Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 215: Geheimdienste vor Gericht

Verfas­sungs­schutz gegen Terro­ris­ten?*

In: vorgänge Nr. 215 (Heft 3/2016), S. 78-80

Ob die Verfassungsschutzbehörden im Zusammenhang mit den aktuellen Terrorakten in Weimar, München und Ansbach eingesetzt werden können, ist ebenfalls umstritten. Die Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Bundesverfassungsschutzgesetzes ergibt indes, dass dies nicht der Fall ist.

Schon bevor im Juli 2016 genaue Einzelheiten über die Terrorakte bei Würzburg, in München sowie in Ansbach bekannt waren, setzte sich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, als angeblicher Fachmann für den Kampf gegen den Terrorismus in Szene.[1] Er setzte dabei offensichtlich auf die Erwartungshaltung vieler Bürger und Bürgerinnen, dass neben anderen staatlichen Stellen auch der Verfassungsschutz mit seinen besonderen Möglichkeiten zur verdeckten Überwachung von Terroristen einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung bzw. Abwehr künftiger Anschläge dieser Art leisten könne. Dabei ist der Verfassungsschutz für diese Aufgabe weder zuständig noch geeignet.
Dies erschließt sich allerdings nur bei einem genauen Blick auf die gesetzlichen Grundlagen: In § 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) sind die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder umfassend geregelt. § 4 BVerfSchG enthält dann die Definition zentraler Begriffe dieser Aufgabenumschreibungen.
 Wichtigste Aufgabe der Verfassungsschutzämter ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen über „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind“. Zweifellos haben die Anschläge – vielleicht auch, weil zwei von ihnen abseits der dicht besiedelten Metropolen stattfanden – das Sicherheitsgefühl von Teilen der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigt. Als Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, also als eine Gefahr für den Kern unserer Verfassungsordnung, lassen sie sich jedoch nicht werten. Nach bisherigem Kenntnisstand handelt es sich vielmehr um Taten von einzelnen Männern, die nach bestimmten Frustrationserfahrungen in ihren gesellschaftlichen Beziehungen auf spektakuläre Weise Rache an der Gesellschaft nehmen  und zugleich die Aufmerksamkeit eines Millionenpublikums auf sich lenken wollten – der Showdown wird dabei ganz mediengerecht als ihr letzter großer Auftritt inszeniert.[2] Als zweifelhafte „Vorbilder“ dienen u. a. die „School Shooters“ in den USA und der norwegischer Massenmörder Anders Breivik. Schon im Jahre 356 v. Chr. legte ein Mann namens Herostratos Feuer im Artemistempel von Ephesos, um auf diese Weise berühmt zu werden. Bei den heutigen Attentätern kommen jeweils unterschiedliche Selbstlegitimationen hinzu,  der Rassismus des 18-jährigen Deutsch-Iraners David Sonboli in München und das Bekenntnis zum „IS“ bei den Tätern von Würzburg und Ansbach.[3]
Aber wenn solche Taten nicht schon eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen – handelt es sich dabei nicht wenigstens um eine Bestrebung gegen „die Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG? Das Gesetz definiert diesen Begriff allerdings eng: Zu Bestrebungen dieser Art zählen gemäß § 4 Abs. 1b BVerfSchG  nur solche Verhaltensweisen in einem Personenzusammenschluss, „der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen.“ Der Sicherheitsbegriff des Bundesverfassungsschutzgesetzes ist mithin deutlich enger als der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ im Polizeirecht.[4] Die Terrorakte in Bayern erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Bestrebung gegen die Sicherheit im Sinne des BVerfSchG, stellten aber zweifellos  eine Gefährdung der „öffentlichen Sicherheit“ nach den Polizeigesetzen dar, weil sie sich gegen Leib und Leben der Opfer richteten. Zuständig für das Vorgehen gegen Terroristen, das heißt für die Gefahrenabwehr sowie den ersten Zugriff bei der Straftatenverfolgung ist eben nicht der Verfassungsschutz, sondern die Polizei. Im Jahre 2008 wurde dem BKA als einer Sonderpolizei des Bundes durch eine Gesetzesergänzung ausdrücklich die Aufgabe der „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ eingeräumt, neben den auch weiterhin zuständigen Polizeien der Länder.[5]
Daraus folgt: Terrorismus, sei es grenzüberschreitend oder beschränkt auf einen Staat, ist eine Form schwerer Kriminalität, aber keine der in § 3 BVerfSchG aufgezählten Bestrebungen. Im Übrigen fehlt dem Verfassungsschutz auch auf Grund seiner institutionellen Ausrichtung die Fähigkeit, das Phänomen des Terrorismus einzudämmen.[6]
Damit stellt sich die Frage, warum der Verfassungsschutz gleichwohl von seinen Vertretern sowie von Innenpolitikern so vehement als geeignetes Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus angepriesen wird. Das am 1. August 2016 in Kraft getretene neue bayerische Verfassungsschutzgesetz, mit dem Bayern als erstes Bundesland dem dortigen Verfassungsschutz den Zugriff auf alle Verkehrsdaten der Telekommunikation auf der Grundlage der Vorratsdatenspeicherung erlaubt, ist vom bayerischen Innenminister Joachim Hermann sogar ausdrücklich mit der Terrorgefahr gerechtfertigt worden.[7]
Nach dem gewaltigen Imageverlust der Verfassungsschutzämter durch den NSU-Skandal wird offenbar versucht, ihnen wieder mehr Legitimation und Anerkennung zu verschaffen, indem ihre Unentbehrlichkeit auf dem Feld der Terrorismusbekämpfung behauptet wird. Nicht zuletzt soll damit der Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes[8] der Wind aus den Segeln genommen werden. Aber nach wie vor ist diese Forderung berechtigt, nicht zuletzt, weil der Verfassungsschutz auch bei der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus gleich welcher Couleur keinen wirksamen Beitrag zu leisten vermag.

