Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 213: Versammlungsfreiheit

Protest in der Spaßge­sell­schaft

in: vorgänge Nr. 213 (Heft 1/2016), S. 135-136.

Gregor J. Betz: Vergnügter Protest. Erkundungen hybridisierter Formen kollektiven Ungehorsams
Springer VS Wiesbaden 2016
299 Seiten, 49,99 € (eBook: 39,99 €)

Wenn es um politische Anliegen geht, kommt der Spaß oft zu kurz. Das gilt nicht nur für viele politische Initiativen und Organisationen, sondern auch für jene Wissenschaft, die politische  Bewegungen und Proteste erforscht, so Gregor Betz. Politischer Protest werde demnach meist auf die verfolgten Anliegen und Ziele hin betrachtet, das politische Handeln der Aktivistinnen und Aktivisten hauptsächlich unter instrumentellen Gesichtspunkten analysiert. Spaß, Freude und Humor kämen dabei allenthalben zu kurz – denn für die meisten Bewegungsforscher seien sie nur Mittel zum Zweck. Und selbst dann, wenn die Bedeutung emotionaler Bezüge zu einem politischen Anliegen betont würden, gehe es dabei vorwiegend um negative Emotionen wie Frust, Enttäuschung oder Aggression als vermeintlicher Antrieb für das politische Engagement.

Diese – nach seiner Auffassung rationalistisch bzw. negativ verkürzte – Sicht politischen Handelns will Gregor Betz überwinden. Dazu hat er sich mit sog. hybriden Protestformen beschäftigt, die ihren Anreiz aus dem Versprechen beziehen, dass sie politisch sinnvolle Anliegen (die jenseits der aktuellen Situation liegen) mit lustvollen Aktionsformen (im Hier und Jetzt) verbinden, bei denen also der Protest selbst Spaß und Freude bereitet. „Ziel dieser Studie ist es, das breite Feld an außeralltäglichen Ereignissen zwischen Protest und Vergnügungsveranstaltung, die ich im Folgenden ‚hybridisierte Protestereignisse‘ nenne, vergleichend ethnografisch … zu beobachten, wissenssoziologisch zu untersuchen und theoretisch zu fassen.“ (S. 4) Den Begriff der hybriden Ereignisse entlehnt Betz aus den Kulturwissenschaften, die sich seit geraumer Zeit mit der Durchmischung von traditionellen (z.B. religiösen) und modernen (z.B. popkulturellen) Formen gemeinschaftlichen Handelns befassen. Die Kommerzialisierung traditional-religiöser Feiern, Gauklerfeste, Flashmobs oder kollektive Fahrradausflüge der Critical Mass – all das sind nach dieser Lesart verschiedene Ausdrücke hybridiserter Events. Betz stützt sich dabei auf die Beobachtung, dass in verschiedensten Kontexten (von der Globalisierungskritik während des G8-Gipfels in Heiligendamm über die Istanbuler Proteste gegen die Bebauung des Gezi-Parks bis zum Arabischen Frühling) die Beteiligten hedonistische Motive als (mit)bestimmend für ihre Teilnahme angeben. Zugleich würden die klassischen Protestformen (Demonstration, Kundgebung, Reden, Aufruf …) zunehmend durch erlebnisorientierte Events ergänzt bzw. abgelöst: fetzige Musik, Konfettikanone oder große Installationen gehören heute ebenso dazu. Die Vorbereitung und Gestaltung ebenso wie die Deutung solcher Protestereignisse bleibt dabei umstritten, je nachdem, von welcher Seite der hybriden Beziehung es betrachtet wird (vgl. 8). Von Seiten der klassischen Aktivisten werden sie bisweilen als Entpolitisierung bzw. Delegitimierung des Protests angesehen, während die eher hedonistisch orientierten Teilnehmer/innen die traditionellen Vorgaben bzw. Auflagen von Versammlungen als „Spaßbremse“ sehen dürften.

Nach der Einleitung (die den „blinden Fleck“ der Bewegungsforschung hinsichtlich in Bezug auf Freude und Vergnügen als intrinsische Motive des Protests reklamiert) und einem kurzen, sehr allgemein gehaltenen Methodenteil („Was macht eigentlich ein Soziologe“) widmet sich das Buch drei Fallbeispielen, die für verschiedene Formen hybrider Protestereignisse stehen:

  • für den eventisierten Protest: die DGB-Kundgebung zum 1. Mai 2014 in Dortmund, bei der das traditionelle Kundgebungsformat der Gewerkschaften durch Aktionen der Jugendverbände aufgelockert wurde (sowie weitere gewerkschaftliche Aktionen im Rahmen der Kampagne „UmFairteilen“
  • für das politisierte Event: die 2013 durchgeführten Nachttanzdemos der Duisburger Initiative „DU It Yourself“, mit der sich Clubbetreiber und Gäste für ein soziokulturelles Zentrum in der Stadt einsetzten
  • für die „echten“ Protesthybride: die Schnippeldiskos der Slow Food Jugendbewegungen in Berlin und Bochum.

Die ethnografische Darstellung der drei Fallbeispiele, die mit 230 Seiten fast das gesamte Buch einnimmt, verspricht eine lustvolle Lektüre nur für jene Leserinnen und Leser, denen diese Protestkulturen unbekannt sind und die Spaß an der distanzierten, bisweilen fremdelnden sozialwissenschaftlichen Beschreibung solcher Gruppen und Ereignisse oder dem Sezieren von Plakaten, Aufrufen und Reden haben – wobei der Gewinn dieser „Analysen“ nicht immer einsichtig ist.

Der Ertrag des Bandes liegt denn auch weniger in der theoretischen Verortung oder Erklärung der neuen Protestformen, sondern mehr in der Beschreibung der praktischen Fallstricke und Konflikte, denen sich hybride Protestereignisse gegenüber sehen: wenn die Erwartungshaltungen zwischen (zielorientierten) Veranstaltern und (konsumwilligen) Teilnehmern auseinandergehen, die Maifeier zu wenig Unterhaltung bietet oder die passende Balance zwischen Party und Protest bei der Tanzdemo verfehlt wird.

Sehr aufschlussreich ist dagegen die Beschreibung der sinnstiftenden, missionarischen Aspekte der Schnippeldisko, die auf das quasi-religiöse Format dieser gelungenen Form von Hybridprotest verweist. Darüber würde man gern mehr erfahren.

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