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Gegen Terrorismus polizeilich, nicht militärisch vorgehen!

Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grenzen, in: vorgänge Nr. 218 (Heft 2/2017), S. 33-42

Im November 2015 wurden in Paris mehrere Terroranschläge mit zahlreichen Toten und Verletzten verübt. Zu den Anschlägen bekannte sich die Terrormiliz des sog. Islamischen Staats (IS). Der Deutsche Bundestag beschloss daraufhin am 4. Dezember 2015 den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den IS. In der Folge unterstützten und unterstützen deutsche Soldaten die internationale Allianz gegen den IS u.a. durch Aufklärungsflüge. Der Autor untersucht die Verfassungsmäßigkeit und Völkerrechtsmäßigkeit dieser Einsätze und kommt zu dem Ergebnis, dass der Einsatz gegen den IS in Syrien verfassungs- und völkerrechtswidrig, der Einsatz im Irak verfassungswidrig ist.

Durch mehrere Terroranschläge starben am 13. November 2015 in Paris 130 Menschen, mehr als 350 Menschen wurden verletzt. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hat sich in einer schriftlichen Erklärung zu den Anschlägen bekannt.[1] Der französische Staatspräsident Francois Hollande sprach von einem kriegerischen Akt und kündigte den entschiedenen Kampf gegen den Terror an. Die Regierung Frankreichs verhängte den Ausnahmezustand und beantragte am 17. November im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik den Beistand der anderen EU-Staaten nach Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag.[2] Außerdem bombardierte die französische Armee Lager des IS in Syrien.[3]

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, dass man gemeinsam den Kampf gegen die Täter führen werde und bot der französischen Regierung „jedwede Unterstützung“ an.[4] Auf Antrag der Bundesregierung beschloss der Deutsche Bundestag am 4. Dezember 2015 den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den IS.[5] Maximal 1200 deutsche Soldaten unterstützen Frankreich, den Irak und die „internationale Allianz gegen den IS“ bei ihrem Militäreinsatz gegen den IS durch die Bereitstellung von Luftbetankung, Aufklärung, seegehenden Schutz und Stabspersonal. Die Tornado-Flugzeuge der Bundeswehr starten nahezu täglich im türkischen Incirlik zu Aufklärungsflügen nach Syrien.[6]

Dieser Bundeswehreinsatz erfolgt ohne Rechtsgrundlage.

I

1) Die Bundesregierung beruft sich auf Artikel 24 Abs. 2 GG in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag sowie Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Ihre Auffassung, dass der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt, ist unzutreffend. Als Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit sind bislang nur die Vereinten Nationen (UN) und (allerdings systemwidrig) auch die NATO anerkannt worden.[7] Die von der Bundesregierung in Anspruch genommene EU ist kein derartiges System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009 ausdrücklich klargestellt.[8] Laut BVerfG verdeutlicht der Ratifikationsvorbehalt des Lissabon-Vertrages, dass der Schritt der EU zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit (noch) nicht gegangen worden ist. Das BVerfG hält den späteren Ausbau der EU zu einem derartigen System offensichtlich nicht für unzulässig. Als Hindernis könnte sich erweisen, dass Entscheidungen nach Art. 42 Absatz 7 EU-Vertrag durch Art. 24 Abs. 2 EU-Vertrag ausdrücklich der gerichtlichen Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof entzogen sind. Soweit im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags[9] behauptet wird, Art. 24 Abs. 2 GG biete auch der „Einbindung von kollektiven Verteidigungsstrukturen“ nach Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag eine Rechtsgrundlage, werden der Wortlaut und Sinn der Verfassungsnorm in sein Gegenteil verkehrt. Nicht ohne Grund ist in Art. 24 Abs. 2 GG nur die „Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ zur Wahrung des Friedens vorgesehen und nicht die auf einseitige Stärke setzende und nicht auf gemeinsame Sicherheit ausgerichtete Verteidigung.[10]

Auch bei der „internationalen Allianz gegen den IS“ gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit sein könnte. Der Allianz geht es nur um die politische und militärische Abwehr der von dem IS ausgehenden internationalen Bedrohung. Es fehlen die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung im Rahmen der gemeinsamen Sicherheit, ein multilaterales Krisenmanagement und die Unterwerfung unter eine umfassende obligatorische Gerichtsbarkeit. Stattdessen handelt es sich bei der „internationalen Allianz gegen den IS“ um ein reines Beistands- und Verteidigungsbündnis nach dem Muster einer „Koalition der Willigen“.

Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands haben es unterlassen, ihren Militäreinsatz durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats zu sanktionieren. Sie haben auch nicht einen Beschluss nach Art. 5 NATO-Vertrag herbeigeführt. Die Bundesregierung beruft sich lediglich darauf, dass der UN-Sicherheitsrat (SR) in den Resolutionen  2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015) wiederholt festgestellt hat, von der Terrororganisation IS gehe eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aus. Zudem hat der SR in der Resolution 2249 (2015) die Mitgliedsstaaten, die dazu in der Lage sind, aufgefordert, unter Einhaltung des Völkerrechts in dem unter der Kontrolle des IS stehenden Gebiet in Syrien und Irak „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden.“  Diese Formulierung dient der Bundesregierung zur Rechtfertigung des Militär-Einsatzes, obwohl der SR im operativen Teil seiner Resolutionen keine Ermächtigung zu Militäreinsätzen nach Art. 42 UN-Charta ausgesprochen hat.

Eine Ermächtigung zur Anwendung militärischer Gewalt durch den SR erfordert jedoch die ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 42 UN-Charta. Das ergibt sich aus Art. 53 Satz 2 UN-Charta. Diese Bestimmung schreibt vor, dass ohne Ermächtigung des SRs Zwangsmaßnahmen nicht ergriffen werden dürfen. Diese Ermächtigung muss eindeutig und zweifelsfrei sein.[11] Es entspricht der ständigen Praxis des SRs, dass in den operativen Teilen der Resolutionen die Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt wird. Das folgt unzweifelhaft aus den bisherigen Resolutionen des SRs zum internationalen Terrorismus. Diesen hat der SR regelmäßig als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bezeichnet. Dabei hat der SR in den letzten Jahrzehnten immer wieder seine Zuständigkeit für das Einschreiten bei Terroranschlägen erklärt und eine Vielzahl von nichtmilitärischen Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus angeordnet. Die folgenden SR-Resolutionen belegen das:

