Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 210/211: Suizidbeihilfe - bald nur noch beschränkt?

Die Begrün­dungen der vier Gesetz­ent­würfe

In: vorgänge 210/211 (2-3/2015), S. 17-37

Wir haben die Sprecher_innen der vier Gruppenentwürfe sowie des Antrags auf Regelungsverzicht (s.S. 11 ff.) gebeten, ihre Vorschläge genauer zu erläutern. Wir wollten wissen, wie die Abgeordneten zu den grundsätzlichen Fragen der Strafbarkeit stehen, welche Auswirkungen sie bei einer Umsetzung ihres Vorschlags erwarten, welche Rolle die Palliativversorgung dabei spielt und wie diese verbessert werden könnte; ferner wie sie zur ärztlichen Suizidbeihilfe stehen und warum sie sich gegen andere möglichen Verfahrensvorgaben für Suizidbeihilfevereine entschieden haben. Geantwortet haben Katja Keul für den Vorschlag auf Regelungsverzicht, Carola Reimann für den Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der ärztlichen Suizidbeihilfe sowie Patrick Sensburg für den Entwurf eines absoluten Verbots der Suizidbeihilfe. Wir hatten auch Michael Brand gebeten, für den Gesetzentwurf zum Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe Stellung zu nehmen – was er leider im letzten Moment ablehnte, so dass wir keinen Ersatz mehr finden konnten. Auch Renate Künast sah sich aus Termingründen nicht in der Lage, ihren Entwurf eines Suizidbeihilfegesetzes hier noch einmal zu erläutern. Wir haben in beiden Fällen versucht, die mutmaßlichen Antworten dieser Gruppen aus den Begründungen ihrer Gesetzentwürfe (BT-Drs. 18/5373 für Brand und BT-Drs. 18/5375 für Künast) zu erschließen. Die entsprechenden Zitate sind in der nachfolgenden Übersicht mit * gekennzeichnet.

[Straffreiheit]
1. Wie stehen Sie zur Straffreiheit der Suizidhilfe für Ärzte, Angehörige und Freunde bzw. organisierte Sterbehelfer? Warum soll diese erhalten bzw. (für einzelne Gruppen) beschränkt werden?
MICHAEL BRAND*  Das deutsche Rechtssystem verzichtet darauf, die eigenverantwortliche Selbsttötung unter Strafe zu stellen, da sie sich nicht gegen einen anderen Menschen richtet und der freiheitliche Rechtsstaat keine allgemeine, erzwingbare Rechtspflicht zum Leben kennt. Dementsprechend sind auch der Suizidversuch oder die Teilnahme an einem Suizid(-versuch) straffrei. Dieses Regelungskonzept hat sich grundsätzlich bewährt. Die prinzipielle Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran sollte deshalb nicht infrage gestellt werden.
Eine Korrektur ist aber dort erforderlich, wo geschäftsmäßige Angebote die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheinen lassen und Menschen dazu verleiten können, sich das Leben zu nehmen. Der hier vorgelegte Entwurf will nicht die Suizidhilfe kriminalisieren, die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation oder aus rein altruistischen Gründen gewährt wird. Ein vollständiges strafrechtliches Verbot der Beihilfe zum Suizid, wie es etwa in anderen europäischen Staaten besteht, wäre sowohl rechtssystematisch problematisch als auch in der Abwägung unterschiedlicher ethischer Prämissen ein überscharfer Eingriff in die Selbstbestimmung von Sterbewilligen.

KATJA KEUL (zu den Fragen 1-3)  Ich halte die aktuelle Rechtslage für richtig, nach der Suizidhilfe straffrei ist. Dabei sollten wir es belassen, um die betroffenen Menschen nicht zu isolieren und den Zugang zu ergebnisoffener Beratung zu erhalten. Strafdrohungen sind nicht geeignet Menschen vom Suizid abzubringen und dienen daher nicht wirklich dem Schutz des Lebens. Das gilt unabhängig davon, ob sich diese Strafdrohung gegen den Hausarzt oder die Angehörigen richtet. Wem sich die notleidenden Menschen am Ende anvertrauen wollen, ist nicht Sache des Gesetzgebers.

RENATE KÜNAST*  Staat und Gesellschaft dürfen es einem Menschen nicht abverlangen, einen qualvollen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen und zu durchleiden. Deswegen muss es auch möglich sein, Menschen zu helfen, wenn diese sich selbstbestimmt und aus objektiv verständlichen Gründen das Leben nehmen möchten. Strafrechtlich ist dies nicht verboten. Sich selbst zu töten, ist in Deutschland straffrei. Seit der Schaffung des Strafgesetzbuches im Jahr 1871 ist es legal, Menschen beim Suizid Hilfe zu leisten; für Angehörige und dem sterbewilligen Menschen nahestehende Personen genauso wie für Ärztinnen, Ärzte und Vereine.
Diese Straffreiheit ist keine Strafbarkeitslücke. Das Strafrecht hat seit 140 Jahren  die Hilfe zur Selbsttötung nicht verboten, ohne dass es zu gravierenden Fehlentwicklungen gekommen wäre. Seit der Geltung des Grundgesetzes gibt es in Deutschland keine Rechtspflicht des Einzelnen, sich am Leben zu halten. Eine solche Vorstellung kann in einem säkularen Rechtsstaat auch nicht als Richtschnur moralischen Verhaltens angesehen werden.

CAROLA REIMANN  Bei den vielen Veranstaltungen und Gesprächen in den letzten Wochen hat sich für mich das bestätigt, was Umfragen schon lange immer wieder zeigen. Die Menschen wollen nicht, dass der Staat mit Verboten in den sensiblen Bereich zwischen Leben und Tod eingreift. Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viel Leid und Kontrollverlust sie am Lebensende ertragen müssen. Wer ein Leben lang für sich selbst entscheidet, der will dies auch am Lebensende tun. Diesem Wunsch entsprechen wir mit unserem Gesetzentwurf. Wir verzichten als einzige Gesetzesinitiative auf eine Verschärfung der derzeitigen Rechtslage. Wir lehnen jeden Eingriff in das Strafrecht kategorisch ab.

