Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 210/211: Suizidbeihilfe - bald nur noch beschränkt?

Dokumen­ta­tion Gesetz­ent­würfe zur Suizid­bei­hilfe

In: vorgänge 210/211 (2-3/2015), S. 11-16

In der letzten Legislaturperiode hatte die schwarz-gelbe Koalition bereits einen Anlauf unternommen, mit einem „Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ die Arbeit von Sterbehilfe-Vereinen in Deutschland zu verbieten. Der damalige Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 17/11126) wurde nach einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses im Dezember 2012 jedoch fallen gelassen. Zu groß waren die Bedenken, ob ein solches Verbot notwendig und angemessen sei. Umso überraschender die Ankündigung des neuen Bundesgesundheitsministers Gröhe, der zu Beginn dieser Legislatur ein noch weitergehendes Verbot nicht nur der gewerbsmäßigen, sondern aller organisierten Formen der Suizidbeihilfe ankündigte. Seinen ursprünglichen Plan einer Kabinettsvorlage gab er jedoch schnell auf: in bioethischen Fragen verlaufen die Differenzen quer durch alle Parteien. Stattdessen verständigte man sich darauf, die Gesetzgebung aus dem Parlament heraus zu organisieren. Im Bundestag bildeten sich nach einer ersten Diskussionsphase im vergangenen Jahr fünf Abgeordnetengruppen, die sich jeweils auf Eckpunkte für die bevorstehende Gesetzgebung verständigten; im Plenum fand am 13. November 2014 eine erste Orientierungsdebatte statt. Daraus entstanden vier Gesetzentwürfe, die nun zur parlamentarischen Beratung anstehen. Wir dokumentieren hier (zum Teil in Auszügen) diese vier Gesetzentwürfe sowie einen weiteren Entschließungsantrag, auf die sich die nachfolgenden Beiträge dieser Ausgabe der vorgänge immer wieder beziehen.

Brand, Griese, Vogler u.a.: Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe
Die mit insgesamt 214 Unterzeichner_innen stärkste Gruppe um die Abgeordneten Brand, Griese und Vogler hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ (BT-Drs. 18/5373 v. 1.7.2015) eingereicht. Der Vorschlag beschränkt sich auf eine neue Norm im Strafrecht, die jegliche geschäftsmäßige (zu Deutsch: jede wiederkehrende, vorbereitete bzw. organisierte) Suizidbeihilfe sowie deren Bewerbung und Vermittlung verbietet. Von dem Verbot sind lediglich Angehörige und nahestehende Personen ausgenommen. Damit kommt der Entwurf dem von Bundesgesundheitsminister Gröhe angekündigten Vorhaben am nächsten.

Änderung des Strafgesetzbuches (StGB)
§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“
Hintze, Reimann, Lauterbach u.a.: Gesetzliche Regelung der ärztlichen Suizidbeihilfe
Einen gänzlich anderen Weg schlagen die Abgeordneten Hintze, Reimann und Lauterbach vor. Ihr „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)“ (BT-Drs. 18/5374 v. 30.6.2015) reguliert allein die Suizidhilfe für Ärzte, die auf finale Krankheitsphasen eingeschränkt und durch Verfahrensauflagen abgesichert werden soll. Die Suizidbeihilfe durch Angehörige oder organisierte/professionelle Sterbehelfer_innen wird dagegen nicht angetastet und bliebe weiterhin zulässig.

Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
Abschnitt 4 Selbstbestimmung des Patienten
§ 1921a Ärztlich begleitete Lebensbeendigung
(1) Ein volljähriger und einwilligungsfähiger Patient, dessen unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, kann zur Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens die Hilfestellung eines Arztes bei der selbst vollzogenen Beendigung seines Lebens in Anspruch nehmen.
(2) Eine Hilfestellung des Arztes nach Absatz 1 darf nur erfolgen, wenn der Patient dies ernsthaft und endgültig wünscht, eine ärztliche Beratung des Patienten über andere Behandlungsmöglichkeiten und über die Durchführung der Suizidassistenz stattgefunden hat, die Unumkehrbarkeit des Krankheitsverlaufs sowie die Wahrscheinlichkeit des Todes medizinisch festgestellt und ebenso wie der Patientenwunsch und die Einwilligungsfähigkeit des Patienten durch einen zweiten Arzt bestätigt wurde.
(3) Die Hilfestellung des Arztes ist freiwillig.
(4) Die Entscheidung über den Zeitpunkt, die Art und den Vollzug seiner Lebensbeendigung trifft der Patient. Der Vollzug der Lebensbeendigung durch den Patienten erfolgt unter medizinischer Begleitung.
Künast, Sitte, Gehring u.a.: Suizidbeihilfegesetz
Den umfassendsten Regulierungsentwurf legten die Abgeordneten Künast, Sitte und Gehring vor. Ihr „Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“ (BT-Drs. 18/5375 v. 30.6.2015) lässt die Suizidbeihilfe für alle Gruppen weiterhin und ohne Einschränkungen auf bestimmte Krankheitsphasen zu; zugleich werden umfangreiche Auflagen zum Ablauf von,  der notwendigen Beratung und Dokumentation organisierter Sterbehilfe erlassen.