  • 1992 ist der SR mit der Resolution 748 wegen der Nichtauslieferung der mutmaßlichen Attentäter von Lockerbie gegen Libyen vorgegangen.[12] Er hat sich auf Kapitel VII UN-Charta berufen und die Verhinderung von Handlungen des internationalen Terrorismus als essentiell für die Wahrung des Friedens und der Sicherheit bezeichnet.
  • 1999 hat er mit der Resolution 1267 nach Kapitel VII UN-Charta weitreichende Sanktionen gegen das Taliban-Regime in Afghanistan beschlossen.[13] Als Begründung wurde angeführt, dass die Taliban die Ausbildung von Terroristen und die Vorbereitung terroristischer Anschläge ermöglichten. Die Verhinderung des Terrorismus sei essential für die Wahrung des Friedens und der Sicherheit. Angeordnet wurden Flugverbotszonen für die Flugzeuge und das Einfrieren von Bankkonten und Vermögen der Taliban. Ein Sanktions-Komitee sollte die Durchführung kontrollieren. Die Sanktionen wurden später um Reiseverbote, Waffenembargos und den Personenkreis erweitert. Die Sanktionsausschüsse des Sicherheitsrats führen umstrittene Listen von Verdächtigen, gegen die alle UN-Mitgliedsstaaten einzuschreiten verpflichtet sind.
  • Ebenfalls im Jahre 1999 forderte der SR mit der Resolution 1269 die Staaten allgemein zur Bekämpfung des Terrorismus und zum Abschluss einer internationalen Anti-Terrorismus-Konvention auf.[14] Dasselbe wiederholte er am 12.9.2001 – einen Tag nach dem Anschlag auf die Twin-Towers, das Pentagon und andere Einrichtungen der USA -, wobei er die Terroranschläge als kriminell und als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bezeichnete.[15]
  • Mit der Resolution 1373 vom 28.9.2001 konkretisierte der SR seine Reaktion auf 9/11.[16] Erneut bezeichnete er sich als allgemein zuständig für Akte des internationalen Terrorismus und erklärte, dass er jeden Akt des internationalen Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betrachtet. Seine Maßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta richten sich an alle Staaten. Nach Art einer Rahmengesetzgebung gebietet er, die Finanzierung terroristischer Handlungen zu verhindern und das Geldsammeln zu bestrafen, Vermögen einzufrieren, Geldtransfer zu verbieten, vor Anschlägen zu warnen, Zufluchtsorte zu verweigern, die Nutzung der Hoheitsgebiete zu verhindern, Unterstützer vor Gericht zu stellen, die Bewegung von Terroristen durch Grenzkontrollen zu verhindern, relevante Informationen auszutauschen, den Missbrauch der Asylgewährung und des Flüchtlingsstatus zu verhindern und binnen 90 Tagen über die eingeleiteten Schritte Bericht zu erstatten. Die Maßnahmen sind zeitlich, räumlich und sachlich nicht begrenzt. Zur Überwachung wurde ein Counter-Terrorism Committee geschaffen.
  • Einen Schritt weiter ging der SR bei den Bombenattentaten von Madrid 2004.[17] Obwohl er ebenso wie die spanische Regierung die Verantwortlichkeit der ETA unterstellte – und damit keinen internationalen Terrorismus –, sah er sich als zuständig an und ging nach Kapitel VII UN-Charta vor, indem er die terroristischen Anschläge als Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit bezeichnete. Er postulierte die Verpflichtung aller Staaten, im Rahmen ihrer Verpflichtungen aus der Resolution 1373 die Drahtzieher der Anschläge zu überführen und vor Gericht zu stellen.

In diesen Fällen und in den weiteren, den internationalen Terrorismus betreffenden Resolutionen hat der SR deutlich hervorgehoben, dass die angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (nichtmilitärische) Sanktionen nach Artikel 41 UN-Charta sind.[18] Militärische Sanktionen nach Artikel 42 UN-Charta hat er in allen Fällen vermieden. Das gilt insbesondere für die von der Bundesregierung als Rechtsgrundlage angeführten Resolutionen des Sicherheitsrats.[19] In ihnen bekräftigt der SR wiederholt die Unabhängigkeit, Souveränität, Einheit und territoriale Unversehrtheit Syriens und Iraks und verurteilt die Besetzung von Teilgebieten dieser Staaten durch den IS und die Al-Nusra-Front und deren terroristische Völkerrechtsverletzungen. Der SR fordert die UN-Mitgliedsstaaten auf, die Täter zu finden und vor Gericht zu stellen, den Zustrom ausländischer terroristischer Kämpfer in die Region, Waffenlieferungen und Finanzierungsaktivitäten durch Grenzkontrollen und internationale Zusammenarbeit zu verhindern, und den Handel mit den Terroristen zu unterlassen. Die von dem SR geforderten „alle notwendigen Maßnahmen“ der UN-Mitgliedsstaaten beziehen sich lediglich auf die vom SR in derselben Resolution zuvor im Einzelnen aufgelisteten politischen und polizeilichen Maßnehmen, nicht aber auf den Einsatz von Militär. Dabei betont der SR wiederholt, dass alle Maßnahmen nur im Einklang mit dem Völkerrecht ergriffen werden dürfen.