PATRICK SENSBURG  Unser Antrag spricht sich grundsätzlich gegen die Hilfe beim Selbstmord aus. Schon eine Ausnahmeregelung für den durch Angehörige oder Ärzte assistierten Suizid würde für das Lebensende einen völlig neuartigen Erwartungs- und Entscheidungshorizont eröffnen. Wenn lebenserhaltende Therapie und unterstützter Selbstmord als gleichwertige Alternativen gesehen werden, wird der Patient, der sich für die Lebenserhaltung entscheidet, den Angehörigen und der Gesellschaft gegenüber dafür begründungspflichtig. Mit seiner Entscheidung verursacht er in der Folge nämlich weitere Kosten für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und belastet seine Familie. Das Leben wird nur noch eine von zwei möglichen Alternativen, zwischen denen er entscheiden soll. Dieser Erwartungs- und Entscheidungshorizont eröffnet sich für den Betroffenen in einer gesundheitlichen Lage, in der er schwach und an der Grenze seiner Entscheidungsfähigkeit angelangt ist.
2. Wie begründen Sie das von ihnen vorgeschlagene strafrechtliche Verbot bzw. warum lehnen Sie ein solches ab?
MICHAEL BRAND*  Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid (assistierter Suizid) zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung zu verhindern. In Deutschland nehmen Fälle zu, in denen Vereine oder auch einschlägig bekannte Einzelpersonen die Beihilfe zum Suizid regelmäßig anbieten, beispielsweise durch die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung eines tödlichen Medikamentes. Dadurch droht eine gesellschaftliche Normalisierung, ein Gewöhnungseffekt an solche organisierten Formen des assistierten Suizids, einzutreten. Insbesondere alte und/oder kranke Menschen können sich dadurch zu einem assistierten Suizid verleiten lassen oder gar direkt oder indirekt gedrängt fühlen. Ohne die Verfügbarkeit solcher Angebote werden sie eine solche Entscheidung nicht erwägen, geschweige denn treffen. Solchen nicht notwendig kommerziell orientierten, aber geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Handlungen ist deshalb zum Schutz der Selbstbestimmung und des Grundrechts auf Leben auch mit den Mitteln des Strafrechts entgegenzuwirken. …
Geschäftsmäßig im Sinne unseres Vorschlags handelt, wer die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit zur Selbsttötung zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht und unabhängig von einem Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit. Das so verstandene Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit weist auf eine besondere Gefährdung der autonomen Entscheidung Betroffener hin. Entscheidend ist dabei, dass die Suizidhelferinnen und -helfer spezifische, typischerweise auf die Durchführung des Suizids gerichtete Eigeninteressen verfolgen und ihre Einbeziehung damit eine autonome Entscheidung der Betroffenen infrage stellt. Diese potenzielle Interessenkollision ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen die Suizidhilfe entgeltlich angeboten wird … Denn auch ohne Einnahme- oder Gewinnerzielungsabsicht entstehen autonomiegefährdende Gewöhnungseffekte und Abhängigkeiten. Die daraus resultierenden Konsequenzen sind überaus problematisch: Wenn infolge der wiederholten Suizidhilfe diese als eine Art Standard etabliert wird, dient das zum einen mit Blick auf die Suizidhelfer der professionellen Profilbildung. Es baut zum anderen gegenüber den Betroffenen zusätzlichen (Entscheidungs-)Druck auf. Autonomiegefährdende Interessenkonflikte sind insoweit keineswegs notwendigerweise finanziell bedingt.
Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB ist eine Bestrafung nach dem deutschen Strafrecht auch dann möglich, wenn die im Ausland begangene Haupttat dort straflos ist. Wird danach die im Ausland betriebene und dort straffreie geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung im Inland beworben, macht sich der im Inland werbende Gehilfe strafbar, soweit er mit seiner Tätigkeit die Haupttat fördert. Damit tritt die Neuregelung auch Versuchen entgegen, den assistierten Suizid als grenzüberschreitende Dienstleistung anzubieten.
Verfassungsrechtlich steht der Gesetzentwurf im Spannungsfeld der grundlegenden Schutzgarantien der menschlichen Selbstbestimmung einerseits und des menschlichen Lebens andererseits. … Insoweit sollen zwei höchstrangige Rechtsgüter, nämlich das in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht auf Leben und die verfassungsrechtlich geschützte individuelle Garantie autonomer Willensentscheidungen geschützt, werden. Damit steht das Verbot nicht außer Verhältnis zu dem mit ihm angestrebten Ziel. Es handelt sich mithin um eine zulässige Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Nichts anderes gilt hinsichtlich des in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Selbstbestimmungsrechts jedes Menschen. Entscheidend ist insoweit, dass die Neuregelung nicht nur die Möglichkeit jedes Einzelnen, frei und eigenverantwortlich über das Ende des eigenen Lebens zu entscheiden, unberührt lässt, sondern im Gegenteil sogar auf den Schutz einer von Fremdbeeinflussung freien Willensbildung abzielt. Einen hierüber hinausgehenden Anspruch auf Hilfe zum eigenen Suizid kennt weder das Grundgesetz noch die Europäische Konvention für Menschenrechte. Das hier vorgeschlagene strafbewehrte Verbot ist auch erforderlich. Mildere Maßnahmen wie dem strikten strafrechtlichen Verbot vorgelagerte Kontrollmaßnahmen sind kein gleichermaßen geeignetes Mittel. Der hier vorgelegte Entwurf kriminalisiert ausdrücklich nicht die Suizidhilfe, die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird.

RENATE KÜNAST*  Der Gesetzentwurf normiert explizit, dass Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist. Zwar beschreibt dies die derzeitige Rechtslage. Dennoch kommt der Regelung mehr als nur deklaratorischer Charakter zu. Denn sie beseitigt Rechtsunsicherheiten in der Bevölkerung sowie bei Ärzten. Darüber hinaus werden die gewerbsmäßige, also auf Gewinnerzielung ausgerichtete Hilfe zur Selbsttötung sowie das Verleiten zur Selbsttötung, verboten. Für alle organisierten oder geschäftsmäßigen Hilfestellungen zur Selbsttötung werden hohe Bedingungen an Beratung und Dokumentation aufgestellt. Ziel des Gesetzes ist es, die von Angehörigen, Nahestehenden, Ärzten und Sterbehilfeorganisationen geleistete Hilfe zur Selbsttötung bzw. den assistierten Suizid weiterhin straflos zu lassen. Dabei darf Hilfe zum Suizid wie bisher nur geleistet werden, wenn die sterbewillige Person freiverantwortlich über ihr Leben entscheiden kann. Dafür ist insbesondere erforderlich, dass sie volljährig ist. Darüber hinaus ist die Freiverantwortlichkeit anhand der Maßstäbe zu bestimmen, die man nach herrschender Auffassung auch ansonsten bei der Disposition über Rechtsgüter heranzieht, also anhand der Regelungen über die Voraussetzung der Einwilligung bzw. der Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens im Sinne des § 216 StGB.
Mit der Hilfe zur Selbsttötung darf nicht Profit gemacht werden. Dies könnte die Rechtsgüter des Lebens und der Selbstbestimmung anderer Menschen gefährden. Denn wer ein kommerzielles Interesse an der Selbsttötung anderer Menschen hat, beeinflusst diese möglicherweise in ihrer Entscheidungsfindung einseitig. Eine Kommerzialisierung der Hilfe zur Selbsttötung birgt die Gefahr, dass bei geneigten Menschen um einen Hilfsauftrag regelrecht geworben oder subtiler psychischer Druck ausgeübt werden könnte, anstatt ihnen die Hilfe anzubieten, die sie erst in die Lage zur freiverantwortlichen Entscheidung versetzen würde. Nach einheitlicher Auslegung von Literatur und Rechtsprechung liegt Gewerbsmäßigkeit vor, wenn jemand in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Handlungen eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen  Verglichen mit dem Begriff der Geschäftsmäßigkeit ist der Begriff der Gewerbsmäßigkeit also enger, da er eine Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt. Im Unterschied zur Organisation kann auch ein Einzelner gewerbsmäßig handeln.
Es ist für die Gesellschaft nicht hinnehmbar, wenn Einzelpersonen oder Organisationen aus dieser Hilfe zum Sterben in der Not eine kommerzielle Geschäftsidee machen möchten. Dies birgt die Gefahr, dass für den Suizid geworben werden könnte oder Menschen gar dazu verleitet werden. Eine Kommerzialisierung der Hilfe zur Selbsttötung kann die Rechtsgüter des Lebens und der Selbstbestimmung gefährden. Denn wer ein kommerzielles Interesse an der Selbsttötung anderer Menschen hat, mag diese möglicherweise in ihrer Entscheidungsfindung einseitig beeinflussen oder ihnen den eigentlich noch vorbehaltenen Rücktritt vom eigenen Selbsttötungsentschluss psychisch erschweren. Doch darüber hinaus sollte es der Gesetzgeber unterlassen, das Strafrecht zu ändern.
Aber vorhandene Fragen und Besorgnisse im Zusammenhang mit diesen Organisationen müssen aufgenommen und gesetzlich flankiert werden, um Missbrauch zu vermeiden. Der Arbeit von Sterbehilfeorganisationen muss deswegen ein klarer Rahmen gesetzt werden. Schon heute ist klar, dass sie sich bei ihrer Tätigkeit an das geltende Recht halten müssen.

CAROLA REIMANN  Aus meiner Sicht lösen strafrechtliche Verbote keine Probleme, sie schaffen zusätzliche. Egal ob ich gewerbliche oder geschäftsmäßige, auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe unter Strafe stelle, die Folge ist immer ein Risiko für Ärzte, die regelmäßig mit Grenzfällen zu tun haben. Davor warnen auch über 140 Strafrechtler, die hierzu eine Stellungnahme veröffentlicht haben. [s. Dokumentation in diesem Heft] Gesetzliche Regelungen im Strafrecht gefährden das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis.