§ 1 Zweck des Gesetzes
Zweck dieses Gesetzes ist es,
1. die Voraussetzungen für die Hilfe zur Selbsttötung zu bestimmen;
2. die rechtlichen Unsicherheiten für Einzelpersonen und Organisationen, die Hilfe zur Selbsttötung leisten, auszuräumen;
3. für Ärzte klarzustellen, dass sie Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, und
4. Regeln für Organisationen aufzustellen, deren Zweck es ist, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten.
§ 2 Grundsatz der Straffreiheit
(1) Die Selbsttötung ist straflos.
(2) Die Hilfe zur Selbsttötung ist grundsätzlich straflos.
§ 3 Voraussetzungen
(1) Hilfe zur Selbsttötung darf nur dann geleistet werden, wenn der sterbewillige Mensch den Wunsch zur Selbsttötung freiverantwortlich gefasst und geäußert hat.
(2) Wer in organisierter oder geschäftsmäßiger Form Hilfe zur Selbsttötung leistet, muss sich aufgrund eines Beratungsgesprächs (§ 7) des Umstands vergewissert haben, dass der sterbewillige Mensch freiwillig, selbstbestimmt und nach reiflicher Überlegung die Hilfe zur Selbsttötung verlangt.
(3) Zwischen dem Beratungsgespräch und der Hilfeleistung zur Selbsttötung müssen mindestens 14 Tage vergehen.

§ 4 Gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung
(1) Wer Hilfe zur Selbsttötung mit der Absicht leistet, sich oder einem Dritten durch wiederholte Hilfehandlungen eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (gewerbsmäßiges Handeln), wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Beihilfe zu einer Tat nach Absatz 1 ist nicht rechtswidrig.
§ 5 Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung
Wer gewerbsmäßig und in der Absicht, Selbsttötungen zu fördern, Mittel oder Gegenstände, die dazu geeignet sind, in den Verkehr bringt und dadurch einen anderen zur Selbsttötung verleitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 6 Ärzte als Helfer zur Selbsttötung
(1) Wer als Arzt von einem sterbewilligen Menschen um Hilfe zur Selbsttötung gebeten wird, hat nicht die Pflicht, dieser Bitte zu entsprechen. 
(2) Die Hilfe zur Selbsttötung kann eine ärztliche Aufgabe sein und darf Ärzten nicht untersagt werden. Dem entgegenstehende berufsständische Regelungen sind unwirksam.
§ 7 Beratungspflicht bei organisierter oder geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung

§ 8 Dokumentationspflicht bei organisierter oder geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung

§ 9 Pflichtverletzungen
(1) Wer in organisierter oder geschäftsmäßiger Form Hilfe zur Selbsttötung leistet und dabei
1. entgegen den Voraussetzungen des § 3 handelt,
2. zuvor die Beratungspflicht (§ 7) verletzt oder
3. die Dokumentationspflicht (§ 8) verletzt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Sterbehilfeorganisationen, deren Mitglieder oder Angestellte sich wegen einer Tat gemäß § 4 oder § 5 strafbar gemacht oder eine Pflicht gemäß Absatz 1 verletzt haben, können verboten werden.

Sensburg, Dörflinger u.a.: Absolutes Verbot der Suizidbeihilfe
Im Frühsommer legten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger überraschend einen weiteren Entwurf vor, der das Spektrum an Positionen zur Suizidbeihilfe erweiterte. Ihr „Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung“ (BT-Drs. 18/5376 v. 30.6.2015) sieht ein absolutes, ausnahmsloses Verbot der Suizidbeihilfe für alle betroffenen Gruppen vor.

Änderung des Strafgesetzbuches (StGB)
§ 217 Teilnahme an einer Selbsttötung
(1) Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Katja Keul u.a.: Vorschlag auf Regelungsverzicht
Nachdem der Gesetzentwurf von Renate Künast u.a. (BT-Drs. 18/5375) entgegen seiner Ankündigung, auf eine strafrechtliche Einschränkung der Suizidbeihilfe verzichten zu wollen, doch neue Sanktionen enthielt, hat die Abgeordnete Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) einen weiteren Antrag zur Diskussion gestellt: Sie schlägt vor, auf jegliche Gesetzgebung in Sachen Suizidbeihilfe zu verzichten. Ihr Antrag erzielte nicht die für eine Einreichung im Bundestag nötige Anzahl an Unterstützer/innen, soll hier dennoch dokumentiert werden – weil er mit einem begründeten Regelungsverzicht eine grundsätzliche Alternative zu den anderen Gruppenanträgen ist.

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Neue Straftatbestände im Hinblick auf die Beihilfe zur Selbsttötung sind nicht erforderlich.  (…)
II. Der Deutsche Bundestag bekräftigt daher, dass eine Änderung des Strafrechts in Bezug auf die Sterbehilfe nicht erforderlich ist.

Zusammenstellung: Sven Lüders

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