Nicht nachvollziehbar und völlig unverständlich ist, dass die Bundesregierung aus diesen Resolutionen des SR eine Ermächtigung zum militärischen Vorgehen gegen den IS auf den Staatsgebieten Syriens und Iraks nach Art. 42 UN-Charta herleiten will. Wortlaut und Sinn der Entscheidungen des SR werden dabei missachtet und in ihr Gegenteil verkehrt.

2) Die Bundesregierung beruft sich bei dem Bundeswehr-Einsatz nicht nur auf Art. 24 Abs. 2 GG, sondern auch auf das Recht auf kollektive Selbstverteidigung zugunsten Frankreichs und des Irak gemäß Art. 51 UN-Charta. Somit kommt ein Einsatz nach Art. 87a Abs. 2 GG in Betracht.

Das BVerfG legt in ständiger Rechtsprechung Art. 87a Abs. 2 GG dahingehend aus, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr außer im Verteidigungsfall nur in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt sind. Das hat das BVerfG zuletzt im Urteil vom 30. Juni 2009 zum Vertrag von Lissabon entschieden.[20] Der Verteidigungsfall ist in Art. 115a GG geregelt und ist im Falle des Einsatzes gegen den IS nicht eingetreten. Denn er setzt voraus, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht.

Da weder ein Verteidigungsfall noch ein „Nato-Bündnisfall“ vorliegen, ist nach der Rechtsprechung des BVerfGs der Bundeswehreinsatz gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien und Irak unter keinerlei Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Er ist verfassungs- und völkerrechtswidrig.

II

Zu dem militärischen Vorgehen der „internationalen Allianz gegen den IS“ ist folgendes zu bemerken:

  • Militärische Selbstverteidigung gegen den IS ist nach Art. 51 UN-Charta grundsätzlich vom Völkerrecht gedeckt.
  • Die Attentate von Paris sind mit zwischenstaatlichen Militäroperationen vergleichbar und berechtigen Frankreich grundsätzlich zur Selbstverteidigung.
  • Das Selbstverteidigungsrecht ist begrenzt und erlaubt keine Vergeltung.
  • Die von Irak erbetene militärische Hilfe gegen den IS begegnet keinen völkerrechtlichen Bedenken.
  • Die „internationale Allianz gegen den IS“ verstößt durch Militäreinsätze auf syrischem Staatsgebiet gegen das Völkerrecht.

Dazu im Einzelnen:

1) Militärische Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta ist grundsätzlich auch gegen den IS möglich. Der IS ist kein Staat im völkerrechtlichen Sinn, sondern eine nichtstaatliche Terroristengruppe. Er verfügt nicht über ein gesichertes Staatsgebiet und über ein dauerhaft zuzuordnendes Staatsvolk. Der IS ist nicht fähig mit anderen Staaten in Beziehung zu treten und ist durch die Staatengemeinschaft auch nicht anerkannt.

Bei der Gründung der UN im Jahre 1945 war ein nichtstaatlicher Angreifer kaum vorstellbar. Aufgrund der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 1368 und 1373, die dieser anlässlich der nichtstaatlichen Terrorangriffe gegen die USA vom 11.9.2001 beschlossen hatte und in denen er das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 UN-Charta anerkannt hat, sowie aufgrund der Erklärung der kollektiven Selbstverteidigung der NATO (Beistandsfall) und der Anerkennung des Selbstverteidigungsrechtes durch die OSZE und die OAS, kann es als gesichertes Völkerrecht angesehen werden, dass das Selbstverteidigungsrecht auch auf bewaffnete Angriffe durch nichtstaatliche Akteure Anwendung findet. Das hat der Internationale Gerichtshof 2014 in Bezug auf die Mauer in den von Israel besetzten Gebieten jedenfalls für den Fall anerkannt, dass der Angriff grenzüberschreitender Natur ist.