PATRICK SENSBURG Die strafrechtliche Sanktion ist die Ausprägung eines Verbots. So haben alle Regelungen, welche die Hilfe zum Selbstmord auch nur irgendwie beschränken wollen, notwendigerweise eine entsprechende Sanktion zu bestimmen. Lediglich diejenigen, die Hilfe zum Selbstmord in jeder Lage für zulässig erachten, kommen ohne strafrechtliche Sanktion aus. Danach wäre es denn aber auch straffrei und damit vom Staat toleriert, wenn ein Arzt einem jungen Mann ein Sterbemittel zur Verfügung stellt, wenn ihn seine erste große Liebe verlässt und er in diesem Moment sterben will. Dies kann doch nicht ernsthaft akzeptiert werden und sanktionslos bleiben.
3. Inwiefern halten Sie es für gerechtfertigt, bei der Straffreiheit / dem Verbot der Suizidbeihilfe zwischen Ärzten, Angehörigen/Freunden und organisierten Sterbehelfern zu differenzieren und einzelne Gruppen vom Verbot bzw. der Straffreiheit auszunehmen?
MICHAEL BRAND*  Durch eine gesonderte Regelung wird im Entwurf klargestellt, dass Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen sich nicht strafbar machen, wenn sie lediglich Teilnehmer an der Tat sind und selbst nicht geschäftsmäßig handeln. Absatz 2 enthält daher einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Angehörige und andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen. Die Regelung berücksichtigt, dass kein Strafbedürfnis gegenüber Personen besteht, die ihren Angehörigen oder anderen engen Bezugspersonen in einer in der Regel emotional sehr belastenden und schwierigen Ausnahmesituation beistehen wollen.
Angesichts der Gleichstellung [von nahestehenden Personen] mit den Angehörigen wird das Bestehen eines auf eine gewisse Dauer angelegten zwischenmenschlichen Verhältnisses vorausgesetzt; entscheidend ist dabei, dass dem Angehörigenverhältnis entsprechende Solidaritätsgefühle existieren und deshalb auch eine vergleichbare psychische Zwangslage gegeben ist. Als derartige Verhältnisse basaler Zwischenmenschlichkeit gelten etwa Liebesbeziehungen, enge Freundschaften, nichteheliche bzw. nicht eingetragene Lebens- und langjährige Wohngemeinschaften. Demgegenüber genügt der bloße sympathiegetragene gesellschaftliche Umgang mit Sports- und Parteifreunden oder Berufskollegen und Nachbarn diesen Anforderungen nicht.

RENATE KÜNAST*  Einige Menschen, die sich dazu entscheiden, ihr eigenes Leben zu beenden, haben Angehörige oder ihnen nahestehende Personen, die sie um Hilfe bitten können. Andere wollen lieber mit Dritten reden, um den Angehörigen oder Freunden die Belastung zu ersparen. Letztere sollten wir nicht schlechter behandeln als jene, die Angehörige und ein soziales Umfeld haben. Deswegen soll es dabei bleiben, dass ein assistierter Suizid nicht nur Einzelpersonen gestattet wird, sondern es soll weiterhin auch Vereine geben dürfen, die Beratung und Hilfe anbieten. Es wäre falsch, Einzelpersonen zwingend immer für vertrauenswürdiger zu halten, als Sterbehilfeorganisationen. Auch im persönlichen Nahbereich existiert theoretisch eine interessensgeleitete Missbrauchsgefahr. Was Einzelnen erlaubt ist, kann zudem aus verfassungsrechtlichen Gründen einem Verein nicht verboten werden. Existierende Sterbehilfeorganisationen sollen deswegen nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Sterbehilfeorganisationen bieten Angehörigen, nahestehenden Personen sowie Ärztinnen und Ärzten Entlastung für den Fall, dass sie aus ihren ethischen Überzeugungen heraus weder an der Beratung noch an der Hilfe zur Selbsttötung teilhaben wollen.

PATRICK SENSBURG  Unser Entwurf richtet sich grundsätzlich gegen eine Erlaubnis zur Hilfe beim Selbstmord. In den meisten Fällen wird die Verantwortung auf den Arzt geschoben werden, wenn Angehörige den Tod eines Familienmitglieds in der letzten Lebensphase wollen. Sie selber werden nur in seltenen Fällen selbst das Sterbemittel auswählen wollen und es dann so zur Verfügung stellen, wie es mit Blick z.B. auf eine Krankheit notwendig ist. Nicht der Sterbende wird dann die Entscheidung treffen, sondern der Arzt, ob er ein Sterbemittel zur Verfügung stellt oder nicht. Dies entspricht aber nicht dem Berufsverständnis von Ärzten. Sie wollen heilen, nicht töten. Nach welchen Kriterien soll ein Arzt denn auch die Entscheidung treffen? In den übrigen Gesetzesentwürfen steht hierzu nichts und das jeweilige Einzelschicksal lässt sich in einem Gesetz, das immer generell-abstrakt ist, ja auch nicht regeln. All dies spricht für ein grundsätzliches Verbot, wenn man den Lebensschutz ernst nimmt und nicht mit Begriffen, wie „Selbstbestimmtheit“ täuscht.
4. Auf welche Fakten bzw. empirischen Problemlagen stützen Sie Ihren Vorschlag zur Neuregelung bzw. Beibehaltung der gegenwärtigen Rechtslage?
MICHAEL BRAND*  Zahlreiche Untersuchungen geben deutliche Hinweise darauf, dass sich viele Menschen davor fürchten, als Last empfunden zu werden, vollständig auf die Hilfe Dritter angewiesen zu sein und dabei ihre Autonomie zu verlieren. Hinzu kommen tiefsitzende Ängste, schlecht und würdelos versorgt zu werden oder starke Schmerzen erdulden zu müssen … Eine Umfrage in Deutschland hat ergeben, dass Ängste vor einem langen Sterbeprozess (61,8 Prozent), vor starken Schmerzen oder schwerer Atemnot (60,1 %) am weitesten verbreitet sind, daneben auch die Sorge, den eigenen Angehörigen zur Last zu fallen (53,8 %).1
Die Suizidhilfe wird in der Regel, neben der Vermittlung der Möglichkeit, im Ausland bereits existierende entsprechende Strukturen zu nutzen, vornehmlich dadurch geleistet, dass tödlich wirkende Substanzen und/oder Apparaturen bereitgestellt sowie gegebenenfalls auch Räumlichkeiten für die Durchführung des Suizids zur Verfügung gestellt werden. Es geht daher eindeutig nicht um eine bloße, die autonome Willensbildung unterstützende Beratungsfunktion. …
Der Deutsche Ethikrat macht auf etwa 100.000 Suizidversuche im Jahr aufmerksam. Im Jahr 2013 töteten sich 10.076 Menschen selbst. Damit ist rund 1 Prozent aller jährlichen Todesfälle in Deutschland suizidbedingt. Nach Angaben des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland (NaSPro) gehen etwa zwei Drittel aller Suizide im Alter auf eine depressive Erkrankung zurück. … Gerade bei älteren Menschen werden depressive Erkrankungen oft nicht oder nicht korrekt erkannt und entsprechend nicht oder nur unzureichend behandelt. So weisen das NaSPro, die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), der Deutsche Ethikrat, die Diakonie Deutschland und weitere Organisationen im Zusammenhang mit der Debatte über die Neuregelung des assistierten Suizids auf die Bedeutung der Suizidprävention vor allem für ältere Menschen hin.2
Die Zahl der nach Definition des vorliegenden Gesetzentwurfes geschäftsmäßig assistierten Suizide in Deutschland nimmt nach allen bekannten Daten zu. Konkret bereitet Sorgen, dass seit Längerem aufgrund einer gesetzlichen Regelungslücke auch in Deutschland (wie schon seit längerer Zeit in einigen Nachbarstaaten) Organisationen und Personen auftreten, die das Modell eines sogenannten assistierten Suizids nachhaltig öffentlich als Alternative zum natürlichen, medizinisch und menschlich begleiteten Sterben propagieren und geschäftsmäßig Unterstützung bei der Selbsttötung anbieten. Presseberichten zufolge hat etwa ein Berliner Arzt, der sich offen zur Suizidassistenz bekennt, nach eigener Aussage in den vergangenen 20 Jahren als selbst ernannter Sterbehelfer beim Suizid von über 200 Menschen assistiert … Ein in Deutschland existierender Verein hat im Jahr 2012 insgesamt 29 und im Jahr 2013 insgesamt 41 sogenannte Suizidbegleitungen durchgeführt3 … Allein im Jahr 2013 soll es insgesamt mindestens 155 Fälle von begleiteten Suiziden durch zwölf nicht bekannte Sterbehelfer gegeben haben (Katholische Nachrichten-Agentur, Meldung vom 14.1.2014).
Es handelt sich bei diesem Phänomen also um ein aktuelles, die Gegenwart prägendes und soweit auch aus den Zahlen bei den europäischen Nachbarn ersichtlich in der Tendenz zunehmendes Problem. Aktuelle Berichte über die Entwicklung in der Schweiz weisen in diese Richtung. Dort ist nach Medienberichten die Zahl der assistierten Suizide stark angestiegen. Danach haben sich im Jahr 2014 25 Prozent mehr Menschen als im Vorjahr zum assistierten Suizid entschieden, darunter ein großer Anteil deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger.

