen jetzt die Kommunen. Sie haben Unterkünfte abgebaut, weil sie sich darauf eingestellt haben, dass das Problem jetzt in Italien bleibt und die Italiener dafür verantwortlich sind.

Können Sie konkretisieren, wie dieser Abbau stattgefunden hat?

In den Asylbewerberunterkünften hatten gut qualifizierte Mitarbeiter plötzlich nichts mehr zu tun als Folge von Dublin. Es sind immer weniger Flüchtlinge gekommen, also hatten sie nichts mehr zu tun. Deutschkurse, ganze Schulen, ganze Einrichtungen haben dicht gemacht. Das war in Bayern extrem. Herr Stoiber mit seiner Sparstrategie hat bei den Schulen gespart und hat sofort in dem ganzen Bereich sehr viel weggekürzt. Jetzt stehen die Kommunen wirklich zum Teil vor großen Problemen, wobei sie viel mehr tun könnten.

Ich möchte jetzt noch einmal nach dem politischen Konflikt in Ihrer Partei fragen. Wenn Winfried Kretschmann für den Asylkompromiss vom September verantwortlich ist, in dem die nachweislich für Roma nicht sicheren Länder Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt wurden oder aktuell Abschiebungen im Winter durchführen lässt, wie widersprüchlich ist dann eine grüne Asylpolitik?

Wie Sie wissen, fand ich das nicht richtig und halte ich das Prinzip der sicheren Herkunftsländer für eine tatsächliche Aushöhlung eines Grundrechts. Ein Grundrecht gehört mir, und da kann nicht ein Staat hergehen und sagen, das gilt jetzt nicht, dieses Grundrecht wird außer Kraft gesetzt. Wir würden ja auch sofort aufschreien, wenn es hieße, es gibt keine Pressefreiheit mehr, aus welchen Gründen auch immer. Dieses Grundrecht auf Asyl ist ein individuelles Recht, der Zugang dazu muss sicher sein, ob ich dann Asyl bekomme oder nicht, ist wieder eine andere Frage. Aber der Staat kann nicht per se ein Grundrecht als nicht existent erklären, indem er einen anderen Staat interessengeleitet als sicher anerkennt. So wird es nicht von dem Recht des Einzelnen aus, sondern vom Interesse des Staates aus betrachtet. Mit der Konsequenz, dass die, die nicht sicher sind, fast keine Chance haben, Asyl zu beantragen. Auch Winfried Kretschmann lehnt das Prinzip der sicheren Herkunftsländer ab. Aber er hat in dieser konkreten Situation geglaubt, dass er mit dieser Entscheidung Verbesserungen für die Flüchtlinge hier im Land rausholen kann. Ein hoher Preis, eine Gratwanderung. Ich hätte es aus einer außenpolitischen und aus der Bürgerrechtsperspektive anders entschieden. Er sagt aber, er hat auf diesem Weg etwas erreichen können. Und das muss man ihm jetzt, auch bei aller Kritik, zugestehen, dass im Vergleich mit anderen Bundesländern es in Baden-Württemberg wirklich große Anstrengungen gibt, was die Gesundheitsversorgung angeht; was die zusätzliche Aufnahme von Frauen, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, angeht; was den Aufbau von Unterkünften angeht zum Beispiel.

Aber diese Logik, die hier ein bisschen mehr und dort ein bisschen weniger von den Rechten wegnimmt, entspricht doch derselben Logik wie die der aktuellen Regierung mit dem Gesetzesentwurf von de Maiziére. Werden die Menschenrechte dann nicht doch zur Verhandlungssache?

Natürlich ist es insgesamt gesehen eine weitere Verschärfung, denn es öffnet die Tür für den Versuch, immer noch mehr Länder als sicher zu erklären. Nun muss ich Ihnen aber auch sagen: immer wenn es um das Asylrecht geht, immer wenn es um Flüchtlinge geht, ist es verdammt einsam in der deutschen Politik. So wie jetzt bei Pegida. Es macht mir Sorgen, wenn es im Bundestag Stimmen gibt, die sagen: „Man muss die Ängste der Bürger ernst nehmen“. Oft heißt das eher, dass Ängste geschürt werden. Und wer nimmt eigentlich die Sorgen der Migrantinnen und Migranten ernst? Am Ende geht es um die Frage: Hat der Teil der Bevölkerung, der eine offene und bunte Gesellschaft will, die Kraft, dem Rechtspopulismus etwas entgegen zu setzen oder nicht? Hat er die Kraft, auch auf demokratische Parteien Druck auszuüben, sie dazu zu bewegen, die AfD nicht dadurch bekämpfen zu wollen, dass sie deren Positionen überholen. Und da habe ich Sorge, ob das so ist.

Ist das auch Ihre politische Einschätzung?

Das ist meine Sorge, aber ich komme auch aus Bayern, da mag das berechtigt sein. Diese CSU-Nummer mit dem zu Hause deutsch sprechen, das ist doch gaga. Alle sagen, es ist gaga, aber sie haben es gesetzt. Oder die Ausländermaut. Was ist die Maut anderes als „Der Ausländer nimmt uns was weg“, oder „Was nützt uns der?“ Und wenn es da dann Bündnisse gibt in der Bevölkerung aus unterschiedlichen Motiven, die einen anderen Akzent setzen und zum Beispiel sagen, wir wollen aber die ausländischen Jugendlichen ausbilden, weil wir keine anderen mehr haben und da kommen welche, die sind kompetent, dann ist das gut. Wenn dieses Bündnis stärker ist als der Rechtspopulismus, stärker als der Versuch, mit Rechtspopulismus Stimmungsmache zu betreiben, Angst zu schüren auf dem Rücken der Schwächsten, dann ist das gut. Aber das ist noch nicht endgültig entschieden.

Frau Roth, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Claudia Krieg

nach oben