2) Frankreich ist grundsätzlich berechtigt, sich gegen die Angriffe des IS militärisch zu verteidigen. Bei den Attentaten in Paris handelt es sich um einen Angriff des (derzeit vor allem in Gebieten Iraks und Syriens operierenden) IS gegen Frankreich. Zwar stammen die Attentäter aus Frankreich und Belgien, jedoch hat der IS in einer schriftlichen Erklärung die Verantwortung für die Anschläge übernommen und erklärt, er habe die Anschlagsorte ausgewählt.

Die Angriffe des IS gegen Frankreich sind in Umfang und Ausmaß mit zwischenstaatlichen Militäroperationen vergleichbar, denn die geplante und koordinierte Vorgehensweise ist zwar nicht in den Folgen, jedoch in der Tendenz mit den Angriffen des 11. September 2001 gegen die USA vergleichbar. In beiden Fällen ging es dem Angreifer darum, mit Waffengewalt den größtmöglichen Schaden anzurichten, um den angegriffenen Staat zu destabilisieren.

3) Das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 UN-Charta ist begrenzt. Es berechtigt nur zur Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs. Militärische Abwehrmaßnahmen sind unzulässig, wenn der Angriff abgeschlossen ist und kein weiterer droht. Präventive Selbstverteidigung ist ebenso unzulässig wie sog. pre-emptive strikes oder die bewaffnete Repressalie (Vergeltung).[21] Die – die Verteidigung auslösenden – Attentate von Paris sind abgeschlossen. Die meisten Attentäter sind tot. Konkrete Drohungen der wenigen auf der Flucht befindlichen Personen sind nicht bekannt geworden. Zwar hat der IS in seinem Bekenner-Schreiben weitere Anschläge angedroht. Diese gegen Frankreich gerichtete Drohung ist jedoch vage und allgemein und lässt auch nicht sicher auf in Syrien sitzende Urheber schließen. Sie berechtigt (und verpflichtet) grundsätzlich nur zur polizeilichen Vorsorge, jedoch nicht zu militärischen Verteidigungsmaßnahmen – es sei denn Frankreich belegt konkrete Drohungen für bevorstehende Angriffe des IS.[22]

4) Die „internationale Allianz gegen den IS“ will ihre Verteidigungsmaßnahmen vor allem auf syrischem und irakischem Staatsgebiet durchführen. Damit kommt die Allianz dem Ersuchen der Regierung des Irak nach. Diese hat die „internationale Allianz gegen den IS“ ausdrücklich um militärische Hilfe bei der eigenen Selbstverteidigung gegen die bewaffneten Angriffe des IS gebeten. Die militärische Abwehr des IS im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung des Irak ist auf das Staatsgebiet des Irak beschränkt.

5) Anders ist die Lage in Syrien, wo die syrische Regierung lediglich das verbündete Russland und den Iran um Beistand gegen den IS gebeten hat. Die Regierung Syriens muss militärische Einsätze der „internationalen Allianz gegen den IS“ auf syrischem Staatsgebiet nur hinnehmen, wenn ihr die Angriffsaktivitäten des IS zugerechnet werden können. Bei einem Angriff eines nichtstaatlichen Aggressors ist die Selbstverteidigung mit militärischen Mitteln auf dem Staatsgebiet eines anderen Staates nach der Rechtsprechung des IGH nur dann gerechtfertigt, wenn dieser Staat sich das Handeln des nichtstaatlichen Angreifers zurechnen lassen muss.[23] Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr befindet sich auch die syrische Regierung im Abwehrkampf gegen den IS, der Teile des syrischen Staatsgebiets völkerrechtswidrig okkupiert hat.