KATJA KEUL  Die bisherige Rechtslage in Deutschland hat sich bewährt. Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf aufgrund zunehmender Suizidassistenzen ist nicht erkennbar.

RENATE KÜNAST*  Dass Selbstbestimmung und Würde durch die geltende Rechtslage verletzt werden, wird in der öffentlichen Debatte über den assistierten Suizid gar nicht vorgetragen. Allenfalls werden Gefahren für die Zukunft beschworen: Kranke und Alte könnten sich als zur Last fallend empfinden und deshalb den nicht selbstbestimmten Weg der Sterbehilfe wählen, wenn Vereine erlaubt blieben, die Hilfe zur Selbsttötung anbieten. Wissenschaftliche Belege für eine solche Wirkung, die ja, wäre die Befürchtung begründet, längst eingetreten sein müsste, werden nicht vorgetragen. Auch liegen keine Tatsachen vor, warum eine solche Wirkung bei organisierter Sterbehilfe, jedoch nicht bei der durch Verwandte, eintreten sollte bzw. gegeben wäre.
Dass Sterbehilfeorganisationen den Willen der zu Beratenden hin zu einer vorschnellen Entscheidung oder überhaupt zum Suizid beeinflussen, ist also weder belegt noch plausibel. Schon in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der 17. Wahlperiode (BT-Drs. 17/11126, S. 7) gab die Bundesregierung an, es fehlt an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, inwieweit gerade die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung die Suizidrate beeinflussen kann. Neue Erkenntnisse dazu liegen auch heute nicht vor.

PATRICK SENSBURG  In Deutschland geht aus Befragungen hervor, dass 93 % der Bürger der Überzeugung sind, Suizidbeihilfe sei strafbar. Es fallen hier also Rechtsempfinden und tatsächliche Rechtssituation auseinander. Wir wollen dies wieder zusammenfügen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern, wie z.B. den Niederlanden, zeigen, dass eine Öffnung des assistierten Selbstmordes rechtliche Unsicherheiten zeigt und zu viel mehr Selbstmorden führt. Dies wollen wir für Deutschland nicht.
5. Worin sehen Sie die besonderen Vorzüge Ihres Gesetzentwurfs gegenüber den anderen Entwürfen?
MICHAEL BRAND*  [D]urch die Einbeziehung der Suizidhelferinnen und Suizidhelfer, die spezifische Eigeninteressen verfolgen, können die Willensbildung und Entscheidungsfindung der betroffenen Personen beeinflusst werden. Dem ist mit einer autonomiesichernden Regelung der Suizidbeihilfe zu begegnen. Der Deutsche Ethikrat hat ganz in diesem Sinne hervorgehoben: Des Weiteren und vor allem ist der Gefahr fremdbestimmender Einflussnahme in Situationen prekärer Selbstbestimmung vorzubeugen.4 Hingegen ist ein vollständiges strafbewehrtes Verbot der Beihilfe zum Suizid, wie es Sensburg u.a. vorschlagen und es in einzelnen anderen europäischen Staaten besteht, politisch nicht gewollt und wäre mit den verfassungspolitischen Grundentscheidungen des Grundgesetzes kaum zu vereinbaren, es wäre nicht verhältnismäßig. Auch eine Begrenzung des Verbots allein auf gewerbsmäßige Angebote der Förderung der Selbsttötung ist nicht zielführend, denn dies wird dem Problem nicht gerecht. Bei der Gewerbsmäßigkeit wird auf die Gewinnerzielungsabsicht des Täters, also die Absicht, sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen, abgestellt.
Grundsätzlich ist die Gewerbsmäßigkeit nicht darauf beschränkt, dass der Täter unmittelbar vom Suizidwilligen einen Vermögensvorteil erhält. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist im Rahmen der Vereinsorganisation insbesondere über die Berechnung von Verwaltungskosten leicht zu verschleiern oder aber solche Organisationen arbeiten dann unentgeltlich. Das zeigt auch das Beispiel der Organisation Sterbehilfe Deutschland, die in Erwartung des Verbots der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe 2012 ihre Satzung dahingehend änderte, dass im Falle einer Suizidbegleitung alle vom Mitglied gezahlten Beiträge wieder an die Hinterbliebenen zurückgezahlt werden sollten. So sollte verhindert werden, dass der Eindruck von kommerziellem Handeln entsteht.
Als das Gesetzgebungsverfahren scheiterte, wurde 2014 in der neuen Satzung diese bisher geltende Geld-zurück-Garantie dann wieder gestrichen. In der aktuellen Satzung ist außerdem festgelegt, dass gegen eine Zahlung eines einmaligen Mitgliedbeitrags in Höhe von 7.000 Euro die Wartefrist bis zur Suizidbegleitung, die in der Regel 1 bis 3 Jahre beträgt, entfällt und damit der Antrag schneller bearbeitet wird. Andere, nicht strafrechtliche Maßnahmen sind wenig erfolgversprechend und mithin nicht gleichermaßen geeignet. Im Fall des Berliner Arztes, der nach eigenen Angaben über 200 Menschen beim Suizid begleitet hat, hob das Verwaltungsgericht Berlin sogar eine berufsrechtliche Unterlassungsverfügung auf.5

RENATE KÜNAST*  Zweck dieses Gesetzes ist es, die Voraussetzungen für die Hilfe zur Selbsttötung zu bestimmen; die rechtlichen Unsicherheiten für Einzelpersonen und Organisationen, die Hilfe zur Selbsttötung leisten, auszuräumen; für Ärzte klarzustellen, dass sie Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, und Regeln für Organisationen aufzustellen, deren Zweck es ist, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Würde man die Hilfe zur Selbsttötung ganz oder teilweise verbieten oder sie nur bestimmten Personen- und Berufsgruppen gestatten, würde mehr verboten, als es der Schutz der Rechtsgüter des Lebens und der Selbstbestimmung gebietet. Diese könnten insbesondere durch die Kommerzialisierung der Hilfe zur Selbsttötung gefährdet werden. Wer darüber hinaus jede organisierte Form, also etwa von ehrenamtlichen Vereinen, oder jede geschäftsmäßige Form, also etwa von Ärztinnen und Ärzten, ausschließt, nimmt vielen betroffenen und leidenden Menschen die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten und würdevollen Tod. Denn viele Menschen wollen ihre Verwandten und nahestehenden Personen nicht um Hilfe zu einer geplanten Selbsttötung bitten, weil sie diese damit nicht belasten möchten. Manche insbesondere ältere Menschen haben diese Möglichkeit zudem gar nicht mehr. Verwandte, nahestehende Personen, Ärztinnen und Ärzte sind unter Umständen aufgrund ethischer oder persönlicher Überzeugungen auch nicht bereit oder in der Lage, den Betroffenen zu helfen.

