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Der 12. Zivilsenat des Bundes­ge­richts­hofes auf Abwegen

21. Dezember 2016

in: vorgänge Nr. 216 (4/2016), S. 101-105

Rosemarie Will

Auch fünf Jahre nach der gesetzlichen Anerkennung von Patientenverfügungen beschäftigen diese immer noch die Gerichte. Zu den wiederkehrenden Fragen gehören, ob eine vorliegende Verfügung noch dem (inzwischen vielleicht geänderten) Willen des Verfügenden entspricht, oder ob der eingetretene Krankheits- bzw. Behandlungsfall unter jene Verfügung gehört oder nicht. In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6.7.2016 (Az. XII ZB 61/16) stellt dieser nun völlig neue Anforderungen daran, wie konkret die Umstände des Behandlungsverzichts zu benennen sind. Mit dieser Entscheidung werden viele der bisher verbreiteten Vordrucke für Patientenverfügungen (auch der von der Humanistischen Union vorgeschlagene Text) hinfällig und müssen überarbeitet werden, weil sie im Zweifelsfall als nicht mehr hinreichend bestimmt genug anzusehen sind. Welche rechtspolitischen Probleme die Entscheidung darüber hinaus aufwirft, skizziert Rosemarie Will in ihrem Kommentar der Entscheidung.

Der Sachverhalt

Eine Frau, Jahrgang 1941, liegt im Koma. Sie erlitt Ende 2011 einen Hirnschlag und wird seither künstlich ernährt. Infolge einer Reihe epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013 verlor sie die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation. Aussicht auf Besserung gibt es nicht, weil das Gehirn dauerhaft geschädigt ist. Die Frau hat 2003 und 2011 gleichlautende, weit verbreitete Patientenverfügungsvordrucke der evangelischen Kirche ausgefüllt und einer ihrer drei Töchter eine Generalvollmacht erteilt. Die Patientenverfügung der Betroffenen lautet wie folgt:

„Für den Fall, daß ich (…) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußtseinstrübung (…) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich: Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten. Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist,
* daß ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozeß befinde, bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder
* daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht, oder
* daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder
* daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt.
Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung. Aktive Sterbehilfe lehne ich ab. Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung.“

Die Entschei­dung
Bewertung

Kategorie: vorgänge: Artikel, Patientenverfügung: Rechtsstand

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