Auch aus anderen völkerrechtlichen Gesichtspunkten hat die „internationale Allianz gegen den IS“ kein Recht zur Ausübung der kollektiven Selbstverteidigung auf dem Staatsgebiet Syriens. Insbesondere bedeutet die Tatsache, dass der UN-Sicherheitsrat im nicht-operativen Teil seiner anlässlich 9/11 beschlossenen Resolutionen 1368 und 1373 das Selbstverteidigungsrecht erwähnt hat, nicht, dass er dessen Anwendung auch in Fällen anerkannt hätte, in denen der Staat noch nicht einmal mit den Terroristen kollaboriert oder ihnen willentlich ein sicheres Rückzugsgebiet (strittige „safe-haven-Doktrin“) gewährt. Der SR hat nur allgemein auf Art. 51 UN-Charta hingewiesen. Er stellt keine Kriterien eines etwaigen Selbstverteidigungsrechts in diesen Fällen auf und ermächtigt nicht zu dessen Ausübung. Für die Auslegung der beiden Resolutionen ist auch von Bedeutung, dass der SR im operativen Teil lediglich politische, finanzielle und polizeiliche Abwehrmaßnahmen nach Art. 41 UN-Charta und keine militärischen Maßnahmen nach Art. 42 UN-Charta fordert.

Der gleichfalls umstrittene Ansatz, dass ein Staat militärische Maßnahmen gegen terroristische Gruppen, die von seinem Territorium aus agieren, dulden muss, wenn er weder „bereit noch fähig“ ist, diese zu bekämpfen und grenzüberschreitende Angriffe zu verhindern, könnte allenfalls durch Völkergewohnheitsrecht gerechtfertigt sein. Der Umstand, dass sich die Staaten der „internationalen Allianz gegen den IS“ bei ihrem Vorgehen auf syrischem Boden ungeachtet der fehlenden Zustimmung Syriens auf diese Argumentation berufen, schafft noch kein Völkergewohnheitsrecht. Das Gewaltverbot nach Art. 2 Absatz 2 UN-Charta verbietet militärische Maßnahmen auf syrischem Staatsgebiet, soweit nicht die syrische Regierung ausdrücklich zustimmt.

Ein davon abweichendes Völkergewohnheitsrecht zum militärischen Einsatz auf fremden Staatsgebiet wäre nur entstanden, wenn in der Vergangenheit eine allgemeine Staatenpraxis und eine übereinstimmende Überzeugung der Staaten, bei derartigen Einsätzen Völkerrecht anzuwenden, festzustellen wäre.[24] Das ist jedoch nicht der Fall.[25]

Vereinzelte Überlegungen, die Zurechnung zu einem Staat zu lockern und Terrorakte nicht-staatlicher Organisationen oder Einzelner auch dann als bewaffnete Angriffe des Staates anzusehen, wenn diese keine Schutzverbindung oder Duldung durch den Staat aufweisen, auf dessen Staatsgebiet sie handeln, widersprechen dem geltenden Völkerrecht. Zwar trifft es zu, dass inzwischen das Ausmaß der Gewalt und Zerstörungskraft des internationalen Terrors den zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen durchaus vergleichbar ist. Richtig ist auch, dass diese Entwicklung bei der Gründung der UN 1945 unvorhersehbar gewesen ist. Dennoch hat sich bislang kein die UN-Charta erweiterndes Völkergewohnheitsrecht herausgebildet. Vor allem hat der UN-Sicherheitsrat zwar immer wieder Terrororganisationen als „ernsteste Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit bezeichnet“, aber in den operativen Teilen aller Resolutionen bewusst vermieden, militärische Maßnahmen nach Artikel 42 UN-Charta anzuordnen. Stattdessen hat der SR sich darauf beschränkt, ökonomische, politische und polizeiliche Maßnahmen anzuordnen oder zu fordern.

Auch die gelegentlich gehörte Argumentation, die Bombardierung des IS liege im Interesse Syriens, weshalb von einer stillschweigenden Zustimmung Syriens  auszugehen sei, trägt nicht. Die USA haben öffentlich und wiederholt verkündet, das Regime Assad beseitigen zu wollen, so dass sich die Allianz nicht auf eine stillschweigende Zustimmung der syrischen Regierung berufen kann, Bombardierungen im ganzen Land vornehmen zu können. Der von den USA verkündete „war on terror“ gibt keine selbständige Eingriffsermächtigung an der UN-Charta vorbei.