CAROLA REIMANN  Wir haben bewusst das Arzt-Patienten-Verhältnis ins Zentrum unseres Gesetzentwurfes gestellt und nicht die Aktivitäten einer überschaubaren Zahl von selbsternannten Sterbehelfern. Ich will nicht, dass sich verzweifelte Menschen an anonyme Sterbehilfevereine wenden müssen. Ich will, dass Menschen in großer Not sich ihrem persönlichem Umfeld und ihrem Arzt anvertrauen können, weil er es ist, der sie fachlich am besten beraten kann. Dafür wollen wir einen rechtssicheren Rahmen schaffen.

PATRICK SENSBURG  Im Gegensatz zu den anderen Entwürfen ist unser Entwurf hinreichend bestimmt und klar, so dass er den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Diejenigen Entwürfe, die eine Freigabe der Suizidassistenz wollen, werden letztlich Ärzten die Entscheidung aufbürden, wer ein Sterbemittel bekommt und wer nicht. Im Ergebnis wollen Angehörige und besonders der Selbstmörder einen schnellen und schmerzfreien Tod. Diesen werden sie sich von einem Arzt wünschen.
Palliativärzte belegen aber, dass durch eine gute Betreuung der immer wieder aufkommende Sterbewunsch sich regelmäßig in einen Lebenswunsch umkehrt. Oft will der Mensch in der letzten Lebensphase „nicht mehr so leben“ – leben will er aber doch. Der assistierte Suizid ist daher keine Sterbebegleitung, sondern das Beenden des Lebens, in Fällen, in denen der Tod noch nicht von alleine kommt. Dies wollen wir nicht.
[Palliativversorgung]
6. Kann der Ausbau der Palliativmedizin und der Hospizversorgung das Problem des assistierten Suizids beseitigt?
MICHAEL BRAND*  Zunächst müssen Konsequenzen aus den beschriebenen Ängsten und Sorgen der Menschen gezogen werden, indem die gesundheitlichen und pflegerischen Versorgungsangebote sowie die Hospiz- und Palliativversorgung verbessert werden. … Die Möglichkeiten der modernen Palliativmedizin, Schmerzen und Leiden gut zu behandeln, müssen in der Öffentlichkeit bekannter gemacht werden, um den Ängsten der Menschen begegnen und flächendeckend eine menschlich und medizinisch würdevolle Begleitung beim Sterben erreichen zu können.

KATJA KEUL  Der Ausbau der Palliativmedizin ist zu begrüßen. Dadurch können allerdings nicht alle Notlagen vollumfänglich erfasst werden.

RENATE KÜNAST*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen. Die Stellungnahmen zum Gesetz zur Verbesserung der Palliativ-und Hospizversorgung sind hier nicht übertragbar, da dort der Fraktionszwang nicht aufgehoben wurde.

CAROLA REIMANN  In der Regel ermöglicht die Palliativmedizin eine ausreichende Schmerzlinderung, aber in sehr wenigen Fällen stößt sie in der Praxis an Grenzen. Dies ist dann der Fall, wenn eine ausreichende Schmerzbehandlung nach Maßgabe der für die Durchführung palliativmedizinischer Maßnahmen geltenden fachlichen Richtlinien ausnahmsweise nicht ermöglicht werden kann oder das Leiden daher rührt, dass der Patient seine Situation nicht mehr anzunehmen vermag. Insofern werden der (zwingend erforderliche) Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung und die damit einhergehende Verbesserung der Versorgung vielleicht dazu führen, dass manche von ihrem Suizidwunsch abrücken. Aber es wird auch weiter Menschen geben, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen.

PATRICK SENSBURG  Natürlich nie zu 100 Prozent, aber Palliativmedizin und eine gute Hospizversorgung führen dazu, dass Menschen bis in den Tod begleitet werden und der Selbstmord nicht als gleichberechtigte Alternative gesehen wird. In diesem Rahmen müssen wir dafür Sorge tragen, dass Menschen nicht unnötig leiden. Denn darum geht es im Kern. Menschen, die sich mit dem Gedanken an Suizid tragen, wollen oft „nicht mehr so leben“. Eigentlich wollen diese Menschen also dem Leid bzw. Schmerz ein Ende bereiten und nicht ihrem Leben. Mit den Fortschritten in der heutigen Medizin, insbesondere der Schmerzmedizin, müssen aber viel weniger Menschen an unerträglichen Schmerzen in der letzten Lebensphase leiden. Eine umfassende palliative Versorgung ermöglicht daher oftmals ein schmerzfreies Leben bis zu dessen natürlichem Ende.
7. Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Defizite bei der palliativmedizinischen und der Hospizversorgung? Sehen Sie weitergehenden Handlungsbedarf, über den Regierungsentwurfes hinaus? (z.B. gesetzliches Leistungsspektrum; Kreis der Leistungsberechtigten; Verfügbarkeit von Angeboten; Änderungen der Gebührenordnungen f. sterbebegleitende Hilfen)
MICHAEL BRAND*  Die jüngsten Initiativen zur Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung sowie zur Stärkung der Pflege sind weitere wichtige Pfeiler einer Kultur des menschlichen Begleitens von Älteren und Schwerstkranken.

KATJA KEUL  Ambulante Palliativ-Versorgung muss derzeit gezielt verordnet werden und ist ausdrücklich als Ersatz für Krankenhausbehandlung gedacht. Das führt zu einer „Zwei-Klassen-Versorgung“ und schließt insbesondere in ländlichen Regionen viele Patienten aus. Besser wäre ein integratives System, das Palliativ-Versorgung durch Hausärzte ebenfalls besser honoriert, so wie es u.a. der Antrag der grünen Bundestagsfraktion vorsieht (BT-Drs. 18/4563).

RENATE KÜNAST*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen. Die Stellungnahmen zum Gesetz zur Verbesserung der Palliativ-und Hospizversorgung sind hier nicht übertragbar, da dort der Fraktionszwang nicht aufgehoben wurde.

CAROLA REIMANN  Völlig unstrittig ist, dass wir eine gezielte Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland brauchen. Das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Hospiz- und Palliativgesetz setzt aus meiner Sicht die richtigen Schwerpunkte: finanzielle Stärkung der Hospize, ein Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung und die Möglichkeit, unterschiedliche Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung zu vernetzen, auch im Hinblick auf die Versorgung in Pflegeheimen. Wichtig ist, dass Sterbebegleitung, Pflege und ärztliche Versorgung besser miteinander verknüpft werden.
PATRICK SENSBURG  Mit dem in diesem Jahr vorgelegten Kabinettsentwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung werden wir ein flächendeckendes Hospiz- und Palliativangebot in ganz Deutschland bekommen. Schwerstkranken Menschen wird damit die Gewissheit gegeben, dass sie eben nicht allein gelassen werden in ihrer letzten Lebensphase und in jeder Hinsicht gut versorgt sind. Das neue Gesetz stärkt Palliativversorgung und Hospizkultur dort, wo die Menschen ihre letzte Lebensphase verbringen. Und genau das brauchen wir in Deutschland.
[Änderungsprognosen]
8. Was erwarten Sie von der Umsetzung Ihres Vorschlags? Wie wird sich die bisherige Praxis der Suizidassistenz durch Ärzte, Angehörige oder Vereine in Deutschland ändern?
MICHAEL BRAND*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

KATJA KEUL  Ich denke nicht, dass sich die bisherige Praxis der Suizidassistenz ändern wird, wenn wir die jetzige Rechtslage beibehalten.

RENATE KÜNAST*  Beseitigung der rechtlichen Unsicherheiten für Einzelpersonen und Organisationen, die Hilfe zur Selbsttötung leisten; für Ärzte wird klargestellt, dass sie Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen; die Regeln für die Hilfe zur Selbsttötung werden Missbrauch verhindern.