* Mit Absicht wird hier kein geschlechtsneutraler Begriff benutzt, weil der Terrorismus, um den es im Folgenden geht, auch Ausdruck „toxischer Maskulinität“ (Klaus Theweleit, zit. in „Der Freitag“ Nr. 30/2016, S. 21) ist. Das heißt nicht, dass nicht auch Frauen oder Transsexuelle zu Terrorakten fähig wären.

MARTIN KUTSCHA   Prof. Dr. iur., Jahrgang 1948, ist Staatsrechtsprofessor i. R. und im Bundesvorstand der Humanistischen Union. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen zu Verfassungsfragen, insbesondere zu den Grundrechten vorgelegt.

Anmerkungen:
1 So in der „Tagesschau“ am 19. 7. 2016, 20 h.
2 Vgl. das Interview mit dem Soziologen Klaus Hurrelmann, in: „Süddeutsche Zeitung“ v. 25. 7. 2016 sowie Füller, Der Verlierer als Killer, in: „Der Freitag“ Nr. 30/2016, S. 3.
3 Die politische Motivation wird verschleiert, wenn in den Medien der Münchner Attentäter Sonboli als bloßer „Amokläufer“ hingestellt wird, während die „islamistischen“ Täter als Terroristen bezeichnet werden.
4 Vgl. Bergemann, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Rn. H 20; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, §§ 3, 4 BVerfSchG, Rn. 59, der dann aber gleichwohl Terroranschläge als Bestrebung gegen die Sicherheit wertet, Rn 60.
5 § 4a BKAG.
6 Dazu Roggan in diesem Heft.
7 Im Fernsehsender Phoenix „Vor Ort“ am 1.8.2016, 17.30 h.
8 Vgl. im Einzelnen Humanistische Union u.a. (Hrsg.), Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein! 2013 und Müller-Heidelberg, Schützt der „Verfassungsschutz“ die Verfassung? In: Roggan/Busch (Hrsg.), Das Recht in guter Verfassung? 2013, S. 205 ff.

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