Auch der militärische Angriff Frankreichs gegen den IS auf syrischem Staatsgebiet ist wegen des fehlenden Einverständnisses der syrischen Regierung völkerrechtswidrig. Frankreich bleibt nach Lage des Rechts, will es dieses nicht brechen, nur die Alternative übrig, den UN-Sicherheitsrat anzurufen. Geschieht das nicht, ist die Regierung Frankreichs darauf beschränkt, die Anschläge von Paris mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen.

Art. 42 Absatz 7 EU-Vertrag gibt keine selbständige Rechtgrundlage für Militäreinsätze, sondern verweist lediglich auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 UN-Charta. Deutschland ist zur militärischen Beistandsleistung schon deshalb nicht berechtigt, weil weder der Verteidigungsfall nach Art. 87a Abs. 2 GG noch eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats nach Art. 42 UN-Charta oder der NATO-Beistandsfall nach Art. 5 NATO-Vertrag vorliegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Bundeswehreinsatz gegen den IS in Syrien ist verfassungs- und völkerrechtswidrig. Im Irak ist der Einsatz verfassungswidrig.

BERND HAHNFELD   ist Richter im Ruhestand und Vorstandsmitglied der deutschen Sektion der IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms).

Anmerkungen:

1 SPIEGEL ONLINE vom 14.11.2015.

2 Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian: Frankreich wünsche auf bilateraler Ebene und im Rahmen der Möglichkeiten Unterstützung der EU-Länder im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz
„Islamischer Staat“ (IS) – tagesschau.de vom 17.11.2015.

3 tagesschau.de vom 18.11.2015.

4 SPIEGEL ONLINE vom 16.11.2015.

5 BT-Drs. 18/6866.

6 einsatz.bundeswehr.de vom 28.11.2016.

7 BVerfG, Urteil vom 12. Juli 1994, BVerfGE 90, 286, RdNrn. 239ff und NJW 1994, 2207, kritisch Dieter Deiseroth, in: Die Friedenswarte 2000, 101 ff. sowie ders., in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. 2002, Art. 24 Abs. 2 GG Rn. 194 ff.; ferner ders., in: Wissenschaft und Frieden, 2009, 12 ff. jeweils mwN.

8 BVerfGE 123,267 ff. Rn. 390.

9 WD2-3000-203/15.

10 Für Payandeh/Sauer in „Die Beteiligung der Bundeswehr am Antiterroreinsatz in Syrien“, in: ZRP 2016, 34, 36 fehlt es für die Rechtmäßigkeit lediglich an der förmlichen Beschlussfassung der EU-Organe nach Art. 42, 43 EUV.

11 Payandeh/Sauer (Anm. 10), 34 sprechen von der Notwendigkeit einer hinreichend klaren Autorisierung militärischer Gewaltanwendung, an der es fehle.

12 S/RES/748 (1992) – alle Resolutionen des UN-SR sind in deutscher Sprache zu finden unter www.un.org/Depts/german und der Angabe der laufenden Nummer der Resolution.