PATRICK SENSBURG  Ein klares „ja“ zum Leben. Die Beförderung in den Tod darf keine Alternative zur Sterbebegleitung werden. Durch unser klares Verbot setzen wir ein Zeichen und eine politische Wertentscheidung. Es wird in den kommenden Jahren in Deutschland hierdurch zu einer Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung kommen, wenn unser Gesetzesentwurf umgesetzt wird.
9. Welche Wirkungen erwarten Sie von der Umsetzung Ihres Vorschlags hinsichtlich der Suizidprävention? Rechnen Sie mit mehr oder weniger Suizidversuchen? Gehen Sie davon aus, dass mehr Menschen als bisher eine Beratung zur Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen oder dass die Zahl der selbstausgeführten Suizide zurückgehen wird?
MICHAEL BRAND*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

KATJA KEUL  Die Suizidprävention sollte verbessert werden. Dies ist allerdings nicht mit einer verschärften Strafdrohung zu erreichen, sondern mit verbesserten Beratungsangeboten.
RENATE KÜNAST*  Mehr Fürsorge und Beratung, nicht mehr Strafrecht; dies brauchen sterbewillige Menschen. Änderungen im Strafrecht sind keine Antwort auf schwierigste Lebenssituationen. Ein Verbot der Suizidassistenz nimmt Menschen, die sich in großen Nöten befinden, die Chance, ein ergebnisoffenes Gespräch zu führen. Die Tabuisierung würde noch vergrößert, die Prävention aber nicht gestärkt. Auch deswegen ist es der falsche Ansatz, die Hilfe zur Selbsttötung verbieten zu wollen. So können reflektierte und selbstbestimmte Entscheidungen ermöglicht und spontane Verzweiflungssuizide vermieden werden. Sterbewillige Menschen sollen ermutigt werden, sich mit Personen ihres Vertrauens in einem umfassenden Beratungsgespräch auszutauschen. So soll eine eigenverantwortliche Entscheidung unterstützt werden.

CAROLA REIMANN  Untersuchungen zeigen, dass die Fälle der ärztlichen Suizidassistenz in Belgien, der Schweiz, den Niederlanden und dem Staat Oregon (USA) sich relativ konstant auf niedrigem Niveau bewegen, während die Fälle der aktiven Sterbehilfe in Belgien und den Niederlanden signifikant gestiegen sind. Die geringen Fallzahlen im Bereich der ärztlichen Suizidassistenz belegen, dass die Notwendigkeit, das eigene Leben nur selbst beenden zu können, eine besondere Entscheidungsqualität und Entscheidungstiefe erfordert und daher eine wirksame Schwelle vor übereilten Entscheidungen bildet.
Erfahrungen aus der ärztlichen, psychologischen und seelsorgerischen Begleitung zeigen zudem, dass bereits ein sicheres Wissen des Erkrankten um die Möglichkeit, im Fall eines als unerträglich empfundenen Leidens sein Leben beenden zu können, häufig dazu führt, dass von dieser Möglichkeit auch bei einem starken Leidensdruck letztlich Abstand genommen wird. Demnach kann eine ausdrückliche gesetzliche Gestattung der ärztlichen Suizidassistenz suizidpräventiv wirken. Besteht für todkranke Menschen in einer aussichtslosen Situation die Möglichkeit, den behandelnden Arzt des Vertrauens um Hilfe bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung zu bitten, wird dem Wirken von Sterbehilfevereinen in Deutschland die Grundlage entzogen.

PATRICK SENSBURG  Am Beispiel Holland sehen wir, wie unbefriedigend gesetzliche Regelungen sein können und dass sie mehr Unsicherheiten schaffen, als Klarheiten zu bringen. Aufgrund der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, wie auch der Suizidassistenz, kommt es hier zu immer mehr Fällen. Die Suizidprävention nimmt im Gegenzug ab. Durch ein Verbot der Hilfe beim Selbstmord werden die Zahlen in Deutschland, wie in vielen anderen europäischen Ländern, gering bleiben. Gleichzeitig wollen wir die Suizidprävention ausbauen. Es gibt beispielsweise in Deutschland immer noch keine 24h-Hotline für Suizidgefährdete, die auch tatsächlich immer erreichbar ist.
10. Wie bewerten Sie die verschiedenen Arten der Suizidbeihilfe durch Ärzte, Angehörige/ Freunde oder Vereine? Halten Sie eine der Arten für vorzugswürdig, auch im Vergleich zum nicht-assistierten Suizid? Glauben Sie, dass sich nach der Umsetzung Ihres Vorschlags das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Suizid(beihilfe)arten ändern wird, sich beispielsweise suizidwillige Menschen von den Sterbehilfe-Vereinen ab- und der ärztlichen Suizidberatung zuwenden werden?
MICHAEL BRAND*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

KATJA KEUL  An wen sich ein Sterbewilliger wendet, ist eine persönliche Vertrauensfrage und kann nicht pauschal beantwortet werden. Ich denke, dass sich mehr Menschen an Ihren Arzt wenden würden und weniger an einen Verein, wenn das ärztliche Berufsrecht das zulassen würde. Das kann allerdings nicht durch ein Bundesgesetz geregelt werden, sondern nur durch das landesrechtliche Berufsrecht, bzw. durch die Ärztekammern selber.

RENATE KÜNAST*  Wer als Mitglied oder als Angestellter einer Sterbehilfeorganisation um Hilfe zur Selbsttötung gebeten wird, ohne selber Arzt zu sein, hat die Pflicht, die Leitung der Organisation unverzüglich darüber zu informieren. Eine solche Form der Organisation ist zwingend erforderlich, um Hilfe zur Selbsttötung in Arbeitsteilung anbieten zu dürfen. Sterbehilfeorganisationen müssen gewährleisten, dass die sterbewillige Person unverzüglich durch einen Arzt beraten wird. Erst wenn der sterbewillige Mensch durch einen Arzt beraten wurde, darf ein Mitglied oder ein Angestellter der Sterbehilfeorganisation ein eigenes Beratungsgespräch führen. Hierdurch wird zum einen sichergestellt, dass immer auch ein Arzt ein Beratungsgespräch mit der sterbewilligen Person führt. Zum anderen wird gewährleistet, dass der sterbewillige Mensch zuerst alle medizinischen Argumente erfährt, bevor er von einem medizinisch nicht in gleichem Maße versierten Mitglied oder Angestellten einer Sterbehilfeorganisation noch einmal beraten wird.
Die Anforderungen an diese Beratung sind weniger ausgeprägt als bei Ärzten. Das Verbot für das Mitglied oder den Angestellten einer Sterbehilfeorganisation, bei dem Beratungsgespräch mit dem Arzt anwesend zu sein, ergibt sich zum einen aus der ärztlichen Schweigepflicht. Auch soll damit gewährleistet werden, dass die Beratungsgespräche nicht zu ähnlich verlaufen. Schließlich soll die Gefahr vermieden werden, dass die Anwesenheit des Mitglieds oder des Angestellten einer Sterbehilfeorganisation den Inhalt oder die Qualität des ärztlichen Beratungsgesprächs beeinflusst.

CAROLA REIMANN  keine Antwort

PATRICK SENSBURG  Diejenigen Entwürfe, die eine Freigabe der Suizidassistenz wollen, werden letztlich Ärzten die Entscheidung aufbürden, wer ein Sterbemittel bekommt und wer nicht. Es ist aber nicht Aufgabe des Arztes, den Tod herbeizuführen. Aufgabe des Arztes ist es nicht, Sterbehelfer zu sein, sondern den Sterbenden im Rahmen der Möglichkeiten zu begleiten und mit einer verbesserten Palliativmedizin den Menschen die große Angst vor dem Sterben zu nehmen. Begleiten kann der Arzt zum Beispiel mit der Palliativsedierung, einer hoch dosierten Gabe von Schmerzmitteln, die auch nach unserem Antrag selbstverständlich zulässig ist.

[Ärztliche Suizidbeihilfe]
11. Wie beurteilen Sie das von verschiedenen Ärztekammern geregelte berufsrechtliche Verbot des ärztlich assistierten Suizids? Wie wirkt sich ihr Vorschlag darauf aus?
MICHAEL BRAND*  Eindeutig nicht strafbar ist die sogenannte Hilfe beim Sterben die durch medizinisches und pflegerisches Personal etwa in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Hospizen und anderen palliativmedizinischen Einrichtungen geleistet wird. Im Gegensatz hierzu ist der assistierte Suizid gerade nicht medizinisch indiziert und entspricht deshalb nicht dem Selbstverständnis dieser Berufe und Einrichtungen. Insofern unterscheidet er sich von dem auf dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen beruhenden Behandlungsabbruch und der oder von der sogenannten indirekten Sterbehilfe oder Therapiezieländerung. Diese sind Konstellationen, in denen eine ärztlich gebotene, vor allem schmerzlindernde Maßnahme einen Sterbevorgang potentiell beschleunigen kann, was eine unbeabsichtigte, aber in Einzelfällen unvermeidbare Nebenfolge darstellt. Der assistierte Suizid wird daher von den oben genannten Berufen und Einrichtungen grundsätzlich auch nicht gewährt und ist auch von den Kostenerstattungsregelungen nicht erfasst.

KATJA KEUL  Ich halte das berufsrechtliche Verbot für einen unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG. Als Bundesgesetzgeber fehlt uns allerdings die Gesetzgebungskompetenz, diese landesrechtliche Regelung zu ändern. Der Antrag von Hintze u.a. dürfte daher formal verfassungswidrig sein.
Gegen das Verbot der Ärztekammern könnte betroffenen Ärzten allerdings der Weg zum Verfassungsgericht offen stehen. Es wäre wünschenswert, wenn auf diesem Wege eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden würde.

RENATE KÜNAST*  Sollte sich der Patient für einen Suizid entscheiden, sollen Ärzte weiterhin dabei helfen dürfen, ohne dass ihnen daraus Nachteile erwachsen. Davon abweichende Regelungen etwa in Berufsordnungen der Ärztekammern sind vor dem Gleichheitsgrundsatz nicht hinnehmbar und deswegen unwirksam.
Niemand, auch kein Arzt, hat die Pflicht, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Zu den ärztlichen Aufgaben gehört unter anderem, beim Sterben zu helfen. Aber daraus folgt weder eine Pflicht noch ein Verbot, auch zum Sterben zu helfen. Ärzte sind Helfer ihrer Patienten. In manchen Fällen ist die einzige humane Hilfe, die noch zur Verfügung steht, die Hilfe zum Sterben. Ärzte können und dürfen dies selber aus persönlichen und ethischen Gründen verweigern, doch es darf ihnen nicht verweigert werden. Andernfalls würde ein letzter Rest an Unmoral für die Ärzteschaft reklamiert mit einem Lehrsatz, der nirgendwo plausibel begründet wird. Zwar greift [unsere] Regelung in die Selbstverwaltungsautonomie der Landesärztekammern ein, die sich aus den Kammergesetzen der Bundesländer ergibt. Doch ist § 6 Absatz 2 Satz 2 notwendiger Bestandteil des Schutzkonzepts für die betroffenen sterbewilligen Menschen und die sie betreuenden Ärzte. Ärzte bieten Sterbehilfe und die Hilfe zur Selbsttötung an. Sie brauchen hierbei Rechtsklarheit im Sinne des Zweckes dieses Gesetzes (§ 1 Nummer 3). Wären von der gesetzlich geregelten Rechtslage weiterhin Abweichungen in den unterschiedlichen Berufsordnungen möglich, würde der Gesetzeszweck durchbrochen. Die Regelung des § 16 Satz 3 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte wird in den Berufsordnungen der Ärztekammern unterschiedlich oder gar nicht umgesetzt. Dies schafft in ungerechtfertigter Weise ungleiche Betreuungssituationen für die Menschen und ungleiche Berufsausübungsregeln für Ärzte. Soweit dieses Gesetz mit den Kammergesetzen der Bundesländern im Hinblick auf die dort geregelten Kompetenzen der Ärztekammern zu ihren Berufsordnungen kollidiert, bricht dieses Gesetz Landesrecht (Artikel 31 Grundgesetz).

CAROLA REIMANN (zu den Fragen 11-14)  Leider hat die Bundesärztekammer 2011 auf Betreiben ihres Präsidenten Frank Ulrich Montgomery eine Musterberufsordnung verabschiedet, die Ärzten die Beihilfe zum Suizid untersagt. Diese Musterberufsordnung haben einige Ärztekammern übernommen, andere nicht. Das heißt, in manchen Bundesländern müssen Ärzte, die Beihilfe zum Suizid leisten, berufsrechtliche Konsequenzen fürchten. In anderen Bundesländern ist dies nicht der Fall. Dieser Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen verunsichert Ärzte und Patienten. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Mit der zivilrechtlichen Regelung, die unser Gesetzesvorschlag vorsieht, werden wir Rechtssicherheit schaffen. Rechtssicherheit, die nötig ist für ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis. Zur Sicherstellung eines möglichst hohen medizinischen Schutzniveaus haben wir die Durchführung der Suizidassistenz und der ihr vorgelagerten Beratung ausdrücklich auf Ärzte beschränkt.

PATRICK SENSBURG  Grundsätzlich halte ich das von den Ärztekammern geregelte berufsrechtliche Verbot des ärztlich assistierten Suizids für richtig. Momentan haben wir in Deutschland aber eine unklare Lage beim ärztlichen Standesrecht, da es Ärzten in Deutschland nicht überall verboten ist, Beihilfe bei einer Selbsttötung zu leisten. Dies gilt z.B. für Ärzte in Bochum, Dortmund oder Hagen. Dort haben sie größere Spielräume als bspw. ihre Kollegen in Essen oder Duisburg. Durch ein gesetzliches Verbot schaffen wir Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte.
12. Warum sollen nur für Ärzte besondere Beschränkungen in der Suizidbeihilfe gelten, nicht jedoch für das andere medizinische Personal?
MICHAEL BRAND*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

RENATE KÜNAST*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

CAROLA REIMANN  Eine Vertretung durch nichtärztliches Personal, etwa durch Pfleger, ist ausgeschlossen. Ärzte verfügen über das notwendige fachliche Wissen, um zu beurteilen, ob der Wunsch zu sterben bei suizidgeneigten Patienten auf einer Depression oder anderen psychischen Erkrankungen beruht, die anderweitig behandelt werden können. Damit können vom Patienten nicht wirklich gewollte Suizide vermieden werden.

PATRICK SENSBURG  Alleine diese Frage macht deutlich, dass man die Suizidassistenz kaum einschränken kann, wenn man nicht für ein grundsätzliches Verbot ist. Man wird dann auch fragen dürfen, nach welchen Regeln soll denn dann die Suizidassistenz durch anderes medizinisches Personal erfolgen. Welche Voraussetzungen kann es prüfen? Eine medizinische Diagnose kann es ja dann nicht sein, womit es also nicht mehr darauf ankommt, ob der Sterbewillige unheilbar krank ist und z.B. Schmerztherapien nicht wirken.
13. Wie viel Zeit sollten Ärzte für die Beratung und Begleitung eines Suizids aufwenden können resp. finanziert bekommen?
MICHAEL BRAND*  Die ärztliche Suizidbeihilfe ist nach dem Vorschlag unzulässig, die Frage erübrigt sich.

KATJA KEUL  Die Suizidberatung sollte keinen gesonderten Gebührentatbestand auslösen. Es müsste allerdings eine Beratungsgebühr geben für die Ermittlung des Patientenwillens hinsichtlich der Therapiewünsche und der Therapiebegrenzung am Lebensende. Ein solches Gespräch kann nicht in der Behandlungspauschale von 50 Euro pro Quartal enthalten sein. Angemessen könnte eine Gesprächsdauer von 60 Minuten und eine Gebühr entsprechend einer Psychotherapiesitzung sein.

RENATE KÜNAST*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

PATRICK SENSBURG  Nach unserem Vorschlag stehen die palliativmedizinische Betreuung und das Hospizwesen im Vordergrund. Den Facharzt für Suizid darf es nach unserem Verständnis nicht geben. Eine Diskussion über die Abrechnung der Unterstützung von Selbstmorden halte ich für unerträglich.
14. Warum regeln Sie nicht die Möglichkeit der Verschreibung tödlicher Medikamente, die zur Suizidbeihilfe benötigt werden?
MICHAEL BRAND*  Die ärztliche Suizidbeihilfe ist nach dem Vorschlag unzulässig, die Frage erübrigt sich.