13 S/RES/1267 (1999).

14 S/RES/1269 (1999).

15 S/RES/1368 (2001).

16 S/RES/1373 (2001).

17 S/RES/1530 (2004).

18 Heintschel von Heinegg, in: Knut Ibsen, Völkerrecht, 6. Aufl., §53 Rn. 18.

19 S/RES/2170 (2014), S/RES/2199 (2015), S/RES/2249 (2015).

20 BVerfGE 123, 267 ff, Rn. 254. Folgt man jedoch der gut begründeten Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), so umfasst der Begriff Verteidigung in Artikel 87a Absatz 2 GG im Wortsinn mehr als die „Verteidigung“ der eigenen Staatsgrenzen. Das ist laut BVerwG aus dem begrifflichen Gegensatz im Grundgesetz zwischen „Landesverteidigung“ in Artikel 115 Absatz1 GG und
„Verteidigung“ in Artikel 87a Absatz 2 GG, sowie aus dem Entstehungszusammenhang der Regelung zu schließen. Die im Jahre 1968 in das Grundgesetz eingefügte Regelung sollte einen militärischen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Verteidigungsbündnisses der NATO nicht ausschließen. Das BVerwG ging in dem Urteil vom 21.6.2005 -2WD 12/04- (Rn. 93) allerdings davon aus, dass
„Verteidigung“ äußerstenfalls das umfasst, was nach dem geltenden Völkerrecht nach Artikel 51 UN-Charta das Selbstverteidigungsrecht zulässt: „Art. 51 UN-Charta gewährleistet und begrenzt in diesem Artikel für jeden Staat das – auch völkergewohnheitsrechtlich allgemein anerkannte – Recht zur „individuellen“ und zur „kollektiven Selbstverteidigung“ gegen einen „bewaffneten Angriff“, wobei das Recht zur „kollektiven Selbstverteidigung“ den Einsatz von militärischer Gewalt – über den Verteidigungsbegriff des Art. 115a GG hinausgehend – auch im Wege einer erbetenen Nothilfe zugunsten eines von einem Dritten angegriffenen Staates zulässt (z.B. „Bündnisfall“).“ Dass Artikel 87a Absatz 2 GG damit auch weltweit jeden militärischen Einsatz der Bundeswehr zugunsten jedes beliebigen Staates zulässt, ist im Rahmen des NATO-Vertrages nicht auszuschließen. Jedoch hat das BVerwG damit nicht die ständige Rechtsprechung des BVerfGs in Frage gestellt,
dass Verteidigung auf den Rahmen des Nato-Verteidigungsbündnisses beschränkt ist. Payandeh/Sauer (Anm. 10), 37 kritisieren den in ihren Augen zu engen Verteidigungsbegriff des BVerfGs. Sie halten den Bundeswehreinsatz in Syrien dennoch für verfassungswidrig, weil er nicht im Rahmen einer vom Völkerrecht anerkannten kollektiven Selbstverteidigung erfolgt (fehlende Zurechenbarkeit).

21 Michael Bothe, in: Wolfgang Graf Vitzthum, Völkerrecht, 4.Aufl. VIII Rn.19, Heintschel von Heinegg, (Anm.18), §51 Rn. 16ff, 32ff.

22 Ein entgegenstehendes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, wonach auch ohne konkrete Drohungen nach terroristischen Anschlägen ein Selbstverteidigungsrecht fortbesteht, lässt sich nicht nachweisen. Es wird aber z.B. von den im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ kooperierenden Staaten in Anspruch genommen (Heintschel von Heinegg, (Anm. 18), § 52 Rn. 34). Dasselbe gilt offenbar von den in der „internationalen Allianz gegen den IS“ kooperierenden Staaten. Gesichert ist, dass hinreichende Anhaltspunkte, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff schließen lassen, zur militärischen Selbstverteidigung berechtigen (Heintschel von Heinegg, (Anm. 18), §52 Rn. 19).

23 Michael Bothe, in: Wolfgang Graf Vitzthum, (Anm. 21), VIII Rn. 19; Heitschel von Heinegg (Anm. 18), §52, Rn. 10,21,24.

24 Wolfgang Graf Vitzthum, (Anm. 21), I Rn. 131; Heintschel von Heinegg (Anm. 18), §17 Rn. 2ff.

25 Payandeh/Sauer, (Anm. 10), 35 f. sehen den Bundeswehreinsatz lediglich in einer völkerrechtlichen Grauzone. Wenn sich jedoch die Entstehung eines das Gewaltverbot (Art. 2 Abs. 4 UN-Charta) einschränkenden neuen Völkerrechtssatzes nicht nachweisen lässt, bleibt die Selbstverteidigung gegen Terroristen auf dem Gebiet eines Staates, dem ihr Verhalten nicht zuzurechnen ist, völkerrechtswidrig
– unabhängig von der ethischen oder politischen Bewertung.

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