KATJA KEUL  In der aktuellen Debatte geht es vorrangig darum, eine Verschärfung der Rechtslage zu verhindern. Für die Erweiterung der Möglichkeiten gibt es offensichtlich keine Mehrheiten im Deutschen Bundestag. Ich persönlich kann mir durchaus vorstellen, Wege für die Verschreibung tödlicher Medikament zu eröffnen. Vielleicht müsste man dann allerdings über eine Begrenzung für speziell geschulte und zugelassene Ärzte nachdenken.

RENATE KÜNAST*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

PATRICK SENSBURG  Weil der Missbrauch und die individuellen Risiken zu hoch sind. Statt Menschen mit einem, wenn auch verschreibungspflichtigen, Medikament alleine zu lassen, ist es ein Akt der Nächstenliebe, sie aufopfernd bis in den Tod zu betreuen und zu pflegen.
[Verfahrensvorgaben/-regelungen]
15. Wie begründen bzw. beurteilen Sie die Dokumentations- und Beratungspflichten, wie sie der Entwurf von Künast u.a. vorsieht?
MICHAEL BRAND*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

RENATE KÜNAST*  Ärzte, Mitarbeiter in einem Hospiz oder einem Krankenhaus, Sterbehelfer oder Mitglieder beziehungsweise Angestellte einer Sterbehilfeorganisation dürfen nur dann Hilfe zur Selbsttötung leisten, wenn sie aufgrund eines persönlichen und umfassenden Beratungsgesprächs mit dem sterbewilligen Menschen zu der Überzeugung gelangt sind, dass er die Hilfe zur Selbsttötung freiwillig, selbstbestimmt und nach reiflicher Überlegung ernstlich verlangt. § 7 regelt detailliert für jeweils unterschiedliche Personengruppen deren Beratungspflicht bei organisierter oder geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung. Leisten Ärzte in Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit Hilfe zur Selbsttötung, so ist dies geschäftsmäßig.
Die Dokumentation kann schriftlich oder durch Ton- oder Bildaufnahmen erfolgen. Für Ton- oder Bildaufnahmen ist eine schriftliche Einwilligung des sterbewilligen Menschen erforderlich. Die Dokumentation muss mindestens fünf Jahre (vgl. § 78 Absatz 3 Nr. 4 StGB) als Beweismittel aufbewahrt werden.

CAROLA REIMANN  Bevor auf Wunsch des Patienten eine Suizidassistenz gewährt wird, muss aus meiner Sicht eine ärztliche Beratung des Patienten sowohl über infrage kommende alternative Behandlungen als auch über die Art und Weise der Suizidassistenz stattgefunden haben. So kann eine ausreichend informierte Entscheidung des Patienten gewährleistet und der Patienten vor übereilten Entscheidungen geschützt werden. Eine darüber hinausgehende Mindestfrist bietet meiner Meinung nach keinen größeren Schutz für den Patienten.

PATRICK SENSBURG  Der Entwurf Künast bindet die Suizidbeihilfe nur an die vorherige ärztliche Beratung und die anschließende Dokumentation. Weder wird eine solche von einer unaufhaltsam zum Tode führenden Erkrankung, von großem Leiden oder einem zweiten ärztlichen Urteil abhängig gemacht. Dies kann eine Gesellschaft nicht wollen. Staatlich tolerierte Tötungen darf es nicht geben.
16. Wie begründen bzw. beurteilen Sie die Einführung einer Mindestfrist zwischen Beratung/ Anfrage und Ausführung der Suizidbeihilfe, wie sie u.a. der Entwurf von Künast u.a. (hier: 14 Tage) vorsieht?
MICHAEL BRAND*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

RENATE KÜNAST*  § 7 Absatz 3 statuiert die Pflicht zur Einhaltung einer Bedenkzeit. Diese beginnt nicht mit dem Moment der erstmaligen Äußerung der Bitte um Hilfe zur Selbsttötung. Vielmehr setzt ihr Beginn mindestens ein Beratungsgespräch nach § 7 Absatz 1 voraus. Es ist nicht möglich, auf die Bedenkzeit zu verzichten.

PATRICK SENSBURG  Die Absicht ist natürlich verständlich und soll spontane Aktionen verhindern. Berücksichtigt wird aber nicht, dass es viele psychische Situationen gibt, die länger als 14 Tage dauern, z.B. die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen. Nach 14 Tagen kann man dann dem Trauernden zu seinem eigenen Selbstmord helfen. Dies kann doch nicht gewollt sein.
17. Wie begründen bzw. beurteilen Sie die Einführung eines 4-Augen-Prinzips bei der Suizidberatung bzw. -beihilfe, wie im Entwurf von Reimann u.a. für die ärztliche Beratung vorgesehen?
MICHAEL BRAND*  Für die Frage ist der Begründung zum Gesetzentwurf keine Antwort zu entnehmen.

KATJA KEUL  Dokumentation, Mindestfrist und 4-Augen Prinzip sollten im Rahmen einer ärztlichen Suizidhilfe selbstverständlich sein – schon aus rechtlicher Absicherung des Suizidhelfers, der ein Interesse daran hat, sich nicht dem Verdacht einer aktiven Sterbehilfe, also eines Tötungsdeliktes, auszusetzen.
Die Frage ist allerdings, in welchem rechtlichen Rahmen dieses Vorgehen festgelegt werden sollte. Das BGB ist dafür nicht der geeignete Ort, da die Konsequenzen eines Verstoßes keine zivilrechtlichen sein können. Denkbar wäre ein gesondertes Beratungsgesetz, ähnlich dem Schwangerschaftskonfliktgesetz. Zu entscheiden wäre dann über die Konsequenz eines ärztlichen Pflichtverstoßes. In Betracht kommen berufsrechtliche oder strafrechtliche Regelungen. Ich halte berufsrechtliche Sanktionen für ausreichend, soweit es sich trotz des Pflichtverstoßes zweifelsfrei um eine Suizidbeihilfe handelt.
Führt der Pflichtverstoß dazu, dass ein Überschreiten der Grenze zur aktiven Tötung nicht mehr ausgeschlossen werden kann, ist ein Ermittlungsverfahren wegen eines Tötungsdeliktes ohnehin unumgänglich. Es besteht daher m.E. keine Notwendigkeit neue Straftatbestände für ärztliches Handeln auf den Weg zu bringen.

RENATE KÜNAST*  Diese ist in unserem Entwurf auch vorgesehen. Wer als Arzt, als Sterbehelfer oder als Mitglied beziehungsweise im Rahmen seiner Tätigkeit für einen Sterbehilfeverein Hilfe zu einer Selbsttötung leistet, muss hohe Standards einhalten. Dazu gehören insbesondere die Feststellung der freiverantwortlichen Entscheidung, das Vorhandensein einer Patientenverfügung und ein Vier-Augen-Prinzip bei der Begutachtung.

CAROLA REIMANN  Sowohl das Vorliegen einer unheilbaren Erkrankung als auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung tödlich verläuft, müssen nach unserem Gesetzesvorschlag durch mindestens zwei Ärzte nach dem Vier-Augen-Prinzip medizinisch festgestellt werden. Das Vier-Augen-Prinzip erstreckt sich auch auf die Feststellung, dass der Patient einwilligungsfähig ist und eine ärztliche Suizidhilfe ernsthaft und endgültig wünscht. Das Erfordernis des Vier-Augen-Prinzips dient einerseits dem Schutz des Patienten vor missbräuchlichem Verhalten und anderseits dem Schutz des Arztes vor möglichen Fehldiagnosen.

PATRICK SENSBURG  Natürlich führt ein Vier-Augen-Prinzip zu mehr Objektivität. Wenn es aber bereits an der Prämisse fehlt und es sich nur um eine Beratung handelt und im Ergebnis jedem zur Selbsttötung geholfen wird, ist das Vier-Augen-Prinzip nur ein Deckmäntelchen.

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